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Okt.31
on 31. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Sezen Dinc

Sezen Dinc

Mehr Lehrkräfte denn je gebraucht!

Sezen Dinc

Lange Zeit wollten die Kultusminister der Länder nicht wahrhaben, dass der Lehrkräftemangel unmittelbar vor der Tür stand. Die letzten Prognosen bei der letzten Kultusministerkonferenz (KMK) in der vergangenen Woche stammten aus dem Jahre 2015 und waren schon damals alles andere als die Realität. Man hatte für das Jahr 2018 eigentlich einen bundesweiten Bewerberüberangebot von 4.870 kalkuliert. Jetzt hat man allerdings ein Minus von 11.510 ermittelt.

Allerdings soll es so nicht weitergehen und im nächsten Jahr sollen auf dem Papier nur 3.330 Lehrer fehlen und bis 2023 soll es sich laut Statistik entspannen und es soll einen Überhang an Lehramtabsolventen von 2.140 geben. Im Jahre 2026 soll es dann nochmal ordentlich brenzlig werden, wenn es 2.140 Pädagogen zu wenig auf dem Markt gibt.

Man fragt sich wie die KMK so optimistisch bleiben kann, wenn künftig der jährliche Einstellungsbedarf um 9.700 steigen soll und bis 2030 demnach pro Schuljahr 31.900 Lehrkräfte neu in den Schuldienst eingestellt werden müssen, um überhaupt den Verlust der Pensionierungen auszugleichen und den steigenden Schülerzahlen gerecht zu werden. Allein in diesem Jahr fehlt es an 11.000 tatsächlich ausgebildeten Lehrkräften. Man versucht die Situation alternativ mit Seiteneinsteigern oder Lehramtsstudenten zu besetzen. Wir reden hier von „Lehrkräften“ ohne umfängliche pädagogische Kenntnisse.

Schule, Foto: YouTube Screenshot

Der Bundesvorsitzende der Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, bringt die Fakten folgendermaßen auf den Punkt: „eine den Status quo als Basis nehmende Modellrechnung verkennt die Realität an den Schulen.“ Lehrkräfte arbeiteten am Limit, weil Stellen nicht besetzt würden, Seiteneinsteigende unterstützt werden müssten und immer mehr Aufgaben, wie Inklusion, Integration, Digitalisierung und Ausbau der Ganztagsbetreuung, zu erledigen wären. Das alles seien Anforderungen, „die mit dem momentanen Personalschlüssel nicht bewältigbar sind“.

Als wären die Lehrkräfte mit ihren Aufgaben nicht schon überlastet genug, müssen sie sich mit der Meldeplattform der AfD herumschlagen, die ihr Vorhaben in die Tat umsetzt und für Fälle von „einseitiger Indoktrination“ in den Schulen diese Beschwerdeplattform installiert. Diese Plattformen wurden bereits in mehreren Bundesländern in Betrieb genommen. Das stößt von allen Seiten auf Kritik und einige der Vorgängerportale und AfD-Abgeordneten-Seiten, sind bereits aufgrund der Meldungen vom Netz genommen worden bzw. gesperrt worden. „Es passt ins Bild, dass eine Partei, die Andersdenkende ausgrenzen will, jetzt Plattformen schafft, auf denen man Leute mit anderen Meinungen denunzieren kann“, so Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) oder KMK-Präsident Helmut Holter sagt, es erinnere „an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“.

Während die Bildung der Kinder immer als universales höchstes Gut angepriesen wird, stimmen die Voraussetzungen für diejenigen, denen diese verantwortungsvolle Aufgabe in die Hände gelegt wird, keinesfalls. Überarbeitung, zu wenige Lehrkräfte und dann noch das Schüren von Ängsten, wenn man als Lehrer seine Meinung vertritt, zeugen nicht davon, dass die Bildung von Kindern und Jugendlichen wirklich an erster Stelle steht.
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Erstveröffentlichung in „NeuesLeben/YeniHayat“ vor ein paar Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
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Für den Inhalt dieses Artikels ist der Autor bzw. die Autorin verantwortlich.
Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um die Meinung der Redaktion handeln.

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└ Schlagwörter: AfD-Abgeordnete, American rebel, Kultusminister der Länder, Lehramtsstudenten, Lehrkräfte, Mehr Lehrkräfte denn je gebraucht!, Sezen Dinc, Udo Beckmann
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Okt.30
on 30. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Jakob Reimann

Jacob Reimann

Deutschland liefert, Saudi-Arabien tötet

Jacob Reimann

Am 24. Oktober wurden im Jemen bei einem Angriff der Saudi-Emirate-Koalition auf eine Fabrik mindestens 16 Zivilisten getötet. Ein Rüstungsexportbericht der Bundesregierung ergab, dass in den ersten drei Quartalen 2018 Rüstungslieferungen in Höhe von 416 Millionen Euro an Saudi-Arabien genehmigt wurden, in ganz 2017 waren es 254 Millionen. Deutschland macht sich zum Komplizen am Genozid im Jemen.

by Felton Davis, Flickr, licensed under CC BY 2.0 (edited by Jakob Reimann)

Die Aufmerksamkeit der geneigten, an Krieg und Frieden interessierten Leserin lag am Mittwoch – womöglich – auf drei Nachrichten mit Bezug zum Jemen. Eine aus Hodeida, eine aus Berlin und eine aus New York.
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Saudi-Emirate-Koalition tötet 16 Zivilisten

Die erste Nachricht: In Bayt al-Faqih, 70 km südlich von Hodeida im Westjemen fielen am Mittwoch Bomben auf eine Fabrik zur Verpackung von Gemüse. 16 Menschen wurden getötet, berichtet Reuters unter Berufung auf Rettungskräfte und Anwohner. Zwölf weitere Menschen wurden verletzt. Das Gesundheitsministerium spricht von 21 Toten. Ein Sprecher der Saudi-Emirate-Koalition versprach – wie immer – eine „vollständige Untersuchung“.

Anfang August bombardierte die Koalition das Al Thawra Hospital in Hodeida sowie einen nahegelegenen Fischerhafen und tötete 55 Zivilisten, 124 weitere wurden verletzt.

Nur eine Woche später regneten US-gefertigte Bomben der Saudi-Emirate-Koalition auf einen Schulbus in der Nähe eines Marktplatzes in der Sa’da-Provinz, 51 Menschen wurden getötet, fast alles Kinder, 77 weitere wurden verletzt (JusticeNow! berichtete).

Mitte September bombardierte die Koalition eine strategische Fernstraße nahe Hodeida und tötete 15 Zivilisten.

Im April 2018 tötete ein Luftschlag der Saudi-Emirate-Koalition 20 Zivilisten bei einem Angriff auf einen Kleinbus nahe Ta’iz. Ein Mann sitzt in den Trümmern nahe der Einschlagstelle. By Felton Davis, Flickr, licensed under CC BY 2.0

Rüstungsexporte an die Saudis auf Rekordhöhe

Die zweite Nachricht kam in der Tagesschau, die über einen Rüstengsexportbericht von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) berichtete. Laut diesem genehmigte die Bundesregierung allein in den ersten drei Quartalen 2018 Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien in Höhe von 416 Millionen Euro, im Jahr zuvor waren es insgesamt 254 Millionen Euro. Eine Verdopplung zum Vorjahr ist demnach für 2018 absehbar – auch wenn Merkel nun einen vorläufigen Exportstopp nach Saudi-Arabien ankündigte.

Ein Satz von Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers war bemerkenswert: „Vor allem die Lieferungen an Saudi-Arabien sind nach der Tötung des kritischen Journalisten Khashoggi umstritten.“

hier geht es weiter »

Der Mord an Jamal Khashoggi ist abscheulich und mit größtem Nachdruck zu verurteilen, auch ist er bezeichnend für die Philosophie des Tyrannen Mohammed bin Salman (MbS). Doch ebenso bezeichnend ist der Umstand, dass nicht dreieinhalb Jahre versuchter Völkermord des Tyrannen MbS im Jemen deutsche Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien „umstritten“ machten, sondern der Mord an einem einzigen Journalisten. Die Empörung der deutschen und westlichen Öffentlichkeit ist ein seltsames, unter kognitiver Dissonanz leidendes Wesen.

Nicht der Mord an 131 Besuchern einer Hochzeitsfeier durch die Saudi-Emirate-Koalition im September 2015, nicht der Mord an 140 Trauernden auf einer Beerdigung im Oktober 2016 genauso wenig wie der Mord an 42 Menschen auf einem Flüchtlingsboot im März 2017 erzwingen ein Handeln der Merkel-Regierung, sondern der Tod eines Journalisten der Washington Post – die „westliche Wertegemeinschaft“ ist eine Lebenslüge.

Doch wenn es nun den Tod eines weltberühmten Journalisten bedurfte, um den Druck derart zu erhöhen, dass sich die Bundesregierung zum Handeln gezwungen sieht, sollten die Forderungen der antimilitaristischen Öffentlichkeit ebenso opportunistisch sein, wie das Regierungshandeln selbst: Einstellung sämtlicher Waffenexporte nach Saudi-Arabien und die anderen Koalitionsparteien – nicht nur zukünftiger, sondern auch Canceln bereits genehmigter Lieferungen. Es würde Milliardenverluste bei den deutschen Rüstungskonzernen geben, so heißt es, auch Vertragsstrafen würden auf die Regierung zukommen.

Ja, Werte haben einen Preis. Und das ist der Preis, den die Bundesregierung zur Verteidigung ihrer „Werte“ zahlen muss.
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Der Verrat der Regierung

Bereits im Koalitionsvertrag der aktuellen GroKo-Ausgabe steht unmissverständlich geschrieben: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“ Die Regierung hat es bis heute nicht geschafft, eine Liste zu erstellen, auf welche Länder dies überhaupt zutrifft. „Es gibt Gespräche“, erklärt Regierungssprecher Steffen Seibert und ist auf Nachbohren von Tilo Jung so hilflos wie selten.

Doch entgegen dem Standpunkt der Regierung ist dies keine Ansichtssache, sondern eine Sache von Fakten: Es gibt eine offiziell neun Länder umfassende Koalition, die den Jemen bombardiert. Plus den Jemen selbst sind dies also zehn Länder, die in jedem Fall tabu sind. Hinzu kommen die USA und Großbritannien, ohne deren Logistik der Krieg im wahrsten Sinne des Wortes morgen früh zu Ende wäre – eine „unmittelbare Beteiligung“ kann also auch bei diesen zwei Ländern nur schwer wegdefiniert werden.

Doch die Bundesregierung verrät nicht nur die jemenitische Bevölkerung, sondern auch die deutsche und begeht offensichtlichen Wortbruch an ihrem eigenen Papier: Erst im September wurden „millionenschwere Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien genehmigt“, heißt es in einem internen Schreiben von Wirtschaftsminister Altmaier an den Bundestag, welches dem Spiegel vorliegt. Die Luftwaffen all dieser drei Länder lassen jeden Tag Bomben auf die Bevölkerung des Jemen niederregnen – wie vieler „Gespräche“ bedarf es, um herauszufinden, ob diese Länder „unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind“?

Nicht dreieinhalb Jahre Genozid im Jemen zwingen Angela Merkel zum Handeln, sondern der Tod eines Journalisten. By Sven Mandel, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 4.0 (edited)

Komplizenschaft an Genozid

Die Saudi-Emirate-Koalition begeht im Jemen einen versuchten Völkermord. Unablässiger Bombenterror tötet jeden Tag unschuldige Menschen – und zerstört deren ohnehin marode, dafür umso lebensnotwendigere Infrastruktur: Kraftwerke, Stromnetze, Straßen, Wohnviertel, Brücken, Häfen.

Sie bombardiert Krankenhäuser und Wasserwerke und verwandelt so die größte Choleraepidemie seit Beginn der Aufzeichnungen in eine Kriegswaffe. Sie bombardiert Marktplätze und Lebensmittelfabriken, blockiert über ein striktes Luft- und Seeembargo – auch mit deutschen Kriegsschiffen – Lebensmittelimporte und verwandelt so auch den Hunger in eine Kriegswaffe.

14 Millionen Menschen sind im Jemen akut von Hunger bedroht, so der neueste Bericht von UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock. Vor allem Kinder und alte Menschen sind betroffen. By Felton Davis, Flickr, licensed under CC BY 2.0

Die dritte Jemen-Nachricht: „14 Millionen Menschen von Hunger bedroht“, titelt die Tagesschau. Der Jemen hat rund 23 Millionen Einwohner, 60 Prozent sind demnach akut vom Hunger bedroht. Die Hungerkatastrophe im Jemen ist „viel größer als alles, was ein Mensch, der in diesem Feld arbeitet, in seinem Berufsleben jemals gesehen hat“, beschreibt der UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock das historische Ausmaß vor dem UN-Sicherheitsrat.

Hunger als genozidale Kriegswaffe – ausgeführt mit „unserem“ Kriegsgerät, „unserem“ Equipment, ermöglicht durch „unsere“ politische, diplomatische und vor allem moralische Rückendeckung.

Die UN-Völkermordkonvention bestraft nicht nur Genozid selbst, sondern stellt unter Artikel 3 (e) des Dokuments auch explizit „die Komplizenschaft an Genozid“ unter Strafe. Verbrechen gegen diese Konvention werden am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verhandelt, Deutschland ist ratifiziertes Mitglied des Gerichts.


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Erstveröffentlichung auf JusticeNow. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers

Über den Autor: Als studierter Biochemiker hat Jakob Reimann ich ein Jahr in Nablus, Palästina gelebt und dort an der Uni die Auswirkungen israelischer Industrieanlagen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen in der Westbank erforscht. Nach einiger Zeit in Tel Aviv, Haifa, Prag und Sunny Beach (Bulgarien) lebt er jetzt wieder in Israel und kennt daher „beide Seiten“ des Konflikts und die jeweiligen Mentalitäten recht gut. Soweit er zurückblicken kann ist er ein politisch denkender Mensch und verabscheut Ungerechtigkeiten jeglicher Art. Aus bedingungslos pazifistischer Sicht schreibt er gegen den Krieg an und versuche so, meinen keinen Beitrag zu leisten. Seine Themenschwerpunkte sind Terrorismus, das US Empire, Krieg (Frieden?) und speziell der Nahe Osten.

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Okt.30
on 30. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Dagmar Henn, Fiete Jensen, Martin Emko

Fiete Jensen

Nachbetrachtungen zur Berliner Manifestation der 242 Tausend

Autor Fiete Jensen

Fiete Jensen

Das Volk ist wieder in Bewegung. Seit Mai, wo das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) im bayrischen Landtag verabschiedet wurde, gab es etliche Protestaktionen und Großdemonstrationen mit Zehntausenden von Menschen. Junge Menschen setzte in München mit einer Demonstration mit mehr als 2000 Teilnehmer/innen ein starkes Zeichen gegen eine reaktionäre Politik und einem Überwachungsstaat. Im Hambacher Forst protestierten 50 Tausend Menschen gegen die Vernichtung der Natur und der Gier nach Profiten durch den Energiekonzern REW und in Dresden gingen 10 Tausend Menschen gegen Rassismus und Ausgrenzung auf die Straße. Am 14. Oktober demonstrierten in Berlin 242 Tausend Menschen  unter dem Motto: »Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!« Die Größe der Demo-Teilnehmer/innen zeigt, wie gewaltig die Empörung und der Widerstand gegen die Regierung des Kapitals ist.

Schon im Vorfeld gab es Kritik am Aufruf und an der Teilnahme an der Berliner Demonstration, sodass einige Organisationen gar nicht und andere nur halbherzig zur Teilnahme aufriefen. Das u. a. auch Politiker/innen wie Andrea Nahles und Heiko Maas, Leute diese Demo unterstützten, dessen Partei, die SPD, ja selbst mitverantwortlich für die katastrophale Lage und den zunehmenden Rassismus im Land sind, irritierte viele demonstrationsbereite Menschen und sie blieben zu Hause. „Ich halte es für sehr wichtig, dass die Menschen auf der Straße waren. Frau Nahles war ja nicht zu sehen. Und nur weil sie demagogisch ein paar nette Worte über die Presse verbreitet, ist sie nicht persönlich dabei. Ich denke, dass die meisten Teilnehmer/innen ihr sowieso nicht mehr vertrauen.“ schrieb Diethard Möller von Arbeit Zukunft in einem Kommentar.

Und weiter: „Die Kritik an der Demo ist aus meiner Sicht vor allem eine Kritik an der eigenen Inaktivität. Die aufgezeigten Klassenpositionen zur Migration sind richtig, aber sie müssen eben von irgendjemand in die Demo hinein getragen werden. Das ist die Aufgabe von Revolutionären und Kommunisten. Wir können die Menschen nicht dafür kritisieren, dass sie das nicht sind. Im Gegenteil! wir müssen uns freuen, dass sie auf die Straße gehen, wenn auch teilweise mit falschen Vorstellungen. Aber auf der Straße ist es möglich in der gemeinsamen Demo, im gemeinsamen Kampf mit ihnen zu sprechen und zu arbeiten – gegen Illusionen und bürgerliche Einflüsse (…)“.
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Schauen wir uns die Situation einmal etwas genauer an

Ich habe für American Rebel einige Einschätzungen, Artikel, Berichte, Ausarbeitungen und Aufsätze über die Demo und die Veranstalter zusammengetragen, lasst uns hier darüber diskutieren!

Für die zur Verfügung gestellten Beiträge danke ich den Autoren/innen und hoffe das die vertretenen Ansichten allen die Möglichkeit geben in die Diskussion ein zu steigen. Es ist möglich dieser Sammlung weitere Texte hinzuzufügen. Bitte schickt diese an: AmericanRebel(at)gmx.net.
Nutzt bitte auch die Kommentarfunktion am Ende dieser Seite!

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Inhalt

Autor Titel Erstveröffentlichung
Dagmar Henn Aufbruch ins Ungefähre – Kritik eines Aufrufs Das kalte Herz
Martin Emko 242.000 Leute demonstrierten am Sonntag (…)
Anhang von Andreas Grünwald:
Migration, Ein- und Zuwanderung bei Marx, Engels, Lenin
Einheit-ML
Diethard Möller Berlin, 240.000! #unteilbar war #unübersehbar Arbeit-Zukunft
Eren Gültekin #Unteilbar: Wie geht es nun weiter? NeuesLeben/YeniHayat

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Dagmar Henn
(aus Das kalte Herz, 12. Oktober 2018)

Aufbruch ins Ungefähre – Kritik eines Aufrufs

Dagmar Henn

Am kommenden Samstag findet in Berlin eine Demonstration statt, zu der eine beeindruckende Liste von Organisationen aufgerufen hat; auch viele, die traditionell auf der Linken verortet werden. Das Ganze nennt sich „Unteilbar“, und die Hauptlosung lautet „Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!“
Vorneweg – mich hätte bereits die Verwendung des Begriffs „offene Gesellschaft“ ferngehalten. Mein Gedächtnis raunt mir zu, dabei handele es sich um einen antikommunistischen Kampfbegriff; die Kombination „offen und frei“ gibt dem Ganzen schon einen starken Beigeschmack von McCarthy, zumindest, wenn die eigene historische Erinnerung bis zum Vietnamkrieg zurückreicht.

Dass der erste und der zweite Teil der Hauptlosung sich eigentlich feindlich gegenüber stehen müssten, weil sie völlig entgegengesetzte politische Wurzeln haben (Solidarität ist eben nicht Caritas, nicht Mildtätigkeit, sondern wechselseitiger Beistand von Menschen identischer Interessenlage), ist auch noch recht offensichtlich. Ehe wir aber in die Tiefen des Textes steigen und versuchen, die Abgründe auszuleuchten, sind einige Erklärungen nötig, zumindest für all jene, die selbst keine Erfahrungen damit haben, wie solche Texte entstehen.

Es handelt sich um einen Bündnisaufruf. Das ist der erste wichtige Punkt, denn von ihm lässt sich einiges ableiten, unter anderem das Recht, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.

Bündnisse sind nie eine einfache Sache; schlicht formuliert, stehen sie immer vor der Wahl zwischen Breite und Inhalt; je mehr beteiligt sind, desto unschärfer wird der größte gemeinsame Nenner. Jede einzelne beteiligte Organisation oder Gruppe muss die Entscheidung treffen, ob ihr der verbliebene Inhalt noch genügt, oder ob ein Punkt erreicht ist, an dem der Aufruf nicht mehr mitgetragen werden kann.

Man kann und muss also davon ausgehen, dass jede beteiligte Organisation diese Frage positiv entschieden hat.

Der Text eines solchen Bündnisaufrufs ist nichts, was eine einzelne Person mal eben geschrieben hat. Als Textform ist er mit einem Vertrag zwischen mehreren Parteien vergleichbar, der mit relativ viel Zeitaufwand ausgehandelt worden ist. Im Regelfall braucht ein solcher Aufruf mindestens eine Wochenendsitzung von Vertretern der auslösenden Organisationen, und danach noch wenigstens einen regen Mailverkehr, in dem um einzelne Sätze oder Worte gerungen wird. Im Gegensatz zu Texten, die von einzelnen Personen verfasst werden, ist also jeder Satz wohl abgewogen und mehrfach überprüft; damit besteht ein ganz anderer Grad von Verantwortung für den Inhalt, als bei einem Zeitungsartikel oder einem Kommentar. Es ist völlig legitim, diese Aussagen ernst zu nehmen und auf ihren Gehalt zu prüfen, bis hinunter auf die Ebene impliziter Aussagen und erkennbarer Auslassungen.
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Betrachten wir also diesen Aufruf so genau wie möglich

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„Es findet eine dramatische politische Verschiebung statt: Rassismus und Menschenverachtung werden gesellschaftsfähig.“

Was behauptet dieser Satz? Vor allem, Rassismus und Menschenverachtung seien bis vor einem unbenannten Zeitpunkt in jüngerer Zeit nicht „gesellschaftsfähig“ gewesen. Man kann davon ausgehen, dass der Zeitpunkt, auf den Bezug genommen wird, die Grenzöffnung des Sommers 2015 ist, wenn nicht gar im Grunde auf noch später liegende Wahlerfolge der AfD angespielt wird.

