Dunja Hayali

Türkei/Griechenland: Menschen als Spielball der Mächtigen

Dunja Hayali

Das war sie also, die Pressekonferenz, auf der die „Mächtigen“ in kräftigem Blitzlichtgewitter ihre vereinbarte Waffenruhe im Norden Syriens kundtaten. Was für eine Leistung verantwortungsvoller Diplomaten, die „keine Menschenleben aufs Spiel setzen“ wollen! Nicht.

Denn vergessen wir nicht, warum die Vereinbarung einer Waffenruhe nötig wurde. Weil u.a. die gleichen Menschen ihre Soldaten in einen Krieg auf fremdem Territorium schickten, der einfach kein Ende zu finden scheint. Die neben anderen ihres Kalibers dafür verantwortlich sind, dass ganze Landstriche unbewohnbar gebombt wurden. Menschen getötet. Menschen ihrer Heimat beraubt. Das gilt natürlich auch für andere Kriegsverantwortliche. Dazu gehören auch „Rebellen“, „Aufständische“ bzw. die sogenannten „Freiheitskämpfer“ – die Zuschreibung kommt scheinbar immer auf den Betrachter an. Verantwortlich sind aber auch andere „Bündnisse“ auch in anderen Regionen dieser Welt oder schlicht die Neigung der „Mächtigen“, auf Kosten anderer im Wohlstand zu leben, indem sie die sichere Lebensgrundlage von Millionen Menschen zerstörten bzw. dieses billigend in Kauf nahmen. Über so viele Jahre schon.

Flüchtlinge stehen dicht gedrängt auf türkischer Seite an der Grenze zu Griechenland (2. März 2020) © AP Photo/Giannis Papanikos. Quelle YouTube – Amnesty International

Jetzt werden gerade diese Menschen erneut zum Spielball von Machtinteressen der nun gefeierten „Diplomaten“ und der Handlungsunfähigkeit einer EU, die sich Gemeinschaft nennt. Enttäuschend und entlarvend ist, dass das „Friedensprojekt“ ebenfalls aus dem Machtinteresse einzelner Mitgliedsstaaten seit Jahren nicht in der Lage zu sein scheint, einen Umgang sowohl mit den Kriegen, als auch mit Ausbeutung und deren Opfern zu finden. Das noch immer keinen geordneten Prozess hinbekam, um mit Flüchtlingen, Asylanträgen und all ihren möglichen Folgen umzugehen.

Der Blick auf die griechisch-türkische Grenze ist neben ihrer Dramatik ein anfassbares Symbol für all das. Und darüber hinaus noch ein Sinnbild dafür, wie es um die Menschlichkeit steht. Es ist schon bemerkenswert, dass die Kritik daran, dass die EU an ihrer dortigen Außengrenze „mal eben“ die Möglichkeit aussetzt, Asylanträge zu stellen, verhallt in dem angsterfüllten Gebrüll derer, die finden, man könne und solle mit „Grenzzäunen, Tränengas und zur Not auch Einsatz des Gummiknüppels“ gegen diese Menschen vorgehen. Wie z.B. zuletzt Prof. Meuthen, als er die „Gutmenschen“ belehren wollte, dass „die Griechen“ es richtig machen. Wird da nicht recht deutlich erkennbar, was der Unterschied zwischen „Gutmenschen“ und „Schlechtmenschen“ ist?

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Da tut man mal eben so, als würden „die Griechen“ aus nationalistischem Interesse handeln. Tun sie höchstwahrscheinlich nicht, sie sind nur derzeit diejenigen, die im Sinne des Auftrags der EU deren Außengrenze sichern. Und das, weil die EU nach ihrem „Deal“ mit der Türkei über mehrere Jahre kein Rezept fand, sich aus dieser Erpressungsmöglichkeit zu befreien.

Flüchtlingskind vor griechischen Soldaten. Urheber: unbekannt.

Und genau das ist der Skandal. Dass man sich zwar mit dem „Türkei-Deal“ Zeit gekauft hat, diese Zeit aber mal wieder nicht nutzte. Denn auch das, was wir nun dort sehen, hätte man -wie die Flüchtlingssituation 2015- verhindern können. Mit verantwortungsbewusster, vorausschauender und durchsetzungsfähiger Politik. Aber nein, stattdessen wird eine machtpolitisch absurde Politik betrieben, auf dem Rücken der Flüchtlinge. Mal wieder. Das Dublin-Verfahren von früher ist der Türkei-Deal von heute. Beide Instrumente sind egoistisch und haben nicht zu einer echten Lösungsfindung beigetragen. Mehr noch: mit beiden entzieht man sich der Verantwortung.

