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Forum zur Förderung der Einheit der Marxisten-Leninisten
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Seit einigen Jahren bemühen sich verschiedene ML-Parteien und Organisationen um die Einheit aller Marxisten-Leninisten in einer Partei. Der Weg dorthin ist schwer. Reformistische, revisionistische und allerlei skurrile Ideologien haben sich in vielen Teilen der deutschen Genossen und Genossinnen eingenistet und versperren den Weg zur Einheit. Doch:

*Unser Ziel der Sozialismus und später der Kommunismus kann nur auf der Grundlage der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse, dem Marxismus-Leninismus erreicht werden.
*Die Erlangung der Macht der Arbeiterklasse und die Errichtung der Diktatur des Proletariats mit ihren natürlichen Verbündeten, kann nur auf revolutionärem Wege erreicht werden.
*Die Ursache für die Spaltung der Kommunistischen Parteien nach dem XX. Parteitag der KPdSU war der Verrat der revisionistischen Chruschtschowclique und ihren Nachfolgern, die auch für die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR verantwortlich sind.
*Die Hauptursache für die Zerstörung und Beseitigung des Sozialismus auf deutschem Boden war der Revisionismus. Er ist noch heute, in seinen verschiedenen Facetten, der Grund für die Spaltung der Marxisten-Leninisten in Deutschland.

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on 2. Januar 2011
Veröffentlicht in: Allgemein, Buchankündigungen

Emil Collet

Pseudosozialisten und Pseudokommunisten
als Frontkämpfer der bürgerlichen Manipulation

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Mit roter Fahne, Hammer und Sichel – russische Pseudokommunisten unter falscher Flagge

Der historische Materialismus als die Theorie von der Gesetzmäßigkeit des Klassenkampfes zeigt auf, dass die werktätigen Massen des Volkes die ausschlaggebende Kraft des gesellschaftlichen Fortschritts sind. Es gibt Persönlichkeiten, die einen positiven oder aber auch einen negativen Einfluss auf die Geschichtsgestaltung nehmen können. Eine solche, den gesellschaftlichen Fortschritt maßgeblich beeinflussende deutsch Persönlichkeit, war zweifellos der Kampfgefährte von Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht.
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Die Wendehälse

Besonders für ehemalige DDR-Bürger war es erschütternd zu sehen, wie sich ehemalige Partei- und Staatsfunktionäre skrupellos in den vulgären Antikommunismus eingliederten und als Multiplikatoren für die Hetze gegen die SED und den sozialistischen Staat DDR fungierten und in dieser Weise heute noch immer funktionieren. Diese Pseudosozialisten, Pseudokommunisten und Pseudodemokraten sind heute zu den Hauptagenten der Imperialisten in den Reihen der deutschen Arbeiterbewegung geworden und haben ihr sozialistisches Bewusstsein längst entsorgt.

Die „Neuerer“ in der KPD

Dies hinterließ tiefe Zweifel an der Richtigkeit des Marxismus-Leninismus – sowohl bei Teilen der Bevölkerung, wie auch tief in den Reihen der ehemaligen SED-Mitglieder. An die Seite dieser anti-marxistisch-leninistischen Multiplikatoren haben sich diejenigen KPD- Mitglieder gestellt, die immer noch davon sprechen, die DDR sei zwar das Beste der deutschen Arbeiterklasse gewesen, aber ohne die Diktatur des Proletariats wäre sie besser, d.h. demokratisch sozialistisch gewesen. Deshalb gibt es innerhalb der Parteiführung der KPD auch Bestrebungen, den Begriff der Diktatur des Proletariats aus dem Programm der KPD zu entfernen.

Die konvertierten „Linken“

Die konvertierten Pseudolinken Gysi, Bisky, Pau und andere führende PDS-Mitglieder, so auch der ehemalige Vorsitzende der PDS-Bundestags­fraktion, ehemaliger Bezirkssekretär der FDJ und letzter erster Sekretär der Bezirksleitung der SED von Halle/Saale, Claus, vertreten mittlerweile die Auffassung, „demokratischer Sozialismus bedeutet nicht Ausstieg aus der Gesellschaft, auch nicht den Notausstieg, sondern Einstieg in diese Gesell­schaft“. Dementsprechend sieht auch das Programm der PDS aus. Dort wird der dritte Weg zum Sozialismus aufgezeigt, der laut Bisky in einer permanenten Reformpolitik, unter dem Begriff Agenda Sozialismus be­steht, und die dazu führt, die Gesellschaft über ihren Rand hinaus zu verändern.

Offener Revisionismus

Pau, Ramelow und Gysi, die antideutsche Speerspitze der Partei Die Linke

Die Revisionistin Pau zeigt auf, daß dies in Berlin über die „Verwaltung des Kapitalismus“ durch Sozialisten praktiziert wird. Gysi schließlich, erklärte lauthals, die SED sei zu einer reaktionären Partei gewor­den. Es sei ein Glück, dass die DDR untergegangen sei. Jetzt könne man den richtigen Sozialismus ins Visier nehmen. Der Schwätzer Gysi verstieg sich in seiner Anbiederungspolitik an die bürgerlichen Manipulatoren sogar zu der Behauptung, der antifaschistische Schutzwall, die „Mauer“ sei ein unmenschliches Machwerk von Stalinisten gewesen. Diese ganze korrupte Sippschaft bezeichnet sich als Links, nennt sich „Linkspartei“ und die Kommunistische Plattform (KPF) mit Frau Wagenknecht liefert ihnen noch das Feigenblatt dazu.

Haben sie nichts aus der Geschichte gelernt?

Bedauerlich ist, daß die in der PDS zweifellos vorhandenen Genossen mit kommunistischer Orientierung es nicht vermögen, die historischen Lehren aus den Fehlern der wirklich Linken ziehen, wie sie es schon einmal nicht verstanden, sich auch organisatorisch rechtzeitig aus solch einer Umarmung, damals durch die USPD, zu lösen. Damals fehlte in der Novemberrevolution eine revolutionäre, fest in den Massen verankerte Kampfpartei der Arbeiterklasse. Und dies im Gegensatz zu den Bolschewiki, die unter Lenins Führung die russischen Werktätigen in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution zum Sieg führte und damit das einheitliche imperialistische Weltsystem für immer sprengte.

Warum wurden die charakterlosen Scheißkerle nicht aus der Partei entfernt?

Die Trennung der Linken unter Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Wilhelm Pieck u.a. wäre eine klare Trennung der revolutionä­ren Arbeiterbewegung von der antimarxistischen Sozialdemokratie gewesen. Es ist eine Tatsache, daß die Spaltung der revolutionären Partei der Arbeiterklasse und damit der Arbeiterklasse selbst, damals wie auch heute, immer das Werk von Anti-Marxisten-Leninisten ist. Diese Spalter sind konsequente Feinde des Bolschewismus und seines Zieles, der Errichtung des real existierenden Sozialismus als Basis für den Übergang zum Kommunismus.

Die Pseudokommunisten in den Fängen der Bourgeoisie

Sich heute als „Linke“ auszugeben, nachdem die Sozialdemokratie sich fest in den Klassenfängen der Bourgeoisie, d.h. sich auf rechter Position befindet, ist offensichtlich kein Problem. Offensichtlich ist aber auch, dass dort, wo „links“ drauf steht, in Wirklichkeit „rechts“ enthalten ist. Die KPD (B) sieht ihre Aufgabe darin, die Spaltung der Arbeiterklasse zu überwinden, diese Radieschen-Taktik – außen rot und innen weiß – zu entlarven. Die leninsche Feststellung, wonach der Imperialismus überwunden werden, der Sozialdemokratismus aber vorher besiegt sein muss, ist absolut aktuell und trifft den Kern der Sache.

Die Entbolschewisierung – eine Enthauptung der Partei

Wichtig für die Wirksamkeit unserer Politik ist, unbedingt zu beachten, daß nach dem Tode von J.W. Stalin, aber insbesondere nach dem XX. Parteitag der KPdSU, mit Beginn der Entbolschewisierung der KPdSU und der anderen marxistisch-leninistischen Parteien, es mittels des Antistalinismus zu ganz erheblichen Deformationen des Marxismus-Leninismus in seiner Einheit und Reinheit gekommen ist. Das war auch in der DDR der Fall. Das traf nicht nur auf die Schüler und Studenten zu, sondern auch auf die Parteischulen und das Parteilehrjahr, den Bildungsprozess in der FDJ und in den Gewerkschaften. In den Literaturangaben und Studienanleitungen verschwanden die Schriften von J.W. Stalin vollständig. Das galt für dessen Schrift „Grundfragen des Leninismus“, die Stalin-Bände, seine hervorragende Arbeit „Über ökonomische Probleme des Sozialismus“ genauso wie für das konsequent marxistisch-leninistische Meisterwerk „Geschichte der KPdSU(B)“.

Der lange Schatten von Chruschtschow Lügen

Wenn ich mit Genossen spreche, die heute 50 Jahre alt sind und wir uns über J.W. Stalin unterhalten, treffe ich manchmal jetzt noch auf die Meinung, J.W. Stalin wäre ein Verbrecher gewesen. Die Sowjetunion sei so stark geworden trotz J.W. Stalins. J.W. Stalin hätte der internationalen Arbeiterbewegung großen Schaden zugefügt, obwohl er auch seine Verdienste gehabt habe. In diesen Gesprächen kann man feststellen, daß der „Antistalinismus“ als Kernstück des Antikommunismus und die damit verbundene jahrzehntelange manipulative antikommunistische Propaganda ihre Wirkung auf die Menschen haben, ob diese selbst das nun wollen und bemerken oder nicht.

Quelle: Emil Collet: Die DDR – Ein sozialistisches Meisterwerk. In: Marxistisch-leninistische Schriftenreihe für Ökonomie, Politik und Philosophie, Ernst Thälmann Verlag, Heft 86-1, S.2568f.

(Zwischenüberschriften zum besseren Verständnis eingefügt, N.G.)

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 Comment 
on 17. November 2009
Veröffentlicht in: KP / KP-ML, Revisionismus

Elli Rule, KP Großbritannien (Marxisten-Leninsten), 17. November 2009

Der Bruch in der kommunistischen Bewegung

Zur Lage der kommunistischen Bewegung in den 60er Jahren
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Auf der Prager theoretisch-politischen Konferenz der Komunistischen und Arbeiterparteien im November 2009 analysierte die KP Großbritanniens sehr genau die Ursachen für die Niederlage des Sozialismus im Weltmaßstab. Elli Rule sagte damals folgendes:

Die internationale kommunistische Bewegung erfuhr infolge des Chrustschowschen Revisionismus der 60er Jahre einen ernsthaften Bruch und unterlag einer Schwächung. Um diesen Bruch zu überwinden, müssen wir dessen Ursachen ergründen. Worin bestehen nun die strittigen Punkte, die zu diesem Mißklang führten. Die Hauptprobleme, die zur Krise führten, und welche die weltweite kommunistische Bewegung überwinden muß, um sich faktisch wieder als revolutionäre Arbeiterbewegung zu vereinigen, sind folgende: .
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a) die Revision der ökonomischen Theorie des Marxismus

Daß die revisionistische Chrustschow-Clique und ihre Epigonen der sozialistischen Sowjetwirtschaft Elemente der bürgerlichen Ökonomie (den sog. Marktsozialismus) hinzufügten, wovor auch Stalin 1952 in seiner Arbeit „Die Ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ gewarnt hatte, nämlich, daß der Kernpunkt der proletarischen Revolution die Befreiung der Menschheit von vernichtenden Krisen ist, welche ihre Ursache haben in der zerstörerischen Wirkung des kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten, insbesondere im Wertgesetz, führte letztendlich zur Zerstörung der Sowjetunion. Mit Einführung des Wertgesetzes in die sozialistische Gesellschaft und der daraus folgenden verminderten Bedeutung der zentralen Planung, wird es keine Methode zur Entwicklung des Sozialismus geben, was auch immer die Revisionisten darüber sagen mögen. Die Abweichung von den marxistischen Grundlagen in dieser Frage beschleunigte den Zerfall der kommunistischen Bewegung und die Schwächung der Diktatur des Proletariats in der UdSSR und den volksdemokratischen Ländern.
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b) “Der friedliche Übergang zum Sozialismus“

Auf dem XX. Parteitag der KPdSU führte Chrustschow die Frage des „friedlichen Übergangs zum Sozialismus“ mit der Vorrede dazu ein, daß die internationale Situation „einer radikalen Veränderung“ unterworfen sei. Er behauptete, daß aufgrund der veränderten Bedingungen, die seit der Oktoberrevolution eingetreten waren, die Möglichkeit bestünde, den Sozialismus auf „parlamentarischem Weg“ zu erreichen. Dabei handelte es sich um eine krasse Revision und eine völlige Verleugnung der marxistisch-leninistischen Wissenschaft über den Staat und die Revolution. Entgegen der Leninschen Auffassung zu der Frage der Zweckmäßigkeit der Teilnahme an bürgerlichen Wahlen behauptete er:

„Die Partei des revolutionären Proletariats muß sich am bürgerlichen Parlamentarismus beteiligen, um die Massen aufzurütteln, was durch Wahlen und zwischenparteilich Kämpfe im Parlament möglich ist. Entweder man begrenzt den Klassenkampf auf den parlamentarischen, oder man hält ihn für die wichtigste und entscheidende Form, der alle übrigen Arten untergeordnet sind – was in Wirklichkeit bedeutet, auf die Seite der Bourgeoisie gegen das Proletariat überzugehen.“

Die Verwerfung des Leninismus in dieser Frage führte nicht nur zu Mißstimmungen in der kommunistischen Weltbewegung, sondern auch zur Spaltung vieler kommunistischen Parteien in gewöhnliche sozialdemokratische Gruppierungen, die sich der kämpfenden Arbeiterklasse als einzige Alternative anbot – eine, die auf den Rahmen des Kapitalismus begrenzt blieb.
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c) Staat und Partei des ganzen Volkes

Nach Meinung der Revisionisten würden die Klassenunterschiede in der UdSSR bald verschwinden (das sei eine Schlußfolgerung aus der Tatsache, daß es schon niemanden mehr gäbe, der die Arbeit anderer ausbeutet). Statt dessen sei der Staat ein Instrument der herrschenden Arbeiterklasse geworden und ein „Volksstaat“ und die Partei habe aufgehört, die Führerin des Proletariats im harten Klassenkampf zu sein, und sie sei nun die „Partei des ganzen Volkes“.

