Jakob Reimann

Trump auf Konfrontationskurs mit Erdogan
wegen russischer S-400-Lieferungen

Jacob Reimann

Seit dem Putschversuch in der Türkei 2016 verschlechtern sich die USA-Türkei-Beziehungen zusehends. Unterwarf sich Ankara Mitte Mai Washingtons Forderungen, kein iranisches Öl mehr zu importieren, hält es bislang an der Entscheidung fest, das russische S-400-Raketenabwehrsystem zu erwerben. Die Trump-Regierung implementiert nun erste Sanktionen.

Die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei sind derart schlecht wie seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr. Die Krise nahm ihren Anfang mit dem vereitelten Putschversuch in der Türkei im Juli 2016, nach dem Washington nicht die Solidarität demonstrierte, die sich Ankara gern gewünscht hätte. Die Erdoğan-Regierung sah den im Exil in Pennsylvania, USA lebenden Geistlichen Fethullah Gülen als Drahtzieher hinter den Putschisten und forderte dessen Auslieferung – Washington lehnte ab. (Es ist, nebenbei bemerkt, hochgradig illegal, Personen aufgrund politischer Verfolgung auszuliefern.)
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Erdoğan knickt ein

Mit Trump im Weißen Haus spitzte sich die Lage dramatisch zu. Um den in der Türkei im Gefängnis sitzenden US-Geistlichen Andrew Brunson freizupressen, verhängte er Sanktionen gegen türkische Minister und erhob massive Strafzölle auf Aluminium und Stahl aus der Türkei, gegen die Ankara erfolgreich bei der Welthandelsorganisation klagte.

Auch in Syrien verfolgen beide Länder im Grunde unvereinbare Strategien und Ziele. Die Türkei nähert sich mehr und mehr dem Block Moskau-Teheran-Damaskus an und entfremdet sich zusehends dem NATO-Bündnis und dem Westen im Allgemeinen.

Darüber hinaus weigerte sich Ankara lange Zeit, der US-Forderung nachzukommen, Ölimporte aus dem Iran auf Zero herunterzufahren, was meiner Ansicht nach der Hauptgrund war, weshalb die extrem iranophobe Trump-Administration die Krise mit der Türkei überhaupt erst zum Showdown brachte (diesen Themenkomplex analysierte ich im vergangenen September ausführlich auf den NachDenkSeiten).

Doch entgegen seiner in der Regel vor Selbstbewusstsein strotzenden Rhetorik unterwarf sich auch Erdoğan in einem Akt regelrechter Demütigung letztendlich Washingtons Forderung und fuhr die Ölimporte aus Teheran Mitte Mai auf Zero herunter. Die Türkei gibt klein bei und ist auf US-amerikanischer Linie.
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Washington vs. Moskau

Doch auf einem anderen Terrain hat sich Ankara dem Diktat aus Washington noch nicht unterworfen: Lieferungen des S-400-Raketenabwehrsystems aus Russland. Die ersten Einheiten der Raketenabwehr sollen bereits im Juli in der Türkei eintreffen, türkische Militärs befinden sich seit geraumer Zeit zur Ausbildung in Russland.

Das russische S-400-Raketenabwehrsystem gilt als eines der besten der Welt, wenn nicht gar das beste. Hier auf einer Militärparade in Moskau 2009. By Vitaly V. Kuzmin, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 4.0.

Das S-400 gilt als eines der besten Raketenabwehrsysteme der Welt, einige Analysten bezeichnen es als das beste. Neben der Türkei sind auch Indien, Saudi-Arabien und Katar am S-400 interessiert. China hat bereits ein System in Betrieb, ein zweites folgt geplant im Juli.

Das Interesse des NATO-Mitglieds Türkei am russischen S-400 versetzte die NATO-Führung in Aufruhr, allen voran die USA. Da Raketenabwehrsysteme immer auch Radar- und weitreichende Überwachungssysteme beinhalten, steht die Befürchtung im Raum, Moskau könne über ein in der Türkei installiertes S-400 geheime NATO-Informationen abschöpfen.

