![]()
7. Jahrestag des Polizeiangriffs im Stuttgarter Schlossgarten
Wieder demonstrierten mehrere tausend Menschen in Stuttgart gegen »Stuttgart 21«
.
Wieder demonstrierten am Samstag vor dem Hauptbahnhof rund dreitausend Stuttgarter/innen ihren Protest gegen Stuttgart 21(S 21). Der 30. September 2017 war der 7. Jahrestag der brutalen Polizeiattacke auf die friedliche Demo, die die Zerstörung des schönen Schlossgartens verhindern wollte, wogegen der Staat mit brutalstem Vorgehen von bewaffneten Hundertschaften, mit Angriffen durch mit Wasserwerfer-Kanonen vorging, bei denen etliche Aktivisten schwer verletzt wurden und ein Demonstrant das Augenlicht verlor. Nach einer kämpferischen Kundgebung demonstrierten sie jetzt vom demolierten Bahnhof zum Stuttgarter Innenministerium.
Die Sprecherin des Bündnisses forderte, dass endlich die unverändert rigide und kleinliche Verfolgung von Stuttgart-21- Gegnern eingestellt und endlich eine Amnestie für angebliche Vergehen in diesem Zusammenhang ergeht.
Wie aktuell das ist, daran erinnerte kompetent der Anti-S-21-Aktivist, der Jurist und frühere Vorsitzende Richter am Stuttgarter Landgericht Dieter Reicherter. Er zeigte der auf, wie die konsequente Aufklärung der brutalen Polizeiübergriffe am „schwarzen Donnerstag“ be- und verhindert, wie Versprechen auf Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte im Einsatz durch die frühere Rot-Grüne Landesregierung verraten wurde, die überhaupt nur durch weitreichende Versprechungen an die Massenbewegung gegen S-21 ihre Mehrheit bekommen hatte. Die Kennzeichnungspflicht war ein Bestandteil des Koalitionsvertrages von Rot Grün! Reicherter: „Merke: Verträge sind nur einzuhalten, wenn es um die Durchsetzung von Stuttgart 21 geht!“ Während nach wie vor Aktivisten vor die Gerichte gezerrt werden, sprach Reicherter bezüglich der Polizeivergehen von „Fünf Jahren Strafvereitelung“.
Unter großem Gelächter verhöhnte der Schriftsteller und Literaturpreisträger der Stadt Stuttgart, Jürgen Lodemann die „Baukünste“ der Bahn, die durch das Baustellenchaos in Stuttgart aber leider bitterer Ernst sind. Aktuell werden sie aber durch das Tunnel-Baustellendesaster in Rastatt getoppt. Dort sanken bei der Untertunnelung der europäischen Nord-Süd-Hauptroute des Personennah- und Fernverkehrs sowie des internationalen Güterverkehrs, wo täglich hunderte Züge durchfahren die Gleise tief ab. Darunter hielt der frisch mit einer Herrenknecht-Vortriebsmaschine gebohrte Tunnel der Last der drüberfahrenden Züge nicht stand. Nur durch Glück verunglückte kein Zug. Die Strecke ist seit 7 Wochen gesperrt mit katastrophalen Folgen für den Verkehr wie für das Bauprojekt. Die Millionenteure Maschine musste aufgegeben und in den Betonmassen mit einbetoniert werden, die die Bahn nun unter die eingesunkenen Schienen pumpen ließ um das Desaster irgendwie zu stabilisieren. Lodemann: „…es war eigentlich bekannt: der Oberrhein zwischen Frankfurt und Basel ist schon seit Millionen Jahren ein riesiger Sandkasten, 300 km lang und 50 km breit. Mitten darin neuerdings eingegossen in Beton, die verschüttete enorme Maschine …. 18 Millionen teuer, für immer im Beton. Dabei lernen wir schon ganz früh, in der Sandkiste, wir riskant es ist, Sand zu untertunneln. In Köln ist beim Tunnelbau das Stadtarchiv im Sand verrutscht, es starben Menschen, versanken wichtigste Papiere… nach dem Tunnelcrash am Oberrhein also Plan B: Beton! Beton! Beton.