Auch hier verwarfen die Revisionisten die wesentlichsten Grundlagen des Marxismus-Leninismus, daß die Arbeiterklasse ihren Staat braucht – den Staat der Diktatur des Proletariats – „über eine ganze historische Epoche vom Kapitalismus und bis hin zur klassenlosen Gesellschaft, dem Kommunismus“. Die Diktatur des Proletariats ist unerlässlich um die „Expropriation der Expropriateure“ zu ermöglichen, um den unvermeidlichen Widerstand und jeglichen Versuch der Umkehr der bestehenden Ordnung durch die ehemals ausbeutende Klasse zunichte zu machen und um den wirtschaftlichen Umbau der Gesellschaft einzuleiten – mit einem Wort: um die materiellen und kulturellen Bedingungen für den Übergang von einer niederen zu einer höheren Phase des Kommunismus vorzubereiten.

Da die Klassen und der Kampf zwischen ihnen auch lange nach dem Sturz der Bourgeoisie fortbestehen – eine ganze geschichtliche Epoche lang, ist für deren Zeitdauer die Diktatur des Proletariats erforderlich. Gemäß Lenins Worten ist „derjenige ein Marxist, der aus der Anerkennung des Klassenkampfes die Anerkennung der Diktatur des Proletariats schlußfolgert…“ Die Partei ist also dazu berufen, die Arbeiterklasse in diesem harten und beschwerlichen Kampf zu führen.

Die Anhänger Chrustschows wiederholten, daß allein dann, wenn die Diktatur des Proletariats durch den „Volksstaat“ ersetzt würde, eine Vertiefung der Demokratie soweit möglich sei, daß sie eine „wahre Demokratie des ganzen Volkes“ werden würde. Jeder der auch nur eine Spur von Verstand in dieser Frage hat, weiß, daß die Demokratie eine Staatsform ist, und als solche eine Klassendemokratie. Es gibt keine klassenlose Demokratie und auch keine „Demokratie des ganzen Volkes“.

Wie Lenin sagte: „Demokratie für die riesige Mehrheit des Volkes und gewaltsame Niederhaltung der Ausbeuter, der Unterdrücker des Volkes, d.h. ihr Ausschluß von der Demokratie – diese Modifizierung erfährt die Demokratie beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus.“ (W.I.Lenin, Staat und Revolution, AW Bd.III, S.550)

Mit anderen Worten, ohne die Diktatur des Proletariates über die ausbeutenden Klassen bleibt die wahre Demokratie für das arbeitende Volk unerreichbar. Die Demokratie des Proletariats ist mit der bürgerlichen Demokratie unvereinbar.
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d) Die Fälschung der Frage der friedlichen Koexistenz

Chrustschow entstellte abscheulich die Leninsche Friedenspolitik des Zusammenlebens von kapitalistischen und sozialistischen Ländern und verwandelte sie in eine Politik der Klassenzusammenarbeit sozialistischer mit kapitalistischen Ländern – oder auch, wie eine andere Erklärung besagt: in eine Politik der Kapitulation vor dem Diktat des Imperialismus.

Die Leninsche Politik des friedlichen Zusammenlebens war gegen die imperialistische Politik des Krieges und der Aggression gerichtet, sie stand auf den Positionen des internationalen Kampfes des Proletariats und der historischen Mission der Arbeiterklasse, welche beinhaltet, dass die sozialistischen Staaten, indem sie eine Politik der friedlichen Koexistenz verwirklichen, den revolutionären Kampf der unterdrückten Völker und die revolutionäre Arbeiterbewegung unterstützen.

Das Recht auf Leben von Angesicht zu Angesicht mit dem Imperialismus – das Recht auf friedliche Koexistenz – haben die sozialistischen Staaten ausschließlich auf dem Weg des Kampfes und der bewaffneten eigenen Verteidigung vor den zermalmenden Schlägen des Imperialismus selbst erreicht. Die von Chrustschow lancierte bürgerlich-pazifistische Konzeption des friedlichen Zusammenlebens dient einerseits dem Imperialismus und hetzt ihn auf zu einer Politik der Kriege und Aggressionen, andererseits ersetzt er die proletarische Weltrevolution durch Pazifismus und völlige Vernachlässigung des proletarischen Internationalismus. Die Politik Chrustschows ist eine Politik der Klassenkapitulation.

Verneint man Lenins Thesen, die zuverlässig durch die historische Praxis bestätigt wurden, dass es mit den Kriegen keine Ende nimmt, solange der Imperialismus nicht überwunden ist, so führt der Chrustschowsche Revisionismus an, dass man jedem Krieg noch vor dem Fall des Imperialismus durch Friedensverhandlungen mit ihm widerstehen könne. Die Anhänger Chrustschows verleiten so die unterdrückten Völker, sich von den revolutionären Ideen loszusagen und von den gerechten Kriegen sowie von den Kriegen der Volksbefreiung Abstand zu nehmen. Sie argumentieren damit, daß diese Kriege im Ergebnis einer nuklearen Katastrophe mit der völligen Vernichtung der Menschheit enden könnten.

Nach dem Verständnis Chrustschows bleibt dem sozialistischen Staat nichts anders übrig, als der Drohung und der nuklearen Erpressung seitens des Imperialismus nachzugeben und ihm beim Streben nach der Weltherrschaft behilflich zu sein. Aus Gründen ebendieser Verbeugung vor dem nuklearen Inferno bleiben die Widersprüche zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie sowie zwischen den unterdrückten Ländern und den Unterdrückern unentschieden.

Obwohl sie durch die unveränderten Eigenschaften des Kapitalismus angespornt sind, immer mehr verarmen und um so zahlreicher werden, sprechen die Revisionisten ihnen das Recht auf Kampf gegen das Ausbeutersystem ab.

Der bürgerliche Pazifismus, der ganz und gar nichts gemeinsames mit dem Marxismus hat, führt unvermeidlich zum Bruch mit der kommunistischen Bewegung und zu ihrer Schwächung als revolutionärer Kraft.
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Zusammenfassend:

Das sind die eigentlichen Probleme, mit denen sich die internationale kommunistische Bewegung auseinandersetzen muss, und über die sie sich erneut einigen muß, um die ausgebeuteten und unterdrückten Massen in den Kampf um den Sozialismus zu führen. Wir sind eingedenk der furchtbaren Erfahrungen, die sich mit katastrophalen Folgen aus der revisionistischen Abkehr vom Marxismus ergeben. Die Zeit ist gekommen, dass die Parteien ihre Programme und Praktiken vom revisionistischen Ballast befreien, der für sie nur ein Klotz am Bein ist. Nur auf diese Weise werden sie zu Parteien, die darauf vorbereitet sind, die proletarischen Massen zur Befreiung zu führen. Nur dann werden sie im Kampf um seine Befreiung an der Spitze des Proletariats stehen.

Rede von Elli Rule, KP Großbritannien (Marxisten-Leninsten). Veröffentlicht zur Prager theoretisch-politischen Konferenz im November 2009. (frei übersetzt nach KPP – N.G.)

Siehe auch:
Eine verbrecherische Rede
L.Pribytkowa: Die Demontage

DOWNLOAD:
Der Bruch in der kommunistischen Bewegung
(pdf-Datei)
Pribytkowa: Die Demontage (ru./dt. pdf-Datei)

on 1. August 2002
Veröffentlicht in: Allgemein

Kurt Gossweiler

Revisionismus – Totengräber des Sozialismus

Zur Entstehung des modernen Revisionismus und zu seiner Etablierung in der Sowjetunion unter Chruschtschow 1953-1964
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Kurt Gossweiler

Zur Entstehung des modernen Revisionismus und zu seiner Etablierung in der Sowjetunion unter Chruschtschow 1953-1964

Inhalt:
1. Einige Bemerkungen zum Ursprung und zur Charakteristik des “modernen Revisionismus”
2. Wie Chruschtschow die Zerstörung der Sowjetmacht einleitete
3. Ziele und Wirkungen des XX. Parteitages der KPdSU
4. Zwei Schwerpunkte, mit denen sich die Revisionisten ihre Massenbasis verschafften und die Geschichtslüge, mit der sie die kommunistische Bewegung paralysierten.
5. Einige Schlussbemerkungen

Es ist für mich eine große Freude, diese Veranstaltung gemeinsam mit dem Genossen Harpal Brar bestreiten zu dürfen, den ich vor neun Jahren in Brüssel beim alljährlichen Mai-Seminar der Partei der Arbeit Belgiens zum ersten Mal erleben durfte.

Dass wir heute gemeinsam hier auftreten können, dafür sind wir alle hier der Zeitschrift “Offensiv” und ihren unermüdlichen Herausgebern, Frank und Anna, Dank schuldig.
Danken möchte ich aber auch den Zeitschriften, die ebenfalls bereit waren, Einladungs-Anzeigen zu dieser Veranstaltung abzudrucken, also der “Jungen Welt”, der “Roten Fahne” der KPD und der “UZ” der DKP.

Das gemeinsame Thema beider heutiger Referenten lautet: Der Revisionismus – Totengräber des Sozialismus. Diese Feststellung wird durch jedes der beiden heute vorzustellenden, aber vollständig unabhängig voneinander entstandenen Bücher belegt. Dass sie dennoch zu genau den gleichen Ergebnissen gelangt sind, bestätigt die Richtigkeit eines früher, als die kommunistischen Weltbewegung noch fest auf dem Fundament des Marxismus-Leninismus stand, unter Kommunisten geläufigen Wortes, das besagte: Wo auch immer Kommunisten leben – ob in Berlin, New York, Moskau oder Peking – sie werden zu allen entscheidenden Fragen des Klassenkampfes unabhängig voneinander überall die gleiche Position einnehmen.

Dabei waren unsere Ausgangspunkte schon allein durch den Altersunterschied bedingt ganz unterschiedlich. Mich als damals fast Vierzigjährigen haben schon die ersten drei Jahre Chruschtschow an der Macht zu der Überzeugung gebracht, die ich in meinem politischen Tagebuch am 19. Januar 1957 mit den Worten niedergeschrieben habe: “Kein Zweifel, an der Spitze der Partei Lenins und Stalins steht zur Zeit ein Feind, ein Vertrauensmann der imperialistischen Geheimdienste, allen voran des us amerikanischen, ein Komplize des seit langem zum Agenten des Secret Service und des CIA gewordenen Tito.” (Kurt Gossweiler, Die Taubenfuß-Chronik oder die Chruschtschowiade 1953 bis 1964, Bd. 1 1953 bis 1957, München 2002, S.209)

Auch unser Herangehen an die Analyse ist geprägt durch unsere jeweilige Spezialisierung: Genosse Brar als Ökonom hat das Hauptgewicht auf die Analyse der Wirtschaftspolitik Gorbatschows und – im Rückblick – Chruschtschows gelegt. Mein Hauptuntersuchungsfeld war dagegen die innere und äußere Politik Chruschtschows, die Politik gegenüber der Geschichte der eigenen Partei, die Politik gegenüber den Bruderparteien und sozialistischen Bruderländern – besonders gegenüber der DDR-, die Politik gegenüber dem Imperialismus. Die Wirtschaftspolitik blieb natürlich nicht unbeachtet, ihren Schädlingscharakter habe ich, wo ich ihn erkannte, – z. B. bei der Auflösung der MTS, bei der Neulandaktion – , aufgedeckt, aber für eine so genaue Analyse der “Wirtschaftsreformen” unter Chruschtschow und Breshnew, wie sie Genosse Brar durchführte, fehlten mir sowohl die notwendigen politökonomischen Kenntnisse als auch die nötige Materialkenntnis.

Aber wo man die Politik der Revisionisten auch packt: man kommt immer zum gleichen Ergebnis: der Revisionismus zielt auf die Restauration des Kapitalismus, und wo ihm nicht das Handwerk gelegt wird, da wird er zum Totengräber des Sozialismus und – das muss mit Nachdruck ergänzt werden: auch der kommunistischen Bewegung. Insofern ergänzen sich beide Bücher – ich möchte sagen: in glücklicher Weise – sowohl von der Chronologie her als auch von der Betrachtungsweise her. Und auch von der Zielsetzung her!

Im letzten Absatz seiner “Perestroika” schreibt Genosse Brar:

“Der Verfasser strebt nach Antwort auf die wichtigste Frage, nämlich: Wie war es möglich, dass …diese UdSSR, die einer gewaltigen Hitlerschen Kriegsmaschinerie das Genick brach,. als sozialistischer Staat so schmählich kollabierte? Niemand kann die enorme Bedeutung für die ganze kommunistische Bewegung leugnen, eine richtige Antwort auf diese Frage zu finden. Nur die Zeit und weitere Erörterungen werden erweisen, ob der Autor erfolgreich bei ihrer korrekten Beantwortung war.” (Perestroika, S.163)

Im Vorwort zu meiner “Taubenfußchronik” ist zu lesen:

”Seit dem Untergang der Sowjetunion und des Staat gewordenen Sozialismus in Europa ist die wichtigste und zugleich quälendste Frage für jeden revolutionären Sozialisten die Frage nach den Ursachen für diese Menschheitskatastrophe… Wenn die Chronik dazu beiträgt, in der kommunistischen und der Arbeiterbewegung einer einheitlichen Auffassung über die tatsächlichen Ursachen der keineswegs unvermeidlichen, sondern vermeidbaren Niederlage und darüber näherzukommen, wodurch der keineswegs unmögliche, sondern fast schon sichere, nicht mehr zurück zudrehende Sieg über den Imperialismus in diesem Jahrhundert verhindert wurde, dann hätte dieses Tagebuch doch noch einen gesellschaftlichen Nutzen erzielt und seine Veröffentlichung gerechtfertigt.”
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1. Einige Bemerkungen zum Ursprung und zur Charakteristik des “modernen Revisionismus”

Der alte, “sozialdemokratische” Revisionismus der Bernstein und Kautsky entstand als der theoretische Ausdruck der Interessen vom Monopolkapital korrumpierter Arbeiterschichten, die ihren Frieden mit einem “reformierten” Kapitalismus gemacht haben. Der “moderne Re-visionismus”, also der Revisionismus in den Kommunistischen Parteien und in den sozialistischen Ländern, entstand auf andere Weise, ist nicht “von unten” gewachsen. Den Begriff des “modernen Revisionismus” gab es in der Sowjetunion der Vorkriegszeit nicht, weil es das, was ihn ausmacht, noch nicht gab. Es gab den Trotzkismus als “linke” Abweichung, und es gab rechte, opportunistische Abweichungen von der marxistisch-leninistischen Generallinie der Partei, die durchaus Elemente enthielten, die auch für den modernen Revisionismus kennzeichnend sind, ohne jedoch schon alle dessen Merkmale und Inhalte in sich zu vereinigen.

