Harry Popow – 28. September 2021

Friedhofs-„Lärm“

Harry Popow

Liebe Leser/innen,
ich möchte Euch mein neues Buch »Der Mensch im Teufelskreis – Dr. Faustus Auferstehung«, das am 18. September erschienen ist, vorstellen.
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Nach nahezu 200 Jahren völliger Stille in der Gruft von Dr. Faustus, den Goethe als den modernen Menschen darzustellen versuchte, erwacht Faust durch ungeheuren Lärm. Neue Särge werden in den Friedhof verbracht und neue Gräber geschaufelt. Bis das Getöse und Gedonner immer aufdringlicher wird. Er hält es nicht mehr aus – der Greis im Oberrock des 18. Jahrhunderts. Klettert aus der Grube und will es wissen: Was passiert in der Welt? Manche schreien außerhalb des Friedhofs das Wort „Pandemie“, andere wieder „Klima“, andere wieder „Krieg“, daneben immer zu hören: „Vorsicht vor einem Linksruck, da soll der Mensch ja erzogen werden.“ Dazu fuchtelt die Politik hilflos mit den Armen und jagt den Völkern Angst ein. Grauer Himmel über dem Planeten statt ein „Himmel auf Erden?“ Dem Alten wird übel: „Sind denn alle des Teufels?“

Im Streben nach Erkenntnissen will er ein Mensch bleiben, ein moderner, der stets von sich aus bejaht oder verneint, ohne einen Teufel befragen zu müssen. Um Abhilfe zu schaffen? Nein, dazu ist er nicht befugt, aber für Wißbegier nicht zu alt.

In dieser 382 Seiten umfassenden Lektüre bemüht sich Dr. Faustus – gemeinsam mit seinen gleichgesinnten Freunden – um die Dialektik der Widersprüche, wie es Goethe und alle fortschrittlichen deutschen Dichter und Denker bereits vor ihm getan haben. Sie stoßen auf Konflikte, lösbare und unlösbare. Und auf eine bodenlose Ignoranz, die in der Marktwirtschaft ihr Zuhause hat. Erschrocken wird er sich fragen, ob sein Ausstieg aus der Gruft nicht zu einer neuen und sehr „modernen“ führt? Erst tot und dann noch toter? Wer lässt sich das schon gefallen in diesem Teufelskreis?

In diesem zwischen Wahrem und Fiktivem gesellschaftskritischen Buch geht es weniger um Handlungsabläufe als um Treffen von Gleichgesinnten, die an verschienene Orten – zum Beispiel in Berlin „Zur Letzten Instanz“ und in Leipzig im „Auerbachs Keller“ über Geschichte und Philosophie debattieren. Die Protagonisten sind Freunde eines gewissen Buchnarren, der wirklich existiert und den „Faust“ von Goethe bereits als junger Mensch eifrig gelesen hatte. Alle Freunde, die sich um Faust zusammenschließen gab es und gibt es noch heute. Ein gewisser Michel dient lediglich als Symbolfigur für einen Bürger aus der einstigen Bundesrepublik.

Die Dialoge zwischen den Gleichgesinnten, dabei die Stadt Berlin und andere interessante Orte besuchend, markieren eine tolerante und wissbegierige Gemeinschaft von Menschen, die oft auch sehr unterschiedlich in ihrem Fühlen und Denken sind. Sie vereint mit Faust das Entsetzen über eine Gesellschaft, die zum alleinigen Maßstab das Profitstreben stellt und nichts mit der Geschichte Deutschlands, speziell den Vordenkern, den deutschen Dichtern und Denkern der Aufklärung, der Zeit des Sturm und Drangs, der Renaissance zu tun haben will. Denn schon im IV. und V. Akt zeige Goethe, „dass die europäische Kultur, die seit der Renaissance im Licht der Antike stand, sich am Ende seines Lebens zu verdunkeln begann.“ Zu Beginn des IV. Aktes werde die „barbarische Zeit“ sichtbar. (Siehe Rosa Luxemburg) Faust werde vom Schönheitssucher zum Tatendurstigen. Gewonnen hinsichtlich, den Menschen zu helfen, verloren aber, denn ohne Mephisto gehe es nicht. (Johann Wolfgang Goethe, Faust II, Walter Schaschafik, Reclam S. 68)

Faust lässt es keine Ruhe, in die Tiefe der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu dringen. So lernt er nicht nur das verlogene Menschenbild des Imperialismus, (siehe im Kapitel “Pfundsachen“) sondern auch in der „Festung“ im Verlies den Ursprung der Profiteure der Marktwirtschaft kennen.

