Ingo Niebel

80 Jahre nach Gernika

, 19. April 2017, No Pasaran 1-2017
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Ingo Niebel

1997 schrieb Bundespräsident Roman Herzog den Überlebenden der Bombardierung von Gernika einen Brief, in dem er ihnen die Hand zur Versöhnung reichte. Die Adressaten und ihre Nachkommen erinnern sich respektvoll dieser Geste, da von spanischer Seite nichts dergleichen geschehen ist. So bleibt die 1977 in Gernika erhobene Forderung, Madrid möge Pablo Picassos Monumentalgemälde „Guernica“ aushändigen, auch am 80. Jahrestag der Zerstörung durch die deutsche Legion Condor aktuell. Im Rückblick kann sich der deutsche Staat glücklich schätzen, dass sein Staatsoberhaupt seinerzeit zur Feder griff und so die für die (bundes)deutsche Politik beschämende Debatte um eine Versöhnungsgeste für das Verbrechen vom 26. April 1937 beendete.

Heute denken Menschen in Gernika und dem Baskenland darüber nach, wie das zukünftige Gedenken aussehen könnte. In den Jahrzehnten nach dem Tod des faschistischen Diktators Francisco Franco ging es zunächst darum, die franquistische Lüge zu widerlegen, wonach „rot-separatistische“ Basken das Symbol ihrer Freiheit selbst  angezündet hätten. Gleichzeitig konnten Überlebende sich nach Dekaden des aufgezwungenen Schweigens Gehör verschaffen. Seitdem steht Gernika für viele Verbrechen, die der faschistische Putsch vom 17./18. Juli 1936 und die deutsch-italienische Intervention erst ermöglichten. Viele Städte und Orte inner- und außerhalb des Baskenlandes erlitten ein vergleichbares Schicksal, das aber nicht so bekannt wurde.
Ebenso symbolisiert Gernika die Vernichtung der baskischen Selbstregierung. Hieraus erklärt sich der Fortbestand des politischen Konflikts des Baskenlandes mit Madrid, der zusammen mit dem Streben nach Unabhängigkeit sein Pendant in Katalonien gefunden hat.

Seit dem Ende der Franco-Diktatur verlangt die Stadt Gernika als spanische Wiedergutmachungsgeste, dass Pablo Picassos „Guernica“ seinen Platz hier finden soll.
Foto: Ingo Niebel

Die Verweigerungshaltung, die der postfranquistische Premier Mariano Rajoy (PP) gegenüber den beiden Regionen an den Tag legt, erklärt sich auch daher, dass Staat und Gesellschaft die Franco-Diktatur nur beschränkt aufgearbeitet haben. Ehrungen des Regimes gehören ebenso zur Tagesordnung wie die Tatsache, dass die Urteile der Unrechtsjustiz fortbestehen. Hinzu kommt, dass es kein „Dokumenta tionszentrum des Franquismus“ gibt, das mit der Berliner „Topographie des Terrors“ oder dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln vergleichbar wäre. In beiden Fällen waren es engagierte Bürger/-innen, die verhinderten, dass jene Orte nazistischer Repression und Vernichtungspolitik in Vergessenheit gerieten. Dass sich die Bundesrepublik nicht mit Ruhm bekleckerte, als es hieß, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten, zeigt auch die offizielle Missachtung der Spanienkämpfer/-innen und Angehörigen der Internationalen Brigaden. Diese entspricht dem „ehrenden Gedenken“ und den Renten, die die Bonner Republik Mitgliedern der Legion Condor und Francos Blauer Division zuteil werden ließ.
Da dem Franquismus sein Stalingrad und Nürnberg erspart blieben, wirken die Folgen der deutschen Intervention von 1936/1939 bis heute nach und bestimmen die Beziehungen beider Staaten. Diese Erkenntnis verpflichtet zur Hilfe bei der „zweiten Demokratisierung“ des spanischen Staates, wie sie progressive Kräfte anstreben. Bilaterales Gedenken in Kooperation mit wissenschaftlicher Forschung und politischer Arbeit können diese Entwicklung begleiten.
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Quelle:¡NOPASARAN! 1-2017

Seite 1 der ¡NOPASARAN! 1-2017: No Pasaran 1-2017_WEB Seite 1

Englisch: Leitartikel_No Pasaran 1-2017_Niebel_engl.

Spanisch: Leitartikel_No Pasaran 1-2017_Niebel_span.

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