Beide, der alte und der moderne Revisionismus, haben gemeinsam, dass sie Agenturen der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung sind: Der alte Revisionismus wirkt im Kapitalismus und will die Revolution verhindern, um den Kapitalismus zu erhalten. Der moderne Revisionismus will die Revolution rückgängig machen, um den Kapitalismus wiederherzustellen.

Das sozialistische Land, in dessen führender kommunistischer Partei erstmals an die Stelle des Marxismus-Leninismus das gesetzt wurde, was später den Namen “moderne Revisionismus” erhielt, war Titos Jugoslawien. Aber er war nicht dort entstanden, sondern hatte seinen Ursprung in den USA, und sein Schöpfer war kein anderer als der langjährige Generalsekretär der KP der USA, Earl Browder. Für eine ausführliche Darstellung seiner Auffassungen und des Weges, auf dem diese aus den USA in die kommunistischen Parteien Europas transportiert wurden, fehlt hier die Zeit; (Ausführlich hierzu Kurt Gossweiler, Die Ursprünge des modernen Revisionismus oder: Wie der Browderismus nach Europa verpflanzt wurde – Gedanken bei Lesen der Tagebücher von Georgi Dimitroffs, Offensiv – Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 10/03)

Hier sei nur soviel erwähnt: Ab 1942, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, schlug Browder einen opportunistischen Kurs ein, löste die KP der USA auf und verwandelte sie in eine Art Propaganda-Verein, befürwortete das Aufgehen der Partei in einer breiten, alle Klassen umfassenden antifaschistischen Front, die Preisgabe des Kampfes der Kommunisten um den Sozialismus in den USA, und verkündete, die USA hätten ihre Absicht, den Sozialismus in der Sowjetunion zu beseitigen, aufgegeben, künftig werde ein dauerhafter Frieden durch die Zusammenarbeit der USA mit der UdSSR gesichert und die Sowjetunion solle ihre zerstörten Gebiete mit USA-Krediten wieder aufbauen.

Seine revisionistischen Ideen fasste er in einer Schrift zusammen. Die wurde während des Krieges in deutscher und französischer Sprache in der Schweiz unter den kommunistischen Emigranten verschiedener Länder – vor allem deutscher, ungarischer und jugoslawischer – verbreitet und in Schulungen breit popularisiert.

Der Mann, der die Übersetzung und die Verbreitung dieser Urschrift des modernen Revisionismus unter den kommunistischen Emigranten betrieb, war ein mit Browder persönlich befreundeter US-Beamter, Noel Field, der nach dem Abzug der Interbrigadisten und deren Einweisung in Lager in Frankreich der internationalen Kommission angehörte, die alle aus Spanien nach Frankreich evakuierten Freiwilligen der Internationalen Brigaden namentlich registrierte. In Frankreich und der Schweiz war er als Leiter einer us amerikanischen Hilfsorganisation tätig und knüpfte dadurch Beziehungen zu den kommunistischen Emigranten vieler Länder an. Gleichzeitig arbeitete er mit dem in Bern residierenden Chef des US-Geheimdienstes OSS, (Office of Strategic Services) , Allan Dulles, zusammen.

In seinem Buch Perestroika weist Genosse Brar darauf hin, (S.126 f.), dass einer der führenden polnischen Revisionisten, der bürgerliche Ökonom Oskar Lange, in den dreißiger Jahren Vorlesungen an der Universität in Chicago hielt und in seinem 1935 erschienen Buch: “Marxistische Ökonomie und moderne Wirtschaftstheorie” von revisionistischen Positionen aus die marxistische Ökonomie als veraltet und der modernen bürgerlichen Wirtschaftstheorie weit unterlegen erklärte. Er verbreitete Ideen über “eine elementare Gemeinschaft der Grundwerte” der USA und der Sowjetunion, die wir ähnlich bei Browder wieder finden. Es ist durchaus möglich, dass Browder von Langes Vorträgen und Büchern Kenntnis hatte und einige ihrer Ideen übernommen hat.

Zusammenfassend können wir sagen: Im Unterschied zum alten, sozialdemokratischen Revisionismus, der gewissermaßen aus den Oberschichten der Arbeiterklasse heraus gewachsen ist, ist der neue, “moderne” Revisionismus als imperialistische Zersetzungsideologie von außen in die kommunistische Bewegung eingeschleust worden.

Wie und warum aber konnte er dort Wurzeln schlagen und schließlich über den Marxismus-Leninismus in der Sowjetunion und ihren europäischen Verbündeten den Sieg davontragen?

Diese Tatsache ist noch schwerer erklärlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass auf den beiden Moskauer Konferenzen von 1957 und 1960 der Revisionismus sehr treffend gekennzeichnet und zur Hauptgefahr für die kommunistische Bewegung erklärt wurde. So heißt es in der Erklärung der Beratung von 1957:

“Der moderne Revisionismus ist bemüht, die große Lehre des Marxismus-Leninismus in Verruf zu bringen, er erklärt sie für ‚veraltet’, behauptet, sie habe heute ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung verloren.

Die Revisionisten sind bestrebt, die revolutionäre Seele des Marxismus auszumerzen und den Glauben der Arbeiterklasse und des schaffenden Volkes an den Sozialismus zu erschüttern. Sie wenden sich gegen die historische Notwendigkeit der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus,

sie leugnen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei,

sie lehnen die Prinzipien des proletarischen Internationalismus ab,

sie fordern Verzicht auf die grundlegenden Leninschen Prinzipien des Parteiaufbaus und vor allem auf den demokratischen Zentralismus,

sie fordern, dass die kommunistische Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierclub verwandelt wird.”

In der Schlusserklärung der Moskauer Beratung von 1960 wurde erneut bekräftigt, dass der Revisionismus die Hauptgefahr für die kommunistische Weltbewegung darstellt, darüber hinaus scharf mit dem Tito-Revisionismus abgerechnet:

“Die kommunistischen Parteien haben die jugoslawische Spielart des internationalen Opportunismus, die einen konzentrierten Ausdruck der ‚Theorien’ der modernen Revisionisten darstellt, einmütig verurteilt. Die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, die den Marxismus-Leninismus verrieten, indem sie ihn für veraltet erklärten, haben der Erklärung von 1957 ihr anti leninistisches revisionistisches Programm – (das “Laibacher Programm” von 1958, K.G.) – entgegengestellt, ihr Land vom sozialistischen Lager losgerissen, es von der Hilfe der amerikanischen und anderen Imperialisten abhängig gemacht und damit die Gefahr heraufbeschworen, dass das jugoslawische Volk seiner im heroischen Kampf erzielten revolutionären Errungenschaften verlustig geht. Die jugoslawischen Revisionisten betreiben eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung. Unter dem Vorwand einer blockfreien Politik entfalten sie eine Tätigkeit, die der Einheit aller friedliebenden Kräfte und Staaten Abbruch tut.

Die weitere Entlarvung der Führer der jugoslawischen Revisionisten und der aktive Kampf dafür, die kommunistische Bewegung wie auch die Arbeiterbewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten abzuschirmen, ist nach wie vor eine unerlässliche Aufgabe der marxistisch-leninistischen Parteien.”

Diese Forderung war nur zu sehr berechtigt, aber sie kam viel zu spät. Was hier – 1960! – verlangt wurde: Entlarvung Titos als Revisionist, und Abschirmung der kommunistischen Bewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten – das hatten doch schon 1948, also 12 Jahre vorher, die Parteien des Kommunistischen Informationsbüros – KPdSU, Polnische Arbeiterpartei, Ungarische Partei der Werktätigen, KP der CSR, Bulgarische Arbeiterpartei, KP Frankreichs und KP Italiens – mit ihrer Resolution vom Juni 1948 “Über die Lage in der kommunistischen Partei Jugoslawiens” getan!

Wie konnte es da geschehen, dass wenige Jahre später dennoch der Revisionismus in der kommunistischen Bewegung zur Hauptgefahr werden konnte und sie erneut vor der Wühlarbeit der jugoslawischen Revisionisten gewarnt werden musste? Das ist das “Verdienst” Chruschtschows, dessen Rolle nun etwas näher betrachtet werden soll.
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2. Wie Chruschtschow die Zerstörung der Sowjetmacht einleitete

Eine der ersten Handlungen des nach Stalins Tod am 5. März 1953 im September 1953 zum Generalsekretär der KPdSU aufgestiegenen Chruschtschow, die mich stutzig machten, war jene, mit der die erwähnte Warnung der Parteien des Kommunistischen Informationsbüro vor dem Tito-Revisionismus als falsch und unberechtigt erklärt und damit die dringend notwendige Schutzimpfung aller kommunistischen Parteien gegen die Infektion mit dem Revisionismus, die diese Warnung dargestellt hatte, unwirksam gemacht worden war.

Am 26. Mai 1955 erklärte Chruschtschow als Leiter der sowjetischen Delegation bei deren Ankunft auf dem Belgrader Flughafen:

“Teurer Genosse Tito! Wir bedauern aufrichtig, was geschehen ist… Wir haben eingehend die Materialien überprüft, auf denen die schweren Anschuldigungen und Beleidigungen beruhten, die damals gegen die Führer Jugoslawiens erhoben wurden. Die Tatsachen (?!) zeigen, dass diese Materialien von Volksfeinden, niederträchtigen Agenten des Imperialismus, fabriziert waren, die sich durch Betrug in die Reihen unserer Partei eingeschlichen hatten.”

Ich habe in meinem Tagebuch damals diese Auslassungen Chruschtschows so kommentiert:

“Näheres darüber, welche Dokumente gefälscht sind, wurde nie veröffentlicht. Obwohl die Behauptung, dass die kommunistische Weltbewegung, mit so erfahrenen Genossen wie Stalin, Dimitroff, Togliatti, Thorez usw., sich durch Fälschungen einer Gruppe von Provokateuren zu einer vollkommen falschen Einschätzung der Situation eines Landes habe verleiten lassen; dass die kommunistische Bewegung mit der KPdSU an der Spitze im Unrecht, Tito dagegen der Mann sei, der im Recht ist; obwohl eine solche Situation das Aller unwahrscheinlichste ist, genügte für viele diese eine, durch nichts bewiesene Behauptung, um sie für Tatsache zu nehmen und von nun ab in Tito den “teuren Genossen”, dem bitter Unrecht geschehen ist, zu sehen.” (Taubenfuß-Chronik I, S.47 f.)

In meiner Chronik führe ich des weiteren Tatsachen an, die beweisen, dass Chruschtschows Reinwaschung Titos eine faustdicke Lüge darstellte. Das Tollste aber ist, dass Chruschtschow selbst, als nach der von Tito mit inszenierten Konterrevolution in Ungarn im Oktober-November 1956 endlich in der kommunistischen Weltbewegung der Revisionismus als Hauptgefahr für die Existenz des Sozialismus erkannt wurde und dadurch Chruschtschows Position an der Spitze der KPdSU gefährdet war, der sich, als habe er niemals seine Flugplatzrede gehalten, als Vorkämpfer gegen den Tito-Revisionismus aufspielte. So hielt er auf dem VII. Parteitag der KP Bulgariens im Juni 1958 eine Rede, in der er u.a. ausführte:

“Die kommunistischen Parteien hüten und wahren die Einheit ihrer Reihen wie ihren Augapfel. (Das sagt der Mann, der alles getan hat, um diese Einheit zu zerstören und vor allem Volkschina aus der Gemeinschaft der kommunistischen Staaten aus zustoßen!) Doch weiter in seinem Text: “Sie führen einen unversöhnlichen Kampf gegen Revisionismus und Dogmatismus. In diesem Kampf richtet sich das Hauptfeuer der kommunistischen Parteien naturgemäß gegen die Revisionisten als die Kundschaftler des imperialistischen Lagers…. Der moderne Revisionismus ist eine Art trojanisches Pferd. Die Revisionisten versuchen, die revolutionären Parteien von innen zu zersetzen, die Einheit zu unterminieren und Verwirrung und Durcheinander in die marxistische Ideologie zu tragen.” ( Das ist eine sehr gute Selbstbeschreibung seines Auftrages und seiner Hauptbeschäftigung!)

Doch das ist noch immer nicht alles: mit den folgenden Ausführungen gibt er selbst zu, dass seine Tito-Rehabilitierung von 1955 auf Lügen beruhte:

“Im Jahre 1948 nahm die Konferenz des Informationsbüros eine Resolution ‚Über die Lage in der KPJ’ an, die eine berechtigte Kritik an der Tätigkeit der KP Jugoslawiens in einer Reihe prinzipieller Fragen enthielt. Diese Resolution war im wesentlichen richtig und entsprach den Interessen der revolutionären Bewegung.” (ND v.5.Juni 1958).

Natürlich wusste das Chruschtschow auch 1955, als er in seiner Tito-Rehabilitierung das Gegenteil von sich gab.

Was aber ergibt sich daraus mit zwingender Logik? Einer, der sich selbst als Kommunist ausgibt, aber einem anderen, der sich auch als Kommunist ausgibt, von dem er aber weiß, dass der in Wahrheit ein Kundschaftler des Imperialismus, also ein imperialistischer Agent ist, diesem dennoch das Zeugnis eines zuverlässigen Kommunisten ausstellt – der kann nur ein Komplize des Agenten, also selbst ein Agent des Imperialismus sein!