Im Kapitel „Das Gespenst“ beschäftigen sich die Freunde des Dr. Faustus mit den für Faust noch unbekannten Philosophen Marx und Engels kennen. Und sie begreifen, dass es seit der Pariser Kommune und mit dem „Kommunistischen Manifest“ bei den Völkern – trotz technischer Fortschritte, die auch dem Gemeinwohl dienen – angesichts des „Gespenstes“ dem Geldkapital nach und nach an den Kragen geht und sie alles zusammenraffen, um diesen „Menschenrechtsverletzern, Querdenkern und Verschwörern“ und den „Verfassungsfeinden“, wie es heutzutage in den bürgerlichen

„Qualitätsmedien“ heißt, Paroli zu bieten.

Auf dem Berliner Fernsehturm versuchen die Freunde ein wenig mehr Aussicht für die Zukunft zu gewinnen, werden aber angesichts des Missbrauchs der Digitalisierung im Sinne der Marktwirtschaft bitter enttäuscht.

Der Autor ist wegen der Ernsthaftigkeit des Strebens nach Aufklärung und zahlreicher notwendiger Zitate aus wissenschaftlichen Büchern und Beiträgen aus linken Zeitungen, die u.a. auch ein gewisser „Zeitzeuge“ den Freunden vermittelt, auch um Ironie und Satire bemüht, sich dessen bewusst, dass das Buch „Der Mensch im Teufelskreis“ kein Krimminalroman ist und noch weniger Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt

Gleichwohl kann es jungen Leuten dazu dienen, intensiver über den fortwährenden Klassenkampf zwischen den Industriemächtigen, den Banken, den Marionetten des Polittheaters und dem arbeitenden und unter neuen Kriegsdrohungen leidendem Volk nachzudenken.

Faust allerdings, der sich am Ende zeitweilig zur „Erholung“ in einer Klink wiederfindet, erschrickt bei dem Gedanken, hier auf Erden seine Rolle als moderner Mensch nur in Ansätzen erfüllen zu können. Deshalb kehrt er nicht in die Gruft zurück. Von einer Gruft in die nächste zu steigen, das bringt nichts. Er wird weiter wirken wollen… Raus aus dem Teufelskreis.

Der Leser, so er interessiert genug ist, wird also – so wie Faust – Bekenntnisse von Autoren, Publizisten, Politikern und Usern begrüßen, die sich diesem nahezu totgeschwiegenen Thema widmen. Mögen die Gedankensplitter, dieser bunte Kessel an streitbaren Texten, zu weiterem Nachdenken anregen, zur mentalen Flucht aus mitunter vorgegebener geistiger Enge, verbunden mit Fragen nach dem eigenen Tun. Ein Mix von Belletristik, Ironie, Satire und fundamentalen Erkenntissen, damit verbunden ein Dank an gleichgesinnte Autoren, deren kluge Aussagen sich in treffenden Zitaten wiederfinden.
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Harry Popow: „DER MENSCH IM TEUFELSKREIS“, Sprache: Deutsch, ISBN: 9783754166666, Format: DIN A5, 384 Seiten, Erscheinungsdatum: 18.09.2021.
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Über den Autor:
Harry Popow, geboren 1936 in Berlin-Tegel, erlebte der Autor noch die letzten Kriegsjahre. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier und ab Herbst 1954 Offiziersschüler in der KVP, später NVA. Dort diente er bis 1986 als Zugführer, später als Militärjournalist. Den Titel Diplomjournalist erwarb er sich im fünfjährigen Fernstudium. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete Harry Popow bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Er betreibt als Rentner einen Blog, schreibt Buchrezensionen und Erinnerungen vor allem für die „Neue Rheinische Zeitung“ und für die „Linke Zeitung“. Er ist glücklich verheiratet seit 60 Jahren.

Leseprobe »

„Diese Geschichte begab sich, sagen Zeitzeugen, als sich in jüngster Zeit (2020/2021) über Land und Leute, gar über den ganzen Planeten, eine unheimliche Stille ausbreitete – eine tödliche. Ein Virus ging um, und die Menschen verschanzten sich hinter Mundmasken und hinter den Mauern ihrer Häuser. Wie so oft in Gefahrensituationen beschlich den einen oder anderen diese oder jene Erinnerung, als es noch menschengemachte tödliche und maschinell betriebene Abschlachtungen gab.