Aber ist dieser Satz wahr? War die bundesdeutsche Gesellschaft vor vier Jahren weniger rassistisch, als sie es heute ist? Ist die Menschenverachtung nicht spätestens seit der von Wolfgang Clement verantworteten ‚Parasiten‘-Broschüre „gesellschaftsfähig“? Die Langzeit-Studie von Heitmeyer zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit belegt durchgängig beeindruckende Werte. Wer diese Studien kennt, dem wird allerdings auffallen, dass in dem Aufruf zwar von Menschenfeindlichkeit gegenüber Muslimen die Rede ist; die Gruppe, die noch weit stärker Opfer besagter Menschenfeindlichkeit wird als jene wird im Aufruf aber nicht benannt – die ‚Langzeitarbeitslose‘ betitelten einheimischen Armen. Hier hat nicht nur Hartz IV dazu geführt, dass jede Wahrnehmung für Erwerbsgeminderte oder gar Alleinerziehende verschwunden ist, weil sie hinter dem Etikett ‚Langzeitarbeitslose‘ für HartzIV-Bezieher völlig verschwinden; es wurde unter dem heuchlerischen Titel ‚Fordern und Fördern‘ auch ein Sozialstrafrecht etabliert, das zu einer tiefen Verrohung der Binnenverhältnisse der besitzlosen Klassen führte.

Wenn dieser Zusammenhang nicht erwähnt wird, dann deshalb, weil seine Benennung die Breite des Bündnisses verringert hätte. Fröhliches Rätselraten, welcher der Beteiligten hier die Verantwortung trägt. Festzuhalten bleibt jedenfalls, der erste Satz ist eine blanke Lüge.

„Was gestern noch undenkbar war und als unsagbar galt, ist kurz darauf Realität.“

Dieser Satz spielt mit dem Unbewussten. Denn die Steigerung undenkbar-unsagbar-Realität macht nur Sinn, wenn sie das Bild eines Genozids aufrufen soll. Unsagbarkeit, das ist ein gesellschaftliches Tabu, etwas Unsagbares ist etwas, das von den Hörern der Aussage mit Ausgrenzung oder Verachtung geahndet wird. Undenkbar, da bewegen wir uns im Bereich psychischer Verbote. Was heute Realität sein soll, muss gestern als so ungeheuerlicher Verstoß gegen jedes Ethos gegolten haben, dass es nicht einmal als Fantasie, ja, nicht einmal als Dystopie vorstellbar war.

Nun, mir fallen aus der jüngeren Geschichte einige Dinge ein, die diesen Kriterien zumindest ansatzweise entsprechen. Die Bombardierung Belgrads beispielsweise. Die ökonomische Strangulation des griechischen Volkes. Der militärische Aufmarsch der NATO an der russischen Grenze. Alles Dinge, die undenkbar waren und sein mussten, weil sie Variationen über das Thema der Brandschatzung Europas durch die Hitlerfaschisten darstellen. Die aber die Strecke vom Undenkbaren zur Realität relativ mühelos hinter sich gebracht haben.

Allerdings ist diese Realität sicher nicht gemeint; Kriegsführung und deutsche Beteiligung daran, militärisch oder ökonomisch, kommen im Aufruf nicht vor. Was kann also dann gemeint sein? Unterhält die AfD irgendwo in Deutschland geheime Vernichtungslager, die nur mir bisher entgangen sind? Werden quer durch die Republik Flüchtlinge durch die Straßen gehetzt und erschlagen?

Nein, diese Realität gibt es nicht. Der Kontext des Aufrufes erzwingt eine Verortung dieses Tabubruchs auf dem Feld des Rassismus. Nur leider hat, wenn man mal von der hysterischen Willkommenspropaganda absieht, die wohl bei einigen den Eindruck erweckte, jetzt sei alles gut, gar keine massive Veränderung stattgefunden. Wer erinnert sich noch an die Kampagne der hessischen CDU gegen die doppelte Staatsangehörigkeit? An die vor Rassismus triefenden Artikel über die ‚Pleitegriechen‘ quer durch die deutsche Mainstreampresse? Oder die ebenfalls sehr traditionelle Darstellung Russlands und seiner Menschen, die entweder idiotische Alkoholiker oder verschlagene Finsterlinge sein müssen? Nichts davon kollidierte auch nur ansatzweise mit der ‚Willkommenskultur‘.
Eine auffällige Veränderung der gesellschaftlichen Debatte gab es allerdings. Die Wahrnehmung der Grenze zwischen Reden und Handeln wurde (und ich fürchte, zielgerichtet) geschliffen. Tendenzen dazu gab es bereits davor; sie äußerten sich in unsauberen Losungen wie „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, dessen eine Lesart ein legitimer Hinweis auf die historischen Verbrechen ist, dessen andere Lesart aber tatsächlich eine Meinung zum Verbrechen erklärt.

In meinem Text „Die dunkle Seite“ habe ich versucht, anhand der Kämpfe im Donbass herauszuarbeiten, wo die Frontlinie zwischen Faschisten und Antifaschisten verläuft. Der Kernpunkt, das Konzentrat gewissermaßen, war die Haltung Menschen gegenüber. Die antifaschistische Position erkennt an, dass Menschen lernfähig sind; dass sie Fehler begehen, aber Fehler auch korrigieren können. Es liegt außerhalb der historischen Kenntnisse der Meisten heute, aber Organisationen wie das Nationalkomittee Freies Deutschland konnten nur unter dieser Vorgabe existieren, so wie der Aufbau eines antifaschistischen Staates auf deutschem Boden nur unter dieser Vorgabe überhaupt möglich war. Die Schwelle, ab wann dem ehemaligen Feind Erkenntnis und Entwicklung abgesprochen wurden, lag sehr hoch, definitiv oberhalb von Mord; wie sonst hätte man mit ehemaligen Wehrmachtssoldaten umgehen können, die an der Ostfront eingesetzt waren – nur wenige von ihnen konnten sich dem mörderischen Geschehen entziehen. Der historische Antifaschismus gibt sein Gegenüber selbst dann nicht völlig auf, wenn es Blut an den Händen hat.

Der historische Faschismus handelte entgegengesetzt. Für die Nazis waren Worte bereits todeswürdige Verbrechen; in den letzten Jahren gab es Todesurteile, die auf in privaten Gesprächen geäußerten Witzen beruhten. Da der Mensch, an diesem Punkt ganz nach konservativer Lesart (konservativ hier im Sinne von Burke) als determiniert, von Rasse und Abstammung unabänderlich geprägt gesehen wurde, konnten Worte mit Taten gleichgesetzt werden, da die Gesinnung bereits feststeht und ihre Umsetzung in eine Tat nur noch vom günstigen Zufall abhängt, der Träger falscher Gesinnung also unausweichlich zukünftiger Täter ist.

Wir haben oben bereits festgestellt, dass die ‚Realität‘, auf die sich der zitierte Satz des Aufrufs bezieht, nur in Aussagen bestehen kann. Während der Satz Assoziationen an sehr reale physische Verbrechen aufruft, meint er Ereignisse auf dem Feld der Worte. Durch die eröffnete Spanne zwischen der Assoziation und der wirklich möglichen Aussage setzt er aber Worte mit Handlungen gleich. Auf welcher Seite der Frontlinie zwischen Faschisten und Antifaschisten befindet sich also dieser Satz?

„Humanität und Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaat werden offen angegriffen.“

Wer ist der Angreifer? Auf dieses Merkmal stößt man immer wieder im Text dieses Aufrufs. ‚Es findet statt‘, ‚es wird‘. Würde man mir diesen Satz einzeln vorlegen, ich würde den Angreifer in der herrschenden Klasse und ihren politischen Handlangern sehen, anders formuliert, in der Regierung Merkel und den Länderregierungen. Ja, selbst im Bereich der Religionsfreiheit, auch wenn mir hier eher die Freiheit von Religion und das Recht darauf einfällt, und die Leidenschaft von Regierungen selbst unter Beteiligung der Linkspartei, auf mehrheitlich nicht religiösem Gebiet Kindergärten, Jugendhilfeeinrichtungen, Krankenhäuser den Kirchen zuzuschanzen; eine administrative Zwangschristianisierung. Gemeint ist sicher einzig die Religionsfreiheit der Moslems, und auch hier insbesondere die Freiheit, den rechten Flügel des politischen Islam hierzulande auszuleben.

(Übrigens wiederholt sich auch im Zusammenhang mit der Frage des Islams das Muster, das so etwas wie Pegida überhaupt möglich macht: da Einwände gegen die Zwangschristianisierung in der eingewesteten Gesellschaft nicht möglich sind, verschiebt sich die vorhandene Wut darüber auf das nächstgelegene ähnliche Objekt. Der Diakonie auf die Pfoten hauen, wenn sie sich in fremdes Gebiet hineindrängt, geht nicht; dann will man sich wenigstens den Islam vom Leib halten… wenn es eine klar säkulare Linke gäbe, wäre weder die religiöse Kolonisierung noch der Sekundärnutzen aus der tabuisierten Wut möglich).

Ja, es gibt Angriffe auf den Rechtsstaat. Ich würde sogar behaupten, die Rechtsstaatlichkeit dieser Republik befindet sich im Zustand fortgeschrittener Auflösung. Das zeigt sich, nicht überraschend, besonders deutlich am Rechtsgebaren der Jobcenter, die massenweise rechtswidrig bescheiden, aber im Falle einer Klage (und erst dann, und nur im jeweiligen Einzelfall) plötzlich ihre Fähigkeit entdecken, rechtskonform zu bescheiden, um Präzedenzfälle zu vermeiden, die die rechtswidrige Praxis als Ganze beenden könnten.

Oder ich denke an einen Bundestag, der durch Überhangsmandate wächst wie ein Krebsgeschwür, obwohl seit vielen Jahren Verfassungsgerichtsurteile vorliegen, die eine Einschränkung dieser Praxis verlangen. Oder ich denke, ja, auch, an die Grenzöffnung, die legal hätte sein können, aber auf illegale Weise passierte. Ich denke an den Verfolgungsunwillen gegenüber organisierter Kriminalität wie Cum-Ex-Geschäften; an Geheimverträge wie bei Toll-Collect und demnächst sicher bei den Autobahnen. Es gibt viele Punkte, an denen sich diese Republik weit von dem entfernt hat, was einmal als Rechtsstaatlichkeit galt. Aber auch das ist wieder nicht gemeint.

Nur, wer kann tatsächlich Humanität und Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaat angreifen? Doch nur jemand, der die Macht dazu hat. Die Formulierung lautet ja nicht, ‚in Frage gestellt‘ oder ‚schlecht geredet‘, nein, sie heißt ‚angegriffen‘. Bei einem ‚normalen‘ Text wäre das unbedeutend. Die Meisten schludern hier und da beim Schreiben (die Verfasserin nicht ausgeschlossen). Aber bei einem Text, der durch die Hände vieler Korrektoren gegangen ist, hätte die Unterscheidung zwischen Wort und Tat gewahrt bleiben müssen.

Und warum, um des Himmels Willen, ist diese gigantische Bündelung von Organisationen sogar noch zu feige, AfD zu schreiben, wenn sie AfD meinen? Oder geht es dabei genau darum, dass dieses unscharfe Geraune weder klare Belege verlangt, noch eine Begrenzung durch die Wirklichkeit erfährt, sich also jeder das Bild so schwarzbraun zu malen vermag, wie ihm gerade genehm ist? Denn eins ist klar, die Bundesregierung können sie nicht meinen mit ihrer Kritik. Das könnte man ja nun wirklich hinschreiben.
„Es ist ein Angriff, der uns allen gilt.“

Aha. Uns allen. Mir und anderen Armen genauso wie Frau Klatten und Herrn Otto oder Herrn Piech, verstehe ich das richtig? Also, mal abgesehen von den Angreifern natürlich. Unser aller Menschenrechte sind gleichermaßen von den unbenannten Finsterlingen bedroht.
Abgesehen davon, dass es außer der Zugehörigkeit zur gleichen Gattung wenig gibt, das mich und Frau Klatten verbindet, und im Allgemeinen das, was mir gut tut oder täte, das ist, was ihr zum Nachteil gereichte und umgekehrt – wer konstituiert dieses ‚uns‘? Alle Bewohner dieses Landes? Alle Bewohner minus AfD und ihre Anhänger? Der nebulöse Angreifer kann ja schließlich nicht gleichzeitig Angegriffener sein; also muss er vom ‚uns‘ subtrahiert werden.

Volksgemeinschaft minus one, sozusagen. Und, oh je, das ist erst der erste Absatz.

„Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden.“

Wieder ein Satz, den man mit der Lupe betrachten muss. „Wir lassen nicht zu“ impliziert, dass der Zustand, dessen Abwehr angekündigt wird, noch nicht eingetreten ist; sonst müsste es heißen, „wir lassen nicht länger zu“. Die erste Aussage ist also, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegenwärtig nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern dass dies nur droht.
Vielleicht kann mir jemand die Adresse der Republik geben, von der hier die Rede ist. Ich kenne ein Land, dessen Regierung zwar fähig war, über eine Million Menschen ins Land zu holen, die aber leider mindestens ebenso fähig ist, die Tatsache zu ignorieren, dass Menschen ein Dach über dem Kopf benötigen und dass es bereits viel zu viele gibt, die ebendort keines haben. Ich kenne ein Land, in dem Flüchtlinge vom Mindestlohn ausgenommen werden. Ich kenne ein Land, dessen Industriekapitäne anfangen, von Fachkräftemangel zu jammern, sobald es nur noch zwei Ingenieure auf eine Stelle gibt, weil ihnen dann womöglich das Elend droht, anständig bezahlen zu müssen. Und wenn es zu wenige Tellerwäscher, Straßenkehrer oder Putzfrauen gibt, könnte auch dort das gleiche Ungemach drohen, eine Bezahlung, von der man leben kann. Ich kenne ein Land, in dem Politiker (und zwar nicht von der AfD) immer wieder laut darüber nachdenken, man müsse die Renten weiter kürzen, schließlich müssen ja die Flüchtlinge finanziert werden…

Aber vielleicht ist das nur ein böser Traum, den ich alleine träume, und in Wirklichkeit versucht niemand, Flüchtlinge als Brechstange am Sozialstaat anzusetzen, und niemand setzt sich mit elegantem Schweigen über reales Elend hinweg. Überhaupt gibt es ja in diesem Satz das übliche Problem, dass nicht benannt wird, wer hier wen gegen wen ausspielt. Es ‚wird‘, und ‚wir‘ werden das nicht zulassen.
So selbstbewusst, wie sich dieses ‚wir‘ in diesem Satz in die Brust wirft, kann man sich nur fragen, wo es denn die letzten drei Jahre verbracht hat, in denen in der Wohnungsfrage gar nichts voranging.

Übrigens, und da wird es wirklich unheimlich, die Zuordnung der Begriffe ist uneindeutig; es ist nicht klar, dass nur Sozialstaat gegen Migration gestellt wird, es entsteht vielmehr ein Dreieck zwischen den Punkten Sozialstaat, Flucht und Migration, und es stellt sich die Frage, wie ein Ausspielen von Flucht gegen Migration oder von Migration gegen Flucht beschaffen sein könnte. Leider fällt mir dazu nur die Vorstellung ein, dass reale Flucht (die für die Flüchtenden selbst ein vorübergehender Zustand mit Rückkehrabsicht ist) in Migration umgewandelt werden soll, und dass ein gegeneinander ausspielen nur bedeuten kann, dieser Umwandlung zu widersprechen. Ich kann aber im Nicht-Widersprechen, also im Übergehen des Wunsches, den Flüchtende üblicherweise haben, keinen menschenfreundlichen Akt erkennen, im Gegenteil. Schon gar nicht, wenn die deutsche Industrie wieder das Lied vom… ihr wisst schon.

„Wir halten dagegen, wenn Grund- und Freiheitsrechte weiter eingeschränkt werden sollen.“

Und schon wieder kein Täter, kein Schuldiger, kein Gegenüber. Sie sollen eingeschränkt werden. Von wem? Wart ihr euch darüber nicht einig? Weil ja auch die SPD daran beteiligt ist? Weil auch die Regierung Merkel mit ihren Zensurbemühungen Grundrechte attackiert?

Ach, wie angenehm und klar sind doch Texte, die eine Haltung haben und nicht so amöbenhaft dahergekrochen kommen. Sklavensprache, nannte man das einmal, in den Anfängen des 19.Jahrhunderts, als Veröffentlichungen noch einem Zensor vorgelegt werden mussten und bestimmte politische Äußerungen nur verdeckt möglich waren. Das hübsche Kinderlied ‚Oh hängt ihn auf‘ legt davon Zeugnis ab. Oder hat es damit zu tun, dass die Regierung Merkel ja irgendwie zu den Guten gezählt werden muss, also zum ‚uns‘ dazugehört, und nur die böse AfD die Grundrechte einschränkt – halt, die regieren ja gar nicht, die können nicht – pfui, weg mit dieser bösen Realität, wenn sie die Moral stört.

„Das Sterben von Menschen auf der Flucht nach Europa darf nicht Teil unserer Normalität werden.“

Das ist, auf eine Distanz von wenigen Sätzen, das vierte Mal, dass eine unmittelbare Vergangenheit behauptet wird, die es so nie gab. Eine Vergangenheit, in der es in Deutschland keinen Rassismus und keine Menschenverachtung gab (in ganz Deutschland, nicht nur in der DDR), in der Humanität und Menschenrechte gesichert waren und nichts gegen den Sozialstaat ausgespielt wurde (auch keine schwarze Null oder Demografie oder Bankenrettung oder…). Üblicherweise wird eine Utopie in die Zukunft gelegt; in diesem Fall liegt die Utopie in der Vergangenheit. Nun, auch wenn es meine persönlichen Fähigkeiten übersteigt, zu erkennen, an welchem Zeitpunkt wir uns in dieser Utopie befanden, die Autoren des Aufrufs werden schon gewusst haben, wann sie meinen.

Die Transsahararoute existiert seit 25 Jahren, seit einem Vierteljahrhundert ertrinken Menschen im Mittelmeer, die sich, aus welchen Gründen auch immer, auf den Weg nach Europa machten; das ist kein Teil unserer Normalität? Wann wäre es das, nach fünfzig Jahren? Nach hundert? Da wird nichts, da ist.

Und was ist mit dem Sterben, das abseits der Transsahara-Mittelmeerroute geschieht, im Jemen zum Beispiel, mit deutscher Billigung und unter Einsatz deutscher Waffen? Welcher Partikel zum Menschsein fehlt jenen Opfern auch deutscher Politik, dass ihr Sterben als Normalität kein Problem darstellt? Ist es der unbedingte Wille nach Europa, diese innere Unterwerfung unter den Kolonialherren, der dazu führt, dass der eine Tod so viel näher geht als der andere? Die Tatsache, dass die verhungernden Kinder im Jemen nicht in der Tagesschau gezeigt werden? Seit wann lässt sich eine (zugegeben, irgendwie) oppositionelle Bewegung von den geopolitischen Entscheidungen ihrer Regierung vorgeben, welchen Opfern sie ihr Mitgefühl widmet?

„Europa ist von einer nationalistischen Stimmung der Entsolidarisierung und Ausgrenzung erfasst.“

Ja, es sind wieder nicht die sozialen Barbareien gemeint, die diversen europäischen Nachbarn aufgezwungen wurden. Nicht diese Entsolidarisierung und Ausgrenzung ist gemeint, nicht die jungen Spanier oder Griechen, die keine Arbeit finden, oder die griechischen Rentner, denen jüngst die 23. Rentenkürzung verordnet wurde.

Nein, nicht die deutschen Spardiktate sind die nationalistische Stimmung. Es ist auch nicht der Aufmarsch an der russischen Grenze. Soll ich raten? ‚Entsolidarisierung‘ bezieht sich auf die Weigerung anderer europäischer Länder, von Deutschland Flüchtlinge zugeteilt zu bekommen oder die politische Position zur Migration nachzuvollziehen. Ja, es gibt wirkliche nationalistische Stimmungen, aber es gibt auch wirkliche Fragen der Souveränität; und Merkeldeutschland und jeder, der sich mit Merkeldeutschland identifiziert, mit seiner gnadenlosen Exportwalze, seiner Spargarotte und seiner großdeutschen Überheblichkeit, sollte das Wort ‚Nationalismus‘ als Vorwurf gegen andere gänzlich aus seinem Sprachschatz streichen.

Übrigens, die Ukraine ist mit diesem Satz bestimmt nicht gemeint. Diese echten Nazis gelten als gute Demokraten. Das haben sie mit syrischen Kopfabschneidern gemein…

„Kritik an diesen unmenschlichen Verhältnissen wird gezielt als realitätsfremd diffamiert.“

Es sind, das versteht sich von selbst, keine unmenschlichen Verhältnisse in Deutschland, sondern bei unseren Nachbarn. ‚Wir‘ sind schließlich moralisch überlegen (AfD und Sympathisanten ausgeschlossen).
Nachdem sich der Satz nicht auf die ‚nationalistische Stimmung‘ beziehen kann, muss er sich auf das ‚Sterben von Menschen auf der Flucht nach Europa‘ beziehen. Die Herstellung des Zusammenhangs gelingt nur rückwärts, durch Nachdenken darüber, was als ‚realitätsfremd diffamiert‘ wird.

Da fällt mir ein einziger Punkt ein. Die Forderung nach offenen Grenzen, die in so gut wie jedem anderen europäischen Land tatsächlich als völlig realitätsfremd gilt. Interessant, dass sie in diesem Aufruf nur implizit auftaucht. Das lässt zwei Schlussfolgerungen zu, zwischen denen ich, ehrlich gesagt, unentschlossen bin: entweder die gesamte Autorengruppe des Aufrufs ging davon aus, dass sich dieser Punkt von selbst versteht und daher nicht mehr explizit erwähnt werden muss, oder die Aussage wurde so gut verborgen, weil sonst die Breite des Bündnisses darunter gelitten hätte.

Auch hier muss man die Aufmerksamkeit auf das nicht Gesagte lenken. Es sind nicht die Verhältnisse, die Menschen zur Flucht treiben, die als Ziel der Kritik benannt werden, sondern die Ausgestaltung der Fluchtstrecke. Wie an allen anderen Stellen, die sich dafür anbieten würden, unterbleibt jede Stellungnahme gegen die Bundesregierung, ihre Kriegspolitik, die deutschen Konzerne und die Folgen ihrer wirtschaftlichen Macht; nicht einmal der militärisch-industrielle Komplex und seine Waffengeschäfte dürfen benannt werden.

„Während der Staat sogenannte Sicherheitsgesetze verschärft, die Überwachung ausbaut und so Stärke markiert, ist das Sozialsystem von Schwäche gekennzeichnet: Millionen leiden darunter, dass viel zu wenig investiert wird, etwa in Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und Bildung.“

Der Staat. Es wird zu wenig investiert. Gibt es noch Menschen in Berlin, oder werden wir von einer anonymen künstlichen Intelligenz regiert? „Das Sozialsystem (ist) von Schwäche gekennzeichnet“ – hat es sich eine Grippe zugezogen? Leidet es unter Rheuma? Man kann es mit dem Motiv der ‚unsichtbaren Hand‘ auch wirklich zu weit treiben.