Aliens, wenn sie im Jahr 7412, wo einst Rastatt stand, auf mordsmäßigen Beton stoßen, werden rätseln: Ein Heiligtum? Sie finden dann vom Menschen im Massiv-Beton ein eisernes Ungeheuer – und sie entziffern dann unter großen Mühen daran das eine Wort: HERRENKNECHT!“ Auch S-21-Tunnel, speziell im Stuttgarter Neckartal, sind übrigens mit solchen Sandmassen konfrontiert. Lodemann protestierte unter großem Beifall gegen die Arroganz der Herrschenden, denen Leib, Leben und Sicherheit der Mitmenschen bei ihrer Profitmacherei Nebensache sind! Er versäumte es nicht, an die große Aufstandstradition Rastatts während der 1848ger Revolution zu erinnern, als die badischen Revolutionäre in der dortigen Zitatdelle von preußischen Truppen massakriert wurden.
Ebenfalls großen Beifall erhielt der Journalist Joe Bauer, der eine stark beachtete Kolumne in den Stuttgarter Nachrichten schreibt („Joe Bauer in der Stadt“), mittlerweile für viele Stuttgarter das einzige Lesenswerte in der Stuttgarter Presse. Er unterstützt standhaft den Widerstand gegen S21. Er trat in seiner Rede ausdrücklich für das Bündnis mit Antifaschisten ein und verteidigte das gegen Kritik! „… die von der Politik befohlene Attacke uniformierter Chaoten auf die Protestbewegung im Park vor sieben Jahren ist… alles andere als ein Ereignis, auf das man zurückblickt…Der 30. September 2010 ist nicht Vergangenheit, weil wir jeder Zeit wieder mit brutalen Maßnahmen rechnen müssen, wenn wir uns der herrschenden Politik entgegenstellen“. Er rief auf, „so oft wie möglich unser grundgesetzliches Recht auf Demonstration zu nutzen, schon um gegen alle Versuche zu kämpfen, die Versammlungsfreiheit einzuschränken…“
Aufhorchen lassen Bauers Schlussworte: „ Bündnisse wachsen nicht aus schleimerischer Anbiederung. Unsere Verbündeten sind die, die etwas tun, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter aufgeht…. sind die, die sich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenstellen … sind die, die sich für mehr Gerechtigkeit in unserer Stadt einsetzen! … Wach bleiben, auf der Straße bleiben!“
Tausende klatschten Beifall!
.
Erstveröffentlichung am 1. Okt. 2017 in Arbeit Zukunft online. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmi-gung des Herausgebers.
.


Wie hat sich das Leben russischer Filmemacher nach dem Ende der Sowjetunion verändert? Diese Frage interessierte die Publizistin, DEFA-Regisseurin und Kuratorin Ingrid Poss. In den 90er Jahren wollte sie einen Film darüber machen, der aus Finanzierungsgründen nicht zustande kam. Sie hatte viele Freunde in der Sowjetunion, und ihre Erfahrungen von Begegnungen seit den späten 80ern hat sie nun in dem Buch „Meine Russen“ veröffentlicht – als Oberbegriff auch für kirgisische oder baltische Künstler. „Eine Collage, die mit ihrem nicht selten lakonisch-bissigen Humor die Augen öffnet. Lesenswert in Zeiten einer zerrissenen Welt, in der Kenntnisse über unterschiedliche Kulturen, Lebensweisen und Empathien von außerordentlicher Wichtigkeit sind“, urteilt Matthias Platzeck im Vorwort. Den Dokumentarfilmer Jefim Utschitel, Vater des „Mathilde“-Regisseurs, hat Poss nicht mehr treffen können, weil er 1988 starb. Dafür gibt es Gespräche mit dem Aitmatow-Regisseur Bolot Schamschijew, mit Tolomusch Okejew. Andere, wie Viktor Jerofejew haben eigene Texte beigesteuert, und die Autorin lässt auch die deutschen Fernsehkorrespondenten Gert Ruge, Gabriele Krone-Schmalz und Peter Scholl-Latour zu Wort kommen. Sie können jedoch nicht so schön formulieren wie der Russe Jerofejew: „Um Russland zu verstehen, muss man vernünftiges Denken unterlassen und sich im Strom des russischen Lebens auflösen wie ein Stück Würfelzucker.“






















































