F.-B. Habel

Sämtliche Filmplakate aus SBZ und DDR in einem opulenten Bildband

Ein Wälzer der Entdeckungen

F.-B. Habel

Immer wieder wird die DDR in neuen Zusammenhängen als „abgeschlossenes Sammelgebiet“ umgewälzt. Knapp dreißig Jahre nach ihrem Ende betrachtet man sie gelegentlich auch unvoreingenommener als zuvor. Ehre kann beispielsweise die DDR-Plakatkunst wegen ihrer vielgestaltigen Formensprache einlegen, von der man heute im öffentlichen Raum nur noch träumen kann. Auf dem Gebiet des Filmplakats beweist es ein umfangreicher Wälzer, in dem nach Angaben der Herausgeber alle rund 6400 zwischen 1945 (noch in der SBZ) und 1990 (noch vor dem „Beitritt“) erschienenen Poster abgebildet sind.

Ist das möglich? Tatsächlich! Die Büchermacher vertrauen allerdings zu Recht darauf, dass der Leser über eine Lupe verfügt, denn etliche Abbildungen sind kaum größer als eine Sonderbriefmarke. Viele, viele andere jedoch sind in angemessener Größe wiedergegeben und lassen bei Älteren Erinnerungen wach werden und Staunen bei Jüngeren aufkommen über die Qualität der Grafik, deren Stil sich im Laufe der Jahrzehnte wandelte.

Meine Entdeckung waren die Plakate zu zwei Filmen, die ich bei meinem allerersten Kinobesuch als Kleinkind sah: „Till Eulenspiegel und der Bäcker von Braunschweig“ und „Till Eulenspiegel als Türmer“, zwei DEFA-Puppentrickfilme von DEFA-Puppentrickfilme mit Plakaten der fünfziger Jahre von Karl Schrader und Werner Klemke. Die beiden Namen stehen beispielhaft für die Tendenz, heitere Stoffe von Karikaturisten illustrieren zu lassen, wobei gerade Klemke nicht auf die Karikatur festgelegt war. Diese Linie wurde beibehalten – seit den frühen Fünfzigern beispielsweise durch Plakate von Paul Rosié („Der Bäcker von Valorgue“, aber auch „Sie nannten ihn Amigo“), seit den Sechziger und Siebzigern solche von Thomas Schleusing („Spiel mir das Lied vom Tod“) oder Manfred Bofinger („Sing, Cowboy, sing!“).

Filmplakat zu Konrad Wolfs Film STERNE. Bild: Archiv Gundlach

Besonders viele Plakate, nämlich bis 1964 304, gestaltete Kurt Geffers, der schon vor 1945 als Plakatgestalter gearbeitet hatte. Dass darunter auch Nazi-Filme, wie „Kampfgeschwader Lützow“ zu finden waren, nahm man ihm nicht mehr übel. Autor Detlef Helmbold schreibt: „Geffers´ Plakatsprache konnte fließend von der Ufa-Zeit über die von Sovexport geprägte Phase zu den Anfängen von Progress übergehen, da der Anspruch und die künstlerische Sprache weiterhin sehr von der naturalistisch-szenischen Darstellung bestimmt waren.“

Unter den besonders produktiven Plakatkünstlern ist der Hallenser Helmut Brade zu finden (der 2015 sein 700. Plakat veröffentlichte), der für den Progress-Filmverleih verhältnismäßig selten arbeitete, aber u.a. mit „Die Legende von Paul und Paula“ legendäre Motive schuf. Ein Grafiker (und Lehrer) wie Klaus Wittkugel („Das kalte Herz“) ist mit zahlreichen Beispielen seiner Arbeit vertreten.

Nicht selten arbeiteten bildende Künstler für das Plakat. Die Spanierin mit Exil in der DDR, Nuria Quevedo, konnte auch zwei Filmplakate gestalten, allerdings ging es ihr wie vielen Grafikerinnen, etwa Roswitha Grüttner („Der vergessene Freund“), Erika Klein („Der Hirsch mit dem goldenen Geweih“) oder Gisela Röder („Silberne Stiefel“) . Ihnen wurden Kinderfilme zugewiesen – „harte“ Themen blieben Männern vorbehalten.

Interessant ist auch der Vergleich von unterschiedlichen Motiven zu Filmen, die im Laufe der 45 Jahre mehrfach gestartet wurden, etwa Werner Klemkes Plakat von 1954 und Albrecht v. Bodeckers von 1978 zum Tati-Film „Die Ferien des Monsieur Hulot“. Staudtes „Untertan“-Adaption hatte zwischen 1951 und 1981 sogar fünf verschiedene Entwürfe in verschiedenen Handschriften, wobei mir die Variante, die Erhard Grüttner 1978 vorlegte, und auf der Diederich Heßling eine schwarzweißrote Augenbinde trägt, als die gelungenste erscheint.

Der Mühlhäuser Detlef Helmbold hat ein Kompendium über Filmplakate geschaffen. Foto: Dank an Arnd Kihr

Viele Grafiker hatten Zugang zu ausländischen Publikationen und es gelang ihnen, an interessante Gestaltungen anzuknüpfen. Erhard Grüttner beispielsweise orientierte sich zum Teil an polnischen Plakaten, die damals die internationale Grafik beeinflussten. „Die von ihm verwendeten Zeichen und Symbole waren von hoher grafischer Dichte und Schlichtheit“, schreibt Helmbold, „und hatten dadurch eine starke plakative Wirkung, womit er dem Plakat besonders beim dramatischen Genre eine besondere Tiefe, aber gleichzeitig auch eine gewisse Leichtigkeit gab.“
Natürlich kann man bei einem so umfassenden Werk mitunter auch mäkeln.

Regisseure sind zweifellos kunstsinnige Menschen, aber haben sie wirklich auch als Plakatgestalter gewirkt? Ist es z.B. vorstellbar, dass der nicht als Grafiker hervorgetretene westdeutsche Regisseur Ulrich Erfurth sein einziges Plakat „Keine Angst vor wilden Tieren“ 1954 für den Progress-Verleih in der DDR schuf? War Horst E. Brandt 1968 tatsächlich Bildautor des „Heroin“-Plakats? Zweifel sind erlaubt.

Gelegentlich werden Künstler penibel unter dem Namen aus dem Personenstandsregister genannt, und nicht unter dem, den die Öffentlichkeit kennt, etwa Hans Baltzer („Rom, 11 Uhr“), der hier immer Hans Adolf Baltzer heißt, oder Jo Fritsche („Einer trage des anderen Last“), der als zwar als Joachim getauft wurde, davon aber keinen Gebrauch machte.

Viele andere Künstler verdienten es, hier genannt zu werden, aber dafür gibt es ja diesen Wälzer der Entdeckungen.

Detlef Helmbold: »Mehr Kunst als Werbung« herausgegeben von der DEFA-Stiftung,
672 S., 6385 Abb.,vollfarbig, Bertz + Fischer, Berlin 2018, 96,- €

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(Dieser Artikel erschien in leicht geänderter Form in der Literaturbeilage der jungen Welt am 12.6.19)

Bilder, Videos und Bildunterschriften wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.
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