Archiv für 2017
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Medien Mosaik
– American Rebel (Herg.): Man müsste nur die Wahrheit drucken, man müsste aufhör´n, sich zu ducken
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Augenöffnend
Der Titel ist schon fast eine Kurzgeschichte. „Man müsste nur die Wahrheit drucken, man müsste aufhör´n, sich zu ducken“ heißt der Band, der nur selten einen Prosatext enthält, aber dafür über 100 Gedichte und Liedtexte von 30 ganz verschiedenen Leuten, die ihre Gesellschaftskritik von links eint. Der Vorwortautor Nico Diener (selbst mit zwei Texten vertreten) hat die Anthologie zusammengestellt und als ersten Band der neuen Edition American Rebel (als Hommage an den gern als „amerikanischer Rebell“ bezeichneten Dean Reed gedacht) kürzlich in Berlin vorgestellt.
In den Gedichten, von denen die ältesten schon in den siebziger Jahren entstanden, sehr viele neue aber mit 2017 datiert sind, werden soziale Verwerfungen thematisiert, politisch-historische Diskurse absolviert aus Zeiten früherer Bundeskanzler wie Brandt und Kohl, über Themen wie Demokratie, Bundeswehr und Solidarität. Das klug komponierte Titelgedicht stammt von malcom.z – ein Pseudonym eines ehemaligen DDR-Liedermachers. Bekannte Autoren wie der österreichische Dramatiker Heinz Rudolf Unger oder die Liedermacher Jürgen Eger und Frank Viehweg stehen neben engagierten Amateuren wie der „roten Oma“ Elisabeth Monsig, die trotz ihrer 93 Lenze noch an Demos und Straßenaktionen teilnimmt, oder Abel Doering, der bisher 20 Jahre lang Bücher verkaufte, ehe er sein Antiquariat Anfang diesen Jahres schloss.
Nicht alles ist große Literatur, aber in der Vielfalt der Handschriften und im politischen Engagement kurzweilig und wohl auch augenöffnend zu lesen.
American Rebel (Herg.): Man müsste nur die Wahrheit drucken, man müsste aufhör´n, sich zu ducken, Berlin 2017, Edition American Rebel bei BoD BOOKS on DEMAND, 148 S., 8,99 €. BESTELLUNG
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Aus Das Blättchen, Nr. 22, vom 23. Oktober 2017, mit freundlicher Genehmigung des Autors
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Medien-Mosaik früherer Monate
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Frank Burkhard
Filme, der Zukunft zugewandt
dokumentART, Neubrandenburg verlieh den »Latücht-Preis«
„Latücht“ ist ein plattdeutscher Ausdruck für die Laterne, also das Licht in der Dunkelheit. Das ist der Neubrandenburger Latücht-Verein, Ausrichter des Festivals dokumentART in mehrerlei Hinsicht. Er verfügt über internationales Renommee als Ausrichter eines Ereignisses, das Mitte Oktober zum 26. Mal über die Leinwand ging. Die neue Leiterin Yun-Hua Chen, eine in Berlin lebende taiwanische Filmkritikerin, hat begonnen, das traditionelle Dokumentarfilmfestival stärker dem Animations- und Kurzspielfilm zu öffnen. Seit diesem Jahr gilt der neue Namenszusatz „films & future“. Das scheint logisch. Schon Albert Einstein stellte fest: „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ Ebenso richtig ist aber der Gedanke, dass nur der die Zukunft gestalten kann, der Vergangenheit und Gegenwart verstanden hat. Und so hat sich eigentlich nicht allzu viel geändert. Wer bei „Latücht“ an die Laterna magica denkt, liegt nicht völlig falsch. Zumindest jahrzehntealte Schmalfilme wurden für die Filme des Wettbewerbs mehrfach ausgeschlachtet. So versuchte die niederländische Filmemacherin Tessa Louise Pope in „The Origin of Trouble“ unter anderem mit privatem Schmalfilmmaterial zu ergründen, wie es in ihrer Kindheit zu familiären Konflikten kam.
Auf den ersten Blick grotesk wirkten manche Sujets des Streifens „Nature: All Rights Reserved“ (Natur: Alle Rechte vorbehalten), weil die meist originalgetreue Nachahmung der Natur Blüten treiben kann. „Kunstblumen im Frühling sind seltsam, wie eine Erinnerung an JETZT“ hat der Arzt und Autor Bernd Lorenz mal geschrieben. Mulder zeigt Kunstrasen und Waldmotiv-Tapeten, das trügerische Südsee-Erlebnis im brandenburgischen Tropical Island, aber er vergisst auch nicht, dass die imaginierte Natur Menschen bei bestimmten Erkrankungen Linderung bringen kann. Der junge Regisseur erhielt den Preis der Stadt Neubrandenburg.
„Ich glaube an den Zweifel. Ich zweifle an meinem Glauben. Ich zweifle, an meinen Zweifel zu glauben“, hat Louis Aragon gesagt. Zu diesem Thema hat Florian Karner, Student der Filmakademie Baden-Württemberg, seinen Film „Dubito ergo sum – Ich zweifle, also bin ich“ gedreht. Er porträtiert einen Mediziner, der zwar keinen Verschwörungstheorien anhängt, aber doch glaubt, dass die Reichen und Mächtigen böse Absichten gegenüber dem Rest der Gesellschaft hegen. Da mag er nicht falsch liegen. Trotzdem ist der Arzt ein Zweifelnder, der hinterfragt und eine große soziale Kompetenz hat. Diesem Film gab die Studentenjury des Studierendenwerks Greifswald ihren Preis.
Die Hauptauszeichnung der dokumentART, den Latücht-Preis, erhielt die japanisch-schweizerische Produktion „Half-Life in Fukushima“, wobei der erste Begriff sowohl das halbe Leben als auch die Halbwertzeit meint. Die Filmemacher Mark Olexa und Francesca Scalisi begleiteten einen japanischen Bauern, der aus Liebe zu seiner Heimat fünf Jahre nach dem Reaktorunfall in Fukushima in sein Haus innerhalb der evakuierten Zone zurückgekehrt ist. Voller Überlebenswillen und Heimatliebe entscheidet er sich, trotz der radioaktiven Gefahr auf dem Land seiner Vorfahren zu bleiben. Inmitten dieser post-apokalyptischen Landschaft kultiviert er Ackerland und züchtet Rinder. Gern hätte man die Regisseure zu den Dreharbeiten befragt, aber anders als viele andere Filmemacher waren sie nicht nach Neubrandenburg gekommen, weil sie – und das ist Glück – wieder ein Filmprojekt haben. Vielleicht finden sie damit demnächst den Weg nach Mecklenburg-Vorpommern!
Trailer zu: „Half-Life in Fukushima“
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Aus Das Blättchen, Nr. 22, vom 23. Oktober 2017, mit freundlicher Genehmigung des Autors
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Kim Rebell
Privat oder Kasse – selber Schuld
Meine Erfahrung mit Psychotherapeuten und –therapeutinnen
Ich war bereits bei acht Psychotherapeuten/-innen und keiner der Herren und Damen hat mir wirklich helfen können.
Bei vielen Therapeuten/-innen, die ich angerufen habe, waren die Wartelisten für Kassenpatienten bereits voll oder ich bekam die Zusage das ich auf die Warteliste komme. Allerdings hat sich nun nach zwei Jahren immer noch niemand zurück gemeldet.