Ankara ist auch im Programm US-amerikanischer F-35-Stealth-Kampfjets der Rüstungsschmiede Lockheed Martin eingebunden, von denen einige Teile gar in der Türkei hergestellt werden. 100 F-35-Jets im Wert von rund 9 Milliarden US-Dollar hat Ankara für die türkische Luftwaffe bestellt und mehrere türkische Piloten sind seit Monaten zur Ausbildung an den F-35 in Arizona, USA stationiert.

Bereits im März drohte die Trump-Regierung mit Sanktionen gegen die Türkei, sollte Erdoğan weiter am Rüstungsdeal mit Russland festhalten. Vier US-Senatoren reichten einen Gesetzesentwurf ein, der die F-35-Lieferungen aussetzen soll, solange der S-400-Deal Ankaras mit Moskau nicht vom Tisch ist.

Zwar wird stets behauptet, der Grund für Washingtons Unmut sei, dass das S-400-System inkompatibel mit NATO-Systemen und der allgemeinen Architektur des Angriffsbündnisses ist, doch wollen die USA in erster Linie, dass die Türkei auf das US-amerikanische Patriot-Abwehrsystem umsteigt und die Milliarden Dollar lieber nach Washington überweist statt nach Moskau.
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Knickt Erdoğan erneut ein?

Doch Ankara zeigte sich bislang unnachgiebig. Erst am Dienstag bekräftigte Erdoğan seine Position und erklärte, es sei „indiskutabel“, dass er den Deal mit Russland beerdige: „Es gibt einen Vertrag. Wir sind fest entschlossen.“

Die geplanten S-400-Lieferungen sind nur der jüngste Schritt in der Annäherung zwischen Moskau und Ankara. By kremlin.ru, Wikimedia Commons, licensed under CC BY 4.0.

In der Nacht zum Freitag berichtete Reuters unter Berufung auf zwei anonyme US-Offizielle, Washington mache seine Sanktionsdrohungen nun offensichtlich wahr. In einem ersten zaghaften Schritt sollen weiteren türkischen Piloten das Training an den F-35 in den USA untersagt werden. Momentan befinden sich sechs türkische Piloten und 20 Maintainer auf der Luke Air Force Base in Arizona. Deren Schicksal ist nun ungewiss; ob sie möglicherweise gar des Landes verwiesen werden, ist bislang unklar.

Dieser Schritt Washingtons ist die erste Stufe einer Eskalation, an dessen Ende möglicherweise der vollständige Ausschluss der Türkei aus dem F-35-Programm steht – was einer ausgemachten Krise beider NATO-Partner nun auch auf militärischem Terrain gleichkäme.

Es bleibt abzuwarten, ob Erdoğan wie in der Iran-Frage Trumps Tyrannei kleinbeigibt und die Unabhängigkeit seines Landes den Interessen der Trump-Regierung unterwirft – oder ob er den historischen Schritt der Annäherung der Türkei an Russland weitergeht.
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Erstveröffentlichung auf JusticeNow. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers

 

Über den Autor: Als studierter Biochemiker hat Jakob Reimann ich ein Jahr in Nablus, Palästina gelebt und dort an der Uni die Auswirkungen israelischer Industrieanlagen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen in der Westbank erforscht. Nach einiger Zeit in Tel Aviv, Haifa, Prag und Sunny Beach (Bulgarien) lebt er jetzt wieder in Israel und kennt daher „beide Seiten“ des Konflikts und die jeweiligen Mentalitäten recht gut. Soweit er zurückblicken kann ist er ein politisch denkender Mensch und verabscheut Ungerechtigkeiten jeglicher Art. Aus bedingungslos pazifistischer Sicht schreibt er gegen den Krieg an und versuche so, meinen keinen Beitrag zu leisten. Seine Themenschwerpunkte sind Terrorismus, das US Empire, Krieg (Frieden?) und speziell der Nahe Osten.

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