Als der Lärm der Spatenstiche während der Beerdigungen auf den Friedhöfen wegen der Überfülle der heran zu karrenden Toten enorm zunahm, da kam auch einem gewissen Dr. FAUSTUS, der sich schier in seiner Gruft umdrehen wollte vor Wut, das Grübeln. Wer wagt es, ihn, den großen von Goethe geschaffenen Literaturhelden in seiner nahezu 200-jährigen Stille zu stören? Was ist zu tun? Wie sich zu wehren? Gegen wen richte sich der Protest?

Noch bevor die Stille auf dem riesigen Friedhof am Nachmittag für ́s erste Ausklang, erinnert sich der hellhörige Dr. FAUST in seiner Gruft an den Urfaust, seinem Vorgänger. Im Gegensatz zur orthodoxen Kirche, die sich durch Urfaust in ihrer Machtposition bedroht fühlte, stärkte Goethe dem Urfaust den Rücken. Rebellieren sei gut und richtig, aber es müsse dem auch Taten folgen. Und so schuf der Dichter ihn, den Dr. FAUST, der stärker als der Urfaust den Herrschenden tüchtig in die Parade fahren würde, als moderner Mensch, der dem Menschenrecht Genüge tun sollte. Aber es hilft ihm, dem Grufti, kein nachträgliches Klagen. Schuld habe schließlich der Teufel. Er, der Mephisto, habe ihn immer wieder abgelenkt von seinem Streben, ein moderner Mensch zu werden. Gewiss, FAUST wurde dadurch angehalten, im Menschen jedwegen Zweifel, jeglichen erdenklichen Widerspruchsgeist zu nähren. Warum? Der strebende Mensch solle nicht erschlaffen, solle wach bleiben, Fragen stellen, neugierig bleiben, sich nicht durch Tricks und Betrügereien von seinem Bemühen um Menschlichkeit ablassen.

FAUST wird in seiner Gruft sehr nachdenklich. Überflüssiges Denken? Das ins Nichts führt? Was könne denn er, der Alte Grufti heute noch bewirken? Und warum?

Vorsichtig öffnet er den Deckel über seiner Gruft. Tief atmet er durch. Öffnet ganz behutsam die Augen. Sieht sich bewundernd um: Bäume, Gräber, leichter Wind in den Baumkronen. Eine liebliche Melodie. Vogelgezwitscher. Plötzlich fahren Autos

vor. Laden Särge ab. Will kein Ende nehmen. Jemand, der Friedhofswärter wohl, brüllt über ein Sprachrohr: „Keine Kapazität mehr. Bringt die Leichen woanders hin.“

Doch weitere Autos mit Särgen halten vor dem Friedhofstor. Männer in schwarzen Kapuzen und mit Masken vor Mund und Nasen schleppen sie zu einem bereits vorbereiteten größeren Grab. Der Friedhofswärter erneut, er habe keinen Platz mehr, der stille Ort sei bereits überfüllt… Doch Polizei hält ihm den Mund zu, er solle sich bitte der Obrigkeit fügen, denn sie habe alles fest im Griff.

Die Auferstehung eines Grufti bleibt nicht unbemerkt. Ein Polizeiauto mit Sirene. Platz da für einen hohen Beamten. Ohrenbetäubender Lärm. In einer plötzlichen Ruhe ist ein lautes Stöhnen zu hören. Die Obrigkeit sieht mit Erschrecken: Eine Gruft öffnet sich. Ihm entsteigt eine alte Figur mit sehr langem Bart. Schaut sich neugierig um.

Ein Chor erklingt: „Thränen des Vaterlandes“. Einige Grableute glauben, Goethes FAUST in dem Alten entdeckt zu haben. Sie schreien auf: „Was willst Du denn hier? Wir haben andere Zeiten. Geh ins Grab zurück.“

Andere wieder: „Lasst ihn gewähren. Er musste sterben, weil Mephisto ihn dazu getrieben hat.“

FAUST, sehr leise: „Ich will Euch alle Erdenkinder vor Unheil schützen. Bin aufgewacht, um Euch zu sagen, hütet Euch vor den Teufeln.“

Zwischenruf eines Arbeiters: „Die gibt es nicht mehr. Dafür aber ein Virus, der uns zu schaffen macht und uns alle einsperren will, ne richtige Knechtschaft.“

FAUST: „Beruhigt euch, alles hat seine Ursachen. Man muss nur herauskriegen, woher der Wind mit dem Unheil kommt. Das zu erkennen, dazu reicht nicht euer sinnloses Staunen und Begaffen der Symptome.“

Ein Arbeiter: Kommt alle, dem Alten ist nicht zu helfen. Machen wir besser weiter wie bisher… Und sie graben weiter an zusätzlichen Gräbern, denn es kommen immer mehr Frachten mit Särgen. Werden auf dem Feld bestattet, da der Friedhof überfüllt ist. Der Bauer flucht.

