Volkskorrespondent Rui Filipe Gutschmidt

Wenn SARS-COV2 ins Haus kommt –
persönliche Erfahrungen aus Portugal

Rui Gutschmidt

Man denkt, dass man vorbereitet ist. Man schützt sich und seine Mitbewohner, indem man sich an Hygieneregeln und die Vorschriften der Regierung hält und hofft, dass es genug ist… Und doch geschieht es immer wieder. Tausende infizieren sich täglich, und noch bevor sie sich dessen bewusst werden, haben sie das Virus mit nach Hause zur Arbeit und ins Stammcafé gebracht, es den Familienangehörigen und Freunden zum Geschenk gemacht und somit verbreitet sich das neue Coronavirus immer weiter.

Jetzt kam das Virus in meine Wohnung. Es traf einen meiner Mitbewohner und dadurch uns alle. Eine WG, geschaffen aus NOT-wendigkeit oder besser ausgedrückt, als Gegenmaßnahme einer anderen Seuche: Der Armut! Aber auch aus Solidarität! Die jungen Brasilianer, die hier mit mir zusammenleben, kamen zum Arbeiten. Sie kamen über den Atlantik, weil sie in ihrer Heimat keine Möglichkeit sahen, sich eine Zukunft aufzubauen. In Brasilien sorgt ein Faschist als Präsident für eine immer größere Spaltung zwischen Arm und Reich, Links und Rechts und marginalisiert Minderheiten. Die Korruption, die in Brasilien allgegenwärtig ist, hat Jaír Bolsonaro natürlich nicht wie versprochen beseitigt, sondern eher noch verstärkt. Er versucht die Justiz politisch zu benutzen und sorgt so für eine instabile Lage im Land. Meine Mitbewohner kamen aus diesem Chaos nach Portugal, um frei davon eine Zukunft zu errichten.

Mit Maske in die Küche und ins Bad – Selfie von Rui Gutschmidt CC BY-SA 2.0

Doch Covid-19 macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Schon im März hatten alle 3 große Probleme, als sie in der Restauration als Kellner arbeiteten und nach der Schließung der Cafés und Restaurants fanden sich alle in einer prekären Situation wieder. Ihre Arbeitgeber, – bei allem Verständnis für die Probleme der Kleinunternehmer, besonders im Gastgewerbe, – nutzen die Lage, um Löhne zu kürzen, ihre Arbeitnehmer in unbezahlten „Urlaub“ zu schicken oder ihnen den Arbeitsvertrag nicht zu verlängern. Es gab und gibt noch immer jede Menge Verstöße gegen die Rechte der Arbeitnehmer, von denen Emigranten oft als erste betroffen sind. Ein altes Problem, dass sich trotz der Maßnahmen der Regierung zum Schutz der Arbeitnehmer während der Pandemie noch verschlimmert hat. So erging und ergeht es auch meinen Mitbewohnern.
Jetzt hat sich einer von uns angesteckt und somit das Virus mit in die WG gebracht. Man sollte meinen, dass die Behörden sofort kommen und alle Mitbewohner testen. Aber Pustekuchen! Niemand kam, niemand interessiert sich für uns. Wir sind in Quarantäne, mehr freiwillig als alles andere, weil uns zu Beginn niemand offiziell dieses Statut erteilt hat. Aber was wird aus der Arbeit, dem Job, dem Einkommen? Ohne einer offiziellen Anordnung in der Wohnung zu bleiben, bekommt man kein Krankengeld. Also mussten wir uns selber kümmern.

Der Mitbewohner A, der sich schlecht gefühlt hat und mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht wurde, ist der Einzige, der bislang positiv getestet wurde. Er wird regelmäßig kontaktiert und nach Symptomen gefragt. Er gibt seine Körpertemperatur telefonisch durch und berichtet über (4 Tage nach dem Test nicht weiter vorhandene) Symptome. Man sagte ihm erst nicht, wie es weiter geht. Wann er wieder getestet wird, ob er Lohnfortzahlung bekommt oder ob die Sozialversicherung ihm Krankengeld zahlt, ob er 60 oder 66 oder xxx% bekommt… Sein Nebenjob im Restaurant ist erst mal futsch.