Man sollte meinen, dass dies, wie es Genosse Brar in einem anderen Zusammenhang in seinem Buche formuliert, “selbst Idioten erkennen können.” (Perestroika, S.146) Aber davon kann leider keine Rede sein. Ich erlebe leider immer wieder, dass mir Genossen, die ich schätze und deren Verstand voll intakt ist, auf meine Feststellung: “Chruschtschow ist der Gorbatschow der fünfziger und sechziger Jahre, wie Gorbatschow der Chruschtschow der achtziger und neunziger Jahre ist”, erklären Ja, dass Gorbatschow ein Verräter war, damit hast Du ja recht gehabt. Aber Chruschtschow – das ist doch etwas anderes. Und selbst, wenn ich ihnen dann weitere Beispiele offenkundiger Lügen Chruschtschows und demagogischer Manöver vorführe, die eindeutig beweisen, dass dieser Mann seine Macht und Stellung dazu missbrauchte, den Interessen des Imperialismus zu dienen und darüber die Partei und das Volk irrezuführen, – dann genügt ihnen das alles immer noch nicht; offenbar reichen ihnen nicht für sich selbst sprechende Tatsachen aus, – sie sind durch Tatsachenzeugnisse von ihrem Glauben an die im Grunde doch guten Absichten des Nikita nicht zu heilen und von Chruschtschows bewusster Schädlingsarbeit nicht zu überzeugen, solange die ihnen nicht durch ein Papier, am besten mit einer von Chruschtschow unterschriebenen Verpflichtungserklärung als V-Mann des CIA , nachgewiesen wird.

Ich greife hier nur zwei weitere solche Tatsachenzeugnisse heraus, von denen jedes einzelne ausreicht, bei einem Kommunisten, der gewohnt ist, die Ehrlichkeit eines Parteiführers gegenüber seinen Genossen als Maßstab für dessen Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zu nehmen, ausreichen würde, um zu sagen: Du magst alles mögliche sein, aber eines bist Du mit Sicherheit nicht: ein Kommunist oder gar einer, dem man die Führung der Partei anvertrauen darf!

Erstes Beispiel: nach Chruschtschows Totalverdammung Stalins in seiner Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU brachte es der gleiche Chruschtschow fertig, in seiner Festrede auf der Oktoberfeier des Jahres 1957, die völlig im Zeichen des Kampfes gegen den Revisionismus stand und er daher um seine eigene Stellung an der Spitze der Partei bangen musste, – so, als hätte es nie seine Rede auf dem XX. Parteitag gegeben -, zu erklären:

“Die Partei hat alle bekämpft und wird dies auch weiterhin tun, die Stalin verleumden und unter der Flagge der Kritik am Personenkult die ganze historische Tätigkeit unserer Partei falsch und verzerrt darstellen, in der J.W. Stalin an der Spitze des Zentralkomitees stand. Als treuer Marxist und Leninist und standhafter Revolutionär nimmt Stalin einen würdigen Platz in der Geschichte ein. Unsere Partei und das Sowjetvolk werden Stalins gedenken und ihm die gebührende Ehre erweisen.”

Was er darunter verstand, wurde auf dem XXII. Parteitag der KPdSU im Jahre 1961 offenbar, als er nicht nur alle seine Verleumdungen Stalins von 1956 wiederholen, sondern auch die engsten Mitarbeiter Stalins, Molotow und Lasar Kaganowitsch, als “Parteifeinde” aus der KPdSU ausschließen ließ.

Zweites Beispiel: Die Auflösung des Informationsbüros der Kommunistischen und Arbeiterparteien (Informbüro):

Auf einer Pressekonferenz in Neu Delhi am 14. Dezember 1955 führte der damalige sowjetische Ministerpräsident Bulganin aus:

“Manchmal stellt man die Frage, ob man denn die ‚Kominform’ nicht irgendwie liquidieren könne. Doch aus welchem Grunde sollten die kommunistischen und Parteien eigentlich auf eine allgemeingültige Form des internationalen Verkehrs und Zusammenwirkens verzichten?…Die Tätigkeit dieser Organisation beunruhigt alle, die das alte, überlebte System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu einer bleibenden Erscheinung machen wollen.”

Kurz danach, am 29. Dezember 1995 sprach Chruschtschow selbst zum gleichen Thema vor dem Obersten Sowjet der UdSSR und sagte dabei dies:

“Ausländische Journalisten in Indien fragten uns sehr oft: Warum lösen Sie das Kominform nicht auf? Wir haben darauf geantwortet: Warum schlagen Sie nicht vor, die Sozialistische Internationale aufzulösen? … Natürlich gefällt den Gegnern des Kommunismus das Kominform nicht…” (Taubenfuß-Chronik I, S.92).

In Gestalt westlicher Journalisten wurde Chruschtschow also Ende des Jahres 1955 nachdrücklich die Forderung derer unterbreitet, die durch die Tätigkeit des Informbüros “beunru-higt” waren, dieses aufzulösen.

Und, was geschah? Trotz der überzeugenden Zurückweisung dieser Forderung durch Bulganin und Chruschtschow? Am Dienstag, den 17.April 1956 erschien die Zeitung des Informationsbüros “Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie zum letzten Mal mit einer “Informatorischen Mitteilung über die Einstellung der Tätigkeit des Informationsbüros der Kommunistischen und Arbeiterparteien.” Als Begründung wurden “Änderungen in der Internationalen Lage” angegeben. Aber zwischen dem Dezember 1955 und dem April 1956 hat nur ein Ereignis stattgefunden, das die internationale Lage in unabsehbarer Weise verändert hat: Der XX. Parteitag der KPdSU. Und der machte sehr schnell deutlich, dass – wie ich in meinem Tagebuch vermerkte – “ein Kontaktorgan der Kommunistischen und Arbeiterparteien noch nie so dringend nötig war wie gerade jetzt!” (Taubenfuß-Chronik I, S.91) Aber genau das war der Grund für seine Auflösung durch die Chruschtschow-Führung.

Der XX. Parteitag der KPdSU war von Chruschtschow dazu ausersehen, den Generalangriff auf das von Lenin und Stalin geschaffene sozialistische System und die marxistisch-leninistische Grundlage der kommunistischen Weltbewegung zu starten. Dazu sollte die tatsächliche ökonomische, politische und militärische Abhängigkeit der europäischen sozialistischen Länder von der Sowjetunion ausgenutzt werden, um diese zur widerspruchslosen Gefolgschaft bei der grundlegenden Kursänderung zu zwingen. Deshalb musste Schluss gemacht werden mit einem Organ, in dem die wichtigsten nächsten Schritte der sozialistischen Staaten und der kommunistischen Parteien kollektiv beraten und alle Parteien prinzipiell gleichberechtigt waren; musste auch Schluss gemacht werden mit dem in diesem Organ herrschenden Grundsatz, dass alle Parteien der kommunistischen Bewegung der Bewegung als Ganzem gegenüber Rechenschafts pflichtig sind. Von jetzt ab hatte zu gelten: Was in Moskau beschlossen wird, das gilt für alle – ausgenommen Tito und später hinzutretende Revisionisten, wie Gomulka und Kadar. Für sie – und nur für sie !- galt der Passus in der von Tito und Chruschtschow am 2.Juni 1955 unterzeichneten “Belgrader Deklaration”, der den “Nationalkommunismus” als ein “marxistisch-leninistisches Prinzip” legitimierte:

“Beide Regierungen gehen von folgenden Prinzipien aus: gegenseitige Achtung und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Einmischung weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen, ideologischen oder sonstigen Gründen, da die Fragen der inneren Einrichtung, des Unterschiedes in den Gesellschaftssystemen und des Unterschiedes in den konkreten Formen der Entwicklung des Sozialismus ausschließlich Sache der Völker der einzelnen Länder sind.” (Handbuch der Verträge, Berlin 1968, S.606 f.)
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3. Ziele und Wirkungen des XX. Parteitages der KPdSU

Das Verrückte an der Weigerung mancher Genossen, in Chruschtschow einen zu sehen, der wie Gorbatschow zum Ziel hatte, die sozialistische Ordnung im Lande zu unterminieren, ist, dass sie in ihm einen Heilsbringer und einen Retter des Sozialismus genau wegen der Veranstaltung sehen, die in Wahrheit die wichtigste Grundlage dafür schuf, dass Gorbatschow – gestützt auf die Vorarbeit von Chruschtschow und Breshnew – das von Chruschtschow eingeleitete Zerstörungswerk erfolgreich zu Ende bringen konnte – also wegen des XX. Parteitages.

Beginnt doch kein geringerer als Robert Steigerwald, führender Theoretiker der Deutschen Kommunistischen Partei und seit einiger Zeit auch Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung noch im Jahre 2001 einen ganzseitigen Artikel zum 45.Jahrestag des XX. Parteitages im DKP Organ ”Unsere Zeit” vom 9. Februar vorigen Jahres mit den Worten:

“Der XX. Parteitag der KPdSU beendete das System schwerer Verletzungen sozialistischen Rechts und sozialistischer Ideale, wie es sich, beginnend gegen Ende der Zwanzigerjahre in der Sowjetunion gebildet hatte.”

Es ist dies noch immer die Sicht nicht nur der Mehrheit der Bürger der ehemals sozialistischen Länder – von denen anderer Länder ganz zu schweigen -, sondern auch der Mehrheit der Kommunisten dieser und sicher auch vieler anderer Länder. Und das ist kein Wunder, gleichen doch die Stimmen, die dieser Geschichtsfälschung die Wahrheit über Chruschtschow und seine Bande entgegenhalten, einer einzelnen schwachen Stimme, die gegen das tosende Donnern der Wellen des Meeres der bürgerlichen und revisionistischen Medien anzurufen sucht.

Aber wir rufen weiter, in der Gewissheit: noch jede Wahrheit, die sich schließlich durchgesetzt hat, musste so beginnen!

Ich brauche in diesem Kreise nicht im Einzelnen nachzuweisen, dass der XX. Parteitag der Wendepunkt in der Geschichte der KPdSU war, der aus der bisher führenden und reifsten marxistisch-leninistischen Partei das Leitzentrum des modernen Revisionismus machte. Dies nicht nur wegen der revisionistischen Umschreibung der eigenen Geschichte, sondern wegen der Umschaltung von einer marxistisch-leninistischen Theorie und Praxis auf eine revisionistische auf allen Gebieten – Partei und Staat, Wirtschaft, Innen –wie Außenpolitik, Wissenschaft und der Kultur.

Nicht zu Unrecht aber verbindet jeder mit dem XX. Parteitag vor allem die “Geheimrede” Chruschtschows, seine “Abrechnung” mit Stalin. Die wenigsten aber wissen, dass Chruschtschow diese seine Rede dem Parteitag nach dessen offizieller Beendigung überfallartig aufgezwungen hat.

Als ich damals diese Rede zum ersten Mal las, sagte ich mir und schrieb es in mein Tagebuch:

“Es ist ausgeschlossen, dass das Politbüro oder das ZK die Rede so, wie sie gehalten wurde, vorher gebilligt hat. Die Westpresse hat ganz bestimmt recht, wenn sie ‚vermutet’, Chruschtschow sei in dieser Rede viel weiter gegangen, als vereinbart.” (Taubenfuß-Chronik I, S.74)

Eine Bestätigung dessen erhielt ich 45 Jahre später, als ich die Erinnerungen Lasar Kaganowitschs las. Er schildert sehr anschaulich, auf welche Weise Chruschtschow den Parteitag vergewaltigte.

“Der XX. Parteitag ging seinem Ende entgegen. Plötzlich wird eine Pause eingelegt. Die Mitglieder des Präsidiums werden in den hinteren Raum, der zum Ausruhen bestimmt ist, zusammengerufen. Chruschtschow stellt die Frage, auf dem Parteitag seinen Vortrag über den Persönlichkeitskult Stalins und dessen Auswirkungen anzuhören. Gleichzeitig wurde uns der Entwurf des Vortrages in einem rot gebundenen maschinenschriftlichen Büchlein verteilt. Die Sitzung ging unter anormalen Bedingungen vor sich – in einer Enge – manche saßen, andere standen. Es war schwierig, in kurzer Zeit dieses umfangreiche Heft durchzulesen und seine Inhalt durch zu denken, um entsprechend den Normen der innerparteilichen Demokratie einen Beschluss zu fassen. Alles das in einer halben Stunde, denn die Delegierten saßen im Saal und erwarteten etwas für sie Unbekanntes, da die Tagesordnung des Parteitages bereits erledigt war. … Schon vor dem XX. Parteitag hatte das Präsidium die Frage ungesetzlicher Repressalien und begangener Fehler behandelt. Das Präsidium des ZK bildete eine Kommission, die beauftragt wurde, die Angelegenheiten von Repressierten an Ort und Stelle zu untersuchen… und konkrete Vorschläge zu formulieren. Nach der Beratung dieser Fragen im Präsidium war vorgesehen, nach dem XX. Parteitag ein ZK-Plenum einzuberufen, um den Vortrag der Kommission mit entsprechenden Vorschlägen anzuhören. Genau dazu sprachen die Genossen Kaganowitsch, Molotow, Woroschilow und andere zur Begründung ihrer Einwände. Außerdem sagten die Genossen, dass wir einfach außer Stande seien, den Vortrag (Chruschtschows) redaktionell zu bearbeiten und Korrekturen anzubringen, die unbedingt nötig seien. Wir sagten, dass selbst ein flüchtiges Bekanntmachen zeigt, dass das Dokument einseitig und falsch ist. Die Tätigkeit Stalins könne auf keinen Fall nur von einer Seite beleuchtet werden, notwendig sei eine objektive Beleuchtung aller seiner positiven Seiten, damit die Werktätigen verstehen und allen Spekulationen der Feinde unserer Partei und unseres Landes eine Abfuhr erteilen. Die Sitzung zog sich hin, die Delegierten (im Saal) erregten sich, und deshalb wurde ohne jede Abstimmung die Sitzung beendet und wir begaben uns in den Saal. Dort wurde die Ergänzung der Tagesordnung verkündet: den Vortrag Chruschtschows über den Persönlichkeitskult Stalins anzuhören. Nach dem Vortrag fand keinerlei Aussprache statt, der Parteitag beendete seine Arbeit.” (Lasa Kaganowitsch, Pamjatnie Sapiski, Wagrius, Moskwa 1996, S. 508 f., Übers. K.G., zitiert in Taubenfuß-Chronik I, 18)

Es ist wenig bekannt, dass dieser Bericht weder zu Chruschtschows noch zu Breshnews Zeiten in der Sowjetunion veröffentlicht wurde. Die Partei lehnte es ab, ihn als offizielles Parteidokument anzuerkennen. Auch Chruschtschow hat sich während seiner Amtszeit nie als Verfasser seiner Rede bekannt. Veröffentlicht wurde sie kurz nach dem Parteitag zuerst in der New York Times.