Da es anscheinend erheblich mehr Patienten als Therapeuten/-innen gibt, können die Therapeuten/-innen auch zu erniedrigenden Mitteln greifen. Mir hat ein Therapeut eine Erklärung vorgelegt, in der ich zustimmen sollte, dass der Therapeut auf die schriftlichen Berichte an den Hausarzt verzichtet, weil er dafür keine Zeit hätte und dafür auch nicht genügend Geld von der Krankenkasse bekäme. Andere haben von mir im voraus 50.00 € Vorschuss als Ausfallgeld verlangt, falls ich einen Termin versäumen würde.
Bei mehreren Therapeuten/-innen, bei denen ich kurzzeitig in Behandlung war, lief einiges schief. Mit den Besprechungsräumen fing es an. Die meisten waren steril eingerichtet und luden nicht gerade zum wohlfühlen ein. Und dann ging es „zack-zack“, alle 45 Minuten ein anderer Patient. diese Eile gab mir Zweifel ob der oder diejenige sich dann auf mich einstellen können. Und diese Zweifel sind berechtigt, denn ich habe z. B. erlebt, das eine Therapeutin nicht wusste, wovon ich ihr in den letzten drei Sitzungen erzählt habe, das keine Notizen gemacht wurden und das man mich mit anderen Patienten verwechselt hat. Bei meinem letzten Therapeut habe ich mich deswegen nicht aufgehoben gefühlt, weil er mich gar nicht verstanden hat, wir haben einfach aneinander vorbei geredet. Ich bin links, denke, empfinde und handele anders als viele dieser Therapeuten/-innen die meist aus einem gut behüteten bürgerlich/akademischen Elternhaus kommen. Es war nicht selten so, das sich die Therapeuten/-innen nicht in meine Probleme hineindenken konnten und in dem Zusammenhang unrelevante Aspekte einfließen ließen.
Ich als Arbeitertochter und Marxistin fühle mich von den Psychotherapeuten/-innen in einem kapitalistischen System nicht therapiert, sondern eher manipuliert. Oft wurde mir das Gefühl gegeben, das ich selbst Schuld an meiner Lage bin. Bin ich Schuld, wenn ich Depressionen, Alpträumen und Ängste habe, weil ich Vergewaltigung, Gewalt, Streit, Trennung und Mobbing in der Familie miterlebt habe und niemand mit mir darüber gesprochen hat und für mich richtig da war? Bin ich Schuld, wenn ich Depressionen habe, nachdem ich 120 Bewerbungen für ein Ausbildungsplatz geschrieben und keine positiven Antworten bekommen habe? Bin ich Schuld, wenn ich drei Mal an mehreren weiterführenden Schule abgelehnt werde, weil die Klassen überfüllt waren. Bin ich Schuld, wenn ich als Sozialhilfeempfängerin auf den Ämtern immer wieder erniedrigt und zusammen gestaucht werde?
Der Sozialpsychologie Florian Sander hat am 21. Oktober ’17 im „Rubikon — Magazin für die kritische Masse“ einen Artikel unter dem Titel „Wenn der Patient plötzlich selbst schuld ist“ veröffentlicht, der einige dieser Probleme anspricht. Diesen möchte ich Euch nachfolgend in unveränderter Form empfehlen.
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Wenn der Patient plötzlich selbst schuld ist
Wie neoliberales Denken in die psychotherapeutische Arbeit Einzug hält.
Der Soziologe Peter Fuchs bezeichnet die Psychotherapie als die „Verwaltung der vagen Dinge“. Patentrezepte gibt es hier nicht. Klare, naturwissenschaftlich unanfechtbare und fassbare Lösungen kann es hier nicht geben, da einerseits jeder Patient anders leidet – und wenn wir noch so viele neue Kategorien und Namen für psychische Erkrankungen schaffen – und andererseits die Ursache niemals völlig geklärt werden kann. Allzu oft liegen Ursachen psychischer Krankheiten in einer Melange aus biologischen Faktoren, tiefenpsychologischen Einflüssen und Umständen der Sozialisation, deren einzelne Anteile auch bei noch so guter Diagnostik niemals restlos auseinander sortiert werden können. Das gilt auch deswegen, weil sich etwa prägende Phasen wie die frühkindliche der Erinnerung des Menschen weitestgehend entziehen und daher nur schwer aufgearbeitet werden können.
Diese „vage“ Natur der Psychotherapie bringt es mit sich, dass sie anfällig wird für verschiedenste Formen der Interpretation, der Politisierung, der Manipulation. Wo sich empirische Erkenntnisse nicht zweifelsfrei ergeben, da arbeitet der Sozialwissenschaftler mit Theorien und Hypothesen. Eine Tatsache, die unvermeidlich ist, aber auch nicht grundsätzlich problematisch, auch wenn sie vielen eher „technisch“ denkenden Menschen, für die am Ende immer ein klares Ergebnis, ein „A oder B“ stehen muss, oft suspekt ist.
Problematisch wird es erst, wenn diese Interpretationsanfälligkeit geschickt genutzt wird, um mit ihrer Hilfe „hinten rum“ eine politische Ideologie zu verwirklichen, die dem Menschen – dem Patienten – am Ende des Tages alles andere als zum Vorteil gereichen wird. Bei der modernen Psychotherapie ist genau dieses Phänomen vorzufinden – was umso schlimmer anmutet deswegen, weil es damit Menschen trifft, die ihr leidendes Innerstes offen legen, weil sie sich anders nicht zu helfen wissen.
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Die Frage der Verantwortung
Analog zur Frage, was zuerst da war, die Henne oder das Ei, wird auch die Psychotherapie stets von der Frage nach der Verantwortlichkeit – noch drastischer: „Schuld“ – für die Erkrankung des Betroffenen begleitet. Ein Mitarbeiter eines Betriebes leidet am Burnout-Syndrom: Hat sein Arbeitgeber zu viel von ihm verlangt – oder er von sich selbst? War das Arbeitsklima schuld – oder er einfach zu „dünnhäutig“, zu schwach, zu wenig bereit, auch seine Ellenbogen einzusetzen?
Das Szenario muss sich nicht auf den Arbeitsplatz beschränken. Ein weiteres Beispiel: Eine junge Frau leidet an Depressionen. Im Gespräch kommt heraus, dass sie unter schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen ist. Sind es nun die Eltern, die die Verantwortung für ihr Leid tragen – oder hat die junge Frau einfach nie „zu sich selbst gefunden“? Hat sie sich „gehen lassen“, sich nicht genug von ihrer Vergangenheit emanzipiert? Hätte sie mehr „kämpfen“ müssen?
Es wird schnell deutlich: Wir haben es bei psychischen Erkrankungen mit Phänomenen zu tun, deren Ursachen-Herleitung mehr als komplex ist und die Tür öffnet für verschiedenste Antworten. Und das gilt nicht nur im laienhaften Umfeld, das für die junge Frau aus dem Beispiel entweder Verständnis hat oder über sie die Nase rümpft, sondern auch manche „Profis“ gehen mit sehr unterschiedlichen Prämissen an die Leiden der exemplarischen jungen Frau heran.
