Märkische Oderzeitung MOZ 09./10.06.2001

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Cowboy auf rastloser Lebensfahrt

Am 12. Juni 1986, vor fünfzehn Jahren, verließ der Sänger und Schauspieler Dean Reed spät abends sein Haus in Rauchfangswerder. Fünf Tage später wurde seine Leiche aus dem Zeuthener See geborgen - alle Indizien sprechen dafür, dass es Selbstmord war

Von Kerstin Dube

"Nach fünf Wochen in einem abgelegenen Teil des brasilianischen Urwalds fand ich einen Indianerstamm, dessen Angehörige niemals zuvor einen Weißen gesehen hatten. War sehr aufregend und interessant. Wenn ich in die USA zurückkehre, werde ich eine Menge zu erzählen haben."

Mit diesem Brief aus Santiago de Chile vom 5. Mai 1962 schickt Dean Reed seinem Freund, dem Sänger John Rosenburg, Fotos von sich und den Indianern. Das ist das letzte Lebenszeichen, das Rosenburg von ihm erhält - bis er ihn 1984 zufällig in einer Fernsehsendung wieder entdeckt. Er erfährt, dass Reed sich inzwischen in der DDR aufhält und dort berühmt ist. Der eiserne Vorhang hat die Karriere des Amerikaners im Osten von seiner Heimat sorgfältig abgeschirmt. Abgesehen von einigen kurzen Besuchen hat Reed die im Brief angekündigte Heimkehr in seinen Heimatstaat Colorado nie wahr gemacht. Aus der ersten großen Reise des jungen Sängers durch Lateinamerika in den Jahren 1961/62 wurde eine rastlose Lebensfahrt: immer auf der Suche nach neuen Völkern und nach der großen Show.

"Dean verlangte Aufmerksamkeit und Liebe. Er war Muttis Junge, während ich den Beruf ergriff, den unser Vater immer haben wollte", erinnert sich Dale Reed, Deans älterer Bruder, der heute 66-jährig in Seattle/Washington lebt. Um die Anerkennung des Vaters, eines Mathematiklehrers, ringt Dean, geboren 1938 in einem Vorort von Denver, umsonst. Um so bereitwilliger nimmt er die Ideen der Mutter, Ruth Anna Brown, an, die sich in der Friedensbewegung engagiert. Dass er gern im Mittelpunkt steht, sagt jeder, der ihn kennt. Mit 12 Jahren bekommt er seine erste Gitarre, mit 19 ergreift der Meteorologie-Student die Chance einer Karriere als Sänger in Hollywood. Er erhält Schauspielunterricht, bringt einen Hit heraus und geht auf Tournee nach Lateinamerika.

Fotos - aber nicht mehr mit Indianern, sondern mit Allende und Castro

Dort treibt ihn seine Leidenschaft um: eine Mischung aus Empörung über Armut und soziale Ungerechtigkeit und aus Selbstdarstellung. Argentinien, Chile, später auch Italien werden ihm vorübergehende Heimat. Unermüdlich reist der zunehmend an Politik interessierte, zunehmend linke Reed in Sachen Frieden und Fortschritt durch die Welt. Nach Pete Seeger darf er als zweiter US-Amerikaner überhaupt in der Sowjetunion singen: Rock 'n Roll, Country und eigene Lieder. Jassir Arafat lädt ihn als Front-Entertainer in den Libanon ein. Wo er hinkommt, entstehen Fotos: Dean Reed nicht mehr mit den Indianern, sondern mit Salvador Allende, Daniel Ortega und Ernesto Cardenal, mit Fidel Castro, Jassir Arafat, mit Leonid Breshnew.

Die Liebe zu einer Frau habe ihn 1972 in die DDR gebracht, schrieb Reed in seiner 1980 in Leipzig erschienenen Biografie. Reeds erste Ehe mit der US-Amerikanerin Patricia, mit der er die Tochter Ramona hat, wurde 1970 geschieden. Drei Jahre später heiratet er die DDR-Bürgerin Wiebke. Aus der Verbindung entsteht seine zweite Tochter, Natascha. Der unermüdlich Reisende wird sesshaft an Berlins grünem Stadtrand, in einem Haus im stillen Rauchfangswerder am Ufer des Zeuthener Sees.

"Damals wurde ich gebeten, einem Amerikaner, der neu in der Stadt war, Berlin zu zeigen", erinnert sich der Publizist und Journalist Victor Grossman, ein US-Amerikaner, der seit 1952 in der DDR wohnte. "Ich konnte es kaum glauben. Dean war ein hübscher Colorado-Cowboy, ein Rock'n'Roll-Typ, und trotzdem ein Linker. Ich hätte ihn fast gekniffen, um zu probieren, ob er echt ist."

Dass Dean Reed echt ist, davon kann Victor Grossman sich in den kommenden Jahren überzeugen. Er dolmetscht für ihn, begleitet ihn zu den Dreharbeiten für die Filme "Aus dem Leben eines Taugenichts" und "Kit & Co.". Reed sei Marxist gewesen, versichert Grossman, "linker als die DDR". Gleichzeitig ist er ein Profi-Entertainer. Die seltene Mischung aus beidem mag es sein, die ihm ebenso starke Sympathien wie Antipathien einbringt.

Einen Teil des Publikums stimmt er misstrauisch. An einem Ami, der freiwillig in den Osten kommt, könne etwas nicht stimmen, so die Meinung. Ein anderer, großer Teil ist einfach begeistert - vor allem die jungen Mädchen. Neben seinem guten Aussehen besitzt Reed Charme und Ausstrahlung. "Wer ihn persönlich kannte, war ihm meist gewogen", sagt Grossman, "auch wenn er politische Vorbehalte hatte."