Dieser Job sollte den Einkommensausfall seiner Lebensgefährtin L kompensieren, die seit letzten Monat auf Arbeitssuche ist. Ihr sagte man, dass sie nicht wüssten, ob man sie testen kann, solange sie keine „Usernummer“ (número de utente) hat. Doch sie ist Krankenversicherer (Sozialversicherungsnummer hat sie), da sie 9 Monate in Portugal gearbeitet hat. Inkompetenz der Ämter und ein Chaos in der Umsetzung der Regeln scheint allgegenwärtig zu sein.

Beim 3. Mitbewohner W lief es wieder anders. Er machte den Test eine Woche nach Beginn der Quarantäne, allerdings in einer Nachbarstadt. Da schickt man einen jungen Mann, der ein potenzieller Überträger ist und der eigentlich unter Quarantäne steht und nicht aus dem Haus darf, in einen anderen Ort (innerhalb desselben Landkreises aber trotzdem einige km entfernt), um „eine einschätzende Sprechstunde“ aufzusuchen. Nach der „Einschätzung“ wurde ihm gesagt, dass er den Test bezahlen müsse. Doch das lehnte er ab…

„Nein, Brasiliens Gesundheitssystem muss dir den Test zahlen. Du gehst nur in Vorkasse.“ So die Krankenschwester. W lehnte das erneut vehement ab, weil im klar war, dass er das Geld nie wieder sehen würde. Da er aber in Portugal arbeitet und in die Sozialversicherung einzahlt, ist er ganz normal versichert (übrigens für alle Zeit, ob er arbeitet oder nicht, es reicht, wenn man einmal eingezahlt hat, um immer Anrecht auf den sozialen Schutz zu haben). Im Fall einer eventuellen Infektion mit Covid-19 gelten die Regeln des Notstands zur Eindämmung der Pandemie. Jeder hat Anrecht auf kostenlose medizinische Versorgung!
Das sah die Krankenschwester nach über einer Stunde am PC und der Suche nach dem richtigen Prozedere schließlich auch ein. Bürokratie erledigt, Test angeordnet. Das Stäbchen weit hochgeschoben („fühlte sich an, als würden sie mir damit im Gehirn rumstochern…“) und schon erledigt. Ach ja, man hat ihm keinen Mikrochip ins Hirn gepflanzt und er wird sicher nicht mit Hilfeder G5-Technologie ferngesteuert. Aber er musste den Transport bezahlen (in, einer Art Uber (Taxi), um möglichst niemanden anzustecken).

Covid-19 kam in unser trautes Heim – Selfie von Rui Gutschmidt CC BY-SA 2.0

Sein Testergebnis kam am Tag danach. Negativ! Er muss aber laut seiner Ärztin bis zum 24.11 in Quarantäne bleiben. Dies gilt wohl für alle Bewohner unserer WG. W braucht aber noch eine Krankmeldung für seinen Arbeitgeber, da er bisher noch keine Bescheinigung bekommen hat. Es ist chaotisch, wie die Behörden mit der Situation umgehen. Keiner kennt sich wirklich aus. Was gestern galt, das gilt heute nicht mehr und was heute gilt, ist morgen schon wieder Schnee von gestern.

Jetzt sagte man zu A, dass er ab morgen (21. November) wieder arbeiten könne. Kopfschütteln ist angesagt, da er nach dem positiven Test nicht erneut getestet wurde. Er müsse „keinen weiteren Test machen, da er länger keine Symptome“ mehr hat. Das verstößt sicher gegen alle Regelungen und kann eigentlich nur ein Fehler sein. Auf jeden Fall aber entbehrt es jedweder Logik, dass einer, der positiv getestet wurde, nach 10 Tagen OHNE erneuten Test wieder zur Arbeit gehen kann, während jemand mit einem negativen Testergebnis trotzdem die 14 Tage vollmachen soll. Vom 10.11. bis 24.11. gilt laut der Ärztin von W die Quarantäne für uns alle. Auch die Freundin von W, N wurde angewiesen, solange bei uns zu verweilen.

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