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Das Resilienz-Konzept
Ein Schlüsselbegriff zum Verständnis der Unterschiedlichkeit dieser Prämissen ist der der „Resilienz“. Die Psychologie versteht darunter die psychische Widerstandskraft des Einzelnen (aber auch, in anderen Auslegungen, einer Gruppe oder einer Organisation). Diese Kraft kann sich aus verschiedensten Einflüssen (den „Ressourcen“, wie die Psychologie sie nennt) ergeben: Dazu zählen Intelligenz, emotionale Kontrolle, Ausgeglichenheit, Selbstsicherheit, positive innere Einstellung usw. usf. Auf Gruppen- oder Team-Ebene sind das Klima der Interaktion und der gegenseitige Umgang entscheidende Faktoren; auf Organisationsebene auch Führungsentscheidungen und formale Strukturen der Organisation. An verschiedenen Stellen wird ein „betriebliches Resilienz-Management“ vorgeschlagen, das dazu beitragen soll, die Resilienz der Mitarbeiter zu stärken, um ihre Arbeitsleistung zu erhöhen.
Nun ist es sicherlich niemals ein Fehler, die Resilienz von Gruppen beziehungsweise Teams in einem Betrieb und damit auch die organisationale Resilienz des Betriebs als Ganzes zu stärken, indem etwa für ein gutes Arbeitsklima gesorgt wird. Doch der Resilienz-Begriff hat eine primäre Konnotation – und diese bezieht sich auf den Einzelnen, auf das Individuum und seinen seelischen Zustand. Die Grundthese der Vertreter des Resilienz-Konzeptes lautet, dass das Individuum, der einzelne Arbeitnehmer letztlich – und auf jeden Fall zu beträchtlichen Teilen – selbst imstande wäre, sich vor Erkrankungen wie dem Burnout-Syndrom zu schützen, wenn er nur „widerstandsfähig“ genug ist.
Es deutet sich langsam an, worin das neoliberale Element eben dieser Denkweise liegt: Indem die Verantwortung für seine psychische Gesundheit am Arbeitsplatz auf ihn selbst verschoben wird, es also von seiner eigenen Resilienz, seiner inneren Einstellung und Haltung abhängig ist, wie er mit den Anforderungen der Arbeit, mit den Arbeitszeiten, den Erwartungen von Kollegen und Vorgesetzten etc. umgeht, liegt sie eben nicht mehr – oder wenigstens zu deutlich geringeren Teilen – beim Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer bricht irgendwann infolge allzu vieler Überstunden zusammen? Erleidet einen Burnout? Gerät in Konflikt mit Kollegen oder dem Chef? Erledigt seine Aufgaben nicht mehr zu deren Zufriedenheit? Nun: Da war er dann wohl nicht resilient genug!
Die Prämisse, die hier mitschwingt, ist eine, die wir bereits aus der Europapolitik von Angela Merkel kennen: Die der vermeintlichen Alternativlosigkeit des großen Ganzen. Die politischen oder eben wirtschaftlichen Strukturen sind demnach quasi gottgegeben – und die kleineren Einheiten, in der EU die Nationalstaaten, im Wirtschaftssystem die Arbeitnehmer, haben sich diesen unveränderbaren, alternativlosen Gegebenheiten anzupassen, wenn sie nicht untergehen wollen. Der Einzelne ist seines Glückes Schmied – und kann dabei alles gewinnen oder eben alles verlieren, je nachdem, ob er zur Genüge an seiner Resilienz gearbeitet hat.
Nun wird es verschiedene Gründe haben, warum Psychologen und Psychotherapeuten diese Prämisse aufgreifen. Weder liegt diesem Phänomen eine große Verschwörung zugrunde, noch sind die derart vorgehenden Psychologen und Psychotherapeuten allesamt neoliberale Hardliner, die sich händereibend überlegen, wie sie dem globalen Turbokapitalismus noch besser als bisher zu Diensten sein könnten. In vielerlei Fällen spielt hier vielmehr ein Phänomen mit hinein, das man – überspitzt ausgedrückt – als Fachidiotentum bezeichnen könnte: So wie sich beispielsweise allzu viele Politologen zu wenig für die psychischen Einflüsse auf politische Prozesse interessieren, mangelt es auch Psychologen zuweilen an Interesse für politische Hintergründe und politische Motivationen hinter wissenschaftlichen oder therapeutischen Konzeptionen. Aber auch wenn man es oftmals eher mit Ignoranz anstatt mit Böswilligkeit zu tun hat: Das Sich-Instrumentalisieren-Lassen für neoliberale Intentionen entschuldigt dies nicht.
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Skepsis gegenüber therapeutischen Interventionen
Das Resilienz-Konzept stellt bei weitem nicht die einzige Erscheinungsform neoliberalisierter Psychotherapie dar. Eine andere, um exemplarisch noch eine weitere zu nennen, tritt im Rahmen der Systemischen Beratung und Therapie in Erscheinung. Diese ist zwar als Ganzes – so viel soll hier klargestellt werden – keinesfalls als ein „neoliberales therapeutisches Verfahren“ zu bezeichnen; sie greift aber theoretische Prämissen auf, die das Aufnehmen solcher Grundsätze zumindest nicht unwahrscheinlich machen.
Konkreter: Eine vielfach diskutierte Frage in Bezug auf die Psychotherapie und die Systemische Therapie im Speziellen ist die nach der Berechtigung und Sinnhaftigkeit von Interventionen seitens des Beraters oder Therapeuten. Anders gesagt: Wie sehr darf der Berater oder Therapeut sich „einmischen“? Wie sehr darf er „steuern“? Ist hierbei „Steuerung“ überhaupt legitim oder sinnvoll? In welcher Rolle sieht sich der Berater oder Therapeut selbst in der Interaktion mit dem Klienten / Patienten? Kann er es als „gesetzt“ betrachten, dass er manche Dinge „besser weiß“ als der Klient / Patient, oder hilft er diesem lediglich bei der Selbstfindung? Liegen die Lösungen im Klienten / Patienten selbst – oder auch im Berater oder Therapeuten?
Auch hier wird deutlich: Die Reflexion der eigenen professionellen Rolle und, daraus hervorgehend, der des Klienten / Patienten, die Frage nach der Selbstdefinition und der eigenen Verortung sind entscheidende Fragen für das therapeutische Prozedere, welche alles andere als verbindlich geklärt sind. In vielerlei Fällen bleibt Raum für Interpretationen und – je nach therapeutischem Verfahren und je nach Person – fallen die Antworten unterschiedlich aus. Und oftmals werden auch hier – mal bewusst, mal unbewusst – neoliberale Prämissen aufgegriffen.
In der der Systemischen Beratung und Therapie zugrunde liegenden, interdisziplinär aufgegriffenen Systemtheorie wird von der Annahme ausgegangen, dass wir es im Alltag mit hochkomplexen biologischen, psychischen und sozialen Systemen zu tun haben. Biologische Systeme bezeichnen dabei die Körper von Lebewesen, psychische Systeme das menschliche Bewusstsein und soziale Systeme Interaktionen zwischen Personen, Gruppen, Organisationen oder die Gesellschaft als Ganzes.
Von nicht wenigen Systemtheoretikern wird dabei eine tief reichende Steuerungsskepsis vertreten, die sich aus eben jener These der hochkomplexen Systeme herleitet: Jene Systeme sind demnach kaum steuerbar, da es dafür seitens des „Steuernden“ ein grundlegendes Verständnis und eine umfassende Kontrolle aller Dynamiken bräuchte, die das System und seine Komplexität ausmachen. Diese sei jedoch nicht vorhanden und auch kaum zu erreichen, da Systeme füreinander immer bis zu einem gewissen Grad intransparent sind: Das politische System kennt nicht alle künftigen Entwicklungen des Wirtschaftssystems, und ein psychisches System kennt kein anderes psychisches System „von innen“, weil wir uns nicht gegenseitig in die Köpfe schauen können, es also immer vieles gibt, was wir von der anderen Person niemals erfahren werden. Dies sind nur einige kurz angerissene Beispiele für das, was nach der Systemtheorie die unüberwindbare Komplexität von Systemen ausmacht.
