Der Katalanische Liedermacher Lluis Llach

Aus: „Tranvía. Revue der Iberischen Halbinsel“, Heft 42, September 1996
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Die meisten Menschen in Deutschland kennen von Sängern aus Spanien nur den Schmalzbarden und Rechtsausleger (zuletzt rief er zur Wahl von Aznar und des Partido Popular auf) Julio lglesias. In Katalonien wird er allerdings von einem Katalanen mühelos in den Schatten gestellt: Lluis Llach, der zum Beispiel bei einem Konzert Mitte der achtziger Jahre in einen Fußballstadion über 100.000 Zuhörer hatte.

Llach wurde 1948 in einem kleinen Dorf in der Nähe der französischen Grenze geboren. Als er 1967 nach Barcelona kam, lernte er die neue katalanische Liedbewegung (Nova Cançó) kennen und schloß sich ihr an. Einige Liedermacherlnnen orientierten sich zu diesem Zeitpunkt noch an den Chansons von Brassens und Brel aus dem benachbarten Frankreich.

Die Franco-Diktatur unterdrückte die Kommunikation in katalanischer Sprache, weil sie in ihr gegen den Zentralstaat gerichtete Autonomiebestrebungen sah. Hinzu kam die antifaschistische Tendenz der Lieder, die zu zahlreichen Zensurmaßnahmen im Rundfunk und zu Auftrittsverboten führte. Bereits 1968 wurde Llachs Lied „Der Pfahl“ zur Hymne des katalanischen Widerstands gegen Franco: „Wenn wir alle ziehen, wird er fallen‚ lange kann er sich nicht mehr halten, er wird fallen, fallen, fallen, ganz morsch muß er schon sein.“ Llach, der dieses Lied bei seinen Auftritten nicht mehr singen durfte‚ spielte es nur auf dem Klavier und die Zuhörerinnen sangen den verbotenen Text dazu. Das Publikum wurde zum Hauptakteur, der Musiker einer von Vielen.

Llach mußte 1970 ins Pariser Exil gehen; er durfte nach der Rückkehr 1973 nur in entlegenen Provinzorten auftreten. Als Franco 1975 starb‚ herrschte bei vielen Menschen eine euphorische Aufbruchstimmung. Doch 1977 erhielten die Konservativen die Mehrheit bei den Parlamentswahlen; 1979 ergab der zweite demokratisch durchgeführte Urnengang einen weiteren Rechtsruck (bei den Kommunalwahlen sah es anders aus). In der Regierung saßen immer noch etliche Minister, die während des Franco-Regimes hohe politische Ämter bekleidet hatten. ln dieser Zeit der Ernüchterung und Enttäuschung entstand Llachs Lied „lhr träumt“.

In ihm bekennt er sich zur Utopie einer freien, gerechten und solidarischen Welt: „Der Traum von heute als Möglichkeit des Morgen!“ In deutlicher Anspielung auf die Wahlen‚ die der Verwirklichung dieser Ziele kein bißchen weitergeholfen hatten‚ lehnt er es ab‚ einer „Schafherde“ anzugehören, „die von lnteressenverwaltern kontrolliert wird“. Auch die sozialdemokratischen Realpolitikerlnnen konnten an seinem antiautoritären „Wir wollen das Unmögliche‚ um das Mögliche zu erreichen“ wenig Gefallen finden.

Trotz seiner ebenso eindeutigen wie ungestümen Parteinahme verklärt Llach in dem Text die herrschenden Verhältnisse keineswegs. Er verfällt nicht in die bei den Linken oft übliche Schwarzweißmalerei: hier das gute Volk, dort die Kapitalisten. Das Volk bewegt sich in Wirklichkeit sehr unterschiedlich. „Übereilt“ oder „zu vorsichtig“, mal „schmutzig, niedrig, kriechend“ – ein anderes Mal „erhaben“, in jedem Fall „in seiner ganzen menschlichen Natur, sonderbar und schlicht“. Trotz der Begeisterung für seine Ideale werden Trauer und Wut über die verpaßten Möglichkeiten nach 1975 in dem Text sehr deutlich. Llachs Stimme ist variabel und spannungsreich – in der Zeit des „desencanto“, der Zeit der Enttäuschung über die politische Entwicklung, ist sie oft nicht nur melancholisch, sondern klingt regelrecht zerknirscht.

Der gesamte Text wird von einem Dialog geprägt. Auf den Vorwurf des „lhr träumt und verlangt zuviel“ folgt die Antwort. Diese manövriert sich trotz ihres vollmundigen Beharrens auf „unser wütendes Recht“ in eine defensive Position. Wie selbstbewußt und selbstverständlich hat dagegen Martin Luther King mehr als zehn Jahre zuvor in einer mindestens ebenso bedrückenden Situation in den USA aufgerufen: „lch habe einen Traum!“ King ging damit in die Offensive und forderte seine Widersacher damit heraus, zu erklären, warum sein Traum, daß Schwarze und Weiße eines Tages gleichberechtigt sind, so abwegig sein sollte.