Am 14. Mai 1957 gab Chruschtschow dem Korrespondenten der New York Times, Turner Catledge, ein Interview, in dessen Verlauf Catledge Chruschtschow auch folgende Frage stellte:

“Sie wissen vielleicht, dass im vergangenen Jahr die Zeitung New York Times den Text Ihrer Rede auf dem XX. Parteitag, in der Sie die Exzesse der stalinschen Periode kritisierten, veröffentlichte. Sind in dem Text Ihrer Rede, der in den westlichen Ländern veröffentlicht wurde, irgendwelche wesentlichen Auslassungen oder gar Entstellungen unterlaufen?”

Wie antwortete Chruschtschow auf diese Frage?

“Ich weiß nicht, von welchem Text die Rede ist. Ich hörte davon, dass in den USA irgendein Text veröffentlicht wurde, der vom amerikanischen Geheimdienst fabriziert worden ist und dieser Text als Text meines Vortrages auf dem XX. Parteitag ausgegeben wurde. Aber die Veröffentlichungen von Allan Dulles erfreuen sich keiner Autorität in der SU. Ich habe keinerlei Wunsch, Literatur zu lesen, die von Allan Dulles fabriziert wird.” (Taubenfuß-Chronik I, S.300)

Man kann getrost diese Antwort Chruschtschows als einen indirekten Hinweis auf die Stelle betrachten, die, wenn nicht selbst als Verfasser der Rede, so doch als Helfer und Begutachter ihres Entwurfes mitbeteiligt war, und ihren Apparat – keineswegs selbstlos, sondern im ureigensten Interesse -, für ihre weltweite Verbreitung zur Verfügung stellte.

Im westlichen Ausland waren die Anklagen gegen Stalin, die diese Rede enthielt, durchaus nichts Neues. Wurden sie doch dort von der bürgerlichen und sozialdemokratischen Presse und den Trotzkisten seit Jahr und Tag verbreitet. Solange sie aus diesen Quellen kamen, waren sie für die Kommunisten in aller Welt nur die Bestätigung dessen, dass die Sowjetunion auf dem richtigen Wege war, denn weshalb sonst würde sie von den Imperialisten und deren Meute so wütend verfolgt? Neu und sensationell war jedoch, dass diese Anklagen diesmal nicht aus dieser Richtung kamen, sondern dass es der Nachfolger Stalins an der Spitze der KPdSU war, der nunmehr bestätigte, dass alles, was die vereinten Antikommunisten im Westen bisher an Hetzlügen über die Sowjetunion verbreitet hatten, gar keine Hetzlügen seien, sondern die Wahrheit.

Die Wirkung auf die Kommunistischen Parteien war verheerend. Ihre erprobtesten Führer, die natürlich ein enges Vertrauensverhältnis zur Führung der KPdSU und zu Stalin gehabt hatten, waren von Heute auf Morgen mit dem Vorwurf belastet, einem Verbrecher zur Hand gegangen zu sein und die eigene Partei zur Gefolgschaft für diesen Verbrecher erzogen zu haben.

Wer bisher zutiefst von der Richtigkeit der Politik der eigenen Partei und der Sowjetunion überzeugt gewesen war, wurde in schreckliche Zweifel gestürzt und verunsichert; für viele war es gerade ihr tief sitzendes Vertrauen zur Sowjetunion, das sie nach schweren inneren Kämpfen sich zu der Haltung durchringen ließ, Stalin so zu sehen, wie dessen Nachfolger ihn schilderte. Wer aber schon vorher die strenge Parteidisziplin und den Kampf um die Reinheit und Einheit der Partei als lästige Fessel und Einengung der eigenen Persönlichkeit empfunden hatte, der empfand Chruschtschows “Abrechnung mit Stalin” als eine Art Befreiung. Ich habe das in meiner Umgebung damals selbst erlebt und in meinem Tagebuch festgehalten:

“Wenn heute bei vielen Kommunisten, ganz zu schweigen von den anderen Menschen, sich mit dem Namen Stalin in erster Linie Gefühle der Ablehnung, ja des Abscheus äußern, dann geht das auf den XX. Parteitag zurück. Und wenn es heute gelingt, in die kommunistische Bewegung Verwirrung zu tragen mit der falschen Frontstellung – Kampf gegen die Stalinisten – , dann wäre das ohne die Art und Weise, wie auf dem XX. Parteitag der Kampf gegen den Personenkult geführt wurde, auch kaum möglich geworden!

Es ist auffällig und bemerkenswert, dass gerade von den Parteien, die anerkanntermaßen am besten verstanden haben, sich im eigenen Volk eine Massenbasis zu schaffen, die Proportionen zwischen Verdiensten und Fehlern Stalins genau umgekehrt dargestellt wurden und werden, als dies der XX. Parteitag tat: KP Chinas, KP Frankreichs, KP Italiens” (Taubenfuß-Chronik I, S. 61)

“…Dazu kommt, dass in zahlreichen Parteien die Erklärung das plötzliche Auftreten parteifeindlicher, trotzkistischer Elemente ermuntert hat, ganz besonders nach den Ereignissen in Ungarn, aber auch schon vorher, die sich gegen die Führer wandten, die schon zu Lebzeiten Stalins an der Spitze der Partei standen.

Besonders gefährlich und verhängnisvoll war die Auswirkung auf die Jugend, die erzogen war, in Stalin die Verkörperung des Besten eines Revolutionärs zu sehen, und die ihn – ich spreche von der fortschrittlichen Jugend – liebte und verehrte von ganzem Herzen, wie nur Jugend lieben und verehren kann. Sie traf die Chruschtschow-Erklärung wie ein vernichtender Keulenschlag. Viele von ihnen hatten erlebt, wie sich ein Ideal, an das sie ebenso fest geglaubt hatten, der Nazismus, als Lüge, Heuchelei und Verbrechen enthüllt hatte. – Und jetzt wurde ihnen gesagt, dass sie wieder ihre Verehrung, ihre Begeisterung einem Unwürdigen zugewandt hatten. Sie mussten sich betrogen fühlen; sie fühlten sich betrogen, irregeführt, verhöhnt. Die unvermeidliche Reaktion: nichts mehr glauben, niemandem mehr vertrauen, allem misstrauen, was mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit auftritt!

Verlust des Vertrauens nicht nur zu Stalin, sondern zu den Führern, die sie gelehrt hatten, in Stalin das Vorbild zu sehen. Das war das Schlimmste; diese Erklärung hat das Vertrauen der Jugend zur Partei untergraben, hat sie in eine Stimmung der erbitterten Opposition gegen die Partei und deren Führer getrieben, hat sie dazu geführt, in dem, was der Feind sagt, auch eine Quelle der Wahrheitsfindung zu sehen, denn, nicht wahr, der hat das ja schon seit Jahren gesagt, was jetzt Chruschtschow bestätigt hat, und hätten wir früher darauf gehört, dann wäre uns diese Enttäuschung erspart geblieben. Ein zweites Mal soll uns das nicht passieren! – Verlust des Gefühls dafür, wer Feind, wer Freund. Abgleiten in Zynismus und alles verneinende Skepsis – all dem wurde der Boden bereitet, und das war der Zustand, der in Ungarn und Polen die Jugend in die Arme von Demagogen, gegen die Partei, trieb.

Wirkung auf die Intelligenz. Ähnlich wie bei der Jugend. Der Intelligenz gegenüber waren die gröbsten Fehler gemacht worden. Der notwendige Kampf gegen Individualismus, Eigenbrötelei, kleinbürgerlich-anarchistische Stimmung war mit Methoden der dogmatischen ‚Belehrung’, der Gängelei, der Einengung des schöpferischen individuellen Schaffens und mit deutlich zum Ausdruck gebrachtem Misstrauen gegen jeden, der ‚aus dem Rahmen fiel’, geführt worden. Die Ausgangsstimmung war hier also umgekehrt wie bei der Jugend – eine schon lange aufgestaute Erbitterung über all das. Die Reaktion auf die Erklärung musste aber gerade deshalb ähnlich sein. Die Erklärung war die Bestätigung dafür: Sie, die Intelligenz war im Recht, die Partei hatte ihr Unrecht getan, die Partei hat sich überhaupt nicht um unser Schaffen zu kümmern, sie hat uns keine Vorschriften zu machen, sie versteht nichts davon. Der Drang war riesengroß, jetzt all die aufgestaute Erbitterung heraus zu schreien, mit all den längst empfundenen Fehlern der Vergangenheit gründlich aufzuräumen, damit sie nie, nie wiederkehren konnten. Das wurde zur Hauptsorge: so gründlich abrechnen, dass restlos und für immer Schluss ist damit. Dabei übersahen viele, dass die Hauptsorge die alte geblieben war; das was wir erreicht hatten – und das war doch bei allen Mängeln etwas ganz Gewaltiges, in Deutschland, Ungarn, Polen noch nie Dagewesenes – das zu schützen und zu verteidigen gegen den immer auf der Lauer liegenden Feind. Die Partei hat das gesagt – aber viele glaubten ihr nicht, weil sie argwöhnten, dahinter verberge sich nur der Unwille, die Fehler der Vergangenheit wirklich zu liquidieren, und weil sie viele Zusammenhänge sahen, die die Führung sah, aber nicht mitteilen konnte. Und sie glaubten auch deshalb nicht, weil sie nach der Chruschtschow-Erklärung in ihrem Vertrauen zur Partei erschüttert waren. Und so gerieten viele ehrliche Intellektuelle an die falsche Front, wie sich in Ungarn zeigte.

Weitere Wirkungen: Große Einbuße an Autorität der KPdSU. Ganz selbstverständlich drängte sich die Überlegung auf: Eine Partei, an deren Spitze jahrzehntelang ein solcher Mann stehen konnte, wie er durch Chruschtschow charakterisiert worden war, – eine Partei die unfähig ist, sich von ihm rechtzeitig zu befreien – , die kann nicht mit dem Anspruch auftreten, mit dem sie bisher aufgetreten ist. So hat diese Erklärung auch den Boden bereitet für antisowjetische Stimmungen, für die Losungen der so genannten Nationalkommunisten. Nicht umsonst berufen sie sich auf den XX. Parteitag. Sie wissen, was sie ihm verdanken!

Diese Erklärung rief hervor bzw. verstärkte enorm eine Feindschaft gegen den Partei- und Staatsapparat. Die Theorien, nach denen der “Apparat” (und nicht etwa die historischen Bedingungen) die Quelle für das Gedeihen des Personenkults sein sollten, fanden breiten An-klang. Die Losung “Demokratisierung” wurde alsbald bei vielen gleichbedeutend mit Kampf gegen den “Apparat”. Er wurde nicht mehr als der eigene Apparat, den man verbessern muss, schlagkräftiger machen muss, sondern als der Feind, der Gegner betrachtet, der liquidiert werden muss.

All diese Dinge zusammengenommen, die ohne Zweifel eine günstige Situation für einen Vorstoß der Konterrevolution schufen, hätten ohne die Chruschtschow-Erklärung, so wie sie gegeben wurde, niemals solch günstige Wachstumsbedingungen finden und der Kampf gegen sie hätte niemals so schwierig werden können. Aber das Ziel, die Überwindung des Dogmatismus usw., hätte sich ohne Zweifel nicht nur auch, sondern besser ohne Anwendung dieser ‚Schock-Therapie’ erreichen lassen. Wir fragten uns damals: Ist es denn nötig, das Pendel jetzt wieder ganz bis ans andere Ende schlagen zu lassen?

Es war nicht nur nicht nötig, es war falsch und schädlich. Dazu kommt noch eine weitere Wirkung: eine gewisse ideologische und politische Demobilisierung, hervorgerufen durch die Feststellung, dass durch die übertriebene Wachsamkeit Tausende gute Kommunisten unschuldig verurteilt worden waren. Diese Abschwächung der Wachsamkeit wurde noch erheblich verstärkt durch die Erklärung der verschiedenen Parteien, dass die Prozesse gegen Rajk, Kostoff usw. unkorrekt waren, dass also Leute als Agenten verurteilt wurden, ohne es zu sein. Logische Folge: solche Fehler, die dazu führen, unschuldigen Leuten Unrecht zu tun, ja sie hinzurichten, wollen wir nie wieder machen. Also Schluss mit der Agentenfurcht und Agentenriecherei! Ergebnis: Im Oktober 1956 hat der Feind gezeigt, dass er nach wie vor da ist, dass es Agenten des Feindes in den eigenen Reihen gibt, und dass sie nicht zuletzt durch unsere Vertrauensseligkeit so aktiv werden konnten.” (Taubenfuß-Chronik I, S. 65-69)

Zu denen, die auf die eine oder andere Weise Opfer des XX. Parteitages wurden, sich aber bis heute nicht als Opfer, sondern als Befreite durch ihn empfinden, gehört auch Genosse Robert Steigerwald. In seinem schon erwähnten Artikel zum XX. Parteitag schreibt er gegen Leute wie Genossen Brar und mich:

“Es wird der Vorwurf erhoben, der XX. Parteitag sei ein Akt der Konterrevolution gewesen, durchgeführt von revisionistischen Kräften, denen es um die Zerstörung der ruhmreichen von Stalin geprägten Partei gegangen sei. Diese Argumentation zerbricht an ihrer inneren Widersprüchlichkeit. Wenn es möglich war, dass innerhalb von drei Jahren (nach Stalins Tod waren drei Jahre vergangen) eine solche Partei konterrevolutionär überrumpelt werden konnte, so war diese Partei schon vorher nicht mehr das, wofür ihre Verteidiger sie halten. Dann hat der Zersetzungsprozess der Partei nicht erst 1956 begonnen. Oder aber, das wäre die andere Seite des Widerspruchs, der XX. Parteitag war, obwohl eine scharfe Wende in der Parteigeschichte, eben kein Akt der Konterrevolution.”

Genosse Steigerwald macht es sich entschieden zu leicht. Wir sagen nicht, dass es den revisionistischen Kräften darum ging, die Partei zu zerstören, sondern es ging ihnen darum, sie in ihre Hand zu bekommen, um sie in ein Instrument zur Restauration des Kapitalismus umzuwandeln. Das ist ihnen schließlich gelungen, aber die von Lenin und Stalin in 36 Jahren errichtete sozialistische Ordnung war so stabil, dass die Chruschtschow und Gorbatschow sich 37 Jahre abmühen mussten, um sie wieder aus der Welt zu schaffen.