Innerhalb der anwendungsbezogenen Systemischen Beratung und Therapie wird daraus nun – nicht immer und von allen, aber häufig – die Konklusion abgeleitet, dass therapeutische Interventionen, ebenso wie etwa direkte politische Steuerungsversuche des Wirtschaftssystems, mindestens skeptisch zu sehen, im Extremfall sogar grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind, weil ja auch der Berater oder Therapeut das psychische System des Patienten / Klienten nicht „durchschauen“ kann, sondern nur mit dem kalkulieren kann, was dieser ihm erzählt. Eine Intervention ist demnach mindestens riskant bis illegitim, da sie die Systemkomplexität des anderen ausblenden würde.
Stattdessen, so vertreten es die Verfechter dieser Denkrichtung, sollen die Antworten auf sein Problem von dem Klienten / Patienten selbst kommen: Nur er selbst kennt sich eigentlich gut genug, nur er selbst weiß letztlich, was er braucht oder nicht. Der Berater oder Therapeut hat in einem solchen Verhältnis nicht mehr die Aufgabe, Antworten zu liefern, sondern nur noch, die richtigen Fragen zu stellen. Typische Berater- oder Therapeutenfragen in diesem Zusammenhang lauten: „Was brauchen Sie?“, „Was würden Sie jemandem raten, der sich mit genau diesem Problem an Sie wendet?“ etc.
Die Parallelen zum Resilienz-Konzept sollten an diesem Punkt deutlich geworden sein. Sicherlich gilt hier die Einschränkung, dass nicht jede therapeutische, die Denkprozesse des Patienten / Klienten in positive und konstruktive Bahnen lenkende Frage sofort Ausdruck eines zynischen neoliberalen Therapieverständnisses ist. Und dennoch zeigt sich die Prämisse der „Eigenverantwortlichkeit“, des „Jeder ist seines Glückes Schmied“ auch hier: Die Antworten auf sein Problem liegen in dieser Denkrichtung im Betroffenen selbst; der Berater oder Therapeut zieht sich, gleich dem steuerungsskeptischen Staat im Neoliberalismus, auf eine lediglich „stimulierende“, aber nicht mehr intervenierende „Nachtwächter“-Rolle zurück, als eine Art leiser Stichwortgeber, aber immer mit dem Unterton „Nur du kannst dir selbst helfen – ich nicht!“.
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Wachsamkeit ist geboten
Nun wird es, so viel sei abschließend klargestellt, durchaus Fälle geben, in denen diese Herangehensweise ebenso wie das Resilienz-Konzept fruchten und konstruktive Ergebnisse erzielen. Manchmal liegen die Antworten eben wirklich in der Person selbst, und manchmal schützt eben psychische Widerstandsfähigkeit wirklich ausreichend vor Belastungen am Arbeitsplatz. Nur haben wir es hier mit einem weiter reichenden Paradigma zu tun: Das Resilienz-Konzept und die Skepsis gegenüber Interventionen sind in Teilen durchaus dogmatisch vorgegeben, haben also nicht selten den Charakter einer allgemeingültigen Grundregel angenommen.
Spätestens hier wird es problematisch: Denn psychische Widerstandskraft und ihre Stärkung durch „betriebliches Resilienz-Management“ rechtfertigt keine Überbelastungen am Arbeitsplatz, welchen durch derartige Maßnahmen ihre Legitimation als „zumutbar“ zugestanden werden sollen. Und zugleich dürfte sich auch noch so mancher Patient / Klient finden lassen, bei dem die Antworten auf sein Problem eben nicht irgendwo „in ihm selbst“ liegen, sondern es einer klaren Intervention bedarf, um es zu lösen – z. B. in dessen soziale Systeme.
In jedem Fall ist es geboten, ein wachsames Auge zu richten auf politische Prozesse, die sich abseits der „üblichen“ Bühnen der Politik abspielen, aber dennoch gravierende Wirkung entfalten können. Die wissenschaftlichen Deutungshoheiten von heute bestimmen die gesellschaftliche Realität von morgen.
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Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizensiert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen darf es weiter verbreitet und vervielfältigt werden.
Fiete Jensen
Wie schaffen wir einen Betriebsrat ? Abendvortrag in Hannover am 3.11.2017
Vortrag in Hannover mit Norbert Koprek und Dr. Rolf Geffken
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Weniger als 30-40 % aller betriebsratspflichtigen Betriebe in Deutschland verfügen über Betriebsräte. Alle Belegschaften sind gut beraten, sich eine eigene Vertretung, ein eigenes Sprachrohr, einen Betriebsrat zu wählen. Dieser Betriebsrat, der eng mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zusammenarbeitet, hat viele Aufgaben:
Da sind all die täglichen kleineren Probleme, die in Betrieben zwangsläufig entstehen. Das sind alle Probleme rund um Akkord, Arbeitszeiten, Überstunden, Schichtpläne, Kurzarbeit, Urlaubsplanung, Eingruppierung, Leiharbeit, Leistungsbeurteilung, Arbeitshetze, Sozialleistungen, Entlassungen und Arbeitssicherheit, um nur einige Themen zu nennen.
>> Wir brauchen Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat, die sich im Betrieb und mit dem Betriebsverfassungsgesetz gut auskennen, die über fachliche Sachkenntnis verfügen und die in der Lage sind, mit Vorgesetzten einen Konflikt auszutragen.
>>> Wir brauchen Betriebsräte, die den Mut haben, „denen da oben“ zu widersprechen, die bereit sind, unsere Interessen offensiv zu vertreten und nicht klein beizugeben.
>>> Wir brauchen Betriebsräte, die den Mut haben, öffentlich und mit lauter Stimme für uns und unsere Interessen einzutreten.
>>> Wir brauchen Betriebsräte, die uns jederzeit informieren und keine Geheimratspolitik betreiben.
Die Wahl von Betriebsräten wird immer wieder behindert. „Doch es hilft nichts zu lamentieren“ schreibt Dr. Rolf Geffken von RAT & TAT. Und weiter: „WIR wollen MUT machen. Es ist Zeit für Abhilfe. Wir klären auf. In einer bundesweiten Kampagne. Mit kostenlosen Abendvorträgen in Bremerhaven, Bremen, Hamburg, Hannover, Berlin und Kassel. Norbert W. Koprek von VIRCON Consult und Dr. Rolf Geffken von RAT & TAT. Dieser Vortrag findet statt am 3.11.2017 um 19.00 Uhr im Freizeitheim Linden, Windheimstrasse 4, 30451 Hannover„.
Weitere Termine:
– 24.11.2017 um 18.00 Uhr im Mehringhof, Gneisenaustrasse 2A, 10961 Berlin-Kreuzberg
– 08.12.2017 um 18.00 Uhr im Cafe Oase, Germaniastrasse 14, 34119 Kassel
Die Teilnahme ist kostenlos.
In einem Video hat Dr. Geffken in einem „Weimarer Appell“ zu den aktuellen Gründen
für die Notwendigkeit einer solchen Kampagne Stellung genommen:
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Sie nennen es Demokratie aber es ist keine!
Freiheit für die politischen Gefangenen!