Aber es ist an der Zeit, sich ein paar Gedanken darüber zu machen, was eine solche Darstellung mit Sätzen ohne Handelnden bewirkt und bedeutet. Die Assoziation mit der ‚unsichtbaren Hand‘ des Marktes kommt nicht von ungefähr; sie ist ein Kerngedanke der neoliberalen Ideologie; der Reichtum der Reichen und die Armut der Armen sind gleichsam naturgegeben und daher weder zu kritisieren noch zu ändern (was übrigens nur noch wenig mit den Vorstellungen von Adam Smith, der den Begriff der ‚unsichtbaren Hand‘ im 18. Jahrhundert erfunden hat). Es ist nicht sicher, ob es nur die Feigheit vor dem Feind ist, die dazu führt, dass Handelnde in diesem Text so konsequent zum Verschwinden gebracht werden, oder ob es eine tiefe innere Nähe zum Neoliberalismus ist, eine Textvariante auf „es gibt keine Alternative“. Auf jeden Fall aber hat eine solche Beschreibung der Wirklichkeit keine befreiende Wirkung, weil sie ein Gefühl eines unabänderlichen Schicksals fördert, nicht das Wissen um die Gestaltung der menschlichen Verhältnisse durch den Menschen.

„Unzählige Menschen werden jährlich aus ihren Wohnungen vertrieben.“

Wer? Für wen? Gut, die Frage muss ich nicht jedesmal wiederholen, das wird inzwischen öde. Interessant ist, in welche Widersprüchlichkeit sich dieser Satz begibt. Unklar, ob es einem der vielen Verfasser aufgefallen ist. „Ihre Wohnungen“ sind umgangssprachlich ganz selbstverständlich die Wohnungen, in denen sie wohnen. Die Mehrzahl derjenigen, die aus einer von ihnen bewohnten Wohnung vertrieben werden, wird dies allerdings gerade, weil es nicht ihre Wohnung ist, nicht ihr Eigentum, sondern das eines Anderen, dessen Anrecht auf Verzinsung in dieser Gesellschaft höher steht als das menschliche Bedürfnis nach einer Behausung. (Und man muss hier präzise sein, denn die früher nicht grundlos ‚Mietzins‘ genannte Wohnungsmiete ist die Verzinsung eingesetzten Kapitals und berührt das Eigentum am eingesetzten Kapital selbst nur über eine sehr lange Zeitspanne hinweg. Verteidigt wird mit der Rechtsstellung der Vermieter also nicht das Recht am Eigentum, sondern der Anspruch auf das Geld, das durch Geld geheckt wird, obwohl das Grundgesetz zwar ein Eigentumsrecht kennt, aber kein Verzinsungsrecht. In Unkenntnis dieser Tatsache gerieren sich nicht nur die Freunde der Vermieter, sondern auch die kläglichen Reste ihrer Gegner stets so, als ginge es um das Eigentum selbst. Eine gesetzliche Mietobergrenze, wie sie in Deutschland immerhin jahrzehntelang bestand, ist nur ein Eingriff in den Zinsanspruch, nicht in das Eigentum).

„Die Umverteilung von unten nach oben wurde seit der Agenda 2010 massiv vorangetrieben.“

Es gibt Aktivsätze im Deutschen. Wirklich, auch wenn man es angesichts dieses Textes kaum mehr glauben möchte.
„Steuerlich begünstigte Milliardengewinne der Wirtschaft stehen einem der größten Niedriglohnsektoren Europas und der Verarmung benachteiligter Menschen gegenüber.“

Hier muss ich einmal loben (keine Sorge, es dürfte dabei bleiben): irgendwer in dieser trauten Runde erinnerte sich noch an das schöne deutsche Wort „benachteiligt“, durch das hindurch man den Vorteil geradewegs riechen kann; eigentlich hätte ich bei einem sonst so ungefähr schwebenden Text das abscheuliche „sozial Schwache“ erwartet. Aber dennoch: selbstverständlich steht die Verarmung nicht den Milliardengewinnen gegenüber, sondern sie bedingen sich wechselseitig, die Verarmung durch die Hartz-Gesetze war unmittelbare Vorbedingung für die Milliardengewinne der deutschen Exportwalze, die Armut der einen ist Vorbedingung des Reichtums der anderen. „Gegenüberstehen“ ist im Deutschen allerdings keine Formulierung für kausale Zusammenhänge.

„Wir treten für eine offene und solidarische Gesellschaft ein, in der Menschenrechte unteilbar, in der vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind.“

Entwerfen kann man viel, in der Umsetzung liegt das Problem… und die Verwendung des Begriffs ‚Lebensentwürfe‘ besagt genau dies, dass man sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten der Umsetzung gerade nicht befassen will.

Wer eine ‚offene und solidarische Gesellschaft‘ wünscht, könnte aber schon am Entwurf scheitern. Hier ist er wieder, der Begriff der ‚offenen Gesellschaft‘, bei dem man an die Soros-Stiftung und Farbrevolutionen denkt, und der im Kern das Gegenteil von ‚solidarisch‘ meint. Denn Solidarität setzt die Bildung einer größeren Gruppe von Gleichen voraus, das, was man ein Kollektiv nennt; der Erfinder der ‚offenen Gesellschaft‘, Popper, war hingegen jeder Form des Kollektivs abhold. Der Begriff ‚offene Gesellschaft‘ und die mit ihm verbundene Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus (realer ethischer Gegenpole, wie weiter oben beschrieben) dienten vor allem einem Zweck – den Liberalismus von jeder Nähe zum Faschismus reinzuwaschen. Das ist so weit gelungen, dass inzwischen selbst der Neoliberalismus, der als siamesischer Zwilling des putschenden chilenischen Faschismus die politische Bühne betrat, sich im Denken einstmals fortschrittlicher Organisationen einnisten konnte wie ein Fuchsbandwurm. ‚Offen‘ ist die Gesellschaft vor allem, indem getan wird, als gäbe es keine sie prägenden kollektiven Interessen, und als gäbe es nicht in jeder Gesellschaft eine deutlich umrissene soziale Gruppe, die ihre kollektiven Interessen durch ihre wirtschaftliche Macht um ein vielfaches besser durchsetzen kann als der ganze übrige Rest. In der wirklichen Welt hat eine Studie der Princeton-University längst statistisch den Beweis geführt, dass die USA (und ohne Zweifel auch die BRD) Oligarchien sind, keine Demokratien, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sich Interesse und Willen der Bevölkerungsmehrheit in politisches Handeln umsetzen, um Größenordnungen niedriger ist, als dass sich Interesse und Willen der Kaste der Milliardäre durchsetzen.

Die ‚offene Gesellschaft‘ kennt keine Solidarität, und Selbstbestimmung wird im echten Leben durch den Geldbeutel ermöglicht, ist also, wie der Inhalt desselben, höchst ungleich verteilt. Es wirkt, als hätten die Autoren in der ganzen beeindruckenden Breite noch nie von den Käfighaltungsvorgaben von H4 gehört, nach denen jedes Verlassen des Wohnortes vom Jobcenter genehmigt werden muss… vielfältig und selbstbestimmt, aber hallo.

Vor einigen Jahren, als aus WASG und PDS die Linkspartei gegründet wurde, schien es so, als sei der Antikommunismus (eine verbrecherische Ideologie, die als Oberbegriff unter anderem den italienischen, deutschen und spanischen Faschismus umfasst) kurz davor, zu verschwinden; statt dessen hat er schlicht eine neue Lage Schminke aufgelegt. Heute unterzeichnen Vertreter von Organisationen Aufrufe mit antikommunistischen Kernvokabeln, die sich mit Grausen davon abwenden sollten, wenn ihnen ihre eigene Geschichte auch nur einen Pfifferling wert ist (ja, die VVN steht unter diesem Aufruf).

„Wir wenden uns gegen jegliche Form von Diskriminierung und Hetze.“

Ich nicht. Gegen die Oligarchen darf man hetzen, und man sollte sie diskriminieren. Ich bin sogar entschieden für eine scharfe Form der Diskriminierung, für den Entzug jedes Eigentums an Produktionsmitteln und eine scharfe Kontrolle über den Zugang zu politischem Einfluss, für diese Oligarchen selbst und ihre Funktionsträger. Wer einmal deutsche Journalisten im Gespräch mit einem dieser überlebten Ex-Feudalherren mit irgendeinem von und zu erlebt hat, wie ihm der innere Bückling die Stimme verformte, dem ist klar, dass die Spuren einer Oligarchie nicht gleichzeitig mit ihren Voraussetzungen verschwinden.

Ich würde auch keinen Aufruf ‚Gegen Hass‘ unterzeichnen. Was ist mit dem Hass auf Ungerechtigkeit? Ist das keiner? „Auch der Haß gegen die Niedrigkeit Verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht Macht die Stimme heiser“, schrieb einmal Brecht in An die Nachgeborenen. Dennoch sind sie nötig.

„Gemeinsam treten wir antimuslimischem Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Antifeminismus und LGBTIQ*-Feindlichkeit entschieden entgegen.“

Lange detaillierte Listen haben einen Nachteil. Wenn ich, statt zu sagen, ich bin angezogen, erkläre, ich trüge einen Büstenhalter, eine Hose, eine Strumpfhose und eine Bluse, dann erkläre ich damit gleichzeitig, dass ich barfuss bin und keine Unterhose anhabe.
Im Englischen gibt es einen Begriff für Diskriminierung aus Klassendünkel; er lautet ‚classism‘. Es ist Klassendünkel, wenn wieder vom Pöbel die Rede ist; wenn über das Unterschichtfernsehen schwadroniert wird; es ist Klassendünkel, wenn man es für erforderlich hält, Arme zu drangsalieren, weil wer nicht arbeitet auch nicht essen soll, bei jenen Empfängern von Milliarden, deren einzige Leistung im geboren werden bestand, aber schamhaft zur Seite zu blicken, wenn sie die mittlerweile verzwergten Steuern darauf auch noch hinterziehen. Es ist Klassendünkel, wenn man gerade jener Bevölkerungsgruppe, die die Hälfte ihres Einkommens schon in der Miete verliert, Rassismus vorwirft, wenn sie weitere Konkurrenten um bezahlbaren Wohnraum nicht begeistert in Empfang nimmt.
Wer wissen will, wie ausgeprägt der Klassendünkel ist, dem sind die Heitmeyer-Studien zu empfehlen. Und auch wenn ich mich mit dieser Aussage wiederhole: von allen Varianten der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist diese in der Bundesrepublik die stärkste, die Verachtung der Habenichtse.

In einem Aufruf, der vermeintlich sozial sein soll, wurde zwar penibel auf die aktuelle Erweiterung von LGBT(…)xyz*=³ geachtet, die Diskriminierung der Habenichtse kommt aber nicht einmal als Andeutung vor. Man ist solidarisch, aber nicht mit den Habenichtsen. Denn um der Erkenntnis ausweichen zu können, dass man es in einer Gesellschaft, in der der Mensch dem Menschen Wolf ist, mit den erfolgreichen Wölfen hält, solange das eigene Gesäß noch im Trockenen sitzt, muss man so tun, als hätten die erfolglosen Wölfe diese ihre Stellung frei gewählt. Denn dann, und nur dann, hätte man das Recht, sie zu verachten.
Und nun bitte ich Entschuldigung für den langen Satz, der folgt. Ich habe seine Länge nicht zu verantworten, aber sie bedrängt mich dennoch.

„Ob an den Außengrenzen Europas, ob vor Ort in Organisationen von Geflüchteten und in Willkommensinitiativen, ob in queer-feministischen, antirassistischen Bewegungen, in Migrant*innenorganisationen, in Gewerkschaften, in Verbänden, NGOs, Religionsgemeinschaften, Vereinen und Nachbarschaften, ob in dem Engagement gegen Wohnungsnot, Verdrängung, Pflegenotstand, gegen Überwachung und Gesetzesverschärfungen oder gegen die Entrechtung von Geflüchteten – an vielen Orten sind Menschen aktiv, die sich zur Wehr setzen gegen Diskriminierung, Kriminalisierung und Ausgrenzung.“

Uff. Ja, wirklich ein Satz.

Und eine Matschepampe aus Selbstorganisation und Caritas, aus demokratischen Strukturen und den durchaus problematischen NGOs, mit einem Themenbündel, das das große Thema Armut weitgehend draußen hält… noch eine Liste der Variante barfuß ohne Unterhose.

Wobei nach der vorhergehenden Aufzählung der Satz nach dem Spiegelstrich wieder einen Widerspruch mit der vorhergehenden Liste enthält. Denn ‚Menschen (…) die sich zur Wehr setzen gegen Diskriminierung, Kriminalisierung und Ausgrenzung‘ können nur Betroffene sein. Nicht Betroffene können sich dagegen einsetzen, aber sich nicht dagegen zur Wehr setzen. Die Liste enthält aber nur zu einem kleinen Teil Selbstorganisationen; NGOs fallen in der Regel gar nicht darunter.

NGO ist ohnehin ein Stichwort. Meine Generation wurde ja bereits darauf konditioniert, NGOs besser zu finden als Parteien. Unsere Helden waren bei Greenpeace. Die Frage, wer darüber entscheidet, mit welchen Themen sich eine NGO überhaupt befasst, ob sie demokratisch strukturiert ist und welchen Einfluss eventuelle Großspender auf die Ausrichtung ihres Handelns haben, all das wurde von der Heroisierung der ‚spektakulären Aktion‘ überlagert. Inzwischen sollte man allerdings gelernt haben, dass manche Arten von NGOs mit äußerster Vorsicht zu behandeln sind, und dass Großspenden relativ leicht dafür sorgen können, dass unmittelbaren privaten Interessen des Spenders gefolgt wird. Wer miterlebt hat, wie politischer Protest sich in manchen Fällen auf fünfminütige Fototermine von Mandatsträgern verkürzt, schon auf der kommunalen Ebene, der lernt auf einmal die zähen Prozesse in ordentlich demokratischen Organisationen zu schätzen.

Eine demokratische innere Verfasstheit ist aber keine Voraussetzung für Bündnisfähigkeit, das belegt auch die Liste der Unterzeichner dieses Aufrufs. Erstaunlich, in den 1970ern wurden gegenüber den damals noch zahlreicheren Kommunisten in der BRD gern der Vorwurf erhoben, demokratischer Zentralismus sei „nicht richtig demokratisch“. Inzwischen werden mühelos Strukturen in politischen Zusammenhängen akzeptiert, die eigentlich dem folgen, was die Nazis „Führerprinzip“ nannten. Religionsgemeinschaften sind übrigens meist auch keine demokratischen Vorzeigeobjekte, da muss man nicht einmal die DITIB bemühen, die eingeborenen Geschmacksrichtungen genügen.

„Gemeinsam werden wir die solidarische Gesellschaft sichtbar machen! Am 13. Oktober wird von Berlin ein klares Signal ausgehen.“
Weißes Rauschen.

„Für ein Europa der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit!“

Also gegen den EU-Vertrag? Dem völlig fremd ist, was immer mit ‚sozialer Gerechtigkeit‘ gemeint ist, der nur vier Grundfreiheiten kennt, die Freiheit des Kapitalverkehrs, des Warenverkehrs, der Dienstleistungen und als letztes die Arbeitnehmerfreizügigkeit… mehr Freiheit ist nicht vorgesehen. Oder doch nicht?

Und wie steht es denn mit den Artikeln 23 bis 27 der UN-Menschenrechtscharta? Recht auf Arbeit, irgendwer? Hat die elende Lage der Alleinerziehenden in Deutschland irgend etwas mit „Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung“ zu tun?

Diese Artikel 23 bis 27 passen nicht in die Welt der EU-Verträge. So einfach ist die Nummer nicht mit den Menschenrechten. Da sollte schon etwas klarer sein, welche Menschenrechte gemeint sind, und in welcher Form sie in Bezug zu Europa gebracht werden sollen… aber pfui, das ist ja konkret und stört beim Träumen.

„Für ein solidarisches und soziales Miteinander statt Ausgrenzung und Rassismus!“

Und wer sorgt dafür? Wer steht dem im Weg?

„Für das Recht auf Schutz und Asyl – Gegen die Abschottung Europas!“

Schutz ist schon wieder ein Begriff, der ins Endlose ausdehnt. Wer ist wovor zu schützen? Ist wirklich die „Abschottung Europas“ das Problem oder nicht vielmehr die skrupellose Ausdehnung seiner wirtschaftlichen Macht, die erzwungenen Freihandelsverträge, die blanke Ausbeutung? Hätte man nicht wenigstens, wenn man es schon nicht schafft, gegen Kolonialkriege Stellung zu beziehen, ein klitzekleines „gegen Freihandel“ einfügen können?

„Für eine freie und vielfältige Gesellschaft!“

Ich bin auch für gutes Wetter. Und weil ich Kälte nicht mag, bitte in der Variante Sommer und Sonnenschein.
„Solidarität kennt keine Grenzen!“

Doch. Kennt sie. Die Grenzen zwischen den Klassen. Kennt sie die nicht mehr, handelt es sich nicht um Solidarität, sondern um Wohltätigkeit.

Man kann es sich lebhaft vorstellen, die Versammlung schon etwas angejahrter Autorinnen und Autoren, wie sie über dem Aufruf brüten und meinen, man müsste doch einmal für etwas sein. Aber eine Demonstration hat immer ein Gegenüber, das, durch die Menge beeindruckt, etwas anders tun soll als bisher.

Wer also soll etwas anders tun? Die Regierung kann nicht gemeint sein, die wird ja sogar an Stellen zum Verschwinden gebracht, an denen sie unbestreitbar verantwortlich ist. Die Teilnehmer der Demonstration selbst können es auch nicht sein, denn die sind ja schon die Guten, und klopfen sich in großer Zahl wechselseitig auf die Schulter, weil sie die Guten sind. Bleiben also die Bösen. Jene, die mit dem ‚uns‘ und ‚wir‘ nicht gemeint sind.

Wenn wir den Normalfall einer Demonstration nehmen, beispielsweise eine Demonstration gegen das bayrische Polizeigesetz, dann ist alles klar. Der Gegenstand des Streits ist das Gesetz, die Forderung besteht darin, dieses Gesetz nicht zu verabschieden oder zumindest wesentlich zu ändern, und die Adressaten der Forderung sind notwendigerweise jene, die sie umsetzen können, also die Landtagsabgeordneten und die Staatsregierung. Bei einer Streikdemonstration ist der Adressat der jeweilige Unternehmer.

Wie gesagt, die Regierung ist erkennbar nicht Adressat der Forderungen; es ist eher eine Konsensdemonstration, und jene, die das zu einer Art Wertewestenprozession erklären, liegen nicht völlig daneben. Die Zustimmung zur bestehenden Regierung entsteht mindestens so sehr durch das Nichtgesagte wie durch das Gesagte – weil von Kriegseinsätzen, wirtschaftlicher Machtausübung, der Verantwortung für Verarmung etc. gar nicht erst die Rede ist, wird der nötige Widerspruch von vorneherein unterlassen. Und selbst mit einer überwältigenden Teilnehmerzahl wird diese Demonstration keinen Druck aufbauen können, denn – wohin, wofür, wogegen? Jede Kraft braucht eine Richtung, das lernt man im Physikunterricht.

Der einzige Adressat, der erahnt werden kann, ist aber die AfD und ihre Anhänger. Denen wird in ein und demselben Atemzug mitgeteilt, dass sie nicht dazugehören, aber gefälligst für ein „Europa der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit“ zu sorgen hätten. Da das als Botschaft völlig absurd ist, ist das, was übrig bleibt, ein leeres Ritual zur Selbsterhöhung, das auf der einen Seite der ohnehin scharfen Spaltung innerhalb der beherrschten Klassen zusätzlichen Schwung verleiht, auf der anderen Seite die herrschende Klasse von jeder Verantwortung, gar Schuld freispricht. Im günstigsten Fall ein reaktionäres Spektakel; im ungünstigsten Fall, wenn man die Aussagen zum Verhältnis zwischen Wort und Tat betrachtet, ein weiterer Baustein auf dem Weg zu Faschismus Variante B. Das wahrhaft Erschütternde daran ist, wenn man anhand der Liste der Unterzeichner feststellen muss, wie klein die Zahl derjenigen ist, die das erkennen.



Martin Emko
(aus Einheit-ML vom 16. Oktober 2018, Bitte beachtet auch die Kommentare)

242.000 Leute demonstrierten am Sonntag nach Veranstalter-Angaben in Berlin unter der sie einigenden Kurzformel #unteilbar.

Martin Emko

Dass sehr viele Menschen aus ehrlichen Beweggründen gegen den Rassismus von AfD & Co. auf die Straße gingen, ist gut. Dass Klassenpositionen dort aber deutlich zu vermissen waren, ist schmerzlich und führte von Beliebigkeit über Unklarheiten über den Adressaten bishin zum unhinterfragten Auftreten der terroristischen „syrischen“ „Opposition“. Und es führte auch dazu, dass mit Andrea Nahles und Heiko Maas, Leute diese Demo unterstützten, deren Partei selbst mitverantwortlich ist für die soziale Zuspitzung im Land – und damit auch den zunehmenden Rassismus.

Es war die SPD-Vorsitzende Nahles selbst, die im Mai 2018 tönte: „Wir können nicht alle bei uns aufnehmen„. Dieser Satz scheint für BRD-Bürger – oberflächlich angehört – fast „selbstverständlich“ und wird häufig zitiert. Doch ist er bei genauerer Betrachtung rechts und nicht links, sondern nur link und hinterhältig. Dazu möge z.B. genügen: In der Klassengesellschaft der BRD gibt es kein „wir / uns“ – allein mit diesen zwei Pronomen wird bereits ausgespielt, „wir“ gegen andere, gegen die da, „alle“. Also „alle“? Dieses Wort ist in seiner Tendenziösität geeignet, Angst und Abwehr zu erzeugen: Ende des Jahres 2017 waren 68,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Sie „alle“ wollen also in die BRD? Solch vernebelnder Unfug treibt Leute nach rechts; ein andermal mehr dazu.