Jetzt deutlich hörbar: Ein unsichtbarer Chor:

Thränen des Vaterlandes / Anno 1636.

Wir sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schaar / die rasende Posaun

Das vom Blutt fette Schwerdt / die donnernde Carthaun /
Hat aller Schweiß / und Fleiß / und Vorrath auffgezehret.
Die Türme stehn in Glutt / die Kirch ist umgekehret.

Das Rathauß ligt im Grauß / die Starcken sind zerhaun /
Die Jungfern sind geschänd’t / und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer / Pest / und Tod / der Hertz und Geist durchfähret.
Hir durch die Schantz und Stadt / rinnt allzeit frisches Blutt.
Dreymal sind schon sechs Jahr / als vnser Ströme Flutt /
Von Leichen fast verstopfft / sich langsam fort gedrungen.
Doch schweig ich noch von dem / was ärger als der Tod /
Was grimmer denn die Pest / und Glutt und Hungersnoth
Das auch der Seelen Schatz / so vielen abgezwungen.

(Sonett von Andreas Gryphius)

Während es über der Gruft im Friedhof – wo sonst nur Totenstille herrscht – nach wie vor ein Scharren und Schippen und Fluchen zu hören sind, wendet sich der Zeitzeuge an Dr. FAUSTUS, der seit 1831 hier in der Gruft in Frieden ruht, und flüstert ihm zu: „Herr Doktor, wenn ich nicht irre, dann scheint die Ruhe dahin. Über uns in den Weiten des großen Friedhofes scheinen sich Dinge abzuspielen, die für recht ungewöhnlich gelten. Bei ihrer sprichwörtlichen Wissbegier, was das Menschliche und Göttliche betrifft, ihrem Streben, allwissend zu sein und den Dingen auf den Grund zu gehen, dürfte das derzeitige Geschehen an der Erdoberfläche durchaus von Interesse sein.“

FAUST, stöhnend: „In meiner Erinnerung bin ich gerettet worden und trage keinerlei Verantwortung mehr für das Irdische.“ Lasst mich weiter ruhen in Frieden und in Gottes Schoß.“

Zeitzeuge: „Sie haben ja so Recht, verehrter Dr. FAUST, aber nunmehr wirft man Ihnen im modernen Zeitalter des 21. Jahrhunderts Mord- und Totschlag vor, den sie auf Geheiß des Teufels begangen haben. Also ließen Sie Ihren Drang nach Wissen und Bildung zugunsten einer euphorischen Bindung an Liebesbetäubung und Lustbarkeit in den Himmel fahren, um nur Ihrer persönlichen Begierde zu folgen. Glaubten Sie wirklich, dass dies Verhalten einem edlen Menschen gut zu Gesicht steht? Ist es nicht deutlich genug: Wer sich mit dem Teufel einlässt, sei unrettbar verloren?“

FAUST: „So unrecht ist das nicht. Man muss überlegen, auch wenn es, so scheint es, für nachträgliche geistige Einkehr viel zu spät ist. Ich habe wohl egoistisch mein Streben, Göttliches zu erreichen, bedenkenlos andere Menschen zugrunde gerichtet. War ich nur Schuld? Oder waren es die Umstände, die mich zu dem frevelhaften Pakt mit dem Teufel getrieben haben? Ich will herausfinden, ob mich die Schuld alleine trifft.“

FAUST stutzt. Ganz in seiner Nähe hat sich offenbar eine Bestatterin in Position gebracht. Was sie da offenbart, lässt ihn im Innersten erschüttern:

1. Rede:

Und doch leben wir in schwierigen Zeiten… Staatliche Zwangsmaßnahmen wegen einer Pandemie unterdrücken jedes Lebensgefühl. Und es ist völlig unverständlich, wieso gerade dieser letzte Abschied von einem geliebten Menschen, diese wertvollen letzten Stunden und Minuten im Leben eines Sterbenden, unter dem Vorwand einer Corona-Pandemie so herzlos, so mitleidlos und mit einer unmenschlichen Kälte durch die Regierung dieses Staates behindert, ja unmöglich gemacht werden. Und es ist eine Schande, dass die Toten, auf deren Totenschein „infektiös“ oder „Covid“ steht, in einem Plastiksack wie Unrat beseitigt werden und die Nahestehenden sich nicht einmal mehr von ihren Angehörigen verabschieden können.

