Literaturen 1/2/2005

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Genosse Cowboy

BIOGRAFIE Stefan Ernsting erzählt die anrührende Geschichte des DDR-Cowboys Dean Reed

Für die anderen war der junge Mann, der 1965 mit der argentinischen Delegation zur Weltfriedenskonferenz in Helsinki gekommen war, ein völlig Unbekannter. Doch als die illustren Gäste, darunter Pablo Neruda, die Kosmonautin Valentina Tereschkowa und Martin Niemöller, entsetzt zusehen mussten, wie sich Sowjets und Chinesen über den Vietnam-Krieg heillos zerstritten, enterte der charismatische US-Amerikaner aus der argentinischen Crew das Podium, forderte den Saal zum Mitsingen auf und schmetterte laut und unwiderstehlich "We shall overcome". Zögernd folgten die Delegierten seiner Aufforderung. Am Ende aber sang der ganze Saal, und alle hielten sich an den Händen.

Dean Reed, geboren 1938 nahe Denver in Colorado, liebte solche Auftritte. Immer wieder sollte er sich danach im Dienste des Guten in Kriegsbaracken und Wüstenzelte stellen, auf Podien oder Tische klettern, flammende Reden halten und Lieder zum Mutmachen singen. Oft hatte er Erfolg, als Wahlhelfer für die Unidad Popular in Chile zum Beispiel oder als singender Kampfgefährte der PLO. Manchmal kam er schlechter an, etwa wenn er beim Bankett mit SED-Funktionären über das Ungleichgewicht der Welternährungslage dozierte oder im biederen Unterhaltungsfernsehen der DDR die linke Faust steil in den Kulissenhimmel reckte: eine Geste westlicher Sozialisten und Anarchisten, im Osten dagegen - wo der Arm nur gekrümmt wurde und geballte Fäuste in Unterhaltungsshows ebenso unüblich waren wie im Westfernsehen - eine Provokation.

Auferstehung mit Tom Hanks

Dean Reed produzierte 13 Langspielplatten und spielte in 18 Filmen mit, unter anderem an der Seite von Yul Brunner, Anita Ekberg, Armin Mueller-Stahl und Ringo Starr. Als Sänger trat er in 32 Staaten auf, zumeist mit großem Erfolg. In der Sowjetunion der siebziger Jahre war er der prominenteste Amerikaner überhaupt. Zu seinem Freundeskreis gehörten Salvador Allende, Yassir Arafat und Egon Krenz, Jane Fonda und der Sowjet-Fußballer Lew Jaschin, die Sänger Phil Everly und Victor Jara. Bücher wurden über ihn geschrieben und mehrere Filme über sein Leben gedreht. Dennoch ist er im Westen, Südamerika einmal ausgenommen, noch immer der unbekannteste Superstar des Planeten.

Dass sich daran in Kürze etwas ändert, ist wahrscheinlich. Nicht nur Stefan Ernsting erzählt in seinem Buch die Dean-Reed-Story noch einmal von Anfang an, auch Hollywood, in der Person von Hauptdarsteller und Regisseur Tom Hanks sowie Produzent Stephan Spielberg, arbeitet an einem Dean-Reed-Film. Ein passender Anlass ist die erstmalige Freigabe des Abschiedsbriefes von Dean Reed aus Erich Honeckers privatem Tresor: ein 15-seitiges Schreiben, das er 1987 vor seinem mutmaßlichen Selbstmord im Zeuthener See bei Berlin in seinem Auto hinterließ.

Der Mann, dessen Leben frei erfunden sein könnte, so merkwürdig nimmt es sich aus, fiel in seiner Jugend in Colorado eigentlich nur durch zwei Dinge auf: sein gutes Aussehen und seine sportlichen Erfolge. Als Marathonläufer erzielt er Rekorde, und noch 1960 trainiert der 22-Jährige im Ringturnen für die Olympischen Spiele. Den Wunsch des Vaters, er solle studieren, um später einmal die Wettervorhersage im Fernsehen zu präsentieren, schlägt er bald aus.