Jetzt aber wird eine erhebliche Anzahl von Menschen ganz am Ende der Wohlstandskette dafür benutzt, eigene Interessen durchzusetzen. Die sich erneut in der Situation wiederfindet, vor Stacheldraht zu stehen und mit Tränengas „begrüßt“ zu werden. Und sich einer Weltöffentlichkeit gegenübersieht, in der sie dafür beschimpft und als Aggressoren erniedrigt werden. Als „Wohlstandsschmarotzer“ gar. Und ja, manche von Ihnen benehmen sich daneben. Nur, geht es um das Verhalten einzelner oder nicht doch eher um das große Ganze? Und sie sehen sich einer EU gegenüber, deren Vertreter einschwingen in das Lob den Griechen gegenüber, dass ihr Vorgehen gut und unterstützenswert sei. Verkehrte Welt.

Was sagen diese Vertreter dazu, dass sich nun augenscheinlich Rechtsradikale aus Deutschland und Frankreich als freiwillige „Grenzsicherungshelfer“ auf Lesbos einfinden? Offensichtlich nicht nur mit Hass im Herzen, sondern auch Feuer in der Hand. Oder darf man diese Frage jetzt genauso wenig stellen wie jene, ob und wie viele Flüchtlinge wir in Deutschland aufnehmen können? Weil das ja die AfD wieder stärker machen würde, sagen manche. Diese Argumentationskette ist so unsinnig wie erbärmlich. Was interessiert mich dabei die AfD, wenn ich mir eine anständige, menschenwürdige und lösungsorientierte Politik wünsche? Auf Basis unserer und europäischer Gesetze?

Blickt man nur auf diesen Augenblick, erscheint es notwendig, dass die EU-Außengrenze nicht einfach offensteht. Sie so wie jetzt unter Aussetzung des Asylrechts zu „verteidigen“, kann jedoch keine dauerhafte Lösung bleiben. Weder für uns, die auch Menschenwürde und Menschenrechte im Blick haben, noch für die, die ernsthaft Hilfe suchen. Zur Zeit sind es „nur“ ca. 13.000 Menschen, die einen Weg suchen. Was, wenn es Präsident Erdogan beliebt, deutlich mehr Menschen dort hin zu lassen? Diskutieren wir dann, ob „Tränengas und Gummiknüppel“ reichen? Kommt dann die Debatte um den Schusswaffengebrauch als „Ultima Ratio“? Sie erinnern sich? Wer will das verantworten? Oder wird dann erneut versucht, das Thema mit noch mehr Geld zu regeln? Ebenfalls eine Maßnahme, die nicht nachhaltig erscheint, wie wir sehen und, wenn wir ehrlich sind, bereits absehen konnten, als „der Deal“ entstand. Der Grund liegt sicherlich nicht darin, dass die damals ausgehandelte Summe wohl noch nicht ganz gezahlt wurde.

Man kann sich im Sinne der Menschlichkeit eigentlich nur wünschen, dass sich die Staatenlenker der Welt darauf besinnen, dass jede Fluchtbewegung ihre Ursache hat und dass sie diese auch bei sich selbst und ihrem Handeln suchen müssen.

Wie schön wäre es, wenn sich das Blitzlichtgewitter lieber auf die richtete, die tatsächlich und miteinander nachhaltige Änderungen herbeiführen, mit denen ein friedliches und sicheres Zusammenleben auf der Welt gefördert wird. Nur: wer könnte das wohl derzeit sein? Versucht man jedoch weiter, Machtkämpfe auf dem Rücken der Schwächsten der Welt auszutragen, wird dies scheitern. Dafür betrifft es einfach zu viele Menschen. Sie werden sich weiter bewegen, weil sie die Rolle als Spielball berechtigt satt haben. Und dagegen wird kein Grenzzaun dieser Welt auf Dauer ausreichen.

Dieser Artikel erschien am 8. März 2020 auf der Facebookseite von Dunja Hayali. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Herausgeberin.
Bilder und Bildunterschriften wurden teilweise oder ganz hinzugefügt von der Redaktion AmericanRebel.
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Lest dazu auch:

– Türkei – EU: Poker mit Menschenleben


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Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um die Meinung der Redaktion handeln.

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