Eine Gesellschaft, die so mit den Menschen umgeht, wie wir es heute erleben, ist es wert, daß sie zugrunde geht. Diese Gesellschafsformation ist der Kapitalismus. Sie beruht auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und auf der Ausbeutung der Lohnarbeiter. Der Kapitalismus stürzt von einer Krise in die andere. Millionen und Abermillionen Menschen werden an den Rand gedrängt, sind nutzlos, werden ausgespien und sterben verfrüht. Kinder verhungern, alte Menschen siechen dahin, bis der Tod sie abholt.“

2. Rede

Kliniken, die aus allen Nähten platzen. Schwerstkranke, die sich vor Intensivstationen stauen und elendig auf ihren Tod warten. Ärzte, die notfalls auswürfeln müssten, welchem Patienten sie helfen und welchem nicht. Im Zuge der Corona-Krise haben sich Bilder wie diese tief im kollektiven Bewusstsein eingegraben. Seit über einem Jahr beschwören Politiker, Wissenschaftler und Medien das Szenario eines Gesundheitssystems vorm Kollaps: Steigende Infektionszahlen, steigende Krankenzahlen, steigende Todeszahlen – wird man dem Virus nicht Herr, sind italienische Verhältnisse programmiert. Selbst bei sinkenden Zahlen dräut es aus allen Kanälen: Lassen wir heute den Lockdown schleifen, erleben wir morgen unser Bergamo.

Warnungen nach diesem Muster sind unser täglicher Begleiter und mit wachsenden Inzidenzen ereilen sie uns mit noch größerer Häufigkeit. „Durch die Mutationen werden die Krankheitsverläufe auch länger und schwerer.

FAUST bereut nicht, seine Gruft verlassen zu haben. Er ist wütend und ratlos zugleich. Der Zeitzeuge hat recht. Er wird der Gruft endgültig den Rücken kehren. Zumal er mit Schrecken und Neid soeben vernommen hat, der Urfaust in der Gruft nebenan hat längst sein unterirdisches Gefängnis verlassen. Wie FAUST oft von ihm gehört hat, wird er wohl aufs große Austoben aus sein, ohne Sinn und Verstand. Das hält FAUST nun vollends nicht davon ab, selbst das irdische Paradies erneut zu betreten und zu durchforsten. Und ob auch Mephisto erwacht ist? Vorsicht ist

geboten. Noch kann FAUST nicht einmal ahnen, dass die Sterbe-Statistik seit Beginn der Pandemie bis Juli 2021 nicht einmal die normale Höhe überschritten habe.

Der Zeitzeuge:

Es geht um die Hinwendung zu Erkenntnissen über Leben und Welt. Während Urfaust für einfaches Rebellieren ist gegen Ungemach der Kirche usw., ist FAUST nach dem Motto „Es irrt der Mensch, solang er strebt“ für die Anerkennung der ewigen Veränderungen und der stets neuen Widersprüche, denen sich der Mensch stellen muss, will er vorwärtskommen. Ziele und Motive der beiden sind sehr unterschiedlich, trotz ihrer hohen wissenschaftlichen Bildung. Das heißt für HEUTIGE: Erkennst du nicht den Ursprung des Strebens nach Macht und Geld und Besitz, dann kannst du noch so viele Wünsche und Illusionen haben, auch Versprechen der Oberen, es wird alles beim Alten bleiben, verdeckt unter einem Riesenmantel an Schwindel, Heuchelei, Lügen – der großen Schutzmauer um das Profitstreben herum.

Das sich stets wiederholende WIR und andere EINHEITSFLOSKELN“ täuschen die Massen und führen sie – statt zur Lieben zum Leben und zum Planeten – zur leblosen Hinnahme, zum bloßen Vegetieren. Das Menschsein aber erfordert Liebe und Sättigung aller Bürger, ohne dass sie vom Nachbarn und Besitzern ausgebeutet werden.