Lluis Llach singt bis heute ausschließlich auf Katalanisch. Für ihn ist es das Normalste der Welt, in seiner Muttersprache zu singen. Er fühlt sich als Bürger eines kulturellen und gesellschaftlichen Kollektivs in Katalonien. Doch wo immer kollektive Identitäten betont werden, sollten sie kritisch hinterfragt werden.

Gibt es nicht in Barcelona und seinen Vororten ganze Viertel, in denen eben nicht nur Katalanisch, sondern von den Eingewanderten aus anderen Regionen Spaniens auch Spanisch gesprochen wird? Und ist die Polemik einiger katalanischer Nationalisten gegen die hier real existierende Zweisprachigkeit nicht sehr verräterisch?

Nun ist Lluis Llach kein engstirniger Nationalist‚ aber trotzdem ist nicht auszuschließen, daß seine Lieder von der falschen Seite vereinnahmt werden. Vielleicht war er sich dieser Gefahr bewußt. Ende der achtziger Jahre widmete er sich verstärkt „internationalistischen“ Themen: der Situation in Südafrika, Chile, Palästina. Seine Musik wurde anspruchsvoller und differerenzierter‚ indem er Stilelemente des Jazz und der Klassik in seine Kompositionen einbaute‚ selbst vor dem Gebrauch des Synthesizers schreckte er nicht zurück. Stiller und nachdenklicher geworden, spielte nun auch Privates eine größere Rolle in seinen Liedern.

Ihr träumt

Ihr träumt!
Natürlich wir träumen ständig.
Ihr erhofft zu viel!
Natürlich, wir haben gelernt zu hoffen und wir erhoffen alles.
Ihr verlangt zu viel!
Natürlich, wir verlangen zu viel, mehr, alles, gierig.
Ihr habt es zu eilig!
ja, natürlich, laufen, ankommen, von vorn beginnen, wir haben’s eilig.

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Ihr träumt!
Ja, unvermeidlich; der Traum von heute als Möglichkeit des Morgen.
Ihr erhofft zu viel!
Natürlich, und wir schämen uns nicht, Sklaven der Hoffnung zu sein.
Ihr verlangt zu viel!
Natürlich, das ist unser wütendes Recht, und mehr noch unsere Pflicht.
Ihr fordert!
Natürlich, begeistert oder voll Traurigkeit.

Und zweifellos,
und zweifellos ist es besser so,
lieber ein Volk, das sich bewegt,
zwar manchmal übereilt,
zwar manchmal zu vorsichtig,
zwar manchmal schmutzig, niedrig, kriechend,
zwar manchmal erhaben,
lieber so, in seiner ganzen menschlichen Natur, sonderbar und schlicht,
lieber so, als eine Schafherde zu sein, die von den Interessenverwaltern kontrolliert wird.

Und deshalb soll sich niemand schämen zu sagen:
Ja, wir träumen ständig, wir träumen Träume ohne Schranken,
wir träumen sogar das Unvorstellbare,
und wir erhoffen alles, wir haben die Kunst des Hoffens gelernt,
diese Kunst, in nie endenden Nächten der Ohnmacht zu hoffen;
wir wissen wie man hofft und wir erhoffen alles, alles, und wir
verlangen alles, wir wollen das Unmögliche, um das Mögliche zu erreichen,
wir wollen das Mögliche, um das Unmögliche zu erreichen;
lieber so, ihr wisst es alle, lieber so,
zwar manchmal übereilt,
zwar manchmal schmutzig, niedrig, kriechend;
lieber so, in unserer ganzen menschlichen Natur, sonderbar und schlicht;
lieber so, als eine Schafherde zu sein, die von den Interessenverwaltern kontrolliert wird;
und deshalb, wenn man uns jemals sagt, wenn man uns jemals zu sagen wagt:

Ihr träumt!
Natürlich, ständig, wir träumen immer.
Wenn man uns sagt: Ihr erhofft zu viel!
Natürlich, wir haben gelernt zu hoffen und wir erhoffen alles.
Wenn man uns sagt: Ihr verlangt zu viel!
Natürlich, wir verlangen zu viel, mehr und alles, gierig, durstig.
Wenn man uns sagt: Ihr habt es zu eilig!
Natürlich, laufen, ankommen, von vorn beginnen, ja, wir haben
es eilig, sehr eilig.

Nachbemerkung:
Sehr zu empfehlen ist von Luis Llach die CD „Camp Del Barca“ (6 De Juliol de 1985) von Pläne (oder jetzt: Claus) mit mitreißenden, klugen Liedern und guten Übersetzungen. – Die jüngsten Bestrebungen über ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien und die brutale Reaktion des spanischen Staates darauf, zeigen, wie aktuell das Thema heute ist. Und und wie gefährlich und zweischneidig jeglicher Nationalismus ist, weil er die tatsächlichen Probleme nicht löst.
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