Die von Carmel Lamela, Richterin an der „Audiencia National“ (etwa: Nationaler Staatsgerichtshof – d. Übers.), beschlossene Anordnung, die Vorsitzenden von „Omnium Cultural“(1) und der „ANC“(2), Jordi Cuixart und Jordi Sanchez zu verhaften, ist ein weiterer, besonders gravierender Schritt in der Konfrontation zwischen dem monarchistischen spanischen Staat und den katalanischen Institutionen.
Nach der Unabhängig- keitserklärung vom 10. Oktober, die im gleichen Zug vom katalanischen Parlament ausgesetzt worden war, gab es eine ununterbrochene Reihe von Provokationen durch das pro-spanische Lager. Die Regierung und ihre Komplizen fordern einen bedingungslosen Rückzug der katalanischen Institutionen, was eine Provokation gegen das katalanische Volk darstellt, das legitimer Weise sein Recht einfordert, über die eigene Zukunft selbst zu entscheiden.
Die Regierung und die sie stützenden politischen Kräfte sind sich der politischen Konsequenzen dieser Entscheidung voll bewusst. Tatsächlich üben einige ihrer führenden Politiker (insbesondere die Führer von „Ciudadanos“ und der Wortführer des katalanischen Partido Popular PP[Regierungspartei – d. Übers.]) Druck aus, noch weiter zu gehen und verlangen die sofortige Anwendung des Verfassungsartikels 155 3 oder auch das Verbot von Wahlprogrammen, die für die Unabhängigkeit Kataloniens eintreten.
All das in einem Staat, der noch die Namen einiger der schlimmsten Verbrecher des europäischen Faschismus als Straßennamen beibehält und in dem noch Tausende von Opfern des Franco-faschistischen Terrors in Massengräbern liegen. Dieser Staat hat einen riesigen Schleier des Schweigens über all die Fälle von Staatsterrorismus oder Korruption gebreitet, bei denen sich die Gerichtsverfahren ewig hinziehen und in ungemein kleinlichen rechtlichen Formalien untergehen, während genau derselbe Staat die eiserne Faust des Gesetzes – seines Gesetzes –jeden spüren lässt, der es wagt, die „verfassungsmäßige Ordnung“ in Frage zu stellen. Die herrschende Clique verlangt von den radikalisierten Teilen der katalanischen Bourgeoisie die bedingungs- und alternativlose Unterwerfung, ein Ziel, mit dem sie jedwede Tür zu einer Verhandlungslösung zuschlägt. Der Koordinator des PP, Martinez Maillo, erwog die Inhaftierung der nationalistischen Führer als Teil der „institutionellen Normalität“; auch Rajoy, Rivera und Sanchez4 bestehen stur darauf, dass als Vorbedingung jeder Verhandlung die katalanische Regierung die „demokratische Gesetzlichkeit“ und die Verfassung von 1978 respektieren müsse.
Es ist Realität, dass dieselben politischen Vertreter der nationalen Oligarchie, welche die unteren Klassen einer ständigen Verschlechterung ihrer Lebensgrundlagen unterwirft, die Gesetze und diese monarchistische Verfassung von 1978, die alt und beschränkt ist, nach ihrem Belieben verändert haben – unter Missachtung der Meinung der Mehrheit der werktätigen Massen. Im heutigen Spanien sind sie es, die die Gesetze diktieren und die Grenzen der Demokratie festlegen.
Wir stehen nicht vor einem Konflikt zwischen einem Staat, der die Demokratie verteidigt und einer nach Unabhängigkeit strebenden Minderheit, welche diese missachtet. Nein, wir stellen gerade anhand der Tatschen fest, dass die Demokratie, die Rajoy und seine Verbündeten im Mund führen, in Wirklichkeit eine Klassendiktatur ist, deren Gesetze von einer Politikerkaste diktiert werden, auf dem Rücken der Mehrheit.
Gibt es dafür einen besseren Beweis als die Tatsache, dass Festnahme und Haft der Vertreter von Omnium und ANC durch die Richterin der „Audiencia National“ angeordnet wurde, eines Gerichts, das das Franko-faschistische „Tribunal für öffentliche Ordnung“ beerbt hat? Es genügt festzustellen, dass die Errichtung der „Audiencia National“ am 4. Januar 1977 zur selben Zeit erfolgte wie die Auflösung des „Tribunals für öffentliche Ordnung“, dieses Repressionsorgans des Franko-Faschismus, dessen einzige Rechtfertigung es war, den Bestand der „organischen Demokratie“ des Mörders Franco zu garantieren, und das Zigtausende von Kämpfern gegen Franco und für die Demokratie brutal unterdrückte.
Genug der Lügen! Was wir dieser Tage erleben, zeigt – wir betonen es immer wieder – die wahre Natur dieses Regimes von 1978, das auf immer gleiche Art antwortet, wenn seine Normen in Frage gestellt werden; Normen, durchgesetzt von einer Kaste von Politprofiteuren.
Diese Kaste, die die soziale Bewegung mit dem Artikel 315 5 des Strafgesetzbuches bekämpft und mehr als 300 Gewerkschafter vor Gericht geschleppt hat, weil sie ihr Streikrecht ausgeübt haben, reagiert genauso auf die Empörung der Bürger über die brutalen Haushaltskürzungen Ministerpräsident Rajoys, nämlich mit der Anwendung des Knebel-Gesetzes, eines echten Ausnahmegesetzes, das die freie Ausübung des demokratischen Rechts der Meinungs-, Informations- und Demonstrationsfreiheit beschneidet.
„Sie nennen es Demokratie, aber es ist keine!“ schrie es im Februar 2003 zum ersten Mal aus tausenden Kehlen, um dem Protest gegen den Golfkrieg Ausdruck zu verleihen, der vom Ganoven Aznar6 gemeinsam mit Blair und Bush genauso „demokratisch“ beschlossen worden war. Die gleiche Parole riefen Hunderttausende während der Wellen des Protestes gegen die Haushaltskürzungen der Regierung Rajoy.
Wir leben de facto in einem Ausnahmezustand, mit dem die herrschende Clique die Proteste eines Volkes zum Schweigen bringen will, das an den Entscheidungen beteiligt sein will, die es betreffen. Heute stehen nicht nur die Rechte des katalanischen Volkes auf dem Spiel: Nein, die Regierung und ihre Komplizen sind dabei, mit der gleichen üblichen Straflosigkeit den elementarsten demokratischen Rechten aller Gewalt anzutun.
Unter diesen Umständen erneuert unsere Partei ihren Appell an alle linken und demokratischen Kräfte, sich zum Kampf für die Demokratie und für den Sturz des korrupten, demokratiefeindlichen Regimes von 1978 zu einer gemeinsamen Kraft zusammen zu schließen. Wir bringen zugleich unsere Unterstützung für den Aufruf der Junta Estatal Republicana7 zum Ausdruck, eine gemeinsame Kampagne zu starten, die es ermöglicht, den Weg zu einer Föderativen Republik in Spanien zu ebnen. Wir rufen auf, den kommenden 6. Dezember als allgemeinen Appell zu gestalten, als Ausdruck und Katalysator für die Forderung, mit dem monarchischen System zu brechen.
Freiheit für Jordi Cuixart und Jordi Sanchez!
Genug der Lügen! Sie nennen es Demokratie, aber es ist keine!
Madrid, den 17. Oktober 2017,
Exekutivkomitee der Kommunistischen Partei Spaniens (Marxisten-Leninisten)
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Anmerkungen zum Text:
- Omnium cultural: Verband, der die katalanische Sprache und Kultur fördert.