In diesem Augenblick, bevor Dr. FAUSTUS sich richtig umsehen konnte auf diesem Friedhof, tritt – wie erwartet, Mephisto an ihn heran und spricht:

[Ich bin] ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. … Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht; drum besser wär’s, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element. (Johann Wolfgang von Goethe, 17491832, deutscher Dichter)

FAUST winkt ab: Er denke nicht mehr daran, auf Leichtsinn und Betrug hereinzufallen. Im Gegenteil: Er sei auf der Spur von Widersprüchen, die, einmal erkannt, zu Lösungen dringend Anlass geben. Hatte nicht Goethe bereits von der Dialektik der Widersprüche geschrieben, ohne deren Kenntnis man eins ums andre Mal auf die Nase fallen kann?

Nun will er dem entgegenwirken, was dieser Mephisto ihm immer wieder durch teuflische Ablenkungen verwehrt hat: Mensch zu sein. Stattdessen schob er ihn auf Nebengleise wie Lustbarkeiten, auf kaufmännisches Gebaren, sogar auf ́s Morden. Auf diese Art habe dieser Teufel ihn entmündigt. FAUST sinnt nicht nach Rache, aber er ahnt, da stecken noch ganz andere Probleme dahinter. Zumal es ihn stutzig machte, dass die Grabreden, die er soeben vernehmen musste, offensichtlich einem herrschenden Pack gewidmet waren, denn die Ehrfurcht vor diesem schien bei

einigen Grableuten so tief zu stecken, dass die Bücklinge vor den Obrigkeiten nicht tiefer sein konnten.

Kurz, er will dem Ansinnen Goethes für eine gerechte Menschenwelt auf die Spur kommen… Er will sich mit seinem langen Oberrock auf den Weg machen…

Doch Mephisto lässt sich nicht so schnell aus dem Feld schlagen. „Eine letzte Bemerkung sei gestattet, lieber FAUST! Ich versprach dir, lieber FAUST, Lebensglück. Dich wollte ich mit Gott vom rechten Weg abbringen.“

Heute sehe es anders aus, das wisse er aus sicherer Quelle, einer Festung, hinter deren Mauern und in den Verliesen sich der reale Teufelspakt unserer Zeit versteckt halte. Aber jedermann wisse von deren Existenz. Für die Menschen, soviel stehe fest, sei die Phase des versprochenen Lebensglücks abgelaufen. Man sei dabei, die Menschen von ihrer Seele loszusagen. Heute schon sei ein Land der Richter und Henker gegen Querulanten und Verschwörer im Aufblühen, auch Dank der Pandemie, die den Ausweg hin zu mehr Zwang von oben nach unten weise. Dazu sei es erforderlich, die Bildung der Bevölkerung stark zu reduzieren.

Gleichzeitig seien große Teile des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens weiter von Privatinteressen durchseucht worden, statt sie endlich zu kappen…

Das habe man kommen sehen. Seit einer sogenannten Notvereinigung von zwei Teilen in Deutschland haben die Machthaber der Zuschauerdemokratie – ohne das Volk zu fragen – alles getan, um die Bildung der Bevölkerung zu reduzieren.

„Woher schöpfst du diese Weisheiten?“, fragt provokativ FAUST den Teufel.

Mephisto: „Mein Pakt mit dir sollte dich abhalten vom Streben nach Macht und bloßer Gier, denn das führt schließlich bis in die heutige Zeit zu einem Teufelskreis, in dem alle Menschen – so oder so oder hier und dort – gefangen sind, abhängig vom Geld und von den Verbrechen der Machterweiterung. Daraus folgt doch: Erkenne die ewigen Veränderungen und die stets neuen Widersprüche an, denen sich der Mensch stellen muss, will er ungeschoren und kultiviert vorwärtskommen. Das heißt doch für alle Zeiten: Erkennst du nicht den Ursprung des Strebens nach Macht und Geld und Besitz, dann kannst du noch so viele Wünsche und Illusionen haben, es bleibt stets beim Alten ohne Veränderungen, verdeckt unter einem Riesenmantel an Schwindel, Heuchelei, Lügen – der großen Schutzmauer um das Profitstreben herum.

Man täuscht wohl stets das Volk. Statt zur Liebe zum Leben und Natur und zum Planeten anzuhalten treibe man die Menschen -so befürchte ich bereits jetzt – zur leblosen Hinnahme, zum bloßen Vegetieren, zum Kaufen und Gehorchen an. Das Menschsein aber erfordert Liebe und Sättigung aller Bürger, ohne dass sie vom Nachbarn und Besitzern ausgebeutet werden. Gerade deshalb braucht wohl jeder Erdenbürger so einen kleinen Teufel in sich, um das Zweifeln nicht zu verlernen…“

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