Das lag in erster Linie daran, dass diese sozialistische Ordnung fest in den Massen verwurzelt war und alle Häuptlinge des Revisionismus – Chruschtschow, Breshnew und Gorbatschow – das Vertrauen der Massen für eine gewisse Zeit nur deshalb erringen konnten, weil sie feierlich ihre Treue zum Leninismus bekundeten und versprachen, die sozialistische Ordnung auf nie gekannte Höhen zu führen. Keiner von ihnen hätte auch nur die unterste Stufe der Macht er-reichen können, hätte er offen ausgesprochen, dass sein Ziel die Wiedererrichtung des Kapitalismus ist. Sie betrogen die Massen, indem sie ihrem Ziel – der Rückkehr zum Kapitalismus – den Namen “Umbau zur sozialistische Marktwirtschaft” gaben.

Und das lag zweitens daran, dass es der Revisionisten-Bande nicht gelungen ist, die Partei ihrem Willen vollständig gefügig zu machen. Chruschtschow hatte bis zu seinem Sturz im Oktober1964 einen nach außen kaum sichtbaren ständigen Kampf gegen den Widerstand der verbliebenen marxistisch-leninistischen Kräften zu führen. Und Gorbatschow benutzte zunächst die Partei, um den Staatsapparat in die Hand zu bekommen, um dann von dort aus die Partei zu entmachten. In seinem berüchtigten Interview mit dem Spiegel (Spiegel Nr. 3/93, S.127) rühmte er sich dessen mit den Worten:

“Dabei konnte man doch nicht Dinge ankündigen, für die das Volk noch nicht reif war. Man hätte mich für verrückt erklärt, das Volk wäre zerrissen worden, es hätte zum Bürgerkrieg kommen können. Man musste Geduld zeigen, bis die Parteibürokratie so entmachtet war, dass sie das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen konnte.”

Und schließlich lag das drittens auch daran, dass in der kommunistischen Weltbewegung starke Kräfte, an ihrer Spitze die Partei Mao Tse tungs, einen erbitterten Kampf gegen den Revisionismus in der kommunistischen Bewegung führten.

Alles das liegt aber außerhalb des Blickfeldes der Verteidiger Chruschtschows und des
XX. Parteitages.
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4. Zwei Schwerpunkte, mit denen sich die Revisionisten ihre Massenbasis verschafften und die Geschichtslüge, mit der sie die kommunistische Bewegung paralysierten.

Das demagogische Repertoire der Massenverführung und des Massenbetruges der Revisio-nisten ist umfangreich und vielseitig. Ich greife jene Punkte heraus, von denen ich meine, dass sie die wirkungs- und verhängnisvollsten waren: Erstens: das Anknüpfen an die Friedens-sehnsucht: die so genannte “Entspannungspolitik; zweitens: das Versprechen einer raschen Steigerung des Volkswohlstandes, drittens: die paralysierende Geschichtslüge: Die Verteufelung Stalins

Zum ersten Punkt: Kein Gefühl und keine Sehnsucht bei allen am Krieg beteiligten Völkern, ganz besonders aber beim Sowjetvolk, war stärker als die elementare Sehnsucht nach Frieden. Das war nur natürlich nach dem blutigsten und verlustreichsten aller bisherigen Kriege. Aber hinzu kam ein ganz neuer, schwerwiegender Umstand: der Eintritt der Menschheit ins Atomzeitalter! Krieg bedeutete nunmehr die Drohung mit einem Atominferno, wie es die US-Atombomben in Hiroshima und Nagasaki angerichtet hatten. Das steigerte die Kriegsfurcht der Menschen auf ein bisher nie erreichtes Maß. Nachdem die Sowjetunion das Atomwaffenmonopol der USA gebrochen hatte, konnten die Menschen wieder ruhiger schlafen. Die Atomerpressung als Waffe des USA-Imperialismus gegen den Sozialismus war stumpf geworden.

Die Chruschtschow-Bande, an die Macht gekommen, verhalf dieser Waffe in Komplizenschaft mit den USA-Imperialisten zu neuer Schärfe. Sie rief nach einem abgestimmten Szenario mit ihren imperialistischen Partnern mehrfach Situationen scharfer politischer Zuspitzungen hervor – wie z.B. in der Berlin – und in der Kuba-Krise -, und malte die akute Gefahr eines Atomkrieges in den schrecklichsten Farben an die Wand.. Noch heute schreiben Journalisten und Historiker, wenn sie über diese Krisen berichten, die Welt habe damals dicht am Rande eines Atomkrieges gestanden.

Im Ernst dachte im Weißen Haus und im Pentagon aber niemand daran, einen Atomkrieg gegen die Sowjetunion zu führen, solange dort einer an der Spitze war, der ihr Spiel spielte. Sie hatten spätestens seit dem XX. Parteitag vorrangig auf die innere Zersetzung der Sowjetunion und ihres Machtbereiches gesetzt. Kein anderer als der US-Außenminister John Foster Dulles hatte seiner Hoffnung auf eine solche Entwicklung am 11. Juli 1956 in einer Rede Ausdruck verliehen, von der die Presse wie folgt berichtete:

“Dulles sieht eine Befreiung der Satellitenstaaten für möglich an. Dulles sagt voraus, dass Kräfte der Freiheit, die nun hinter dem Eisernen Vorhang am Werke seien, sich als unwiderstehlich erweisen, und dass sie die internationale Szenerie bis zum Jahre 1965 umändern könnten. Die Anti-Stalin-Kampagne und ihr Liberalisierungsprogramm hätten eine Kettenreaktion ausgelöst, die auf lange Sicht nicht aufzuhalten sei.” (Taubenfuß-Chronik I, S.100 f.).

Wer auf eine solche Kettenreaktion setzt, der denkt im Ernst nicht daran, eine Atomreaktion mit allen ihren Risiken zu entfesseln.

Wozu aber wurde dann die Schürrung der Atomkriegsangst gebraucht? Chruschtschow verfolgte und erreichte mit ihr mindestens zwei Ziele: erstens – in der kommunistischen Bewegung und bei der eigenen Bevölkerung die antiimperialistische Grundeinstellung aufzuweichen mit der Behauptung, die Atomkriegsgefahr könne nur gemeinsam mit den USA gebannt werden, der USA-Imperialismus dürfe daher nicht mehr nur als Gegner gesehen werden, sondern er sei der unentbehrliche Partner der Friedens sichernden Entspannungspolitik.

Zweitens entwickelte Chruschtschow– angeblich zur Beseitigung der Atomkriegsgefahr, in Wirklichkeit zur Ausschaltung der Kontrolle seiner Geheimbesprechungen mit den Gesprächspartnern der imperialistischen Seite durch das Kollektiv der Parteiführung, und zur Ausschaltung des Außenministeriums – die “Gipfeldiplomatie”, mit der er sich als den unermüdlichen Friedensretter darstellte und feiern ließ, die jedoch in Wirklichkeit die Rückkehr zur unkontrollierten Geheimdiplomatie darstellte.

Und schließlich benutzte er diese seine Reisen und Gespräche mit den imperialistischen Spitzenpolitikern, wie dem USA-Präsidenten Eisenhower, auch noch zur Sympathiewerbung für den USA-Imperialismus und seine Spitzenpolitiker.

Zum zweiten Punkt: nach den harten Kriegsjahren mit ihren großen Opfern und Entbehrungen sehnten sich die Menschen der Sowjetunion nicht nur nach Frieden, sondern auch nach einer raschen Wiederherstellung normaler Verhältnisse; und sie erwarteten völlig zu Recht als Früchte des Sieges auch eine spürbare Erhöhung ihres Lebensstandards.

Der Wiederaufbau in den ersten Jahren nach dem Kriege hatte große Erfolge gebracht, aber die Lebensverhältnisse ließen natürlich noch viele Wünsche offen. Die Chruschtschow-Führung nutzte diese Situation in echter Schädlingsart aus: Sie weckte unerfüllbare Hoffnungen mit dem Versprechen, anders als unter Stalin jetzt die Konsumbedürfnisse des Volkes an die erste Stelle zu setzen und die Versorgungslage rasch zu verbessern. Mit der Begründung, dies sei für die rasche Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung notwendig, wurde ein Schädlingsprogramm in Szene gesetzt, indem der Vorrang der Entwicklung der Produktionsgüterindustrie vor der der Konsumgüter-Industie, – die unbedingte Voraussetzung für ein stabiles Wachstum der gesamten Wirtschaft – beseitigt und das Verhältnis beider Abteilungen zueinander nahezu umgekehrt wurde. Das musste auf längere Sicht gesehen zu Engpässen und zugespitzten Versorgungsschwierigkeiten auf allen Gebieten führen, und damit auch zu wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung, und führte in der Tat dazu.

Dass ihre Politik dahin führen würde, das wussten natürlich auch Chruschtschow und seine Fachleute – mehr noch – das war eingeplant. Wer den Sozialismus abschaffen und den Kapitalismus restaurieren will, der muss dafür sorgen, dass der Sozialismus die Unterstützung durch die Massen verliert, dass Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen entsteht und wächst und eine Massenstimmung entsteht, in der alle sagen: So kann es nicht weitergehen!

Revisionistische Wirtschaftspolitik führt deshalb nicht aus Unfähigkeit der revisionistischen Wirtschaftsleiter zum Niedergang der Wirtschaft, sondern er wird planmäßig herbeigeführt, weil das politische Ziel der Überwindung des sozialistischen Systems und seine Beseitigung nur durch die Ruinierung der Wirtschaft zu erreichen ist.

Die Chruschtschow, Breshnew und Gorbatschow sorgten aber nicht nur für den Niedergang der Wirtschaft im eigenen Land, sondern taten alles, was sie konnten – und das war gewaltig viel! –, um auch die Wirtschaft in allen anderen sozialistischen Länder in krisenhafte Verhältnisse zu stürzen, soweit dies die dortigen revisionistischen Führer – wie in Ungarn und Polen – nicht schon selbst taten.

Schließlich zum dritten Punkt: Die “Enthüllungen” der “Stalinschen Verbrechen.” Darüber müsste sehr viel und ausführlich gesprochen werden, aber meine Redezeit ist fast um.
Daher nur einige Gedanken und Feststellungen.

Die revisionistische Konterrevolution musste schon in den Anfängen stecken bleiben, wenn nicht die Autorität zerstört wurde, die Stalin nahezu uneingeschränkt im Sowjetvolk und in allen kommunistischen Parteien, ja bis weit in die Kreise des Bürgertums in der ganzen Welt genoss, die in ihm als dem Führer des Sowjetvolkes zu Recht den Befreier vom Faschismus erblickten.

Er musste zum Teufel gemacht werden, weil er nicht der bleiben durfte, an dessen Lehren und Taten seine Nachfolger gemessen würden. Und diese Lehren und Taten waren Marxismus-Leninismus in Aktion und lebendig im Bewusstsein der Menschen; jede Abweichung von ihnen hätten sie wachsam gemacht und ihren Widerstand hervorgerufen.

Weil man den Marxismus-Leninismus über Bord werfen wollte, um freie Hand für den Kurswechsel zum Revisionismus zu gewinnen, deshalb musste der personifizierte Marxismus-Leninismus, Stalin, nicht nur über Bord geworfen, sondern zu seinem Gegenteil, zum Anti-Marxisten-Leninisten erklärt werden. Denn das Volk wollte keinen Kurswechsel, sondern an Marx und Lenin und dem Sozialismus festhalten.

Deshalb durfte es den Kurswechsel nicht als das erkennen, was er tatsächlich war, sondern ihm musste vorgemacht werden, dieser Kurswechsel sei die Rückkehr von der Stalinschen Kursabweichung wieder zum richtigen Leninschen Kurs. Dazu wärmte Chruschtschow in seiner Geheimrede die alte Geschichte mit dem als Testament Lenins ausgegebenen Brief Lenins an den bevorstehenden Parteitag wieder auf, mit der schon Trotzki vergeblich versucht hatte, nach Lenins Tod Stalin zu stürzen und sich selbst zum Nachfolger Lenins an die Spitze der Partei auf zuschwingen.

Das schärfste Kontrastbild zu Lenin stellte er aber her, indem er Stalin als willkürlichen, blutgierigen Despoten darstellte. Was er dazu in seinem Bericht ausmalte, war ein Verbrechen an der Partei und der Sowjetmacht. Dies nicht etwa deshalb, weil er bisher kaum oder nur unvollständig bekannte Tatsachen über unschuldige Opfer der “Säuberungen” der Jahre
1936-39 zur Sprache brachte, sondern weil er in der so genannten Geheimrede in vielen Passagen eine ungeheuerliche Fälschung der Geschichte der Sowjetunion beging; auch – aber keineswegs nur – damit, dass er die Prozesse und die “Säuberungen”, die von der gesamten Parteiführung beschlossen und getragen wurden, allein Stalin als dessen persönliche Willkürakte zu schrieb.

Wäre Chruschtschows Ziel nicht gewesen, Stalins Autorität ein für allemal zu zertrümmern, um nicht ständig an ihm gemessen zu werden, und um für seine konterrevolutionäre Kursänderung freie Bahn zu haben; und hätte zu seiner Absicht nicht auch gehört, der Überzeugung der Sowjetbürger in die Gerechtigkeit ihrer Sache und dem Stolz auf ihre Sowjetmacht einen schweren Schlag zu versetzen; hätte er wirklich nur im Sinne gehabt, den unschuldigen Opfern der “Säuberungen” Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die geschichtliche Wahrheit über die Zeit der Repressionen darzulegen, dann hätte in seinem Bericht etwa das Folgende gesagt werden müssen:

“1936, nach der Errichtung der faschistische Diktatur in Deutschland, nach der Aufrüstung des faschistischen Deutschland unter Duldung und sogar Mithilfe der Westmächte, nach dem Verrat der Westmächte an der spanischen Republik, standen wir vor der Gefahr, vom faschistischen Deutschland, – möglicherweise sogar im Einvernehmen mit den Westmächten, – über-fallen zu werden und uns allein der stärksten Militärmacht der ganzen Kriegsgeschichte gegenübergestellt zu sehen, von der wir aus dem Spanienkrieg schon wussten, was sich dann in Norwegen und Frankreich später wiederholte, nämlich, dass der faschistischen Wehrmacht im Hinterland der überfallenen Länder “fünfte Kolonnen” von Quislingen und Verrätern zu Hilfe kamen.

Wie groß die Gefahr des Überfalles war, zeigte sich noch viel deutlicher mit dem Münchener Abkommen der Westmächte mit Hitler und der Auslieferung der Tschechoslowakei an ihn, mit der Weigerung der Westmächte, mit uns einen Vertrag über kollektive Sicherheit und gegen-seitigen Beistand zur Bändigung Hitlerdeutschlands abzuschließen.