- Assemblée Nationale Catalane: 2012 mit dem Ziel der politischen Unabhängigkeit gegründete Organisation. Sie spielte eine maßgebliche Rolle bei der Organisation von Demonstrationen für die Unabhängigkeit und gegen die seit dem Tag der Abstimmung für die Unabhängigkeit stattfindende Repression.
- Der Artikel 155 sieht für die spanische Regierung die Möglichkeit vor, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um „ein autonomes Gemeinwesen zu verpflichten, seine verfassungsmäßigen Pflichten zu erfüllen“. Der Ministerpräsident kann die Kontrolle über die betreffende Region, über seine politischen und staatlichen Organe übernehmen. Er kann dann Regierungsmitglieder suspendieren und ersetzen, die Befehlsgewalt über die örtliche Polizei übernehmen, die dann unter dem Befehl des Innenministers steht. Er kann das Regionalparlament auflösen oder auch den öffentlichen Dienst übernehmen.
- Rahoy: spanischer Ministerpräsident und Führer des Partido Popular (PP), Rivera: Vorsitzender der Partei Ciudadanos, Sanchez: Generalsekretär der PSOE (Sozialdemokratische Partei).
- Artikel 315-3 des Strafgesetzbuchs ist ein Überbleibsel des faschistischen Strafrechts unter Franco. Er trifft bis heute Menschen, „die als Gruppe oder Individuum, aber im Einverständnis mit anderen, andere Personen zwingt, einen Streik zu beginnen oder fortzusetzen“. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Maßnahme, die jeden Streikenden oder Gewerkschafter, der zum Streik aufruft, mit Verfolgung bedroht.
- Aznar: Ehemaliger Vorsitzender des Partido Popular (PP) und spanischer Ministerpräsident von 1996 bis 2004.
- Junta Estatal Republicana: Republikanische, nationale Vereinigung, bestehend aus (bzw. unterstützt von) zahlreichen linken und republikanischen Parteien, darunter der PCEml.
(Übersetzung aus dem Französischen)
Erstveröffentlichung in deutscher Sprache am 25. Okt. 2017 in Arbeit Zukunft online. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
Hinweis: Nach der hier von der der PCE(ml) verbreiteten Erklärung ist die Entwicklung des Konflikts schon weitergegangen. Am Samstag, 21. Oktober, hat der im Text mehrfach kritisierte spanische Ministerpräsident Rajoy den Prozess der Beseitigung der Autonomie Kataloniens nach Artikel 155 der monarchistischen spanischen Verfassung bereits eingeleitet und so die Eskalationsschraube weiter gedreht!
Fiete Jensen
Personalmangel in Krankenhäuser unerträglich
Erneut streikten Kollegen/-innen aus dem Bereich Krankenpflege
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In dieser Woche kam es in Krankenhäusern in NRW, im Saarland und in Düsseldorf erneut zu Arbeitsniederlegungen für mehr Pflegepersonal. Ver.di teilte am Dienstag mit das Mitarbeiter/innen des Universitätsklinikums Düsseldorf für zwei Tage in den Ausstand getreten sind. Am Mittwoch folgen dann die Kolleginnen und Kollegen in der katholischen Marienhausklinik im saarländischen Ottweiler dem Streikaufruf, um für einen »Tarifvertrag Entlastung« zu kämpfen. Am Donnerstag streikten Kollegen/innen aus dem Bereich Pflege des privaten Helios-Amper-Klinikums im bayrischen Dachau.
In Dessau ist die Leitung der Helius-Amper-Klinik zu keinen Verhandlungen bereit und Düsseldorf verweigere die Krankenhausleitung sogar den Abschluss einer Notdienstvereinbarung. »Statt auf Verständigung und Lösungen für die Personalnot zu setzen, setzt der Vorstand hier auf Eskalation«.
Kollegen/-innen der Universitätsklinikums Düsseldorf haben am 23. und 24. Oktober einen 48-Stunden Warnstreik durchgeführt. Die Gewerkschaft ver.di hatte zum Arbeitskampf aufgerufen, und hunderte Beschäftigte nahmen teil. Viele Kundgebungen und Demonstrationen wurden durchgeführt. Die Stimmung war sehr kämpferisch und von viel Solidarität geprägt.
Warum wird gestreikt?
Die Kollegen/-innen beklagen das die Personaldecke zu dünn und dadurch die Arbeitsbelastung für die Pflegekräfte viel zu hoch ist Besonders in den Nachtschichten kommt es zu Engpässen.
Zudem wird bemängelt, dass Mitarbeiter/innen von Tochtergesellschaften der Uni, darunter Reinigungskräfte und Pförtner, bisher keinen Tarifvertrag haben.
Solidarität zeigten auch die von Entlassungen betroffenen Reinigungskräfte von Klüh, des Düsseldorfer Flughafens. Sie nahmen an der Demo teil und unterstützten die streikenden Kollegen/innen. Außerdem nahmen auch u. a. Vertreter der Die Linke, DKP und SDAJ teil.
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Victor Grossman
A film from yesterday an an ausience from today
Berlin Bulletin No. 136
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With its theme a little-known event of over a century ago, the film was ancient in cinema terms, its rather unsuccessful premiere was way back in 1926 and the performance Monday evening marked an event even earlier than that, one which is rarely discussed and even less celebrated. Yet the theatre was sold out and the final ovation lasted many, many minutes, with some loudly cheering and many standing.
The film was Potemkin, its showing was almost exactly 100 years after the Russian Revolution in October or November 1917 (the month depending on which calendar is used). The place was the Babylon in downtown Berlin, near its eastern center, Alexanderplatz.
What brought so many people together for an old silent film on that drizzly evening?
The Babylon is a beautiful theater, designed by Hans Poelzig (1869 – 1936) in a style called New Objectivity – like the clear functional Bauhaus style but less angular, with rounded corners giving it a certain gentleness. His career and this style were ended by the Nazis, who liked heroic buildings; he died just before his planned emigration. A small anti-Nazi Communist cell led by a young projector met secretly in this theater, and it seems likely that a Jewish family once found brief refuge here behind the big screen.
The theater is the only one in Germany which still has its old organ, played between films and for old silent films every Saturday at midnight with no admission charge.
But the organ was not needed for this special occasion, the start of this autumn’s fifty-film retrospective of Soviet films to mark the centenary. Occupying the orchestra pit was an ensemble of 18 musicians, who all like to play for silent films and formed the Metropolis Orchester Berlin to accompany the film classic Metropolis earlier this year – and now Potemkin, with the original score, a highly dramatic, sometimes almost startling but immensely impressive music which has only very rarely been heard.
Of course it was the film which was the main attraction, a chance to see a work which is rarely missing from lists of the ten best films of all time, and sometimes the best five, but only rarely shown – and probably never with a live, skilled and enthusiastic ensemble like this one.
Sergei Eisenstein (1898-1948) was commonly considered the greatest Soviet director, one of the world’s greatest. This film illustrates his exciting new development of film montage, cutting one film action right next to a very different one in ways aimed at linking ideas and creating emotions – for him the most important part of film-making. Potemkin illustrates this magnificently and – you could almost feel it in the air – the audience was caught up completely by the suspense, the emotion and also the message. It is the story of the Russian battleship Potemkin in 1905, starting with dissatisfaction among the sailors about mistreatment and disgusting meat filled with worms. When some of those rejecting the awful food and showing resistance are to be shot as a warning to the others, the whole crew rises in mutiny, takes over and steers into nearby Odessa. It is the revolutionary year 1905, and huge numbers greet them and mourn with them the death of the leading mutineer.