Als es John Rosenburg 1984 gelang, wieder Kontakt zu Dean Reed aufzunehmen, ist in Rauchfangswerder dessen dritte Ehefrau eingezogen: die Schauspielerin Renate Blume mit Sohn Alexander. Die Freundschaft zwischen den Sängern lebt neu auf. Für Reed aber sind die Zeiten schwierig geworden in der DDR. Die Erfolge der 70er bleiben in den 80er Jahren aus. Der Mittvierziger kämpft mit dem Altern und mit Image-Verlusten. Die sich anspannende innenpolitische Situation spiegelt sich auch in Reeds Karriere. Ein Großteil seines einstigen Publikums schaut zunehmend nach Westen. Seinem neuesten Projekt, einen Film über das Massaker von Wounded Knee 1973 zu drehen, werden anscheinend immer neue Steine in den Weg gelegt. 1986 verschärfen sich die Probleme mit dem GAU von Tschernobyl: Schließlich war die Ukraine als Drehort geplant.

Ein Besuch in den USA, unter anderem bei Rosenburg in Loveland/Colorado, lässt den Gedanken von - wenigstens zeitweiliger - Rückkehr in die Heimat reifen. Von einem Fernsehauftritt in der beliebten Show "Sixty Minutes" Anfang 1986 erhofft der Sänger sich einen Einstieg. Die Sache wird ein Fehlschlag. Reed, der während des Interviews mit Moderator Mike Wallace hartnäckig die Positionen des real existierenden Sozialismus verteidigt, erhällt hasserfüllte Reaktionen aus dem Publikum.

Kaum zwei gemeinsame Jahre bleiben John Rosenburg noch mit dem Freund. Am 12. Juni 1986 verlässt Dean Reed spät abends sein Haus, fünf Tage später bergen Beamte der Kripo und der Staatssicherheit seinen Leichnam aus dem Zeuthener See. Am 18. Juni geht die ADN-Nachricht von einem "tragischen Unfall" durch Presse und Rundfunk.

Niemand glaubt an die Unfall-Version. Sogar Mord-Gerüchte kursieren

"Als ich von Deans Tod erfuhr, ahnte ich sofort, dass es Selbstmord war", sagt Victor Grossman. "Dean war so impulsiv, manchmal bis zum Aufbrausen. Alles nahm er sich sehr zu Herzen. Ich habe ihn immer mit einem Don Quichote verglichen, der gegen die Windmühlen kämpft."

Niemand glaubt an die Unfall-Version. Sogar Mord-Gerüchte kursieren. Auch John Rosenburg, heute 62 Jahre alt, ist unsicher über die wahren Hintergründe. "Etwa eine Woche vor seinem Tod rief Dean bei uns an. Er fragte, ob bei uns alles in Ordnung sei, und fügte hinzu, dass er sofort kommen und uns helfen würde, wenn das CIA oder das FBI uns Probleme bereiteten. Meine Frau versicherte ihm, dass nichts Derartiges passiert sei. Sie spürte, dass Dean Angst hatte oder über irgendetwas besorgt war."

Alle inzwischen bekannten Indizien und Dokumente deuten jedoch auf Selbstmord hin, wie der Krimiautor Jan Eik es in seinem 1995 erschienenen Recherchebuch "Besondere Vorkommnisse" ausführlich dokumentiert. Bei der Obduktion soll in Reeds Blut eine hohe Konzentration von Schlafmitteln gefunden worden sein, unter deren Einfluss auch ein guter Schwimmer ertrinken kann.

Auch die Echtheit des gefundenen Abschiedsbriefes ist - allerdings durch DDR-Gutachten - bestätigt. Mit einem Selbstmord wäre Dean Reed kein Einzelfall in seiner Familie. Nach Auskunft von Dale Reed erhängte sich ein Cousin im Alter von 16 Jahren. Ihr gemeinsamer Vater erschoss sich, weil er ein Bein verloren hatte.

Erst kürzlich äußerte Renate Blume in einem Interview mit der Zeitschrift "Super-Illu" erneut Zweifel an der Selbstmordtheorie. Ob tatsächlich, wie sie erwartet, noch weitere Unterlagen der Stasi ans Licht kommen werden, bleibt abzuwarten.

Dean Reed ist in Boulder/Colorado beerdigt. Auf seinem Grabstein steht: American Rebel.

Seine Filme, seine Platten

Dean Reed veröffentlichte Platten in insgesamt neun Ländern: in den USA, in Mexiko, in Argentinien, in Chile, in Venezuela, in Spanien, inder Sowjetunion, in der CSSR und in der DDR.

Bevor er in die DDR kam, spielte er in zahlreichen Abenteuerfilmen und Spahetti-Western überwiegend italienischer Produktion. Seine wichtigsten DEFA-Produktionen waren:

"Aus dem Leben eines Taugenichts" (DDR/Westberlin 1973); "Kit & Co." (DDR 1974), mit Renate Blume und Manfred Krug; "Blutsbrüder" (DDR 1975), mit Gojko Mitic; "Soviel Lieder, soviel Worte" (UdSSR 1976); "El Cantor" (DDR 1977), Regie: Dean Reed; "Sing, Cowboy, sing" (DDR/Rumänien 1981)

Mehr Infos: www.deanreed.de

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Letzte Änderung: 2014-03-11