Unsere Vorbereitungen auf den faschistischen Überfall mussten also auch der Verhinderung der Bildung einer 5. Kolonne in unserem Hinterland gelten. Noch gab und gibt es bei uns Feinde der Sowjetmacht, einst von uns enteignete Kulaken und ihre Nachkommen, Reste der zerschlagenen Gruppe der Trotzkisten und anderen Oppositionsgruppen, – hatte doch Trotzki mehrfach in seinen Veröffentlichungen dazu aufgerufen, im Kriegsfalle den Aufstand gegen den “Stalinismus” zu beginnen; ferner Leute, die mit den Deutschen sympathisieren, z.B. unter den Wolga-Deutschen oder bei bestimmten Nationalitäten, wie den Krimtataren und den Tschetschenen.

Also mussten wir angesichts der tödlichen Bedrohung alles tun, um es möglichen Feinden der Sowjetmacht unmöglich zu machen, im Hinterland mit Fünften Kolonnen den faschistischen Überfall zu unterstützen. Dabei mussten wir in Rechnung stellen und in Kauf nehmen, dass es bei Säuberungen so großen Ausmaßes, wie wir sie für notwendig erachteten, nicht auszuschließen war, dass auch Unschuldige, sei es wegen absichtlicher Falschbeschuldigungen feindlicher Elemente, sei es aus Übereifer örtlicher Organe, sei es durch Anlegen eines zu pauschales Rasters, in erheblichem Umfange von den Maßnahmen betroffen sein würden, wie es dann auch der Fall war.

Aber wir hatten damals abzuwägen, was schwerer wog: Wenn wegen ungenügender Sicherungsmaßnahmen die Sowjetmacht durch kombinierte Schläge der faschistischen Armeen und der Fünften Kolonnen zugrunde ging – oder wenn wir bei den Gegenmaßnahmen nicht nur echte Feinde, sondern auch Unschuldige und sogar eigene Leute treffen würden. Die Partei hat sich für die Sicherung des Landes als die allem anderen übergeordnete Pflicht entschieden.

Jetzt aber ist es an der Zeit, dabei begangenes Unrecht aufzuklären und zu beenden.”

So oder so ähnlich hätte eine ehrliche, kommunistische Stellungnahme zu der für jeden Kommunisten schmerzlichsten Seite der Geschichte der Sowjetunion lauten müssen.

Eine kommunistische, das heißt wahrheitsgemäße Schuldzuweisung auch für diese Opfer hätte klar aussprechen müssen, dass auch ihre Leiden und ihr Tod wie der von 25 Millionen Sowjetsoldaten und der von 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges auf das Konto derer geht, die die Führung der Sowjetunion vor eine solch grausame Entscheidung stellten – auf das Konto Hitlers und des deutschen Imperialismus vor allem; in zweiter Linie aber auch auf das Konto derer, die Hitlerdeutschland aufrüsteten, um es als Stoßkeil gegen die Sowjetunion zu lenken und seine Bändigung durch ein kollektives Sicherheitsbündnis sabotierten.

Indem er statt dessen Stalin als Massenmörder Unschuldiger hinstellte, übernahm nun der Führer der KPdSU die bisher nur über die westlichen Medien verbreiteten antisowjetischen Hetz-Lügen aus den Küchen der imperialistischen Spezialisten für psychologische Kriegsführung und verkündete sie als Wahrheit.

Von daher kommt es, dass ehrliche und überzeugte Kommunisten auch heute noch bedenkenlos die giftige Verleumdung weitergeben, Stalin habe mehr Kommunisten umgebracht, als Hitler. Die Wahrheit ist, dass alle Kommunisten, alle Kämpfer gegen den Faschismus und alle Juden, die im vom Faschismus besetzten Europa überlebt haben, dies vor allem der Sowjetunion, der Roten Armee und damit auch Stalin verdanken.
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5. Einige Schlussbemerkungen

1. Der Sieg des Revisionismus über den Marxismus-Leninismus in der KPdSU und anderen kommunistischen Parteien war die Voraussetzung für den zeitweiligen Sieg des Imperialismus und die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion und den sozialistischen Staaten in Europa.

Die Überwindung des Revisionismus in der gesamten kommunistischen Bewegung ist die Voraussetzung für ihren neuen Aufschwung und für neue Siege des Sozialismus über den Imperialismus

2. Der Anti-Stalinismus der revisionistischen Unterminierer und Zerstörer des Staat-gewordenen Sozialismus, von Tito über Chruschtschow bis zu Gorbatschow, ist das stärkste Zeugnis für Stalin:

Es gibt keinen stärkeren Beweis für die positive Rolle Stalins als die Tatsache, dass die Zerstörung seiner Autorität in der Sowjetunion und in der kommunistischen Bewegung die Voraussetzung war für die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion.

Ohne “Entstalinisierung” keine Restauration des Kapitalismus!

3. Der Anti-Stalinimus ist komprimierter Revisionismus, also Anti-Leninismus, jedoch in der Maskerade eines Verteidigers des Leninismus. Der Angriff auf Stalin ist für die Revisionisten vom Schlage Tito-Chruschtschow-Gorbatschow nur der Beginn. Er zielt von Anfang an auf Lenin. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn der Chruschtschow-Zögling und Gorbatshow-Berater Jakowlew in seiner Autobiografie seine Hassorgien mehr noch als auf Stalin gegen Lenin richtet. Die FAZ v. 26. Januar 2004 zitiert aus seinem Buche (“Die Abgründe meines Jahrhunderts”) : “In der Geschichte hat es keinen Menschen gegeben, der Russland mehr hasste als Uljanow-Lenin. Was immer er anfasste, verwandelte sich in einen Totenacker, in ein Riesenfeld mit menschlichen, sozialen und ökonomischen Gräben. Alle wurden ausgeraubt – die Lebenden und die Toten.” Mit einigem Erstaunen stellt die FAZ fest, dass Jakowlew alle, die der Meinung seien, Stalin, nicht Lenin sei der wahre Unhold der Sowjetmacht gewesen, darüber belehrt, “die Geschichte des Stalinismus weise im Grunde nichts Neues auf”. In der Rezension des Jakowlew-Buches im “Neuen Deutschland” (29.1.04) wird der gleiche Tatbestand so beschrieben: “Nach Jakowlew gab es keinen strategischen Bruch zwischen der Periode des weltrevolutionär-internationalistisch begründeten Revolutionskonzepts W. I. Lenins und der Stalinschen Praxis eines nationalen Sozialismus.”
Die konsequentesten Anti-Stalinisten bestätigen damit auf ihre entstellende und verleumderi-sche Weise die Richtigkeit der Feststellung des großartigen französischen Schriftstellers und Kommunisten Henri Barbusse: “Stalin – das ist der Lenin unserer Tage!” (Henri Barbusse: Stalin – eine neue Welt. Rotfront Reprint, Berlin 1996, S.279).

4. Den fünfzigsten Jahrestag des Todes Stalins (5. März 2003) begingen die imperialistischen Medien mit geballten Ladungen von Artikeln und Serien über den “Jahrhundertverbrecher” Stalin, die – was man kaum für möglich halten konnte – noch alles übertrafen, was in den letzten fünfzig Jahren seit Stalins Tod an Hetze gegen ihn “geleistet” wurde.

Wie soll man sich diese alles bisher auf diesem Gebiet Gebotene weit in den Schatten stellende Orgie der Anti-Stalin-Hetze erklären?

Es gibt darauf nur eine Antwort: Die Sieger von gestern sind sich der Dauerhaftigkeit ihres Sieges nicht sicher, sie haben Furcht! Ja, sie fürchten den Einfluss des vor einem halben Jahrhundert verstorbenen Stalin auf die heute Lebenden! Sie erschrecken davor, dass noch immer und sogar immer mehr Menschen in Russland und den übrigen Staaten der früheren Sowjetunion bei ihren Demonstrationen Stalin-Bilder mit sich führen. Sie fürchten, dass die Verlierer von Gestern die Sieger von morgen oder übermorgen sein könnten. Diese Furcht sitzt offenbar auch Jakowlew im Nacken. Weshalb sonst sollte er – wie im “Neuen Deutschland” zu lesen, “das Erhalten von Lenin-Denkmälern” beklagen und – wie die FAZ aus seinem Buche zitiert – höchst beunruhigt und empört feststellen: “Und heute wohnen wir seelenruhig der Reinwaschung Stalins durch einige Behörden und Massenmedien bei!” ?

Die Sieger von gestern haben allen Grund zu dieser Furcht. Fünfzehn Jahre nach ihrem Triumph über den Sozialismus stecken sie in der tiefsten Krise ihres Systems: ökonomisch, politisch, sozial, kulturell, und nicht zuletzt: ideologisch. Immer deutlicher wird: die allgemeine Krise des Kapitalismus ist trotz der Niederlage des Sozialismus in Europa nicht überwunden, sondern dauert fort und vertieft sich. Und es wächst der Widerstand.

5. Ein Grund für die Furcht der Sieger von gestern ist mit Sicherheit auch die Erfahrung, dass es ihnen nicht gelungen ist, die Mehrheit der Jugend der ehemals sozialistischen Länder für sich zu gewinnen.

Das folgende Beispiel aus Ostdeutschland kann durchaus Gültigkeit auch für andere ehemals sozialistische Länder beanspruchen. Eine an der Leipziger Universität angefertigte und am 19. September 2002 auszugsweise im “Neuen Deutschland” veröffentlichte Studie macht deutlich:

Nachdem die DDR-Bürger 12 Jahre lang die Segnungen des realen, unverfälschten Kapitalismus über sich ergehen lassen mussten, haben selbst Jugendliche, die nur wenige Jahre noch als Bürger der DDR erlebt haben, die Erfahrung gemacht, dass die in der DDR herrschende sozialistische Gesellschaftsordnung – trotz ihrer fortgeschrittenen Deformation – menschenfreundlich war, die der Bundesrepublik dagegen dies ganz und gar nicht ist. In der Studie ist über die Ansichten der befragten Jugendlichen zu lesen:

“Für 91 Prozent der Befragten gab es vor der Wende mehr Sicherheit, nur 1 Prozent ist der Meinung, dies sei heutzutage besser. …Die Zukunftsfähigkeit des jetzigen Gesellschaftssystems schätzen sie als ziemlich gering ein, nur ein kleiner Teil hofft, dass dieses System für immer erhalten bleibt. … Die Distanz gegenüber dem kapitalistischen System geht mit einer zunehmenden Identifikation mit sozialistischen Idealen einher. … Sozialistisches Gedankengut sei nicht aus den Köpfen der jungen Ostdeutschen verschwunden.” (Entnommen meinem Aufsatz: “Der unsterbliche Frühsozialismus, in: “In den Trümmern ohne Gnade. Festschrift für Peter Hacks”, Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2003, S.225)

6. Die Anti-Stalinisten haben bewirkt, dass seit einem halben Jahrhundert die wichtigsten marxistischen Werke nach denen von Marx, Engels und Lenin, die Werke Stalins, als Werke gelten, von denen ein anständiger Kommunist sich trennt und sie nie wieder in die Hand nimmt. Wie die Päpste die Schriften von “Ketzern” auf den Index setzten, so wurden die Schriften Stalins von den Führern der Parteien des “demokratischen” und “pluralistischen” Sozialismus und Kommunismus moralisch geächtet und also auf den Index gesetzt. (Mit den Werken Stalins, die durch diese Ächtung nach Chruschtschows Stalin-Verdammung auf dem Müll landeten, könnte man viele Bibliotheken füllen.).

Genau mit dem Beginn dieser Index-Zeit begann auch der Niedergang des Sozialismus und der kommunistischen Bewegung.

Zu den unabdingbaren Voraussetzungen für ihren neuerlichen Aufschwung gehört deshalb auch die massenhafte Hinwendung zum erneuten Studium der Werke Stalins, in denen der ganze Reichtum der Erfahrungen des erfolgreichen Aufbaus des Sozialismus auf den von Lenin gewiesenen Bahnen enthalten ist.

Dieser Vortrag wurde – ohne die Schlussbemerkungen – gehalten auf der von “Offensiv” veranstalteten Konferenz “Revisionismus der Totengräber des Sozialismus – von den Anfängen bis zur bitteren Niederlage”, Lesung und Diskussion mit Kurt Gossweiler und Harpal Brar, Berlin, 24. August 2002. Mit den Schlussbemerkungen wurde er am 2. Februar 2004 in einem von Gerald Hoff-mann organisierten Kurs “Aktuelle Fragen kommunistischer Theorie und Praxis im Lichte des Manifest der Kommunistischen Partei” vorgetragen. Veröffentlicht in “Offensiv – Zeitschrift für Sozialismus und Frieden, 2/2004, S. 35-56.

on 1. April 2002
Veröffentlicht in: Einheit, Revisionismus, Stalin

Kurt Gossweiler

Bemerkungen zum Anteil des Revisionismus an der Niederlage des Sozialismus in Europa

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Kurt Gossweiler

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde,

in der Ankündigung der heutigen Veranstaltung wurde als mein Forschungsgebiet genannt: Faschismus. Das war es bis zur Konterrevolution, also bis 1989. Seit dieser schlimmsten Ka-tastrophe des katastrophenreichen 20. Jahrhunderts ist es der Revisionismus und dessen Anteil an ihr.

Dass ich diese beiden Forschungsgebiete wählte, hängt mit den beiden schlimmsten Ereignissen meines Lebens zusammen, mit der Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland 1933 und mit dem Sieg der Konterrevolution über den Sozialismus in Europa im Jahre 1989.

“Wie konnte das geschehen?” – das war in beiden Fällen die Frage, die mich bewegte und die mich im ersten Fall zum Faschismusforscher werden ließ, im zweiten Fall mich zur anhaltenden Beschäftigung mit der Rolle des Revisionismus veranlasste.

Deshalb habe ich 1955, als ich meine Aspirantur an der Berliner Humboldt-Universität begann, als Gegenstand meiner Dissertation ein Thema gewählt, das den Faschismus und die Ursachen seines Machtantritts in Deutschland behandelte. Die Ergebnisse meiner Faschismusforschungen sind in einigen Büchern und vielen Aufsätzen nachzulesen.