Then come the famous, amazing scenes showing the booted, white-uniformed Cossack military unit, firing into the crowd as its straight line marches unstoppably downward, mowing down those seeking safety, with many deaths and one amazing episode showing a baby in its carriage, with its mother dead or wounded, as it rolls perilously down the famous stone stairway.
It was and is a revolutionary film. A clever leftist publicist (Willy Münzenberg, 1989-1940) managed to squeeze it past the first censorship attempts in Berlin. To quote a major critic of the day, “We were electrified”. It became such a hit that it quickly moved from one small left-wing theater to twelve theaters all around the city, including the exclusive Kudamm. Though continually censored, cut and outlawed it somehow managed to break through to world fame. Forbidden at first in the USA – as a blueprint for sailors on how to mutiny – the great actor Douglas Fairbanks helped make it possible to premiere at the Biltmore Theater on 47th Street in New York in late 1926, and it won so much praise that Eisenstein was given a contract for Hollywood (which unfortunately resulted not in films but in unsurmountable differences). The film remained banned in Britain until 1954 and in France nearly every copy of it was burned.
In some cases it was the revolutionary music which infuriated the censors, yet this was one of the factors in its huge success in Berlin on Monday.
There has never been much doubt; this was and remains one of the greatest films. But it is a totally political film; why did it get so much applause from the very mixed audience of both young and old? I think it was not only the fame of the film, its suspense and the great live music in a beautiful theater. Among the old-timers, here in East Berlin, many had grown up, lived, labored and loved in East Germany, the GDR, which despite its failings and all too many hypocrites, dogmatist and fools also maintained for some of its citizens emotional ties to the old USSR, especially its early years, and to revolutionary traditions which have since largely become taboo. With them, I think, a certain melancholy, even nostalgia was mixed in their applause
As for the young people, the kind that came to this film, there was a kind of yearning involved, not just for the excitement involved in it – at times brutal excitement – but for a dream expressed less in words than in the actions of the people on the screen, most of them not actors but everyday people chosen for their typical yet distinctive faces. Was it a dream of new mutiny against an aristocratic elite which still offers the wormy meat to all below it and smothers the protests of any who grow too rebellious? They have heard of the giant gatherings for Bernie Sanders and Jeremy Corbyn, many have taken part in human blockades against present-day fascists, now entering as delegates into the Bundestag, and they rejoiced, I think, to see rebellious seamen in a ship on the Black Sea in 1905. Perhaps they even felt somehow inspired.
They needed only to leave the theater to be on a square still named Rosa Luxemburg Platz – a place which was often enough the scene of angry demonstrations, both past and very recent. The spirit of Potemkin – and of some of the other films in this two-week retrospective – is not completely dead, and is as necessary as ever.
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Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum e.V. Aschaffenburg
Ein unglaublich dumm aufgesetzter Artikel
Über die Berichterstattung in Panorama am 26. Oktober 2917
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Ein lächerlicher amerikanischer General des schwächelnden US Imperiums, der so tut, als hätte er den Begriff und die Idee der Demokratie erfunden und der Freiheitsbewegung in Rojava und Nord-Kurdistan eingeimpft, wo doch schon in den Neunziger Jahren die namentlich verbotene Freiheitsbewegung, dem bis dahin vom Kapital und linken Staatsdoktrinen entfremdeten Begriff und Idee der Demokratie radikal neue Inhalte und nach allen Seiten und Ebenen hin neue Stoßrichtung entrungen hat, sowie neue Horizonte aus tiefer Einsicht mit dem bisher entrechteten und „entwerteten“ Geschlecht ( die Frau) nach innen und nach außen unter den widrigsten Umständen und mit großer Opferbereitschaft freilegte. Nun tritt so ein General eines in sich nicht wirklich demokratischen Imperiums Ruhm erheischend vor die Presse und faselt wie ein Heilsbringer aus dem Geschlecht der Konquistadoren. Die ARD findet alles ungemein mysteriös, weil sie glaubt….oder vorgibt zu glauben, dass man es doch mit einer vermeintlich bösen marxistischen Bewegung zu tun habe. Liebe ARD, wieder mal die Hausaufgaben nicht gemacht? Linke Geisteshaltung ist zwar vorhanden, aber in einer ganz anderen befreiten Art, als die, welche ihr euch so einbildet. Wäre Euch anzuraten, besser zu recherchieren, als dass ihr aus Kalkül oder Faulheit veraltete Floskeln und Halbwissen den Menschen vorsetzt So werdet ihr beschämt vielleicht feststellen, dass die von Euch als primitiv dargestellten Menschen, nicht das eigentliche Primitive ist, sondern Eure Sichtweise und Kolportage (Verleumdung) .
Vielleicht werdet ihr dann auch deutlicher erkennen, dass hier an ewig gleichen Verblendungen festgehalten und das als modern und hipp und als etwas Wesentliches verkauft wird , was sich da nennt „Ego , Geiz und Narzissmus“
Sitzt da jemand in der Chefetage, der solche tendenziösen und undifferenzierten Artikel gewähren lässt, weil er Urlaubsreisen in die USA und Türkei so ungemein erholsam und spritzig findet?
Jakob Reimann
Das US Empire hat Soldaten in 172 Ländern dieser Welt stationiert
Militärische Dominanz als letzter Pfeiler des Imperiums
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Die USA haben in 172 von 194 Ländern dieser Welt 240.000 Soldaten stationiert – ein ausuferndes globales Netzwerk als permanente Drohgebärde. Dieses dominante Militär und die offenkundige Bereitschaft, es gegen jeden Widersacher einzusetzen, ist mittelfristig der letzte Stützpfeiler, der das taumelnde US Empire trägt.
Am 4. Oktober starben im westafrikanischen Niger vier US Special Forces bei Kämpfen während einer Routineaufklärungsmission nahe der Grenze zu Mali. Während sich Hobbyseelsorger Donald Trump mit den einfühlsamen Worten „Er wusste, worauf er sich einließ.“ per Telefon an die trauernde Witwe einer der vier Getöteten wandte, fragten sich vermutlich die meisten US-Amerikaner, wo Niger denn überhaupt liegt – und wer, anders als der Autor, kein besserwisserischer Geographie-Nerd ist, der oder dem sei dies auch verziehen – doch
vor allem aber wohl die Frage: „Was zur Hölle machen wir im Niger?“ Die meisten US-Amerikaner waren vermutlich auch mehr als erstaunt
zu erfahren, dass die USA ganze 800 Soldaten in der nigrischen Wüste stationiert haben.
Das Fußvolk des US Empire
Der Aufruhr um die Toten vom Niger stieß eine Debatte um die globale US-Militärpräsenz an, die schnell erkennen ließ, dass die Hunderten von Truppen im Niger nur die Spitze des Eisbergs sind und gegen das globale Kontingent erblassen. Auf den Seiten des Pentagon findet sich eine vierteljährlich aktualisierte Excel-Tabelle, die all das akribisch aufschlüsselt und Erstaunliches zutage bringt:
Die USA haben in mindestens 172 Ländern dieser Welt insgesamt 240.000 Soldaten stationiert. Zur Erinnerung: es gibt gerade einmal 194 Länder auf dem Globus (193 UN-Mitglieder plus Palästina), in 89 Prozent dieser Länder ist also das US-Militär stationiert. Wenn wir uns 2017 eine wichtige Zahl merken wollen, so ist es gewiss diese: 172 Länder.