Dean Reed wird nicht der Wetterfrosch in Colorado, er wird Dean wer? Superstar. Reed nimmt Singles auf, geht zum Schauspielunterricht, schlägt selbstbewusst die Hauptrolle in einer TV-Serie aus, weil er auf der Leinwand keine Waffe tragen will und verhilft so einem Unbekannten namens Steve McQueen zum Durchbruch. Die selbst geschriebene Schnulze "Our Summer Romance" macht ihn zum Rock-Star - in Südamerika. 1961 und 1962 tourt er durch Chile, Argentinien, Brasilien und Peru, und seine Welt verändert sich: Er sieht das Elend in den Slums von Santiago bis Rio und erkennt darin die Folgen US-amerikanischer Ausbeutung. In Chile wird die CIA auf den seltsamen jungen Mann aufmerksam, die US-Botschaft droht mit Entzug des Ausweises.

Doch Dean Reed ist nicht mehr zu integrieren. Im Sonderzug reist er durch die Sowjetunion und lässt seine rasch anwachsende Anhängerschaft von Wildwest-Liebe im Sozialismus träumen. Zurück in Argentinien wird Reed verhört, entgeht mehreren Mordanschlägen und wird ausgewiesen. Nicht anders ergeht es ihm in Italien, wo er als Darsteller in mehreren zu Recht vergessenen Italo-Western energisch für Gleichberechtigung am Set und beim Catering eintritt und schließlich Arbeitsverbot erhält.

1971 lernt Reed in der DDR seine spätere Frau Wiebke kennen. Er bleibt im Arbeiter- und Bauernstaat und entwickelt sich schnell zur festen Größe des ostdeutschen Kulturbetriebs. Seine Musik bleibt dabei eher dürftig. Reed beherrscht nur fünf Griffe auf der Gitarre, dafür aber spricht er fünf Sprachen und fliegt rund um den Globus zu solidarischen Gastspielen bei den Unterdrückten der Welt. In der DDR etabliert er sich als DEFA-Cowboy und dreht selbst einige zum Teil bemerkenswerte Filme.

Ein roter Stern versinkt

Was auch immer die Menschen in der DDR von ihm denken mochten, als singender Cowboy in echten Blue Jeans und mit rotem Stern am Revers seiner Lederjacke verkörperte er für sich selbst den marxistischen American Way of Live. Und wenn Sein und Schein im Realsozialismus auseinander fielen, kittete Reed die Welt in seinen Liedern, seinen Filmen und seiner Phantasie. Er war ein in die Realität geworfener Träumer. In einem Interview mit der "New York Times" verteidigte er sogar die Mauer: "Die Polizei von Dallas hat mehr von ihren eigenen Leuten erschossen als die DDR."

Als Reeds roter Stern im Unterhaltungsfernsehen der DDR sank, versackte der Cowboy-Revolutionär in Depressionen. Am Schluss dachte er sogar über eine Rückkehr in die USA nach, wo er als überzeugter Marxist keine Aussicht auf Erfolg haben konnte. Das Ende der Karriere und die schwierige Beziehung mit seiner dritten Frau, Renate Blume, so scheint es, haben Reed dazu veranlasst, sein bewegtes Leben im Zeuthener See zu beenden. Die Geschichte vom Amerikaner, der über das große Wasser in die DDR kam, um dort in einem kleinen See zu ertrinken, bleibt jedoch unvergessen. Stefan Ernsting hat Reed ein ausgewogenes, faires Denkmal gesetzt.

Richard David Precht

STEFAN ERNSTING
Der rote Elvis. Dean Reed oder Das kuriose Leben eines US-Rockstars in der DDR Gustav Kiepenheuer, Leipzig 2004, 314 S., 22,50 Euro

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Letzte Änderung: 2007-05-24