Wichtig sollte uns sein, auf der Basis von Klassenpositionen auf Leute zuzugehen und mit ihnen zu diskutieren. Als ersten Baustein hierzu sei ein Artikel empfohlen, in dem Andreas Grünwald untersucht, welche Positionen die marxistischen Klassiker zur Migration vertraten. Der Artikel läuft auf folgende Zusammenfassung hinaus:

1. Migration, Aus- und Einwanderung sind unter imperialistischen Bedingungen ein Prozess zu dem die Migranten durch die imperialistische Herrschaft und die verschärfte Ausbeutung der abhängigen Länder gezwungen sind. Er vollzieht sich unabhängig vom Willen des Einzelnen.

2. Die Bourgeoisie in den kapitalistischen Kernländern nutzt die Migration, um die Löhne, die sozialen Standards, das allgemeine Niveau des Lebens weiter zu senken, also um auch die bisherigen Arbeitskräfte im eigenen Land noch besser auszubeuten.

3. Sie befördert damit und mit entsprechenden Ideologien gleichzeitig die Spaltung der Arbeiterklasse auch in den kapitalistischen Kernländern und mindert so auch dort ihre Kampfkraft.

4. Sozialisten können auf diesen Prozess nicht in der Weise reagieren, in dem sie sich ihrerseits zu Fürsprechern möglicher Einwanderungsbeschränkungen machen. Warum nicht: weil sie sich damit selbst der Ideologie der Herrschenden ausliefern.

5. Internationale Solidarität mit den Migranten muss vor allem darin bestehen, für eine Verbesserung der Arbeits- und Kampfbedingungen in den jeweiligen Herkunftsländern einzutreten und diesen Kampf, der dort in der Form ein nationaler Kampf ist, solidarisch durch internationale Aktion zu unterstützen. Das ist die eine Seite der Internationalen Solidarität. Die andere besteht darin, in den kapitalistischen Kernländern selbst Kolonalisierung politisch zu bekämpfen.

6. Um im eigenen Land wirksam zu kämpfen, um demokratische Reformen, ökonomische Kämpfe erfolgreich zu bestehen, um Prozesse der sozialen Revolution einzuleiten, muss alles dafür getan werden, dass auch die eingewanderten Arbeiter gleiche Rechte haben. Für den eigenen Kampf müssen sie als gleichberechtigter Teil in den Formierungsprozess gewerkschaftlicher und politischer Bewegungen einbezogen werden.

7. Die Kapitalisten versuchten, die immigrierten Arbeiter zum Drücken der Löhne und zur Spaltung der Arbeiterklasse zu benutzen. Aber für Sozialisten ist das nicht als „Schwäche“ des „kulturell minderwertigen immigrierenden Arbeiters“ hinzustellen, sondern als objektive Funktion, die die Bourgeoisie ihnen zudenkt. Dies kann nur durchkreuzt werden, wenn auch das inländische Proletariat den Kampf um gleiche Rechte für die ausländischen Arbeiter mit aufnimmt und sich mit ihnen verbindet.

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Andreas Grünwald

Migration, Ein- und Zuwanderung bei Marx, Engels, Lenin …

Andreas Grünwald

Eine durchaus berechtigte Angst, weshalb eine offene Debatte dazu dringend erforderlich ist. Die geschieht nicht zum Selbstzweck, sondern natürlich mit dem Ziel die eigene Handlungsfähigkeit nach Möglichkeit zu optimieren.

Für mich als Marxisten gehört dazu auch (nicht nur!) der Blick in die Klassiker, denn Flucht, Migration und Einwanderung sind keine neuen Erscheinungen, sondern im Kapitalismus ein sich immer wieder wiederholendes Phänomen. Diesen Blick will ich hier ein wenig entwickeln.

Es ist das Verdienst von Karl Marx, Friedrich Engels und anderer Theoretiker des wissenschaftlichen Sozialismus in einer Vielzahl von Werken die objektiven Entwicklungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft aufzuzeigen. Dazu gehört auch die Migration. Zunächst die vom Land in die Stadt, die in der Phase der Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaft schon vor 200 oder 300 Jahren eine besondere Rolle spielte. Aus der Sicht des Kapitals ein notwendiger Prozess um freie Lohnsklaven den neuen Ausbeutungsbedingungen zu unterwerfen.

Migration befördert zudem die Bildung Industrieller Reservearmeen. Diese entstehen zuallererst aus dem Ablauf des Kapitalverwertungsprozesses selbst, der in Zeiten der Überproduktion immer wieder Millionen bisher erwerbstätiger Menschen in eine erwerbslose Reservearmee verwandelt. Durch die Migration wird dieser Prozess befeuert. Die Reserven entstehen dauerhafter und stabiler. Die objektive Funktion solche Reservearmeen besteht immer darin, noch intensivere Formen der Ausbeutung – vor allem durch die Senkung der Lohnkosten – durch das Kapital durchzusetzen.

Menschen migrieren, wandern aus. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Auch die Art der Migration – von saisonal bis dauerhaft – weist viele Varianten auf. Gemeinsam ist allen diesen Migrationsbewegungen freilich, dass sie zu einer Stärkung solcher Reservearmeen für den Ausbeutungsprozess im Kapitalismus beitragen. Sie verändern damit zugleich die ökonomische Basis einer kapitalistischen Gesellschaft, und vermittelt darüber natürlich auch das jeweilige Alltagsbewusstsein. Auch und gerade das der abhängig Beschäftigten.

Friedrich Engels hat dies an Hand der Migrationsbewegungen die Mitte des 19. Jahrhunderts auftraten, mehrfach beschrieben. Millionen von Menschen wanderten damals von Europa und Asien nach Amerika aus:

„Die Zahl der amerikanischen Geldfürsten ist [dort] noch weit größer [als in Deutschland]. Und diese fabelhafte Reichtums-Akkumulation wird durch die enorme Einwanderung in Amerika noch von Tag zu Tag gesteigert. Denn direkt und indirekt kommt dieselbe in erster Linie den Kapitalmagnaten zugute. Direkt, indem sie die Ursache einer rapiden Steigerung der Bodenpreise ist, indirekt, indem die Mehrzahl der Einwanderer den Lebensstand der amerikanischen Arbeiter herabdrückt. Schon jetzt finden wir in den zahllosen Streikberichten, welche unsere amerikanischen Bruderorgane melden, einen immer größeren Prozentsatz von Streiks zur Abwehr von Lohnreduktionen, und die meisten auf Lohnerhöhung abzielenden Streiks sind im Grunde auch nichts anderes, denn sie sind entweder hervorgerufen durch die enorme Steigerung der Preise oder durch das Ausbleiben der sonst im Frühjahr üblichen Lohnerhöhungen.“

Trotzdem spricht sich Friedrich Engels in der damaligen Zeit strikt dagegen aus sich an Restriktionsdebatten zu beteiligen. Er begründet dies Mitte des 19., Jahrhunderts damit, dass …

„auf diese Weise … der Auswandererstrom, den Europa jetzt jährlich nach Amerika entsendet, nur dazu bei [trage], die kapitalistische Wirtschaft mit all ihren Folgen auf die Spitze zu treiben, so daß über kurz oder lang ein kolossaler Krach drüben unvermeidlich wird.“

Dann aber werde der …

„Auswandererstrom stocken oder vielleicht gar seinen Lauf zurücknehmen, d.h. der Moment gekommen sein, wo der europäische, speziell der deutsche Arbeiter vor der Alternative steht: Hungertod oder Revolution!“

Und weiter:

„Darum, so sehr wir auch mit der ‘New Yorker Volkszeitung’ die Auswanderung aus Deutschland bedauern, so sehr wir überzeugt sind, daß dieselbe zunächst eine wesentliche Verschlechterung der Lage der amerikanischen Arbeiter im Gefolge haben wird, und so sehr wir ferner mit ihr wünschten, daß die deutschen Arbeiter ihr ganzes Augenmerk ausschließlich auf die Verbesserung ihrer Lage in Deutschland richteten, so können wir ihren Pessimismus doch nicht teilen. Wir müssen eben mit den Verhältnissen rechnen, und – da dieselben, dank der Kurzsichtigkeit und Habgier unserer Gegner, eine Entwicklung im wirklich reformatorischen Sinne immer mehr ausschließen – unsere Aufgabe darin suchen, die Geister allen Angstmeiern zum Trotz, vorzubereiten auf den revolutionären Gang der Ereignisse.“

Und weiter:

„Für den Konflikt: Riesenhafte Konzentration des Kapitals einerseits und wachsendes Massenelend andererseits, gibt es nur eine Lösung: Die soziale Revolution!“ (Geschrieben am 3. Mai 1882 – Friedrich Engels, „Über die Konzentration des Kapitals in den Vereinigten Staaten“, MEW, Bd. 19, S. 307)

Engels argumentiert grundsätzlich (an der Migration selbst lasse sich nichts ändern) und dann strategisch (soziale Revolution), woraus sich für ihn auf der taktisch-politischen Ebene ergibt von jeglicher restriktiven Debatte seitens der Arbeiterbewegung abzusehen.

Doch heute wissen wir: dieses Ereignis – sozialen Revolution befeuert durch Migration – trat nicht ein, denn die moderne kapitalistische Gesellschaft, die Gesellschaft des sich Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts heraus bildenden Imperialismus sowie des staatsmonopolistischen Kapitalismus, verfügt über gewaltigere ökonomische, vor allem aber auch politisch-ideologische Regulierungsmethoden, wie dies Friedrich Engels in seiner Zeit hätte voraussehen können. Große Wirtschaftskrisen – und seien sie auch begleitet durch eine enorme Armut – führen allein noch lange nicht zum Ende dieses Systems.

Dies hervorzuheben, ist mir wichtig, denn mit Zitaten, die aus dem Zusammenhang eines vollständigen Gedankengangs und seiner Prämissen und Voraussetzungen gerissen werden, wird bekanntlich auch viel Unsinn begründet.

Welche unmittelbare Wirkung Masseneinwanderung für die Arbeiterklasse eines Landes haben kann, schildert Friedrich Engels indes mit sehr deutlichen und drastischen Worten im Abschnitt „Die irische Einwanderung“ seines Buchs „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“, das 1845 heraus kam. Diesen Abschnitt hier zu zitieren, wäre zu umfangreich, aber ich rate allen da mal rein zu lesen, vor allem jenen, die häufig auch eine Scheu davor haben kulturelle Gegensätze und Spannungen, die im Zusammenhang mit Migration auftreten, offen anzusprechen. Zumindest Friedrich Engels hatte da geringere Probleme, wenn er diesem Abschnitt beispielsweise mit den Worten schloss:

„Denn wenn fast in jeder großen Stadt ein Fünftel oder ein Viertel der Arbeiter Irländer oder in irischem Schmutz aufgewachsene Kinder von Irländern sind, so wird man sich nicht darüber wundern, daß das Leben der ganzen Arbeiterklasse, ihre Sitten, ihre intellektuelle und moralische Stellung, ihr ganzer Charakter einen bedeutenden Teil von diesem irischen Wesen angenommen hat, so wird man begreifen können, wie die schon durch die moderne Industrie und ihre nächsten Folgen hervorgerufene indignierende Lage der englischen Arbeiter auf eine hohe Stufe der Entwürdigung gesteigert werden konnte (1892) … indignierende Lage der englischen Arbeiter noch entwürdigender gemacht werden konnte.“

Aber lest selber:
»http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_…

Die Wirkung solcher Migrationsbewegungen analysierte auch Karl Marx. Ebenfalls am Beispiel der nach England einwandernden irischen Arbeiter:

„Zweitens hat die englische Bourgeoisie das irische Elend nicht nur ausgenutzt, um durch die erzwungene Einwanderung der armen Iren die Lage der Arbeiterklasse in England zu verschlechtern, sondern sie hat überdies das Proletariat in zwei feindliche Lager gespalten. Das revolutionäre Feuer des keltischen Arbeiters vereinigt sich nicht mit der soliden, aber langsamen Natur des angelsächsischen Arbeiters. Im Gegenteil, es herrscht in allen großen Industriezentren Englands ein tiefer Antagonismus zwischen dem irischen und englischen Proletarier. Der gewöhnliche englische Arbeiter haßt den irischen als einen Konkurrenten, der die Löhne und den standard of life (Lebensstandard) herabdrückt. Er empfindet ihm gegenüber nationale und religiöse Antipathien. Er betrachtet ihn fast mit denselben Augen, wie die Poor whites (armen Weißen) der Südstaaten Nordamerikas die schwarzen Sklaven betrachteten. Dieser Antagonismus zwischen den Proletariern in England selbst wird von der Bourgeoisie künstlich geschürt und wachgehalten. Sie weiß, daß diese Spaltung das wahre Geheimnis der Erhaltung ihrer Macht ist.“ (Karl Marx, „Resolutionsentwurf des Generalrats über das Verhalten der britischen Regierung in der irischen Amnestiefrage“, Januar 1870, MEW, Bd. 16, S. 388)

Marx betont hier also einen anderen Zusammenhang. Die Kampfbedingungen der englischen Arbeiter verschlechtern sich. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf kulturelle Gegensätze. Diese sind vorhanden, also nichts künstliches, sie werden freilich durch die Bourgeoisie noch weiter vertieft.

Wie tief die kulturellen Spannungen in der Arbeiterklasse sein können, tritt Massenmigration auf, hatte ich zuvor schon am Beispiel des Textes aus dem Buch von Friedrich Engels zur Entwicklung der Arbeiterklasse in England verdeutlicht.
Diese – durchaus nicht widerspruchsfreien Kernpunkte – finden sich mehr oder weniger in allen Aussagen von Marx und Engels zur Migration wieder:

  1. Migration, als ein ein objektiver unaufhaltsamer Prozess des Kapitalismus. Unabhängig von dem Willen des einzelnen werden Millionen in diesen Prozess einbezogen.
  2. Die Folge ist eine verschärfte Ausbeutung und Unterdrückung vor allem der Arbeitsmigranten, aber auch eine Verschlechterung der Lage der einheimischen Lohnarbeiter.
  3. Migranten und einheimische Arbeiter finden von allein nicht zusammen. Kulturelle und nationale Unterschiede behindern diesen Prozess.
  4. Die Bourgeoisie optimiert diese Spaltung durch nationalen Chauvinismus, der die Spaltungsprozesse in der Gesellschaft, vor allem auch die Spaltung unter den Proleten weiter vertieft und somit den demokratischen wie den revolutionären Prozess behindert.

Migration im Imperialismus
Lenin stand vor der Aufgabe diesen Prozess für die imperialistische Phase des Kapitalismus noch genauer zu analysieren, denn bereits zu seinen Zeiten hat sich die Migration nun zu einem weltweiten Phänomen fortentwickelt. Die imperialistischen Staaten ziehen alle Länder der Welt n das Getriebe des Finanzkapitals. Die kolonialisierten, abhängigen oder unterdrückten Länder, in der die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung lebt, werden in vollkommen neuer Qualität ausgepresst und ausgebeutet. Die Folge sind riesige Migrationsbewegungen, wie etwa die der mexikanischen Landarbeiter, der nordafrikanischen Vertragsarbeiter oder der Wanderarbeiter in Südafrika. Jüngere Bewegungen dieser Art bezogen sich zum Beispiel auch auf philippinische oder indische Bauern, die als Arbeiter in die arabischen Golfstaaten zogen. Und auch zum Ende des 20. Jahrhunderts waren Millionen von Menschen durch Armut, Hunger und Not dazu gezwungen sich in tausende von Kilometer entfernt liegende Länder transportieren zu lassen, um dort ihre Arbeitskraft anzubieten. In den Ländern, in die sie immigrierten, waren sie häufig die am stärksten Ausgebeuteten und Unterdrückten, häufig die ersten, die in der Krise die Knute der Arbeitslosigkeit und des Elends traf.

Wie sich solche Wanderungsbewegungen in der imperialistischen Phase der kapitalistischen Gesellschaftsordnung vollziehen, untersuchte Lenin in Reihe von Artikeln und Aufsätzen:

„Zu den mit dem geschilderten Erscheinungskomplex verknüpften Besonderheiten des Imperialismus gehört die abnehmende Abwanderung aus den imperialistischen Ländern und die zunehmende Einwanderung (Zustrom von Arbeitern und Übersiedlung) in diese Länder aus rückständigen Ländern mit niedrigen Arbeitslöhnen.“ (Lenin, „Der Imperialismus das höchste Stadium des Kapitalismus“, LW, Bd. 23, S. 287)

Für die Entwicklung in Deutschland führte Lenin seinerzeit aus:

„Deutschland, das mit Amerika mehr oder weniger Schritt hält, verwandelt sich aus einem Land, das Arbeiter abgegeben hat, in ein Land, das fremde Arbeiter heranzieht.“ (LW, Bd.19, S. 449)

In seinem Artikel „Kapitalismus und ArbeiterImmigration“ präzisiert Lenin die Gründe für diesen Entwicklungsprozess wie folgt:

„Der Kapitalismus hat eine besondere Art der Völkerwanderung entwickelt. Die sich industriell rasch entwickelnden Länder, die mehr Maschinen anwenden und die zurückgebliebenen Länder vom Weltmarkt verdrängen, erhöhen die Arbeitslöhne über den Durchschnitt und locken die Lohnarbeiter aus den zurückgebliebenen Ländern an.

Hunderttausende von Arbeitern werden auf diese Weise Hunderte und Tausende Werst weit verschlagen. Der fortgeschrittene Kapitalismus zieht sie gewaltsam in seinen Kreislauf hinein, reißt sie aus ihrem Krähwinkel heraus, macht sie zu Teilnehmern an einer weltgeschichtlichen Bewegung, stellt sie der mächtigen, vereinigten, internationalen Klasse der Industriellen von Angesicht zu Angesicht gegenüber …

Es besteht kein Zweifel, daß nur äußerstes Elend die Menschen veranlaßt, die Heimat zu verlassen, und daß die Kapitalisten die eingewanderten Arbeiter in gewissenlosester Weise ausbeuten. Doch nur Reaktionäre können vor der fortschrittlichen Bedeutung dieser modernen Völkerwanderung die Augen verschließen. Eine Erlösung vom Joch des Kapitals ohne weitere Entwicklung des Kapitalismus, ohne den auf dieser Basis geführten Klassenkampf gibt es nicht und kann es nicht geben. Und gerade in diesen Kampf zieht der Kapitalismus die werktätigen Massen der ganzen Welt hinein, indem er die Muffigkeit und Zurückgebliebenheit des lokalen Lebens durchbricht, die nationalen Schranken und Vorurteile zerstört und Arbeiter aller Länder in den großen Fabriken und Gruben Amerikas, Deutschlands, usw. miteinander vereinigt …

Die Bourgeoisie hetzt die Arbeiter der einen Nation gegen die der anderen auf und sucht sie zu trennen. Die klassenbewußten Arbeiter, die begreifen, daß die Zerstörung aller nationalen Schranken durch den Kapitalismus unumgänglich und fortschrittlich ist, bemühen sich, die Aufklärung und Organisierung ihrer Genossen aus den zurückgebliebenen Ländern zu unterstützen.“ (Lenin, „Kapitalismus und Arbeiterimmigration“, Oktober 1913, LW, Bd. 19, S. 447-450)

Wie dieser Artikel zeigt, analysiert Lenin umfassend die Migration als ein Merkmal in der Entwicklung des Imperialismus. Sie wird angestoßen durch die besondere Form der Ausbeutung der abhängigen Länder, aber auch durch Extra-Profite in den imperialistischen Hauptländern, die es gestatten dort höhere Löhne zu zahlen.

Wenn Lenin in diesem Artikel sagt, daß die auswandernden künftigen Arbeiter „aus ihren Krähenwinkeln“ gerissen werden und so zu Teilnehmenden einer weltgeschichtlichen Bewegung werden, so muss freilich auch dies in einem geschichtlichen Rahmen gesehen werden, denn seit Lenin hat hat sich der Imperialismus inzwischen auf dem ganzen Globus ausgedehnt, und mit der informellen Durchdringung in der Form elektronischer Medien sowie der Herausbildung einer Arbeiterklasse auch in den Ländern Asiens und Afrikas, haben sich natürlich auch diese „Krähenwinkel“ verändert.

Die von Lenin benannte „fortschrittliche Bedeutung dieser modernen Völkerwanderung“ und sein Verweis darauf, dass nur „Reaktionäre davor die Augen verschließen können“, muss ebenfalls in diesem Kontext betrachtet werden: Lenin führt aus, dass es eine „Erlösung vom Joch des Kapitalismus“ nicht „ohne weitere Entwicklung des Kapitalismus, ohne den auf dieser Basis geführten Klassenkampf“ geben könne. Zu Zeiten Lenins vollzog sich dies vor allem durch die Konzentration der Arbeiterheere in den wenigen hoch entwickelten Ländern Europas und Amerikas. Doch heute hat sich die moderne kapitalistische Produktionsweise mehr oder weniger auf den ganzen Globus ausgedehnt, so dass durchaus veränderte Bedingungen vorliegen.

Lenin nahm zu seiner Zeit an, dass durch Konzentration von immer mehr Migranten in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern selbst, die Möglichkeit zum Niederreißens der religiösen, nationalen und sonstigen Schranken im Rahmen eines revolutionären Prozesses leichter macht. Doch was dabei nicht vergessen werden darf, das ist der Umstand, dass dies kein gesetzmäßiger sich selbst vollziehender Prozess sein kann, sondern einer, der daran gebunden ist innerhalb dieser Länder die ideologische Vorherrschaft der imperialistischen Bourgeoisie durch politische Aufklärung starker sozialistischer Bewegungen aktiv zu durchbrechen.