Angeführt wird die Liste von Japan mit 39.980 Truppen verteilt auf stolze 84 US-Militärbasen im Land. Zusammen mit den insgesamt mehr als 130.000 Truppen der US-Pazifikflotte bilden „die Japaner“ demnach die Speerspitze des sich in den nächsten Jahr(zehnt)en androhenden Weltkriegs gegen China.
Knapp zweiter auf der Liste ist – ja, tatsächlich: Deutschland mit 36.034 Truppen in insgesamt 38 US-Militärbasen. Und das 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und 27 Jahre nach der Wiedervereinigung. (Nein, liebe BRD-GmbH-ler, ich argumentiere hier gewiss nicht in eurem Sinne.)
Insgesamt gibt es 19 Länder auf diesem Globus mit mindestens 1.000 stationierten US-Soldaten. Neben Afghanistan und Irak – zusammen 19.567 Truppen – sind darunter in erster Linie die repressiven und teils faschistischen Öldiktaturen der Golfregion. Mit Italien, Großbritannien, Spanien und selbst Österreich sowie Dutzenden kleineren Länderkontingenten sind Zehntausende US-Soldaten quer über ganz Europa stationiert, mit ihrem Hauptquartier in Stuttgart.
Auf dem zweiten Platz – werden zivile Pentagon-Leute hinzugezählt gar mit Abstand auf dem ersten Platz – findet sich ein eher unerwartetes „Land“ wieder: UNBEKANNT. Was genau sich hinter diesen 51.490 Geistern verbirgt, können wir uns alle selbst zusammenfantasieren. Ich vermute, dass es sich um Special Special Forces handelt, die außerhalb der regulären Mechanismen und Protokolle agieren, vielleicht eingeschleust in hohe Kader im Iran oder versteckt irgendwo in den Wäldern um Moskau hausend. Oder um die liebevollen Worte Thomas de Maizières zu gebrauchen: Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.
Der unendliche Krieg
Das US Empire ist das mächtigste Imperium der Menschheitsgeschichte. Doch dieses Imperium wird den USA in den nächsten Jahrzehnten unter den Füßen wegbröseln. Auf sämtlichen Gebieten – Wirtschaft, Handel, Finanz, Technologie, Raumfahrt, Spitzenforschung, Politik, Diplomatie, Entwicklungshilfe, Infrastruktur – wird auf mittlere Frist China die USA überholen, oder hat dies wie auf dem Gebiet des globalen Handels bereits getan. Nur auf dem Gebiet der Kultur ist kein Ende der globalen US-Dominanz abzusehen, China ist einfach „uncool“ – wie Foreign Policy es formuliert.
Die gegenwärtige und noch auf Jahre anhaltende Übermacht der USA wird getragen von letztendlich einem einzigen Pfeiler: ihrem Militär. Und damit in der abschreckenden in den letzten 100 Jahren unzählige Male demonstrierten Bereitschaft, die militärische Vergeltung nicht nur anzudrohen, sondern gegen jedes Land einzusetzen, was es wagt, sich Washington substanziell zu widersetzen. Ob groß oder klein, arm oder reich, Verbündeter oder Feind spielt hierbei keine Rolle.
Mit den Anschlägen des 11. September, der Ausrufung der Achse des Bösen und dem Beginn des globalen War on Terror traten wir in ein neues Zeitalter ein, so wie es vor und nach Christus gibt, scheint es nun eine Zeitrechnung vor und nach 9/11 zu geben. Es ist das Zeitalter des unendlichen Kriegs. Unendlich nicht nur weil er zeitlich unbegrenzt ist, sondern auch weil er als selbsterfüllende Prophezeiung mit seiner Wirkung die Ursache permanent neu erschafft und sich so selbst am Leben hält. Im Jahr 2000 gab es weltweit 405 durch Terror getötete Menschen, 2014 gab es dann 32.727 Terrortote – eine Ver-81-fachung nach 14 Jahren Krieg gegen den Terror. Unendlich außerdem, weil er per Definition unmöglich, siegreich zu beenden ist. Es hat immer Terrorismus gegeben und wird ihn auch immer geben, zumindest solange sich an den grundlegenden Mechanismen, wie das Zusammenleben auf dieser Welt organisiert ist, nichts ändert. Mit militärischer Gewalt kann Terror nicht überwunden werden. Feinde können ausgelöscht werden. Doch Terrorismus ist kein physischer Feind, sondern eine militärische Strategie. Genauso wie zwar Boxer XYZ nicht jedoch der linke Uppercut als solcher besiegt werden kann, kann zwar bin Laden nicht jedoch der Terrorismus besiegt werden.
Doch die USA als Schutzpatron eben dieser Ideologie setzen alles daran, dass wir diesem Phantom auch weiterhin hinterherjagen und stolpern selbst machttrunken von einem irreführend so genannten Anti-Terror-Krieg in den nächsten. Von klassischen Invasionen wie im Irak und Afghanistan über Luftkriege wie in Libyen und im IS-Territorium bis hin zu Schattenkriegen unter dem Radar der Öffentlichkeit wie auf den Philippinen oder in Westafrika – mit Jemen, Syrien, Somalia, Pakistan irgendwo zwischen diesen Grenzfällen – oder auch mit (noch) reinem Cyberkrieg wie im Iran oder Nordkorea. Jedem Land wird das passend scheinende Kriegsmodell übergestülpt – und 240.000 Soldaten in 172 Ländern stellen sicher, dass jedes Land dieser Welt problemlos als nächstes dran sein kann. Ein ausuferndes globales Netzwerk ohne demokratische Kontrolle oder Debatte fungiert als permanente Drohgebärde.
Mit einem geisteskranken, von Hass und Gewalt getriebenen, ultranationalistischen, durch und durch militaristischen und größenwahnsinnigen Narzissten für vier oder gar acht Jahre im Weißen Haus fällt es im Hier und Heute gewiss schwer, sich für den zwangsläufigen Fall des US Empire ein unblutiges Szenario für das 21. Jahrhundert auszumalen, das Szenario eines geschrumpften Riesen, der nur mit blauen Flecken und ein paar gebrochenen Rippen auf Augenhöhe in der multipolaren Welt landet. Mit dem Mutter aller Bomben abwerfenden Donald Trump, der noch nicht einmal weiß, welches Land er überhaupt gerade bombardiert hat, ist es traurigerweise leichter, sich einen globalen Feuerball vorzustellen. Doch die Hoffnung auf ein Ende des Krieges als politisches Werkzeug ist überall greifbar. Sie liegt in der Vernunft der Bevölkerung der USA, und der aller anderen Länder dieser Welt. Sie liegt in den friedliebenden Köpfen der Milliarden von Menschen auf diesem Globus.
Sie liegt im Protest dieser Menschen gegen ihre politischen Führer.
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Erstveröffentlichung www.justicenow.de. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
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Über den Autor: Jakob hat im Sommer 2014 sein Masterstudium in Biochemie in Dresden absolviert und arbeitet mittlerweile an der naturwissenschaftlichen Fakultät der An-Najah National University in Nablus, Palästina. Er forscht über die Auswirkungen chemischer Industrieanlagen auf Umwelt und Gesundheit der Menschen in der Westbank. Er ist zudem freiwillig für die Flüchtlingsorganisation PICUM tätig.
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