Yücel Özdemir

Es gibt eine Verbindung zwischen dem NSU
und dem Mord an Lübcke

Yücel Özdemir

Hermann Schaus ist Abgeordneter des Hessischen Landtags für die Linke. Er war im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages und hat sich mit rechten Strukturen in Hessen stark auseinandergesetzt. Wir hatten die Möglichkeit, mit ihm ein Interview zum Fall Walter Lübcke zu führen, der in Kassel in seinem Haus von einem gut vernetzten Neonazi erschossen wurde.

Herr Schaus, seit Wochen beschäftigt ganz Deutschland der Mord an Dr. Walter Lübcke. Wie schätzen Sie die Situation ein? Wie ist der aktuelle Stand?

Wir hatten eine Sondersitzung im Innenausschuss des hessischen Landtages und gleichzeitig auch eine Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses. Dort hat der Generalbundesanwalt mitgeteilt, dass der militante Neonazi Stephan E. ein Geständnis abgelegt hat. Er soll Lübcke aus politischer Überzeugung, also wegen seiner Ausländerfreundlichkeit und seinen migrationsbefürwortenden Äußerungen und allein ermordet haben.

Hermann-Scheus, Foto: Archiv Scheus

Klingt das für Sie glaubwürdig?

Er ist anhand von DNA Spuren überführt worden, aber dass er alleine gehandelt hat, das glaube ich nicht. Wir wissen auch aus dem NSU Untersuchungsausschuss, dass er viele Jahre in einem Neonazi-Netzwerk in Kassel tätig war und Verbindungen zu vielen militanten Neonazis hatte.

Das heißt, er ist bereits ein bekannter Neonazi aus Hessen?

Ja. Die nordhessische Szene ist sehr groß und auch sehr stark vernetzt. Nicht nur mit anderen Bundesländern, wie Niedersachsen und Thüringen, sondern auch international.

Denken Sie es gibt eine Verbindung zu den NSU Morden? Denken Sie, dass es auch Verbindungen zum Verfassungsschutz gibt?

Das muss ermittelt werden und wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, genau dieser Frage nachzugehen. Ich persönlich, in meiner jahrelangen Tätigkeit im NSU-Untersuchungsausschuss für die Linke, gehe davon aus, dass es sich um die gleichen oder ähnlichen Strukturen handelt, die auch beim NSU Mord an Halit Yozgat in Kassel eine Rolle gespielt haben.

Wurde damals im NSU Untersuchungsausschuss schon nach Stephan E. geahndet? Er war schließlich – nicht erst seit heutiger Berichterstattung – als gefährlicher, militanter Neonazi bekannt.

Fakt ist, dass nur wir als Linke im NSU Untersuchungsausschuss seiner Zeit nach Stephan E. gefragt haben, weil uns ein Dokument aufgefallen war: Ein Dossier, das von einer Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes gefertigt wurde über mehrere sehr gewaltbereite Neonazis. Selbst in diesem Dokument, das nach wie vor als geheim eingestuft ist, stach Stephan E., was seine Militanz und seine Vorstrafen angeht, hervor. Dies haben wir als Anlass genommen, damals schon im Juni 2015 einen Beweisantrag im NSU Untersuchungsausschuss zu stellen. Im Dezember des selben Jahres, wurde besagte Mitarbeiterin, die diesen Vermerk geschrieben hat, als Zeugin vernommen. Leider konnte sie uns aber nicht weiterhelfen. Inzwischen wissen wir, dass die Personalakte von Stephan E., die es beim Verfassungsschutz gab, im Jahr 2015 gesperrt wurde und deshalb nicht mehr verfügbar war. Deswegen sind wir mit unseren Fragen da auch nicht weitergekommen.

Das bedeutet, dass wir mehr Informationen über ihn erst in 120 Jahren erhalten?

Das sind nicht die selben Akten, die für so lange weggesperrt bleiben sollen. Personalakten werden ja nie öffentlich gemacht. Außerdem wurde vom Innenminister kürzlich erklärt, dass die Akten des NSU in 30 Jahren wieder eingesehen werden können – nämlich 2044. Das hilft uns aktuell leider auch nicht weiter. Es ist auch bekannt, dass im Landesamt für Verfassungsschutz wohl über 500 Akten, die einen Bezug zum NSU in Hessen hatten, nun unauffindbar sind.

Hat rechte Gewalt und rechter Terror nach diesem Mord nun eine andere Gewichtung in Hessen und in ganz Deutschland?

Wissen Sie, ich sehe die rund 200 Mitbürgerinnen und Mitbürger, die seit 1990 in Deutschland von Neonazis ermordet wurden. Dass Herr Lübcke jetzt nun ein deutscher Politiker war, das ist eine Besonderheit. Aber für mich stehen alle Ermordeten gleichermaßen in der Öffentlichkeit und müssen auch gleich bewertet werden.

Was wollen Rechtsextremisten mit diesen Morden bezwecken?

Zunächst, geht es darum, Unruhe zu stiften und vor allen Dingen Andersdenkende unter Druck zu setzten. Das gesellschaftliche Klima in Deutschland hat sich, seitdem die AfD politische Erfolge vorweisen kann, ganz besonders verschlimmert. Ich finde die AfD trägt an der sich verstärkenden Ausländerfeindlichkeit mit Schuld. Denn sie schafft es, diesen „braunen Nazibodensatz“ wieder nach oben zu spülen und ist dabei, ihn auch hoffähig zu machen. Das halte ich für das zentrale gesellschaftliche Problem.

Was kann der Staat, die Politik und die ganze Gesellschaft gegen diesen extremen Rechtsruck unternehmen?

Ich finde insbesondere, dass die gesamte Gesellschaft hoffentlich aufgerüttelt ist – sie sollte es eigentlich schon lange sein – und rechten Tendenzen immer entgegen treten. Ich finde überall, wo Neonazis auftreten, wo sie ihre Veranstaltungen halten, muss man ihnen als Gesamtgesellschaft, als Demokratinnen und Demokraten in Deutschland gegenübertreten und sie in die Schranken weisen. Wir tragen alle Verantwortung, sowohl die Politik, als auch jede und jeder Einzelne, dies zu tun und es nicht einfach so hinzunehmen. Überall dort, wo es rechte Ansichten und Aussagen gibt, muss man sofort reagieren.

Hat der Staat im Kampf gegen den Faschismus versagt?

Ich sehe große Versäumnisse und das hat auch viel mit der Struktur unseres Verfassungsschutzes zu tun und ihrer Arbeitsweisen. Denn mittlerweile ist es ja so, dass die Antifa und andere Recherchegruppen, die es gibt, teilweise besser Bescheid wissen.

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Erstveröffentlichung in „NeuesLeben/YeniHayat“ vor ein paar Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
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