Sind die Einwanderer freilich einmal im Land oder stehen sie als Reservearmee den Herrschenden unmittelbar zur Verfügung, so ergeben sich für diese aus Lenins Sicht dann die folgenden Anforderungen, die er im Zusammenhang mit einer Diskussion über die Revision des Parteiprogramms der SDAPR (B) (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands/Bolschewiki) (1917) diskutierte:

Lenin forderte in diesem Zusammenhang eine Ergänzung ein, die auf die zunehmende Verwendung der „Arbeit ungelernter aus rückständigen Ländern importierter Arbeiter“ hinweist. Die besonders brutale Ausbeutung der eingewanderten Arbeiter und ihre vollkommene Rechtlosigkeit in den Einwanderungsländern sei mit dem „Parasitismus dieser Länder“ verknüpft und der auch dadurch ermöglichten besseren Stellung eines Teils der „einheimischen Arbeiter“:

„Gerade für den Imperialismus ist eine solche Ausbeutung der Arbeit schlechter bezahlter Arbeiter aus rückständigen Ländern besonders charakteristisch. Gerade darauf basiert in einem gewissen Grade der Parasitismus der reichen imperialistischen Länder, die auch einen Teil ihrer eigenen Arbeiter durch eine höhere Bezahlung bestechen, während sie gleichzeitig die Arbeit der ‘billigen’ ausländischen Arbeiter maßlos und schamlos ausbeuten. Die Worte ‘schlechter bezahlten’ müßten hinzugefügt werden, ebenso wie die Worte ‘und oft rechtlosen’, denn die Ausbeuter der ‘zivilisierten’ Länder machen sich immer den Umstand zunutze, daß die importierten ausländischen Arbeiter rechtlos sind.“ (LW, Bd. 26, S. 155)

Lenin sieht also einen elementaren Zusammenhang zwischen der Herausbildung einer Arbeiteraristokratie, die den demokratischen, wie auch den revolutionären Prozess behindert und der Instrumentalisierung solcher Migrationsbewegungen durch das Kapital. Er fordert daher:

„Gleichstellung der ausländischen Arbeiter mit den einheimischen (besonders wichtig für imperialistische Länder, die fremde Arbeiter in steigender Zahl, wie z.B. die Schweiz schamlos ausbeuten und rechtlos machen)…“ (LW, Bd. 23, S. 81)

Diese Forderung von Lenin durchzieht dann auch die gesamte weitere Debatte in der sozialistischen und kommunistischen Bewegung.

Allerdings soll hier auch auf einige Feinheiten dieses Diskussionsprozesses hingewiesen werden: Schon Marx und Engels traten dafür ein, dass es eine besondere Aufgabe der Internationalen Arbeiterassoziationen sein müsse, den

„Intrigen der Kapitalisten entgegenzutreten, die stets bereit sind, in Fällen von Arbeitseinstellungen und Ausschlüssen die Arbeiter fremder Länder als Werkzeuge zur Vereitlung der Ansprüche der Arbeiter ihrer eigenen Länder zu mißbrauchen. Es ist [daher] einer der größten Zwecke der Assoziation, daß die Arbeiter verschiedener Länder sich nicht allein wie Brüder fühlen, sondern auch als vereinte Teile der Emanzipations-Armee zu handeln wissen.“(„Der Vorbote“, Nummer 10/1866)

Konkret bezog sich diese Forderung vor allem auf die Situation in England, wo die englischen Kapitalisten Arbeiter des Kontinents zum Streikbrechen herangezogen hatten.

Ein Jahr später wird im Aufruf des Generalrates zur Einberufung des Lausanner Kongresses 1867 auf die Internationalisierung der Ausbeutung und verschärfte Konkurrenz zwischen den Arbeiter der verschiedenen Länder verwiesen und als einzige mögliche Antwort der internationale der Zusammenschluss der Arbeiter propagiert:

„… allein das Kapital sieht vermöge neuer industrieller Erfindungen seine Kraft tatsächlich wachsen, wodurch eine große Anzahl nationaler Genossenschaften in eine ohnmächtige Lage geraten, die Kämpfe der englischen Arbeiterklasse studierend, gewahrt man wie die Fabrikherren, um ihren Arbeitern zu widerstehen, sowohl fremde Arbeiter kommen, als auch die Waren dort anfertigen lassen, wo die Arbeitslöhne billiger stehen. Gegenüber dieser Sachlage muß die Arbeiterklasse, wenn sie ihren Kampf mit einiger Aussicht auf Erfolg fortsetzen will, ihre nationale Associationen in internationale umgestalten“. („Der Vorbote“, Nr.8/1867)

In dem Bericht des Generalrats der I. Internationale an den Kongress von Lausanne 1867 wird entsprechend Bilanz gezogen:

„Die zahlreichen Dienste, welche die Internationale Arbeiterassoziation in den mannigfachen Kämpfen zwischen Kapital und Arbeit in den verschiedenen Ländern erwiesen hat, zeigen deutlich die Notwendigkeit einer derartigen Organisation. Wenn die Arbeiter die willkürlichen Bedingungen der Kapitalisten in England zurückwiesen drohten diese, sie durch ‘Hände’ vom Kontinent zu ersetzen. Die Möglichkeit einer solchen Importation hat in mehreren Fällen genügt, die Arbeiter zum Nachgeben zu veranlassen. Die Wirksamkeit des Generalrats verhinderte, daß solche Drohungen zutage traten wie ehedem. So oft derartiges vorkommt, genügt ein Wink, um die Pläne der Kapitalisten zum Scheitern zu bringen. Bricht ein Streik oder eine Aussperrung unter den Vereinen aus, die zur Internationalen Arbeiterassoziation gehören, dann werden sofort die Arbeiter aller Länder von der Sachlage unterrichtet und vor den Werbeagenten der Kapitalisten gewarnt. Diese Wirksamkeit des Generalrats beschränkt sich übrigens nicht bloß auf die Vereine der Internationalen Arbeiterassoziation die Unterstützung der Assoziation wird allen zuteil die sie anrufen. Vor allem half die Internationale den englischen Arbeitern dadurch, daß sie die gewerkschaftliche Organisation allenthalben außerhalb Englands aufs lebhafteste förderte.“
(„Die Neue Zeit“, 1906-1907, Bd 2 S. 51 /52)

Was heißt das? Die dargestellten Überlegungen der Klassiker verweisen deutlich darauf, dass der Prozess der Migration durch Marx und Engels zwar als ein objektiver Prozess betrachtet wird, der sich aus den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus selbst ergibt, dass aber andererseits die vom Kapital im Rahmen von Arbeitskämpfen instrumentalisierte Migration, um Arbeitslöhne in den kapitalistischen Kernländern zu drücken, vor allem damit beantwortet werden sollte, den Kampf um eine Verbesserung der sozialen Lage in diesen Herkunftsländern selbst zu führen und sich dafür im Rahmen internationale Assoziation abzusprechen und zu stützen, so dass also zumindest in diesem Zusammenhang Migration nicht mehr instrumentalisiert werden kann.

In der Sache, in seinem Inhalt ist der Arbeiterkampf ein internationaler Kampf. Entsprechend auch der Orientierung des Kommunistischen Manifests „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“. In seiner konkreten Form bezieht er sich freilich zuallererst auf den jeweiligen nationalen Rahmen, der wiederum durch internationale Solidarität besser abgesichert wird.

Von vielen wird in diesem Zusammenhang leider immer wieder auch wieder auch vergessen, dass mit zu zitieren, was vor und nach jenem berühmten Satz des Manifest steht „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“:

„Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden. (…)
das Proletariat [müsse} zunächst .. die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren ..,[Es ist ] selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie. (…)
Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände. In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor. Die Kommunisten arbeiten endlich überall an der Verbindung und Verständigung der demokratischen Parteien aller Länder.
(…) Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
(»Kommunistisches Manifest)

Mit der „Vereinigung der Proletarier aller Länder“ ist also nicht erster Linie gemeint, dass sich die Arbeiter in einem Land vereinigen, etwa durch Migration, sondern gemeint ist vorrangig die internationale Klassensolidarität aller Länder – gegen ihr nationales Kapital und ebenso gegen das international agierende imperiale Kapital der kapitalistischen Hauptländer!

Zum Verständnis des Marxismus ist es ebenfalls erforderlich, die Begriffe Kapital, Arbeiterklasse, Arbeiter, Proletariat richtig zu verstehen. Diese Begriffe beschreiben das Verhältnis der Arbeiterklasse und des Kapitals zu den Produktionsmitteln. Es handelt sich um Begriffe der politischen Ökonomie und es geht dabei darum, wer die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel besitzt. „Arbeiter“ ist also keineswegs ein Substitutionsbegriff für „Mensch“ oder „Bürger“ im Allgemeinen, sondern beschreibt ein ökonomisches Verhältnis. Der Satz „Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben“ beschreibt ergo das die einzelnen Nationen übergreifende Verhältnis von Kapital und Arbeit zu den Produktionsmitteln, welches objektiv die gemeinsame Situation und Interessen der ökonomischen Klassen definiert.

Ähnliche Überlegungen finden wir auch in den Debatten des Stuttgarter Kongresses der 2. Internationale 1907. In der Zeitschrift „Die Neue Zeit“ werden in Vorbereitung des Stuttgarter Kongresses der II. Internationale und des vierzehn Tage nach diesem stattfindenden Essener Parteitages der SPD viele Artikel zu dieser Frage abgedruckt. In diesen Debatten zeigt sich nun noch eine präzisere Forderung:

„‘Dem beständigen Geschrei der britischen Kapitalisten, daß die längere Arbeitszeit und die geringeren Löhne der kontinentalen Arbeiter eine Lohnherabsetzung unvermeidlich machten, kann man nur durch das Streben erfolgreich begegnen, die Arbeitszeit und Lohnhöhe durch ganz Europa auf das gleiche Niveau zu bringen. Das ist eine der Aufgaben der Internationalen Arbeiterassoziation’.

Also nicht Einwanderungserschwerungen für freie Arbeiter , nichts von alledem forderte der Generalrat, also auch Marx, zum Schutze der englischen hohen Löhne und kurzen Arbeitszeiten, sondern das Erringen derselben Löhne und derselben Arbeitszeiten durch Gewerkschaften und Arbeiterschutz in allen kapitalistischen Ländern.

Das ist in der Tat die einzige Methode, die Errungenschaften günstiger gestellter Teile des internationalen Proletariats sicherzustellen. …Wo es unter dem Einfluß kurzsichtiger Zünftlerei der letzteren Methode verfällt, macht sie früher oder später bankrott und wird sie von vorneherein eines der verderblichsten Mittel zur Lähmung des proletarischen Emanzipationskampfes“. („Die Neue Zeit“, 1906/907, Bd 2 , S. 51l- 512)

.
Worin besteht dieser neue Gedanke?

Erstmalig tritt hier jetzt ganz klar die Forderung auf, sich keineswegs für Einwanderungserschwerungen stark zu machen! Stattdessen soll alles dafür getan werden Arbeitszeit und Lohnhöhe für alle Länder, Nationen und Völker auf das gleiche Niveau zu bringen.

Doch der Kongress wendet sich explizit auch gegen die „Ausschließung bestimmter Nationen und Rassen von der Einwanderung“, auf die seinerzeit vor allem auch die Delegation der Sozialistischen Partei Amerikas drängte. Der Kongress forderte stattdessen, die

„Abschaffung aller Beschränkungen welche bestimmte Nationalitäten oder Rassen vom Aufenthalt in einem Lande und den sozialen politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen oder sie ihnen erschweren“.

Lenin schätzt die Debatte auf dem Kongreß in dem Artikel „Der internationale Sozialistenkongreß so ein:

„Über die Resolution zur Aus- und Einwanderungsfrage wollen wir nur einige Worte sagen. Auch hier wurde in der Kommission versucht, zünftlerisch beschränkte Anschauungen zu verfechten, ein Verbot der Einwanderung von Arbeitern aus den rückständigen Ländern (Kulis aus China usw.) durchzubringen. Das ist derselbe Geist des Aristokratismus unter den Proletariern einiger „zivilisierter“ Länder, die aus ihrer privilegierten Lage gewisse Vorteile ziehen und daher geneigt sind, die Forderungen internationaler Klassensolidarität zu vergessen. Auf dem Kongreß selbst fanden sich keine Verfechter dieser zünftlerischen und spießbürgerlichen Beschränktheit. Die Resolution entspricht durchaus den Forderungen der revolutionären Sozialdemokratie.“ (Lenin, „Der internationale Sozialistenkongreß in Stuttgart“, LW, Bd. 13, S. 77)

An dieser Stelle wird Lenin also sehr prinzipiell! Es sei eine Frage der Klassensolidarität sich solchen arbeiteraristokratischen Forderungen zu verweigern. Um diese sehr prinzipielle Haltung Lenins richtig einzuordnen, muss man freilich auch wissen, dass die Debatte zu den Einwanderungsfragen auf dem Kongress selbst eher ein Randthema war. Voranging ging es um Fragen der Kolonalisierung, in der einige reformistische Vertreter sehr chauvinistische Positionen einbrachten. Dass es prinzipiell mit sozialistischen Positionen nicht vereinbar ist Kriege gegen andere Länder zu führen bzw. diese zu unterdrücken, war das Hauptergebnis dieses Kongresses, bei dem sich freilich auch schon die Spaltung zwischen der späteren Sozialdemokratie und der kommunistischen Bewegung abzeichnete. Die zusätzliche Debatte zur Einwanderungsfrage ergab sich vor allem in diesem Kontext.

Entsprechend auch die Bewertung dieser Debatte durch Clara Zetkin:

„Die fünf Gegenstände, auf die sich der Stuttgarter Kongreß in seinen Verhandlungen beschränkt hat, waren: die Kolonialpolitik, der Militarismus, das Verhältnis von Partei und Gewerkschaften, die Ein- und Auswanderung und das Frauenwahlrecht. In allen diesen Fragen kam ein Gegensatz der prinzipiellen und der opportunistischen Auffassung zum Ausdruck, und der Meinungskampf in den einzelnen Kommissionen sowie im Plenum des Kongresses war ein treues Spiegelbild des Widerstreits der verschiedenen Tendenzen, der das Innere der modernen Arbeiterbewegung in allen Ländern aufwühlt, zur Selbstkritik und zur Vertiefung der sozialistischen Auffassung führt. … Ein nahe verwandtes Problem hatte die Frage der Ein- und Auswanderung aufgerollt. Auch hier entstand der unbedingten Klassensolidarität der Proletarier aller Länder und Rassen eine Gegnerin in der kurzsichtigen Politik, die Lohninteressen organisierter Arbeiter in den Einwanderungsländern, wie Amerika und Australien, durch Einwanderungsverbote gegen rückständige, angeblich ‘nicht organisationsfähige’ Proletarier aus China und Japan schützen wollte. Es sprach aus dieser letzteren Tendenz derselbe Geist der Ausschließung und des Egoismus, der die alten englischen Trade Unions als eine Arbeiteraristokratie in Gegensatz zu der großen Masse der vom Kapitalismus am brutalsten ausgebeuteten und herabgedrückten Klassengenossen gebracht hatte. Der Kongreß hat hier, im Sinne und Geiste der deutschen Gewerkschaften und ihrer Praxis entsprechend, die Solidarität der Klasse als eines großen Weltbundes des Proletariats aller Rassen und Nationen hochgehalten, wie er in der Kolonialfrage den großen Weltbund der gleichen und verbrüderten Menschheit aller Kulturstufen und Weltteile zum Triumph geführt hat“. (Clara Zetkin, „Der Internationale Sozialistenkongreß zu Stuttgart“, Artikel in der Zeitschrift „Die Gleichheit“, Bd. 1, S. 360-362)

Ähnlich auch Karl Liebknecht, der in seiner Rede auf dem folgenden SPD Parteitag die Bedeutung der Resolution des Stuttgarter Kongresses zur Ein- und Auswanderung konkret für die Bedingungen Deutschlands unterstrich. Er wendet sich gegen jegliche die Migranten diskriminierenden Ausnahmegesetze:

„lch habe mich zum Worte gemeldet, um einige Ausführungen über die Frage der Ein- und Auswanderung zu machen, die in der Diskussion etwas kurz weggekommen ist. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die eminente Wichtigkeit dieser Frage lenken. Ich habe viel Gelegenheit, die Misere der Einwanderer in Deutschland und insbesondere ihre Abhängigkeit von der Polizei zu beobachten, und ich weiß, mit welchen Schwierigkeiten diese Leute zu kämpfen haben. Ihre Vogelfreiheit sollte gerade uns deutsche Sozialdemokraten besonders veranlassen, uns mit der Regelung des Fremdenrechtes, besonders der Beseitigung der Ausweisungsschmach schleunigst und energisch zu beschäftigen. Es ist ja bekannt, daß die gewerkschaftlich organisierten Ausländer mit Vorliebe ausgewiesen werden. . .

… Die Kongreßresolution fordert also die völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung! Das ist die erste Voraussetzung dafür, daß die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein. Die Beschäftigung mit der Wanderungsfrage ist ein Ruhmesblatt für den Internationalen Kongreß.“ (Liebknecht, Bd. 2, S. 72-73)

Die wesentlichen Argumente in der internationalen Diskussion der sozialistischen Weltbewegung zu diesen Fragen lassen sich knapp also so zusammenfassen:

  • Sozialisten sollten auf die Instrumentalisierung von Migranten durch das Kapital keineswegs so reagieren, dass sie ihrerseits Einwanderungsbeschränkungen fordern, da dies dem Prinzipien internationaler Solidarität widerspricht, indes dieses dazu beiträgt den gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse innerhalb eines Landes und international zu erschweren.
  • Sie sollten sich solchem Denken auch deshalb verweigern, weil es ein Eigentor in Richtung chauvinistischer Bestrebungen ist.
  • Kampf gegen jegliche Diskriminierung der bereits eingewanderten Arbeiter und demokratischer Kampf um rechtliche Gleichstellung.
  • Aufklärung und Organisierung auch des immigrierten Teils der Arbeiterschaft.
  • Den Schwerpunkt sehen die Klassiker freilich aber auch nicht darin, diese durch das Kapital bewirkten Migrationsbewegungen auch noch anzuheizen, sondern eindeutig darin durch Internationale Assoziationen den jeweils nationalen Kampf in den einzelnen Ländern für eine Verbesserung der dortigen Lage zu führen.

Lenin geht in einem Kommentar zu diesem Kongress so ein:

„In unserem Kampf für wahren Internationalismus und gegen ‘Jingo Sozialismus’ (als ‘Jingo-Pseudosozialisten’ bezeichnet Lenin die ‘Sozialisten’, die 1915 im 1.Weltkrieg für den „Verteidigungskrieg“ eintraten, siehe LW, Bd. 21, S. 433) verweisen wir in unserer Presse stets auf die opportunistischen Führer der SP in Amerika, die dafür eintreten, daß die Einwanderung chinesischer und japanischer Arbeiter beschränkt wird (besonders nach dem Stuttgarter Kongreß von 1907 und entgegen seinen Beschlüssen). Wir denken, daß niemand Internationalist sein und zugleich für derartige Beschränkungen eintreten kann. Und wir behaupten, daß Sozialisten in Amerika, besonders englische Sozialisten, die der herrschenden, also einer unterdrückenden Nation angehören, wenn sie sich nicht gegen jedwede Einwanderungsbeschränkung und gegen die Besitzergreifung von Kolonien (Hawaiinseln) wenden, wenn sie nicht für die volle Unabhängigkeit der letzteren eintreten, daß solche Sozialisten in Wirklichkeit ‘Jingos’ sind.“ (Lenin, „An den Sekretär der ‘Liga’ für sozialistische Propaganda“, LW, Bd. 21, S. 435)

Lenin argumentiert hier als auch deshalb sehr grundsätzlich, weil ein Abweichen und das Eingehen auf restriktive Verfahren politisch und ideologisch dazu beiträgt den Geist des Opportunismus und Arbeiteraristokratie in den jeweiligen Ländern selbst zu stärken, was wiederum die Entfaltung demokratischer und revolutionärer Bestrebungen bremst.

Fassen wir diese Dinge noch einmal zusammen:

  1. Migration, Aus- und Einwanderung sind unter imperialistischen Bedingungen ein Prozess zu dem die Migranten durch die imperialistische Herrschaft und die verschärfte Ausbeutung der abhängigen Länder gezwungen sind. Er vollzieht sich unabhängig vom Willen des Einzelnen.
  2. Die Bourgeoisie in den kapitalistischen Kernländern nutzt die Migration um die Löhne, die sozialen Standards, das allgemeine Niveau des Lebens weiter zu senken, also um auch die bisherigen Arbeitskräfte im eigenen Land noch besser auszubeuten.
  3. Sie befördert damit und mit entsprechenden Ideologien gleichzeitig die Spaltung der Arbeiterklasse auch in den kapitalistischen Kernländern und mindert so auch dort ihre Kampfkraft.
  4. Sozialisten können auf diesen Prozess nicht in der Weise reagieren, in dem sie sich ihrerseits zu Fürsprechern möglicher Einwanderungsbeschränkungen machen. Warum nicht: weil sie sich damit selbst der Ideologie der Herrschenden ausliefern.
  5. Internationale Solidarität mit den Migranten muss vor allem darin bestehen für eine Verbesserung der Arbeits- und Kampfbedingungen in den jeweiligen Herkunftsländern einzutreten und diesen Kampf, der dort in der Form ein nationaler Kampf ist, solidarisch durch internationale Aktion zu unterstützen. Das ist die eine Seite der Internationalen Solidarität. Die andere besteht darin in den kapitalistischen Kernländern selbst Kolonalisierung politisch zu bekämpfen.
  6. Um im eigenen Land wirksam zu kämpfen, um demokratische Reformen, ökonomische Kämpfe erfolgreich zu bestehen, um Prozesse der sozialen Revolution einzuleiten, muss alles dafür getan werden, dass auch die eingewanderten Arbeiter gleiche Rechte haben. Für den eigenen Kampf müssen sie als gleichberechtigter Teil in den Formierungsprozess gewerkschaftlicher und politischer Bewegungen einbezogen werden.
  7. Die Kapitalisten versuchten, die immigrierten Arbeiter zum Drücken der Löhne und zur Spaltung der Arbeiterklasse zu benutzen. Aber für Sozialisten ist das nicht als „Schwäche“ des „kulturell minderwertigen immigrierenden Arbeiters“ hinzustellen, sondern als objektive Funktion, die die Bourgeoisie ihnen zudenkt. Dies kann nur durchkreuzt werden, wenn auch das inländische Proletariat den Kampf um gleiche Rechte für die ausländischen Arbeiter mit aufnimmt und sich mit ihnen verbindet.

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Soweit einige Klassiker.
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Abschließend einige Fragen, die sich für die heutige Situation ergeben, und die mich auch vor dem Hintergrund des ausgeführten beschäftigen:

Marx, Engels, Lenin und viele andere Theoretiker diskutieren die Frage der Migration unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsmigration, ausgelöst durch Armut und Elend in den Herkunftsländern, die wiederum ihre Ursache in imperialer Unterdrückung hat. Was bei Ihnen noch keine so große Rolle spielt, was aber heutzutage für Migration eine erhebliche Bedeutung hat, das ist die Migration die durch Kriege ausgelöst wird und die auch Millionen zur Flucht veranlasst. In diesem Fall auch Menschen, die zu einem Teil auch aus Ländern kommen, die erst durch diese Kriege in einen so erbarmungswürdigen Zustand des Elends gestoßen wurden (beispielsweise Syrien). Damit ergibt sich aber eine ganz andere soziale Zusammensetzung der Flüchtlinge. Aus Syrien kommen z.B. viele Menschen mit sehr entwickelter Ausbildung. Wie ist dann aber der Zusammenhang zur Frage der industriellen Reservearmee in den Kernländern zu beantworten? Für die Klassiker bildeten die Migranten eine natürliche Quelle für die industrielle Reservearmee. Heute kann es indes auch passieren, dass gar nicht so sehr die Migranten dann der Quell der Reserve sind, sondern ein Teil der bisher Beschäftigten in den kapitalistischen Kernländern diese Rolle dann einnimmt. Lassen sich die von den Klassikern benannten Instrumente zur Organisierung des Proletariats dann ebenfalls noch so umsetzen?

Marx und Engels, wie auch an die anderen Theoretiker des Sozialismus diskutieren die Frage der Migration unter dem Gesichtspunkt des Kolonialismus in der Weise, dass die Migration eine Folge verschärfter Ausbeutung dieser Länder ist. Angesichts der heutigen Vorkommnisse muss man aber auch die Frage diskutieren, inwieweit nicht auch die Migration selbst, also konkret die Steuerung dieser Migration durch kriegerische und ökonomische Instrumente, ein zentrales Instrument für die Re-Kolonialisierung solcher Länder ist? Also ob und inwieweit nicht gerade auch durch Migration bisher national unabhängige Länder für eine Übernahme im Rahmen des Kapitalexports (Verschuldung) mit sturmreif geschossen werden?

Die Theoretiker diskutieren politische Strategien vor allem unter dem Gesichtspunkt dafür zu kämpfen, dass sich auch in den Herkunftsländern bessere Lohnbedingungen und bessere Kampfbedingungen für die dortige Arbeiterklasse ergeben. Wenn Migration im Einzelfall aber mit dazu beiträgt die dortigen Lebensbedingungen weiter zu verschlechtern, was ergibt sich daraus dann für unsere eigenen Strategien?

Das eine ist die klassische Armutsmigration. Man denke etwa an viele Länder Afrikas oder Asiens. Und auch die Einwanderer aus Spanien oder Griechenland, die in den letzten Monaten nach Deutschland zogen, fliehen nicht weil es hier so schön ist aus ihren Herkunftsländern, sondern weil sie in ihren eigenen Ländern keine soziale Perspektive mehr haben. Aber es gibt einiges in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, was durchaus neu ist: Aus Spanien und aus Griechenland kommen vor allem Menschen mit einer sehr guten Ausbildung, also gar nicht so sehr die Ärmsten der Armen, die hier überhaupt keinen Anschluss finden würden. Diese intellektuellen Potentiale werden den dortigen Ländern durch die Migration aber dauerhaft entzogen, was den ökonomischen Schaden in den betroffenen Ländern eher noch potenziert und sie noch stärker in die Abhängigkeit zu den imperialistischen Zentralen führt.

Schließlich: Die Marx’sche Kapitalismuskritik basiert auch auf dem folgenden Satz:

„Der Arbeitslohn ist also nicht ein Anteil des Arbeiters an der von ihm produzierten Ware. Der Arbeitslohn ist der Teil schon vorhandener Ware, womit der Kapitalist eine bestimmte Summe produktiver Arbeitskraft an sich kauft.“ (Karl Marx, »Lohnarbeit und Kapital, Lohn, Preis und Profit, Dietz Verlag, Berlin, 1998, S. 20)

Somit hat Marx das Wesen des Kapitalismus erfasst, das den Arbeiter zum Feilbieten seiner Arbeitskraft zwingt und ihn zum Lohnsklaven degradiert. Der Imperialismus und die darauf basierende neue Qualität von Migration haben diesen Vorgang globalisiert. Marx und Engels schreiben dazu im Manifest:

„Die Bourgeoisie reisst durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schiesst, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die so genannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden.“

Und dann weiter:

„Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Revolution und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse.“
(»Kommunistisches Manifest)

So wird die Arbeiterschaft weltumspannend von einer Besitztumsklasse ausgebeutet.
Ist es insofern dann aber nicht besser für eine Renationalisierung der Entscheidungsgewalt staatlicher Institutionen auf die nationale oder regionale Ebene zu plädieren, um somit das wieder durchzusetzen, was häufiger als „Primat der Politik“ bezeichnet wird respektive die Interventionsmöglichkeiten der politischen Arbeiterbewegung selbst zu erhöhen? Die Klassiker geben uns prinzipielle Hinweise unter dem Druck der jetzigen Ereignisse wichtige Erkenntnisse unseres Kampfes um soziale Befreiung nicht aufzugeben.

Das betrifft vor allem die Frage sich nicht auf ein typisch sozialdemokratisches Zunftdenken, schon gar nicht auf Nationalismus bzw. Chauvinismus einzulassen. Das ist sehr wichtig!
Aber sie geben uns noch keine fertige politische Strategie, wie wir als Sozialisten mit den heutigen Problemen umgehen können. Die müssen wir uns immer wieder selbst erarbeiten.

Quellenangaben:

  • Zahlreiche der benannten Zitate sind Online hier zu finden: »http://www.mlwerke.de/
  • Andere Textstellen habe ich einer guten Sammlung zu dem Problem der Migration entnommen, die von der Gruppe „Trotz Alledem“ veröffentlicht wurde. Dort wird zudem auch dargestellt, wie die Frage der Migration konkret auch in der kommunistischen Bewegung der 20er und 30er Jahre in Deutschland diskutiert wurde: »http://trotzalledem.cwahi.net/zeitungen/15/ml.html

© Andreas Grünwald



Diethard Möller
(aus Arbeit-Zukunft, 15. Oktober 2018)

Berlin, 240.000! #unteilbar war #unübersehbar

Diethard Möller

40-50.000 waren für die Demonstration #unteilbar in Berlin angemeldet. Es kamen jedoch nach Angaben der Veranstalter rund 240.000. Das war allerdings auch spürbar. Am Alexanderplatz dauerte es über 2 Stunden bis sich alle Teilnehmer/innen in Bewegung gesetzt hatten. Man brauchte viel Geduld, die allerdings durch die Freude über diese enorme Beteiligung mehr als aufgewogen wurde.

Kollegen/-innen von Ryanair berichten über ihren Kampf. Im Hintergrund ein Schild: „Die Stimme der Frauen ist die der Revolution!“

Aus allen Bereichen, Strömungen und unteren Klassen gab es Teilnehmer/innen. Parolen wurden gerufen, aber auch Seifenblasen und Luftballons gehörten dazu. Familien mit Kinderwagen, Rentner/innen, Gewerkschafter/innen zusammen mit verschiedenen politischen Organisationen, Parteien, Initiativen zogen durch Berlin. Und obwohl der lange Marsch zum Brandenburger Tor und bis zur Siegessäule anstrengend war, wurden es ständig mehr. Als die ersten an der Siegessäule ankamen, gingen die letzten gerade am Alexanderplatz los. Diese machtvolle Demo war #unübersehbar und zeigte #wirsindmehr.

Die Demo war bunt und vor allem von Jugendlichen geprägt

Bei der Kundgebung gab es zunächst Beiträge von Frauen aus aller Welt: Illegale Arbeiterinnen sprachen gegen den Kapitalismus und Ausbeutung und riefen zu einem Streik aller Illegalen für ihre Rechte auf. Flüchtlingsfrauen berichteten über sexuelle Gewalt und die besondere Unterdrückung von Frauen, die in einer solchen Notlage stecken. Kolleg/innen von Ryanair berichteten über die gnadenlose Ausbeutung und ihren Kampf dagegen. Die Antwort der Teilnehmer/innen war unüberhörbar und laut: Solidarität!

Es ist kaum möglich, alle Beiträge zu schildern, zumal es am Abend noch ein reiches Kulturprogramm u.a. mit Konstantin Wecker, den Ärzten und vielen anderen gab.

Die Kreativität und Vielfalt der Protestarten war vorbildlich

Zusammen gegen Mietwahnsin! Und auch vorbildlich in B.: Pfandflaschen werden nicht in den Abfallbehälter geworfen.


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Eren Gültekin
(aus NeuesLeben/YeniHayat vom 26. Oktober 2018)

#Unteilbar: Wie geht es nun weiter?

Eren Gültekin

Am 13. Oktober war es soweit: das Bündnis „#Unteilbar“, das sich drei Monate lang, mit ihren mehr als 4.500 Unterstützern, darunter Organisationen aus allen Ecken der Republik, sowie mit vielen Einzelpersonen von Musikern, Schauspielern bis Journalisten, vorbereitete, veranstaltete die angekündigte Großdemonstration in Berlin. Diese Aktion war ein haushoher Erfolg für viele Menschen. Die Veranstalter gingen im Vorfeld von einer Beteiligung von knapp 40.000 Menschen aus. Es kamen aber knapp 250 000.
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Proteste in Deutschland

Das bemerkenswerte an diesem Tag war nicht nur die Zahl an Menschen, die vom Alexanderplatz bis zur Siegessäule liefen, sondern auch, dass all die Initiativen und Bewegungen, die z.T. seit längerer Zeit bestehen, aber auch welche, die erst vor kurzem entstanden sind, dabei waren. Von Miet-Initiativen bis Seebrücke. Initiativen und Bündnisse, die in ihren Feldern ebenso eine erfolgreiche Arbeit führten und wenn man die Demonstrationen vor dem 13. Oktober betrachtet, erkennt man, dass diese Zahl von mehr als 240.000 nicht einfach aus der Luft entstand. Seit dem Sommer und auch vorher gab es in unzähligen Städten der BRD Demonstrationen, die durch Initiativen und Bündnisse geführt wurden.

Und es gab noch viele mehr: die Demonstration für den Erhalt des Hambacher Forsts mit 50.000 Menschen, 40.000 in München gegen das Polizeiaufgabengesetz, immer wieder Tausende in Berlin gegen die Wohnungsnot oder auch die vielen Proteste, die gegen Ende des NSU-Prozesses stattfanden. Der Streik der Metallerinnen und Metaller mit rund einer Millionen Menschen. Nicht zu vergessen auch die vielen Proteste für mehr Pflegepersonal in den Krankenhäusern. Diese zeigen uns, dass eine große Hoffnung besteht für eine Veränderung in unserer Gesellschaft und dass es in allen Bereichen noch Luft nach oben gibt. Für viele Menschen, die ihre Hoffnung schon längst verloren hatten, die seit vielen Jahren frustriert über ihre Lage sind. Es sind vor allem ihre Sorgen und Nöte gewesen, wofür Hunderttausende auf die Straßen gingen im Jahr 2018: steigende Mieten, prekäre Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Bildung, die von der sozialen Schicht abhängig ist, Mangel an Personal von den Kitas bis zu den Krankenhäusern, sowie Diskriminierung und Ausgrenzung in allen Bereichen.
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Der Schrei nach Veränderung ist groß, aber wie?

Es ist jedenfalls keine leichte Aufgabe jedoch auch keine Unmögliche wie wir es am 13. Oktober erleben konnten. Reicht es aber nur gegen den Rechtsruck und die AfD zu protestieren und klare Kante zu zeigen? Dass die AfD bei den letzten Bundestagswahlen und den vielen Landtagswahlen viele Stimmen bekam, ist ja genauso nicht aus der Spontanität entstanden. Das Bündnis #Unteilbar hat auf seiner Homepage, unter der Rubrik „wie weiter?“, folgendes erläutert: „Dies war erst der Auftakt. Wie und in welcher Form wir weitermachen wollen, steht aber noch nicht fest“. Ohne die soziale Frage zu stellen können auch die anderen Dinge nicht erklärt werden. Dass die Agenda 2010 ein direkter Angriff auf die werktätigen Menschen in Deutschland ist und ihre Situation verschlechtert hat. Dass Deutschland u.a. dadurch den größten Niedriglohnsektor in Europa hat. Dies sind alle mit Gründe für das Erstarken der AfD und anderer rechten Organisationen, wofür die etablierten Parteien den Nährboden geschaffen haben.
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Zum Anfang dieses Spezials >>>

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3 Kommentare
Okt.29
on 29. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Rui Filipe Gutschmidt

Rui Filipe Gutschmidt

Brasilien hat gewählt: Jaír Bolsonaro, der südamerikanische Trump?!

Rui Filipe Gutschmidt

Jaír Bolsonaro hat die Wahlen in Brasilien gewonnen und bereitet sich vor, um die Präsidentschaft in Brasilia anzutreten. Der in aller Welt als rechtsradikal eingestufte Ex-Hauptmann der brasilianischen Armee gilt als Gefahr für die Demokratie. Er selbst gab sich bei der Siegesrede gemäßigt.

Es war ein Wahlkampf der Extreme. Auf der einen Seite haben wir die Anhänger der PT – Arbeiterpartei – die eineinhalb Jahrzehnte an der Macht waren und dessen ursprünglicher Präsidentschaftskandidat, Lula da Silva, noch während der Präkampagne zu 12½ Jahren Haft verurteilt und in Haft gekommen ist. Auf der anderen Seite Jair Bolsonaro von der rechtsextremen PSL mit seinem populistischem Diskurs, der den Nerv des Wählers genau traf.

Brasiliens neuer Präsident Jaír Bolsonaro bei einem Interview vor der Wahl. Foto: YouTube Screenshot

Nach offiziellen Angaben wurde Jair Messias Bolsonaro mit 57.765.131 Stimmen (55,15%) zum Präsidenten der Föderativen Republik Brasilien gewählt, während Fernando Haddad von der linkspopulistischen Arbeiterpartei (PT), in diesem zweiten Wahlgang nur 46.969.763 Stimmen (44,85%) bekam. Die beinahe endgültigen Ergebnisse wurden vom Obersten Wahlgericht gegen 21.00 Uhr Ortszeit (01:00 Uhr MEZ), zwei Stunden nach Schließung der letzten Wahlurnen, veröffentlicht.
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Jaír Bolsonaro folgt Michel Temer als 38er Präsident Brasiliens

Pensionierter Hauptmann der Armee und Verfechter der Militärdiktatur – das Regime, dass Brasilien zwischen 1964 und 1985 regiert hat – wurde Jair Messias Bolsonaro am 21. März 1955 geboren (63 Jahre alt) und begann seine politische Karriere als eher belächelte Figur, die mit extremen und aggressiven Positionen zur Verteidigung der Autorität des Staates und der Werte der christlichen Familie von sich reden machte.

Genannt „Mythos“ und „Held“ von seinen Anhängern und „Gefahr für die Demokratie“ von Kritikern und Gegnern, ist Jair Bolsonaro in der brasilianischen Politik seit 28 Jahren und wurde sieben Mal hintereinander ins Abgeordnetenhaus gewählt, aber ohne jemals einen wichtigen Posten im Parlament vertreten zu haben.

Bolsonaro erlangte Bekanntheit in den letzten Jahren und wurde zu einem Führer, der in der Lage war Tausende von enttäuschten Wählern zu mobilisieren, die von der schwersten Wirtschaftskrise in der Geschichte Brasiliens, die zwischen den Jahren 2015 und 2016 ausbrach betroffen sind, während die traditionellen politischen Führer an Korruptionsskandalen beteiligt sind.

Dennoch hat der neue Präsident vor allem von der Niederlage und der Anti-PT Stimmung profitiert. Sein Vorbild, so gab er selbst verstehen, ist Donald Trump. Auch Israelfahnen waren bei den Feierlichkeiten zu sehen und seine aggressiven Aussagen, die vom erschießen der Banditen, das Säubern des Landes von der Roten Plage und (Linke) und von einem von Gott gewollten Sieg sprechen, lassen Menschen nachdenklich werden.

Es wird eine Politik der Gewalt erwartet. Schwerbewaffnete Soldaten, die in dicht besiedelten den Favelas Krieg gegen die Drogenmafia führen, Repression gegen Journalisten, politische Gegner und Kritiker, religiöser Einfluss in die Gesetzgebung die ein Ende der Toleranz gegen über Homosexuelle, Frauenrechte oder Religionsfreiheit beschneiden wird. Rassismus, Rechte der Ureinwohner und Sozialpolitik sind ebenfalls gefährdet.

Anhänger Bolsonaros bejubeln ihren neuenen „capitão“. Foto: YouTube Screenshot

Die Anhänger des Berufssoldaten, der die Luftwaffe (Fallschirmjäger) gegen die Politik eintauschte, sehen in ihm einen „Mann aus dem Volk“. Das er seit 28 Jahren im Abgeordnetenhaus sitzt und das „Spiel“ der Politik bestens kennt und auch spielt, einen Sohn als Senator (São Paulo) und einen als Abgeordneten in Rio de Janeiro hat. „Einer von Ihnen“? Einer, der weiß wie man Stimmen kauft wohl eher. So übersehen die begeisterten Moralisten wohl auch den Finanzminister Paulo Guedes, der in unsauberen Machenschaften verwickelt ist. Korruption in Höhe von über einer Milliarde Reais, ist seine Erfahrung…. Also es geht doch nichts über jemanden, der sich mit Korruption auskennt (Sarkasmus Ende).

Schon lange fordern gewisse Teile der Gesellschaft eine Militärintervention. Das Militär wurde jetzt demokratisch in die Regierung gewählt. Schon lange dort, sind die Evangelisten. Es sind sektenartige Freikirchen, die 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wie bei religiösen Fanatikern zu erwarten, sind Andersdenkende unerwünscht und werden gerne als „Agenten des Teufels“ gesehen. Die Siegesrede begann mit einem Gebet und dem Satz: „Brasilien über alle, Gott über allem!“

Als „Göttliche Mission“ bezeichnet Bolsonaro sein Mandat indem er plant, den Unternehmern freie Hand zu lassen, vom Amazonas bis in den Süden. Umweltschutz oder der Schutz von Minderheiten haben keine Priorität und die USA, besonders die Administration unter Donald Trump, gelten als Vorbild für den Nationalisten und Ultrakonservativen Bolsonaro. Aber noch handelt es sich um Spekulationen. Wie weit die bestehenden Strukturen Brasiliens Bolsonaro „bändigen“ können oder wie weit Bolsonaro die korrupten Struckturen wirklich beseitigen kann – oder will – ist noch ungewiss. Trump kann nur teilweise ausgebremst werden und die Gewalt in den USA nimmt mit seinem hasserfüllten Twitterauftritten noch zu!

Der südamerikanische Trump aber hat eine andere Grundlage. Brasilien ist ein Land mit extrem niedriger Hemmschwelle für Gewalt und das nicht nur bei den Verbrechern. Die Siegesrede war in einem gemäßigtem Ton, für den man ihn loben muss. Doch beim Vorlesen der Rede sah man schon, dass diese nicht aus seiner Feder stammte. Wie Trump, so bevorzugt auch Bolsonaro die sozialen Netzwerke. Facebook wird in der nächsten Zeit zeigen, ob der Hass weiter geschürt wird (ist zu erwarten) und dann wird sich zeigen wie weit rechts die Politik des Militaristen in der Praxis sein wird.
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Weitere Artikel von Rui Filipe Gutschmidt
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Okt.29
on 29. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Allgemein

Edgar Schülter

Indonesien: Pakt zur Reduzierung des Plastikmülls geschlossen

Mikroplastik in menschlichen Stuhlproben gefunden

Edgar Schülter

Am 29. Oktober 2019 unterzeichnen in Indonesien 250 NGOs (nicht Regierungsorganisationen) einen Pakt zur Reduzierung des Plastikmülls auf unseren Planeten.

Die indonesische Regierung selbst, hat sich schon im Vorfeld verpflichtet, bis zum Jahr 2025 – also in den nächsten sieben Jahren – den inländischen Plastikmüll um 70 Prozent zu reduzieren. Laut den indonesischen Behörden landet ein Großteil des Plastikabfalls derzeit in den Flüssen und Meeren des Landes.

Solche Initiativen müssen Schule machen, wenn unsere Kinder eine Zukunft haben sollen, denn seit langem weiß man schon, dass Mikroplastik in Fischen enthalten ist. Man findet Mikroplastik auch auf abgelegenen Inseln, in der Arktis und sogar in den Larven von Stechmücken. Erstmals wurde Mikroplastik aber auch in menschlichem Stuhlgang gefunden.

Es gelang Forschern aus Österreich. Nach eigenen Angaben ist es das erste mal, dass ein solcher Nachweis geführt wurde.

Dabei handelte es sich um Probanden im Alter zwischen 33 und 65 Jahren, die auf verschiedenen Kontinenten leben und sich nicht kennen. Alle Teilnehmer nahmen Nahrung auf von in Plastik verpackten Lebensmitteln oder Getränken aus PET-Flaschen. Die Mehrzahl ernährte sich aber auch von Fisch und Meeresfrüchten.

Plastikabfälle auf dem Meer, Foto: YouTube screenshot

„In unserem Labor konnten wir neun verschiedene Kunststoffarten in der Größe von 50 bis 500 Mikrometer nachweisen“. Erklärte Bettina Liebmann, eine Expertin für Mikroplastik. Was Sie jedoch am meisten überraschte war die Vielfalt der Kunststoffe die in den Proben gefunden wurde. Am häufigsten fanden sich Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET) in den Proben.

Bisher ist die Wirkung von Mikroplastik auf den menschlichen Körper noch unerforscht. Aus diesem Grund wollen die Forscher eine größere umfangreiche Studie anstrengen.

Mikroplastik findet man hauptsächlich in den Ozeanen durch die starke Plastikvermüllung die der Mensch täglich verursacht. Über Fische erreicht Mikroplastik durch die Nahrungskette letztendlich den Menschen wieder. Jedoch gelangt Mikroplastik auch so in unsere Umwelt, sei es durch Autoreifenabrieb oder Zerkleinerung von Bauschutt.

Alleine in Deutschland werden 330.000 Tonnen von Mikroplastik an die Umwelt abgegeben. Selbst Kläranlagen sind nicht in der Lage Mikroplastik vollständig zurückzuhalten.

Die EU hat Mittlerweile eine Forderung aufgestellt, dass die Großindustrie weitgehend auf Plastik verzichten soll. Das bedeutet zum Beispiel die Umstellung von Plastiktüten auf Papiertüten, Zahnbürsten aus Holz zu machen oder verstärkt Pappbecher statt Kunststoffbecher zu benutzen.

Auch die Gesellschaft sollte durch ihr Einkaufsverhalten versuchen weitgehend auf Plastik zu verzichten. Nur so stellt sich die Industrie auch um.
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Okt.29
on 29. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Allgemein

Sinem Yeşil

Mietwahnsinn in Hessen

Sinem Yeşil

Die Mieten in der Bankenmetropole Frankfurt steigen bereits seit mehreren Jahren maßlos an, sodass es Normalverdienenden nahezu unmöglich ist, eine Wohnung zu beziehen. Immer mehr Menschen werden obdach- oder wohnungslos. In Anbetracht dessen setzt die Stadt jedoch auf weniger Sozial- und Mittelschichtswohnungen und bietet Wohnungssuchenden somit keinen alternativen günstigen Wohnraum. Es werden zwar weiterhin Wohnungen gebaut, jedoch richten sich diese primär an die wohlhabende bis reiche Bevölkerung.

Auf der einen Seite der Stadt werden nämlich ganze Wohnviertel aufgewertet und ersetzt. Man könnte auch sagen: die Stadt wird von Grund auf versucht zu gentrifizieren. Es entstehen wie aus heiterem Himmel neue Stadtteile samt Luxuswohnungen. Dabei werden jedoch nicht die Menschen berücksichtigt, geschweige denn erhört, die durch dieses Konzept der Aufwertung aus ihrem Wohnraum gedrängt werden.
Von dieser Wohnungsnot sind vor allem sozioökonomisch schwache Familien, aber auch junge Menschen, wie beispielsweise Studierende und Auszubildende, betroffen. Studentenwohnheime des Studentenwerks sind überfüllt und platzen wortwörtlich aus allen Nähten, deshalb beträgt die Wartezeit auf eine dieser Wohnungen viel zu lang. Selbst Wohngemeinschaften sind kaum noch bezahlbar. Auszubildende und Studierende haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen, wodurch beide Berufsgruppen einer enormen Belastung während der jeweiligen Ausbildung ausgesetzt sind. Die Einen entscheiden sich für den selbstbestimmten Weg und emanzipieren sich von den Eltern, indem sie arbeiten gehen, um sich eine Wohnung leisten zu können. Meistens können sie sich trotz eines Nebenjobs keine Wohnung in Frankfurt leisten und begeben sich auf die Suche nach Wohnraum in Nachbarstädten, wobei dieser auch überteuert ist. Im „besten Falle“ finden sie dort eine Wohnung, die vergleichsweise zu Frankfurter Mieten halbwegs in ihre Preiskategorie passt.

Die Anderen wagen den Schritt zum selbstbestimmten Leben erst gar nicht, da der Gedanke, eine Ausbildung oder ein Vollzeitstudium mit einem zusätzlichen Job zu bewältigen, für die meisten nur schwer vorstellbar ist.
In Anbetracht auf die generelle Wohnungsnot zählen unter anderem Frauen zu den größten Leidtragenden. Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt und/oder alleinerziehend sind, begeben sich durch enorm hohe Mietpreise oft hoffnungslos auf die Suche nach preisgünstigen Wohnungen. Aber auch Frauen, die schlicht und ergreifend ein emanzipiertes Leben, unabhängig von familiären Einflüssen führen wollen, kriegen häufig die Quittung dafür und müssen sämtliche Hürden auf ihrem Weg zur Unabhängigkeit überwinden. Außerdem hat der weibliche Teil der Bevölkerung durch eine enorme Lohnungleichheit mit Unterbezahlung zu kämpfen, wodurch den Meisten niedrigere finanzielle Mittel im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen zur Verfügung stehen. Jede Frau sollte das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben und die Grundlage für ein solches Existenzminimum ist schließlich der eigene Wohnraum, welcher leider nahezu unzugänglich für viele Frauen ist.

Mietwucher in Offenbach. Die Eigentümer investieren kaum,
verlangen aber immer höhere Mieten. Foto: YouTube Screenshot

Demo gegen den Mietwahnsinn

Am Samstag, den 20. Oktober 2018, fand in Frankfurt eine hessenweite Demonstration unter dem Motto „Mietwahnsinn Hessen- Gemeinsam gegen Spaltung und Verdrängung- bezahlbarer Wohnraum für alle“ statt. An der Aktion nahmen über 5.000 Menschen teil. Die Teilnehmenden forderten den Stopp von Rassismus und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, welcher die Wohnungssuche für Menschen mit einem Migrationshintergrund oder Geflüchtete zusätzlich erschwert. Zudem äußerten sie sich gegen die Verdrängung der Bevölkerung aus ihrem Wohnraum und forderten stattdessen mehr sozialen Wohnungsbau. An dem Protest nahm auch die DIDF- Jugend- Hessen teil. In Frankfurt herrschte eine lange Zeit über Stille bezüglich der steigenden Mieten. Jedoch wird momentan deutlich, dass dies bloß die Ruhe vor dem Sturm war. Angefangen hat es mit dem Bündnis Mietentscheid, das anhand einer Unterschriftenkampagne versucht ein Bürgerbegehren zu erlangen, um die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG- Holding dazu zu verpflichten, ausschließlich Sozial- und Mittelschichtswohnungen zu bauen. Daraufhin folgte die Großdemonstration in Frankfurt. Die Bevölkerung zeigt sich laut und energisch und setzt ein Zeichen gegen die menschenunwürdige Wohnungspolitik. Es ist unmöglich, dass Spekulantinnen und Spekulanten den Wohnungsmarkt für ihre Kapitalinteressen ausnutzen und durch ihn Gewinne in Millionenhöhe erlangen. In Hessen sind auch zukünftig weitere Aktionen hinsichtlich der prekären Wohnungslage zu erwarten.

5000 Mieter/innen demonstrierten am 20. Oktober 2018 in Frankfurt.
Foto: #Mietwahnsinn-Hessen

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Erstveröffentlichung in „NeuesLeben/YeniHayat“ vor ein paar Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
Bild und Bildunterschrift hinzugefügt von der Redaktion AmericanRebel
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└ Schlagwörter: American rebel, Großdemonstration in Frankfurt, Mietwahnsinn, Mietwucher, Migrationshintergrund, Mittelschichtswohnungen, Sinem Yeşil
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Okt.26
on 26. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Diethard Möller

Diethard Möller

Der brutale Mord an Kashoggi und die bluttriefende Diplomatie

Diethard Möller

Das Königreich Saudi-Arabien hat schon viele Morde begangen. Menschen werden mit dem Schwert hingerichtet, weil sie etwas gegen die saudische Herrscherfamilie gesagt oder Freiheit gefordert haben. Aber auch geringfügigere Vergehen können in Saudi-Arabien zur gesetzlichen Ermordung führen.

Bisher hat das weder die deutsche- noch die amerikanische- noch andere Regierungen davon abgehalten, diesem Land für zig Milliarden Rüstungsgüter zu liefern. Obwohl die GroKo in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatte, keine Waffen an Länder zu liefern, die am Krieg im Jemen teilnehmen, genehmigte die CDU/CSU/SPD-Regierung rasch eine Waffenlieferung an Saudi-Arabien. Die Begründung: Es habe einen Vorvertrag gegeben. Eine billige Ausrede! Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant für das blutige Regime in Saudi-Arabien. Das bringt üppige Profite.

Regierungskritiker Jamal Kashoggi,
3.10.1958 – 02.10.2018,
Foto: YouTube Screenshot

Der barbarische Mord an Kashoggi macht es für Waffendealer und ihre Freunde in der Regierung schwierig. Der US-Präsident, der mit den Rüstungsgeschäften nur die blutige Tradition des US-Imperialismus fortsetzt, eiert herum. Erst wollte er die Untersuchungsergebnisse abwarten. Dann redete er von einem Unfall und mittlerweile fordert er „Aufklärung“. Er vermeidet dabei alles, um die Geschäfte zu gefährden. Im Mai 2017 hatte Trump zusammen mit der US-Rüstungsindustrie mit saudischen Königreich einen Vertrag geschlossen, wonach Saudi-Arabien in 10 Jahren für 350 Milliarden Dollar Waffen in den USA kauft. Da ist der Mord an Kashoggi unangenehm. Man wusste ja, dass man es mit einem Mordregime zu tun hat, das man aber als „Ordnungsmacht“ im Interesse der USA im Nahen und Mittleren Osten benötigt. Da verdreht man sich diplomatisch, um einerseits der öffentlichen Empörung über dieses Verbrechen Rechnung zu tragen, andererseits aber auch die Rüstungsgeschäfte nicht zu gefährden. Also wird eine klare Haltung vorgetäuscht, um gleichzeitig alles zu tun, damit Gras über das Verbrechen wächst. Also fordert man nach vielen Richtungswechseln die „volle Aufklärung“. Dabei hegt man die Hoffnung, dass die öffentliche Aufmerksamkeit stark gesunken sein wird, wenn in ein paar Monaten ein Bericht vorgelegt wird, der noch dazu vieles vertuschen wird. Wenn Saudi-Arabien noch ein paar kleine „personelle Konsequenzen“ zieht und „Schuldige“ in die Wüste zu schicken, um so die wahren Schuldigen zu decken, dann kann man weiter blutige Geschäfte machen.

hier geht es weiter »

Genauso geht es der Bundesregierung. Saudi-Arabien ist 2018, nach Algerien, immer noch der zweitgrößte Kunde der deutschen Rüstungsindustrie: Bis zum 30. September erteilte die Regierung Exportgenehmigungen im Wert von 416 Millionen Euro. Das wird dann propagandistisch als Mäßigung angepriesen. Denn im Jahr 2017 wurden sogar für 6,6 Milliarden Euro Waffen geliefert. Großkonzerne wie Siemens machen dicke Geschäfte mit dem Land. Siemenschef Kaeser sagte erst unter massivstem öffentlichen Druck seine Teilnahme an der Investorenkonferenz FII in Saudi-Arabien ab. Ihn stört der Mord scheinbar nicht weiter. Darüber hinaus sind auch andere Großkonzerne auf vielen weiteren Geschäftsfeldern in dem Land aktiv. Die stört auch der Krieg im Jemen mit seinen zigtausend Toten und Millionen Flüchtlingen nicht. Der Mord an Kashoggi hat nun so viel Aufmerksamkeit erregt, dass es schwierig wird, einfach so weiterzumachen. Daher beschließt die Bundesregierung zur Beruhigung der Öffentlichkeit, alle weiteren Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu verbieten. Das Wörtchen „weitere“ ist dabei ein kleiner diplomatischer Trick. Denn damit wird der Öffentlichkeit vorgetäuscht, man handele kraftvoll. In Wirklichkeit heißt das aber: Alle bisher genehmigten Rüstungsexporte können weiter geliefert werden. Merkels Wirtschaftsminister Altmaier sprach lediglich davon, man werde das „prüfen lassen“ – genau so eine diplomatische Standardfloskel zum Zeit Gewinnen.

Dabei hofft man natürlich wie Trump auch, dass Gras über die Sache gewachsen ist, wenn diese Lieferungen abgeschlossen sind und neue Bestellungen anstehen. Dann könnte man die blutigen Geschäfte mit der grausamen Diktatur ungeniert fortführen. Eine Ausrede wird sich schon finden: „Wenn wir es nicht machen, machen es andere“, „Die Stabilität in der Region“, „Wenn wir liefern, können wir mäßigend Einfluss nehmen“ usw. usf.

Grotesk ist dabei, wie ein anderer blutiger Diktator, Erdogan aus der Türkei, auf einmal als Verteidiger der Menschenrechte profitiert. Er, der seine Armee in Syrien einmarschieren und dabei zahllose Menschen töten ließ, der in den kurdischen Gebieten in der Türkei, Irak und Syriens Krieg führt, hat nun einen Heiligenschein.

Doch nicht für uns! Diktator bleibt Diktator! Und wenn man mit blutigen Fingern auf andere zeigt, um diese als Mörder zu beschuldigen, dann sind die eigenen Hände noch lange nicht rein gewaschen.

Es zeigt sich deutlich, worum es hier geht: Nicht Aufklärung eines Mordes, sondern Machtpolitik und Profit. Es zeigt sich, wie verkommen das kapitalistische System ist. Mit Rüstung, Krieg und Blut wird ein Bombengeschäft gemacht. Diktatoren sind Freunde, wenn sie die Interessen der imperialistischen Großmächte befolgen. Als Diktatoren werden sie nur beschimpft, wenn sie auf eigene Faust Politik gegen ihre Herren machen.

Weltweit ist das kapitalistische System für Kriege, Hunger, Elend, den Tod von Millionen, eine steigende Zahl von Flüchtlingen (über 68,5 Millionen in 2017) verantwortlich. Mit seiner Profitlogik vergrößert es das Elend Jahr für Jahr. Beispielsweise gab es 2007 erst 37,5 Millionen Flüchtlinge. In zehn Jahren hat man also fast eine Verdoppelung erreicht. Dieses unmenschliche System muss weg!


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Weitere Artikel von Diethard Möller

Erstveröffentlichung heute oder vor wenigen Tagen in Arbeit Zukunft. Veröffentlichung  mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
Bilder und Bildunterschriften wurden komplett oder zum Teil von der Redaktion AmericanRebel hinzu gefügt.
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Okt.25
on 25. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Ernst Thälmann

Fiete Jensen

Die Lehren des Hamburger Aufstandes

Autor Fiete Jensen

Fiete Jensen

In diesen Tagen jährt sich zum 95. Mal der Jahrestag des Hamburger Aufstandes. Am 23. Oktober 1923 brach in den Morgenstunden in einigen Hamburger Vororten der revolutionäre Sturm gegen die Bourgeoisie los. Ab 5 Uhr stürmten Kommunisten und revolutionäre Arbeiter 26 Polizeiwachen. Die Kampftrupps waren fast alle unbewaffnet. 17 Besatzungen werden überrumpelt und entwaffnet. Die Polizeibeamten waren überrascht und ergaben sich, zu meist, kampflos. Die Arbeiter bewaffneten sich, sperrten die Polizisten in die Arrestzellen und besetzten die Wachen und die umliegenden Straßen. Die Bevölkerung errichtet Barrikaden – so fand der Hamburger Aufstand seinen Anfang.

„Jubiläen sind für die Kommunisten und den klassenbewussten Teil des Proletariats nicht leere Gedenktage, sondern Richtlinien für den Klassenkampf, Leitfäden für die Aktion.“ sagte Ernst Thälmann, der spätere Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, 1925.

Ernst Thälmann, der wenige Tage später nach dem Hamburger Aufstand, am 30. Oktober 1925, zum Vorsitzenden der KPD gewählt wurde, war selbst Teilnehmer und Organisator des Aufstandes. Zum Ablauf und der Bedeutung des Aufstandes verfasste er mehrere Aufsätze, hielt Reden und leitete Gedenkveranstaltungen im Jahr 1925. Aus dieser Zeit und aus dem Jahr 1927 stammen die nachfolgenden aufschlussreichen Texte von Thälmann.

Den Aufsatz »Die Lehren des Hamburger Aufstandes« verfasste Thälmann 1925. Er erschien auf der Titelseite der »Die Rote Fahne«, dem Zentralorgan der KPD.

Der zweite Aufsatz von Ernst Thälmann stammt von der Titelseite der Hamburger Volkszeitung, Ausgabe vom Sonnabend 22. Oktober 1927. Die Hamburger Volkszeitung war das Organ der KPD für den Bezirk Wasserkante. Interessant macht diesen Aufsatz schon allein die Tatsache, dass er nicht in dem 1955 im Dietz Verlag erschienenen »Reden und Aufsätze – Zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Band 1« (Juni 1919 bis November 1928), zu finden ist.
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Thälmann: Die Lehren des Hamburger Aufstandes

Titelseite der »Die Rote Fahne«, Zentralorgan der KPD, Ausgabe Berlin – Ausgabe Nr. 245 vom 23. Oktober 1925

Heute vor zwei Jahren, am 23. Oktober 1923, stieg Hamburg auf die Barrikaden. Getrieben vom Elend der Inflationszeit, gedrängt von der unerhörten Not der werktätigen Massen, getragen vom Geiste des Bolschewismus griff der beste, revolutionärste Teil der Hamburger Arbeiterschaft zum Gewehr und nahm den Kampf gegen die kapitalistischen Unterdrücker auf.

In der Frühe, Punkt 5 Uhr wurden bald in allen Hamburger Außenbezirken die Polizeiwachen von revolutionären Kampftrupps überfallen und die Polizeibeamten sämtlich entwaffnet. Alle Vorräte an Waffen und Munition aus den sechsundzwanzig überrumpelten Polizeiwachen nahmen die revolutionären Kampftrupps mit sich. Als das Polizeipräsidium seine Überfallkommandos und die von außerhalb bereits herangeholten Verstärkungen entsandte, waren die Kampfbezirke in bewaffnete Festungen verwandelt. Hunderte von Arbeitern und Arbeiterfrauen bauten in den Straßen Barrikaden. Unsterblich bleibt der Ruhm des roten Barmbeck. Die Polizeitruppen marschierten in ganzen Kompanien und Bataillonen an, aber sie mußten immer wieder unverrichteter Sache umkehren, da ihre Verluste bei jedem Sturmangriff größer wurden. Die Barmbecker Arbeiter hatten Bäume gefällt, das Straßenpflaster aufgerissen, aus Baumstämmen, Steinen und Sand die Straßenzugänge verbarrikadiert. Hinter dieser Schutzwehr kämpften sie wie Tiger.

Die ersten Kampftrupps waren beim Handstreich auf die Polizeiwachen unbewaffnet. Sie holten sich die Gewehre und die Munition erst von der Polizei. 300 Mann standen im Schnell- und Trommelfeuer von 6000 Söldnern der Polizei, der Reichswehr und der Marine. Sie standen drei Tage und drei Nächte. Sie griffen an, sie fielen, sie wichen zurück, aber sie ergaben sich nicht. Sie retteten die Ehre der Kommunistischen Partei Deutschlands. Sie waren die Preisfechter der deutschen Arbeiterklasse.
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Was waren die Ursachen des Hamburger Kampfes?

War es nur die Agitation der Kommunisten, waren es die Beschlüsse illegaler Geheimorgane, wie die bürgerlichen Gerichte behaupten? Nein! Die Ursachen liegen tiefer. Der Aufstand entsprang weder dem blinden Zufall noch dem freien Willen von ein paar Verschwörern. Der Hamburger Aufstand entsprang der revolutionären Situation vom Herbst 1923.

Der Herbst 1923 brachte die tiefste, ganz Deutschland umfassende, alle Schichten und Klassen der Bevölkerung ergreifende Krise der Bourgeoisie. Der Ententeimperialismus hatte seine Zerstörungsarbeit vollendet. Der zehn Monate lange Ruhrkrieg war für die deutsche Bourgeoisie verloren. Die Markwährung, die beim Regierungsantritt des Reichskanzlers Cuno auf 8000 stand, stieg auf 4,5 und 6 Billionen. Die Arbeiter konnten für ihre Löhne nichts mehr kaufen. Sogar „die treuesten Diener des Staates“, die Beamten, begannen zu rebellieren. Die Mittelschichten waren ruiniert. Das Gespenst des Hungers schritt durch Deutschland. Machtlos standen die Regierungen der Bourgeoisie dem Zerfall gegenüber. (…)

Bereits im Frühjahr 1923 begannen riesenhafte Streikbewegungen im Ruhrgebiet und in Oberschlesien. Neue Wellen des Klassenkampfes rollten in ganz Deutschland heran. Die Arbeiter kämpften noch nicht um die Macht, sondern nur um die dringendsten Tagesforderungen, um die Beseitigung der brennendsten Not. Der Kampf vollzog sich noch vorwiegend in „friedlichen“ Formen. Während die rechten Sozialdemokraten, die Sollmann und Severing, bereits im Bunde mit den Reichswehrgeneralen und den Polizeipräsidenten zur blutigen Niederschlagung des Proletariats rüsteten, setzten die „linken“ Sozialdemokraten alles daran, die Arbeiterschaft wehrlos zu machen, sie am Machtkampf zu hindern, sie mit Phrasen abzuspeisen, sie auf die „friedlichen“, parlamentarischen Kampfformen der Vorkriegszeit zurückzudrängen. Aber die Logik von fünf Revolutionsjahren war stärker als die Schurkerei der rechten und die Feigheit der linken sozialdemokratischen Führer.

Diesem Augenblick näherten wir uns im Oktober 1923 mit unheimlicher Schnelligkeit. Eine unmittelbar revolutionäre Situation war vorhanden. Alle Bedingungen für den Sieg der Arbeiterklasse waren da, außer einer einzigen: dem Bestehen einer klaren, eisern zusammengeschlossenen, unauflöslich mit den breitesten Massen verbundenen kommunistischen Partei, die entschlossen und fähig war, den spontanen Kampf der Arbeitermassen zu organisieren, ihn zu leiten.

Die unsere Partei versagte in der entscheidenden Stunde. Der Eintritt führender Kommunisten gemeinsam mit den linken Sozialdemokraten in die sächsische Regierung war nur dann richtig, wenn dieser Schritt einem einzigen Ziel diente: der Organisierung der Revolution, der Bewegung der Massen, der Aufnahme des Kampfes in ganz Deutschland. Gerade dieses Ziel verlor die damalige Leitung unserer Partei aus den Augen. Unsere Führer benutzten ihre Stellung in der sächsischen Regierung nicht zur Entfesselung, sondern zur Vermeidung des Kampfes. Koalitionspolitik war es nicht, daß sie in die sächsische Regierung eintraten, sondern daß sie sich in dieser Regierung übertölpeln und führen ließen, anstatt die Arbeitermassen in den Kampf gegen die Reichsregierung zu führen. Sie vergaßen, daß die Bewegung „in eine höhere Kampfform“ übergehen mußte. Sie beschränkten sie auf den „engen Rahmen“, ja sie versuchten sogar, den engen Rahmen der wirtschaftlichen und politischen Teilkämpfe noch „enger“ zu spannen. Sie gaben den Auftrag, bestehende Streikbewegungen abzubrechen, da „der entscheidende Kampf bevorstehe“. Unsere Partei als Ganzes war noch viel zu unreif, um diese Fehler der Führung zu verhindern. So scheiterte im Herbst 1923 die Revolution am Fehlen einer ihrer wichtigsten Voraussetzungen: dem Bestehen einer bolschewistischen Partei.

HAMBURG bestätigte in größtem Maßstabe die Leninsche Lehre, „daß die Bewegung mit elementarer, unwiderstehlicher Gewalt diesen engen Rahmen durchbricht und eine höhere Kampfform, den Aufstand, gebiert“. Der Hamburger Aufstand bildete, wie es in den Thesen der Januar-Exekutive von 1924 heißt, den „Gegenpol zu Sachsen“.

Diejenigen, die in der Geschichte unserer ganzen Partei bis Frankfurt nur Unfähigkeit, Verrat und Opportunismus erblicken, vergessen die gewaltige Lehre des Hamburger Kampfes. Sie vergessen, daß die tiefen Mitgliedermassen unserer Partei keineswegs in passiver Ohnmacht dahindämmerten, sondern daß sie zur Einsetzung ihres Lebens für die Erkämpfung der Macht entschlossen waren. Und die Hamburger Arbeiter können mit größerem Recht als alle anderen sagen: Es waren nicht nur die Hamburger, sondern auch die Berliner, die sächsischen und alle anderen kommunistischen Arbeiter in Deutschland, die zum Kampfe bereit waren.

Die Wasserkante hatte die gleiche Entwicklung durchgemacht wie das ganze übrige Deutschland. Eine Welle von Streiks und Lohnkämpfen jagte durch das ganze Küstengebiet. Am 20. Oktober fanden in Hamburg mächtige Arbeitslosendemonstrationen statt. In verschiedenen Stadtteilen kam es zur Plünderung von Lebensmittelgeschäften und zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Die Bannmeile wurde seit Jahren zum erstenmal mit Gewalt durchbrochen….

Hamburg wurde geschlagen. Die Barrikadenkämpfer wurden niedergeworfen. Zwar wurden nur wenige getötet, der beste Teil wurde gefangen, verfolgt und zersprengt. Noch heute sitzen sie in den Zuchthäusern und Festungen. Sie gaben durch ihre heldenmütige Verteidigung in den Hamburger Hochverratsprozessen ein Musterbeispiel dafür, wie Kommunisten vor den bürgerlichen Klassengerichten auftreten sollen.

Die proletarische Revolution hat mehr als eine blutige Niederlage ertragen. Sie ist niemals daran verblutet. Sie ist stärker, stolzer, entschlossener weitergeschritten. Die Pariser Kommune wurde niedergetreten. Die russische Revolution von 1905 endete an den Galgen des Zaren, in den Kerkern, in Sibirien. Und sie erwachte trotzdem aufs neue! Auch Hamburg ist nicht tot, sondern Hamburg ist unbesieglich. Neue Aufstände des Proletariats, neue Siege der Konterrevolution sind dem deutschen Oktober gefolgt. In Polen, in Estland, in Bulgarien standen die Arbeiter auf und wurden geschlagen. Und dennoch werden sie siegen!

Die Aufstände des Proletariats sind Etappen auf dem Siegeszuge der Revolution nicht nur durch ihre unmittelbaren positiven Resultate, sondern vor allem infolge der großen Lehren, die sie der ganzen Arbeiterklasse einhämmern.

Die größte und wertvollste Lehre des Hamburger Aufstandes ist die großartige Erfüllung der Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution. Die Kommunisten waren nicht in Worten, sondern in der Tat der Vortrupp, die Führung, der Wegweiser der Arbeiterklasse. Sie gaben der Bewegung ein klar umrissenes Ziel, ein genau formuliertes Programm: die Diktatur des Proletariats. In dieser Beziehung steht der Hamburger Kampf auf einer weit höheren Stufe als alle früheren Bewegungen. Die Märzaktion von 1921 z.B. hält keinen Vergleich mit dem Hamburger Aufstand aus. Nur weil die Partei die Führung des Kampfes fest in den Händen hatte, wurde von den Hamburger Revolutionären zum ersten Male in Westeuropa die Marx-Engelssche Lehre begriffen und verwirklicht, daß „der Aufstand eine Kunst und daß die größte Hauptregel dieser Kunst die mit verwegener Kühnheit und größter Entschlossenheit geführte Offensive ist.

Entnommen aus: http://www.mlwerke.de/th/1925/th1_069.htm, www.geschichtsbuch.hamburg.de. Lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung
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Vorwärts im Geiste des Oktober 1923!

Titelseite der »Hamburger Volkszeitung« – Ausgabe vom Sonnabend 22. Oktober 1927

Seht nach Sowjetrussland!

Am 23. Oktober 1923 stand der revolutionäre Vortrupp der Hamburger Arbeiterschaft auf den Barrikaden. In heldenmütigem Kampf, getragen vom Geiste des Bolschewismus, durchdrungen vom Willen zum siegreichen Kampf gegen die kapitalistischen Unterdrücker, hielt er einer ungeheuren militärischen Übermacht stand. Polizeitruppen und Militär marschierten in den Straßen Hamburgs auf. Ihr Ansturm aber zerschellte an den von den revolutionären Arbeitern heldenmütig verteidigten Barrikaden. Es war nicht die militärische Übermacht, es war nicht der sozialdemokratische Verrat, der die Hamburger Oktoberkämpfe auf die Knie zwang, aus eigenem Entschluss, aus der Erkenntnis, dass der revolutionäre Kampf gegen die Unterdrücker nur um Reichsmaßstabe hätte erfolgreich zu Ende geführt werden können, wurde der Kampf, ohne große Opfer auf seinem Höhepunkte a b g e b r o c h e n.

„Besiegt“, aber nicht geschlagen, räumten die Oktoberkämpfer die Barrikaden. So gaben die Hamburger revolutionären Arbeiter dem Proletariat Deutschlands ein Musterbeispiel für den revolutionären Heldenmut und die militärische Strategie des bewaffneten Aufstandes. Die Hamburger Oktoberkämpfe, isoliert von der proletarischen Bewegung im Reiche und die sächsischen Erfahrungen sind und bleiben Marksteine in der Entwicklung der Kommunistischen Partei Deutschlands. Die Ereignisse des Jahres 1923, Hamburg einerseits und Thüringen andererseits, sind nicht nur geschichtliche Erinnerungen, sondern auch unvergessliche Lehren für die Gesamtpartei.
Trotzdem wirkte die allgemeine schwere Niederlage und die sich aus ihr ergebende Depression in der Arbeiterschaft weiter. Der Bourgeoisie gelang es infolge der nicht genügenden Widerstandskraft der Arbeiterklasse, jene kapitalistischen Rationalisierungspläne erfolgreich in Angriff zunehmen und durchzuführen.
Mit der wirtschaftlichen Offensive des Unternehmertums marschierte unaufhaltsam die Reaktion vorwärts. Innerhalb der faschistischen Verbände erfolgte eine Umgruppierung und eine politische Neuorientierung der Kräfte in der kapitalistischen Republik. Nun nutzte die Bourgeoisie die ihr durch die Oktoberniederlage gegebene „Atempause“ zur rücksichtslosen Verstärkung ihrer politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen aus. Die Kommunistische Partei machte in dieser Zeit eine schwere Niederlage durch. Ihre mangelhafte Fähigkeit, in der Zeit der Depression an die Arbeiterschaft heranzukommen, sie zu mobilisieren und zu aktivisieren, führte zu einer I s o l i e r u n g von der Arbeiterschaft!

Die rückläufige revolutionäre Bewegung verstärkte das Schwächegefühl selbst in Teilen der Partei, führte zu sektiererischen Abirrungen und zum Unglauben an die Kraft des Proletariats bei einem Teil der Führung.

Nur unter schwerem, innerem Kampf und mit aktiver Unterstützung der Kommunistischen Internationale gelang es der Partei, das Steuer herumzureißen auf eine Politik der Massengewinnung und der Massenführung und mit dem Geist des Sektierertums zu brechen.

So gelang es, das verloren gegangene Vertrauen der Arbeiterschaft durch geduldige, mühselige Tagesarbeit in engster Verbindung mit verstärkter Propaganda für unsere Endlosungen wieder zu erobern und damit die Klassenbasis der Partei wieder zu verbreitern und zu festigen.

Die von Millionen von von Werktätigen getragene „Bewegung für die Enteignung der Fürsten“ unter der Führung der KPD war nicht nur der erste große Schritt der Partei zur konkreten Durchführung der Einheitsfronttaktik, sie war auch das erste Anzeichen für die wieder aufsteigende Kraft des Proletariats. Aber noch sehr gering war die Widerstandskraft der Arbeiterschaft gegen die wirtschaftliche Offensive der Kapitalisten. Schwer lastete auf den Arbeitern die Krise der kapitalistischen Wirtschaft. Der Hamburger Hafenarbeiterstreik von 1926 ist noch eine vereinzelte Erscheinung. Inzwischen aber hat der Radikalisierungsprozess in der Arbeiterschaft in Deutschland und in vielen anderen kapitalistischen Ländern große Fortschritte gemacht. Der trotz des Verbots der kommunistischen Demonstration durchgeführte Gegenaufmarsch gegen den Bismarck-Rummel in Hamburg am 31. März diesen Jahres, das Spießrutenlaufen der Faschisten durch die Arbeiterviertel am 8. Mai in Berlin, die Massenbeteiligung am Roten Pfingsttreffen in Berlin, zeigen die wachsende Kampfstimmung der deutschen Arbeiterschaft. Dass auch in der Zeit der relativen Stabilisierung Kämpfe der Arbeiterschaft bis zum bewaffneten Aufstand führen können, dafür sind die Wiener Kämpfe des Juli diesen Jahres ein schlagender Beweis. Die ungeheure Empörung der Arbeiter der ganzen Welt gegen die Ermordung von Saccos und Vanzettis, die in vielen Ländern zu einer Massenmobilisierung gegen die Klassenjustiz im eigenen Lande, gegen die Reaktion, gegen die Kriegsvorbereitungen der Imperialisten führte, steigerte sich in Frankreich zu bewaffneten Kämpfen bis zur Errichtung von Barrikaden in den Straßen von Paris.

Am zweiten Jahrestag des Oktoberaufstandes schrieb ich in einem Artikel, in dem die Lehren des Hamburger Aufstandes behandelt wurden, dass die „Machtergreifung des Proletariats kein einmaliger Akt“ ist und dann weiter: „Die Machtergreifung besteht nicht nur in militärischen Kämpfen gegen die Truppen der Bourgeoisie, sondern sie muss durch Jahre lange, ausdauernde Arbeit der Kommunistischen Partei und des ganzen Proletariats vorbereitet werden. Die kommenden Sieger über die Bourgeoisie müssen durch unzählige Teilkämpfe erzogen, vorbereitet und organisiert werden. Dieses ist unsere Haiptaufgabe in der jetzigen Periode.“

Auch heute noch ist sie es, noch steht vor der Partei eine ungeheure Aufgabe. Ungebrochen ist im Wesentlichen noch die Macht der Sozialdemokratischen Partei in den Gewerkschaften und ihr Einfluss auf einen großen Teil der Arbeiterschaft. Trotz der Arbeitsgemeinschaftspolitik der SPD, ihres schein-oppositionellen „Kampfes gegen den reaktionären Bürgerblock, trotz ihrer Koalitionspolitik mit den äußersten Feinden der deutschen Arbeiterschaft, der schwarz-weiß-roten Deutschen Volkspartei im Hamburger Senat, hat diese Partei bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft ihre Stimmen (zwar fast ausschließlich aus bürgerlichen Kreisen) bedeutend steigern können.

Wir müssen unseren Kampf gegen die SPD, die beste Stütze der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution verstärken. Aber Verstärkung dieses Kampfes heißt nichts Anderes als die richtigen Methoden zur Losreißung der sozialdemokratischen Arbeiter von der Partei des Sozialimperialismus finden und durchführen.

Sind die Hamburger Kämpfe einer heldenmütigen Minderheit eine unvergessliche Lehre auf dem Leidensweg der deutschen Arbeiterschaft für ihre Befreiung vom Joche des Kapitals, so ist die siegreiche proletarische Revolution in Russland ein Triumph für die Arbeiter in der ganzen Welt, ein mächtiger Ansporn, die Anstrengungen zu verstärken und das Beispiel der russischen Brüder nachzuahmen.

Ungeheures hat das russische Proletariat nach der Machteroberung geleistet. Nicht der Sturz der Bourgeoisie war die größte Anstrengung, sondern die Verteidigung der proletarischen Revolution gegen eine Welt von Feinden, gegen die von den Imperialisten der ganzen Welt unterstützte Konterrevolution. Ihre Armeen wurden geschlagen und vernichtet. Die Arbeiter gaben ihr Letztes her, sie bluteten nicht nur an den Fronten, sie erduldetden willig Elend, Hunger und Seuchen.

Weniger als 6 Jahre dauerte der Wiederasufbau des zerstörten Landes. Trotz der wirtschaftlichen Einkreisung durch die kapitalistischen Länder ist es in dieser kurzen Zeit gelungen, fast überall die Periode des Wiederaufbaus abzuschließen. Schon ist die neue Periode des Aufbaues der Wirtschaft auf höherer Stufe und der Erweiterung des Produktionsapparates eingeleitet. Es ist ein Triumph des siegreichen Aufbaues des Sozialismus in der Sowjetunion, dass auf der Jubiläumstagung des Zentral-Exekutivkomitees der allmähliche Übergang zum Sieben-Stundentag proklamiert werden konnte.

Im Gegensatz zur Entwicklung in Russland vollzog sich in Deutschland der Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaft im Zeichen des Zurückdrängens der revolutionären Arbeiterschaft. Es war ein Aufbau auf den Schultern des Proletariats. Ein Aufbau, dessen Nutznießer nur die Kapitalisten sind.

Sieben-Stundentag in Sowjetrussland, neun- bis zehnstündige und oft noch längere Arbeitszeit in Deutschland.
In der Sowjetunion verbessert sich die Lebenshaltung der Arbeiterschaft in dauernd aufsteigender Linie – in Deutschland hält die Lohnsteigerung längst nicht Schritt mit der Teuerung infolge Zölle, Steuern, Miet- und Kartellwuchers.

Die Arbeiterschaft ist die herrschende Klasse in der Sowjetunion. In der Hindenburg-Republik sind alle Machtorgane in den Händen der Kapitalisten gegen die Arbeiter.

In der Sowjetunion sind die Gewerkschaften selbst Teilhaber der politischen Macht – in Deutschland wird das Streikrecht vernichtet.
In Sowjetrussland sind Rote Armee, Polizei, Justiz, Instrumente in den Händen der Arbeiterklasse und armen Bauernschaft gegen die Feinde der Revolution – in Deutschland stehen Reichswehr und Polizei unter der Führung monarchistischer Offiziere gegen die Arbeiterschaft, wütet eine brutale Klassenjustiz zur Niederhaltung des Proletariats.

In der Sowjetunion ist die Macht der Kultur feindlichen Kirche gebrochen – in Deutschland wird die Schule den Pfaffen ausgeliefert.
Die Kapitalisten der ganzen Welt wissen, dass diese Entwicklung des sozialistischen Aufbaues eine Bedrohung ihrer Macht darstellt, deshalb treffen sie Vorbereitungen zu einem Kriege gegen die Sowjetunion. Die sozialistische Revolution, das proletarische Vaterland soll niedergeschlagen werden, damit das Ausbeuterregime leben kann. Wir müssen dieser kapitalistischen Kriegsfront, in die sich der neu-deutsche Imperialismus immer eindeutiger einreiht, die revolutionäre Front aller Ausgebeuteten entgegenstellen.

Wir wissen, dass wir in der Sowjetunion das Vaterland der Proletarier der ganzen Welt zu verteidigen haben. Aber die Formierung der revolutionären Kampfesfront gegen den Imperialismus, gegen den Bürgerblock ist nur möglich, wenn wir in unermüdlicher, hartnäckiger Tagesarbeit uns als Führer der Arbeiterschaft in allen Tagesfragen – und Kämpfen bewähren.

Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir als die einzige revolutionäre Arbeiterpartei das Vertrauen auch d e r Arbeiter gewinnen, die heute noch im Lager des Feindes der Revolution stehen.

Führen wir diese Arbeit durch, dann werden wir die Kraft der deutschen Kapitalisten und ihrer Lakaien brechen, dann wird bei einem revolutionären Aufstieg die Partei ihrer historischen Aufgabe, Sturz des Kapitalismus und der Errichtung der Diktatur des Proletariats – besser als im Oktober 1923, im Geiste der heldenhaften Hamburger Oktoberkämpfer – gerecht werden.

Ernst Thälmann
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Bilder hinzugefügt durch die Redaktion AmericanRebel
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└ Schlagwörter: American rebel, Ernast Thälmann, Hamburg, Marx-Engelssche Lehre, Revolution
1 Kommentar
Okt.24
on 24. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Allgemein

Edgar Schülter

Es fehlen in Deutschland immer noch 300.000 Kitaplätze

Edgar Schülter

Obwohl die Bundesregierung gegensteuert haben wir zu viele Kinder und zu wenig Erzieher. Der Mangel wird sich in den nächsten Jahren auch noch verschärfen.

In Deutschland haben wir zur Zeit viele Frauen die wegen des Kindes nicht arbeiten gehen können. Sie müssen den Beruf zurückstecken, streiten sich mit dem Partner, weil die Kinderbetreuung an ihnen hängen bleibt und weil oft kein Betreuungsplatz zu finden ist.

Man bewirbt sich bei dutzende von Kitas, schafft es höchstens auf 20 Wartelisten und kein Platz ist frei.

Pixabay CC0 Public Domain

So sagt Katharina Marth, eine junge Mutter die von fehlenden Kitaplätzen betroffen ist: „Wir haben uns auf den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz verlassen, doch wir wurden im Stich gelassen.“ Eine zur Zeit bittere Realität die in Berlin mit 3000 fehlenden Kitaplätzen und in ganz Deutschland stattfindet. Allein in Berlin gibt es nicht genug Immobilien und nicht genug Erzieher. Selbst wenn Eltern einen Kitaplatz gefunden haben, müssen Sie oft kurzfristig umplanen, weil viele Einrichtungen wegen Personalmangel mittags schon geschlossen sind.

In Berlin gibt es zur Zeit 50.000 Kita-Kinder mehr als noch vor 10 Jahren. Die Geburtszahlen sind stark, dazu kommt noch der starke Zuzug. Bundesweit herrscht ein Fachkräftemangel von 107.000 Erziehern.

Vor acht Jahren wurde bei den Bundesländern nachgefragt ob man mit einen Fachkräftemangel in den Kitas rechnete. Die wenigsten Länder waren dazu fähig eine Prognose abzugeben. Nur Rheinland Pfalz bildete eine Ausnahme und fertigte eine umfassende Studie an. Dementsprechend fühlten sich die Länder nicht in der Verpflichtung Maßnahmen zu ergreifen und genügend Erzieher auszubilden. Mittlerweile muss man um Quereinsteiger werben, um versuchen die Lücken zu schließen.

Für die Zukunft zeichnen die Experten ein düsteres Bild. Es werden noch mehr Kitaplätze fehlen. Die Fachhochschulen suchen händeringend nach geeigneten Pädagogen um Fachkräfte auszubilden.

Eine Lösung für die Krise ist, dass die Kommunen ihre Erzieher besser bezahlen. Es müssen auch bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Wenn ein Erzieher über Monate oder Jahre zu viele Kinder betreuen muss, sucht er sich baldmöglichst eher einen anderen Job. Leider investiert der Bund zu wenig in die Qualität der Kitas.

Da wird es auch wenig helfen Quereinsteiger einzustellen.
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└ Schlagwörter: American rebel, Berlin, Bundesländer, Bundesregierung, Edgar Schülter, Erzieher, Fachkräfte, Kitas, Quereinsteiger
 Comment 
Okt.23
on 23. Oktober 2018
Veröffentlicht in: Rui Filipe Gutschmidt, Wladimir Putin

Rui Filipe Gutschmidt

Trump will Mittelstreckenkernwaffen-Vertrag mit Russland kündigen – Der Wahnsinn geht weiter

Rui Filipe Gutschmidt

Der Wahnsinn hat einen Namen: Donald Trump. „Russland hat das Abkommen leider nicht eingehalten, also werden wir es beenden und aussteigen“, sagte Trump und bezog sich dabei auf den Vertrag über intermediäre Kernwaffen (INF) von 1987.

US-Präsident Donald Trump sagte am Samstag, dass die Vereinigten Staaten den Vertrag über den Frieden im Nahen Osten (INF), der 1987 mit Russland unterzeichnet wurde, fallen lassen werden.

Donald J. Trump,
Flickr.com CC BY 2.0

Im Gespräch mit Journalisten, zitiert von der Nachrichtenagentur Reuters, sagte Trump, dass Russland die Vereinbarung verletzen würde, die in der Zeit des Kalten Krieges unterzeichnet wurde und vorsah, dass ballistische Mittelstreckenraketen (mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern), mit nuklearer Bestückung, beseitigt wurden.

US-Agenten haben den Verdacht geäußert, dass Moskau unter Verletzung der Bedingungen des Vertrags INF, neue Raketen-Systeme entwickelt. Diese Atomwaffen würden es Russland ermöglichen, einen Atomschlag gegen Europa, das heißt gegen die NATO-Länder, kurzfristig zu starten.

Russland hat wiederholt die Vorwürfe Raketen zu bauen, die die Bedingungen der Vereinbarung verletzen, bestritten. Der Vertrag, unterzeichnet im Jahre 1987 von damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und dem ehemaligen Sowjetführer Michail Gorbatschow sieht die Beseitigung von Atomraketen mittlerer und kurzer Reichweite und einen Entwicklungsstopp für diese Waffensysteme vor.

Donald Trump sagte, laut BBC, er werde Russland nicht gestatten, solche Waffen herzustellen, ohne dass die USA ebenfalls dazu in der Lage wären. „Ich weiß nicht, warum Präsident Obama nicht besser verhandelt oder das Abkommen gekündigt hat“, sagte der derzeitige US-Präsident. „Sie haben die Vereinbarung seit mehreren Jahren verletzt.“ Im Jahr 2014 beschuldigte Barack Obama Russland, den INF-Vertrag gebrochen zu haben und angeblich eine Boden-Luft-Rakete getestet zu haben, bestätigte die BBC.

Trump sagt, die USA hätten Pläne, um in solche Waffen zu investieren, es sei denn, es ist möglich, ein Abkommen mit Russland und China auszuhandeln, um die Entwicklung dieser Waffen zu begrenzen. China, das nicht Teil des ursprünglichen Nuklearwaffenvertrags ist, hat im Rahmen seiner territorialen Verteidigungsstrategie in konventionelle Raketensysteme investiert.

Donald Trumps Berater für nationale Sicherheit, John Bolton, besucht nächste Woche Moskau. Präsident Putin wird diese Anschuldigung nicht auf sich sitzen lassen. Wir können dabei von Glück sagen, dass Putin nicht wie Trump ist!
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└ Schlagwörter: American rebel, Barack Obama, BBC, China, Donald Trump, John Bolton, Michail Gorbatschow, Mittelstreckenraketen, Ronald Reagan, Russland, Rüstung, USA
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