Der Revisionismus wurde ab 1989 mein Hauptforschungsgebiet, beschäftigt hat er mich aber schon seit längerem, genauer gesagt, seit 1956. Warum seit diesem Zeitpunkt? Weil mich schon seit 1953 in immer stärkerem Maße Ereignisse in der Sowjetunion beunruhigten, für die ich keine Erklärung fand und die mit meinem Bild von der Sowjetunion nicht in Übereinstimmung zu bringen waren.

Seit ich politisch zu denken angefangen hatte – dank meiner Mutter und ihres zweiten Mannes, beide waren Mitglied der KPD seit 1927 – , also seit meinem zehnten Lebensjahr, war die Sowjetunion für mich das Land meiner Bewunderung und das Heimatland aller Kommunisten. Aber es war keineswegs so, dass im Laufe der Zeit das Vertrauen in die Sowjetunion und ihre Führung nicht auch Belastungsproben unterworfen gewesen wäre.

Die erste waren für mich wie für meine Genossen aus dem illegalen KJVD die Moskauer Prozesse.

Wir hatten damals auch eine Diskussion mit einem Jugendgenossen, der zu den Trotzkisten abgedriftet war und über die Prozesse schon damals alles das von sich gab, was seit den Chruschtschowschen und Gorbatschowschen Rehabilitierungen der damals Verurteilten nun auch zum Standardrepertoire aller “Erneuerer” und “Reformer” in verschiedenen kommunis-tischen und ehemals kommunistischen, inzwischen umbenannten Parteien gehört: dass alle Verurteilten natürlich unschuldig seien und nur sterben mussten, weil sie Stalins Allmachts-treben im Wege standen.

Auch das heute immer wieder ins Feld geführte angebliche “Testament” Lenins, in dem er vor Stalin gewarnt habe, brachte dieser junge Trotzkist schon damals vor.

Natürlich hatten wir damals keine Möglichkeit, all dies zu überprüfen. Aber dafür, zu über-prüfen, ob unser Vertrauen zur Sowjetunion und zu Stalin gerechtfertigt war, gab es ein sehr einfaches und zugleich überzeugendes Mittel: die Prüfung der Taten der Sowjetunion und Stalins in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus!

Im Sommer 1936 hatte Franco seinen Putsch gegen die Spanische Volksfrontregierung un-ternommen und damit das Startzeichen für die Intervention des faschistischen Deutschland und Mussolini-Italiens zugunsten der Errichtung eines faschistischen Regimes in Spanien gegeben, als Vorspiel zum geplanten großen Krieg.

Damit wurde die Stellung zum Krieg in Spanien zum Prüfstein für die Stellung aller Staaten, Parteien und Einzelpersönlichkeiten zum Faschismus. Wie allen bekannt, gab es nur einen Staat in der ganzen Welt, der die Spanische Republik verteidigen half gegen die Hitler- und Musso-lini- Aggressoren, und dieser Staat war nicht etwa das benachbarte Frankreich mit seiner Volksfrontregierung, es war auch nicht England und es waren auch nicht die USA – sie alle halfen vielmehr durch ihre heuchlerische Nichteinmischungspolitik Franco, Hitler und Mussolini bei der Erwürgung der Spanischen Republik. Allein die Sowjetunion kam dem spanischen Volk und den Freiwilligen in den Interbrigaden mit Waffen und Soldaten zu Hilfe. Sie tat also genau das, was wir von ihr erwarteten. Sie hat unser Vertrauen nicht enttäuscht.

Eine zweite Belastungsprobe stellte im August 1939 der Abschluss des Nichtangriffsvertrages der Sowjetunion mit Hitlerdeutschland dar.

Ich war damals zum Arbeitsdienst eingezogen und in ein RAD-Lager in Pommern verbracht worden. Die meisten der anderen “Arbeitsmänner” stammten aus Pommern und waren, wenn nicht Nazis, so doch auf keinen Fall bewusste Nazigegner. Aber mit mir war noch einer aus Berlin in meinem “Trupp”, und nicht nur das – auch er kam aus einem kommunistischen El-ternhaus, und wir fanden schnell heraus, dass wir beide von der gleichen Farbe waren.

Eines Tages im August erzählte er mir, sein Vater sei am Wochenende zu Besuch hier gewesen und habe ihm eine ganz unwahrscheinliche Ankündigung gemacht. Es werde – so habe er gesagt – in nächster Zeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion ein Vertrag geschlossen werden, er solle sich schon darauf einstellen. Woher sein Vater das hatte, habe er ihm nicht gesagt. Ich hielt das dennoch für eine ausgesprochene Latrinenparole und sagte das meinem Kumpel auch.

Aber dann kam der 23. August, und da gab es keinen Zweifel mehr: Die Sowjetunion hatte mit Hitlerdeutschland einen Nichtangriffs-Vertrag geschlossen! Und die Nazipresse berichtete so darüber, als handelte es sich dabei um ein gegen die Westmächte gerichtetes Bündnis. Was sollten wir davon halten? Das Wichtigste für uns beide war, den veröffentlichten Wortlaut des Vertrages daraufhin zu untersuchen, ob in ihm irgend eine Passage enthalten war, die über ein Abkommen zum gegenseitigen Nichtangriff hinausging und dem Ganzen Bündnischarakter verliehen hätte. Es gab zu unserer großen Beruhigung keine einzige solche Passage. Bei der Suche nach Gründen, welche die Sowjetunion zu diesem Schritt veranlasst haben könnten, waren wir uns einig, dass die Sowjetunion damit sicher der ja offenkundigen Gefahr vorbeugen wollte, dass die Westmächte etwa mit Hitlerdeutschland ein neues Münchener Abkommen, diesmal aber auf Kosten der Sowjetunion, schließen würden; wir wussten beide sehr gut, dass sie die Aufrüstung Nazideutschlands nicht nur geduldet, sondern gefördert hatten in der Hoffnung, die deutsche Aggression gegen die Sowjetunion lenken zu können. Wenn es der Sowjetunion mit diesem Abkommen gelang, Zeit zu gewinnen, dann konnte uns das nur recht sein. Dass es nur um Zeitgewinn gehen konnte, dessen waren wir uns gewiss; denn soviel wussten wir: das wichtigste Kriegsziel Hitlers und seiner finanzkapitalistischen Hintermänner war die Vernichtung der “bolschewistischen Gefahr”, der Sowjetunion. Wenn sich Deutschland zunächst gegen den Westen wenden würde, dann auch mit der Absicht, sich den Rücken frei zu machen für einen späteren Krieg gegen die SU.

Auch die Besetzung der ostpolnischen Gebiete durch die Rote Armee am 17.September, die noch heutzutage von so genannten “demokratischen Sozialisten” in höchsten Tönen moralischer Entrüstung als grobe Verletzung des Völkerrechts verurteilt wird , – von den gleichen Leuten also, die heute, sobald sie in die so heiß begehrten Regierungsämter gelangt sind, sich zu Bütteln der Durchsetzung der Programme des Kapitals zur Ausplünderung der Wähler hergeben, denen sie vorher die Vertretung ihrer Interessen versprachen, – diese Besetzung zu bejahen und zu begrüßen machte uns überhaupt keine Schwierigkeiten. Zum einen deshalb, weil, wo die Rote Armee Wache hielt, die Wehrmacht nicht weiter vorrücken konnte, die Bevölkerung also davor bewahrt blieb, unter den Stiefel der Faschisten getreten zu werden.

Aber noch viel wichtiger: wir wussten doch, dass dies Gebiete waren, die zu Weißrussland und zur Ukraine gehört hatten und 1920 vom Pilsudski-Regime gewaltsam und völkerrechtswidrig annektiert worden waren. Wir empfanden es als einen Geniestreich Stalins, die gegenwärtigen Verstrickungen der imperialistischen Mächte dazu auszunutzen, friedlich das zurückzuholen, was Sowjetrussland seinerzeit gewaltsam entrissen worden war.

Als ich im Oktober 1940 – jetzt schon als Angehöriger der Wehrmacht – für drei Monate Stu-dienurlaub erhielt, nahm ich natürlich wieder die Verbindung zu den Genossen unserer KJVD-Gruppe auf. Auch sie hatten die genannten Ereignisse genau so beurteilt wie ich und mein Genosse im RAD-Trupp.

Im übrigen war unsere Haltung zur Sowjetunion in dieser komplizierten Zeit, und so abgesperrt, wie wir seit 1933 von Informationen waren, bestimmt von einem durch lange Jahre nie enttäuschten Vertrauen zur sowjetischen Führung. Wir waren auch ganz sicher, dass früher oder später die Wehrmacht den Befehl zum Überfall auf die Sowjetunion erhalten würde, und genau so sicher waren wir auch, dass dies dann der Anfang vom Ende des Hitlerregimes in Deutschland sein würde. Auch darin sollte unser Vertrauen in die Sowjetunion und ihre Füh-rung nicht enttäuscht werden.

Am 21. Juni 1941 war es dann so weit, dass Hitler den Befehl zur Verwirklichung des “Planes Barbarossa” , zum Beginn des Überfalles auf die Sowjetunion gab. Vom ersten Tage an bis zum 14. März 1943, dem Tag meines Übertritts auf die Seite der Roten Armee, war ich gezwun-genermaßen Teilnehmer des “Ostfeldzuges”.

Natürlich war ich nach meinem Übertritt für die sowjetische Seite ein Kriegsgefangener und kam in ein Arbeitslager. Das Leben dort war hart, Arbeit im Torfmoor zur Torfgewinnung als Brennmaterial für ein nahe gelegenes Kraftwerk, mit nur zu oft kaputten Schuhen im Wasser der Entwässerungsgräben. Aber ich wusste, wie sowjetische Kriegsgefangene durch die Deutschen behandelt wurden, hatte selbst erlebt, wie Verwundete einfach abgeknallt wurden, wusste, dass in den “Stalags” in Deutschland sowjetische Kriegsgefangene in Massen durch Arbeit, Hunger und Krankheit vorsätzlich umgebracht wurden. Wir dagegen erlebten, wie sich sowjetische Ärzte bemühten, das Leben verwundeter deutscher Kriegsgefangener zu retten. Die Verpflegung bei uns im Lager war so, dass der Hunger zwar nie völlig gestillt wurde, aber wir wussten auch: der Bevölkerung im nächsten Dorf ging es nicht besser. Wir haben erlebt, dass in einem besonders strengen Winter – ich glaube, das war 1945 auf 1946 – die Leute im Dorf ihren Mahlzeiten Baumrinde beigaben, während wir selbst in den schlechtesten Zeiten in unserem Essen Büchsenfleisch aus den US-Lieferungen fanden. Kurzum, ich erlebte auch als Kriegs-gefangener, dass man sich auf Stalins Wort verlassen konnte: “Wenn sich der deutsche Soldat ergibt, wird er entsprechend den internationalen Abmachungen behandelt!” Das ging – zum großen Ärger vieler “Landser” – so weit, dass auch die Vorschriften eingehalten wurden, die den Offizieren eine Vorzugsbehandlung einräumten.

Nach einigen Monaten wurde ich zusammen mit anderen Kameraden als Kursant auf die zentrale Antifa-Schule in Taliza geschickt, auf der wir – insgesamt zehn Kursanten – nach Absolvierung des Lehrgangs als Assistenten der dort als Lehrer wirkenden Emigran-ten-Genossen arbeiteten. Ich blieb dort bis zu meiner Entlassung nach Deutschland im Sommer 1947. Das waren Jahre angespanntesten Studiums, denn wir mussten uns die Kenntnisse an-eignen, die nötig waren, um Vorlesungen zu halten und Seminare durchzuführen auf den Ge-bieten: Deutsche Geschichte, Geschichte Russlands und der Sowjetunion, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Politische Ökonomie und marxistisch-leninistische Philosophie. Diese Jahre an der Antifa-Schule – sie waren meine eigentliche Universität; und ich übertreibe nicht, wenn ich sage: von dem dort Gelernten zehre ich noch heute, denn ohnedem wäre es mir nicht möglich gewesen, die Chruschtschowerei als Verrat am Marxismus-Leninismus und als feindliche Diversion zu erkennen. Das, was uns dort der stärkste Ansporn war und auch die größte Befriedigung gewährte, war das Bewusstsein, dazu beizutragen, dass Landser, die Hitler dazu missbraucht hatte, die Sowjetunion zu zerstören, als Antifaschisten in die Heimat zu-rückkehrten um zu helfen, das schwere geistige und materielle Erbe des Faschismus zu über-winden und eine neue, antifaschistische Ordnung in ganz Deutschland zu errichten.

Nach meiner Rückkehr in die Heimat im Sommer 1947 arbeitete ich bis zum Jahre 1955 in der Bezirksleitung der SED, um dann 1955 eine Doktor-Aspirantur an der Humboldt-Universität zu beginnen. Am 5. März 1953, also noch in der Zeit meiner Arbeit im Parteiapparat, starb Stalin. Während der gewaltigen Trauerdemonstration, die in Berlin wie in der ganzen Welt stattfand, hörte ich nicht nur einmal die fast verzweifelte Frage: “Was soll denn nun werden? Wie wird es weitergehen?” Ich habe damals gedacht und wohl auch diesem und jenem gesagt: “Wie kann ein Marxist nur so fragen? Es werden andere an seine Stelle treten und seine Sache, die Sache Lenins, weiterführen!”

Nur zu bald sollte ich feststellen, dass ich unrecht, dass ich die Rolle der Persönlichkeit doch unterschätzt hatte. Woher kam das? Mir war noch nicht klar, was ich erst langsam hinzulernte: dass nämlich die Rolle der Persönlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft um vieles be-deutsamer ist, als im Kapitalismus. Im Kapitalismus wäre ganz unmöglich, dass ein Partei- oder Staatsführer durch eine Politik des Verrates an seiner Klasse die kapitalistische Ordnung un-terminieren und Schritt für Schritt und Stück für Stück in eine nicht mehr kapitalistische, in eine sozialistische überführen könnte. Im Sozialismus aber ist ein solcher Weg der Unterminierung der sozialistischen Ordnung und ihre Perestroika in eine kapitalistische mittels einer Politik des Klassenverrates durch die Partei- und Staatsführung nicht nur möglich, sondern von Chruschtschow begonnen und von Gorbatschow zum Erfolg geführt worden. Woran liegt das?

Die Erklärung kennen wir eigentlich alle, aber wir machen sie uns nicht bewusst: Der Kapita-lismus ist ein sich selbst regulierendes System, dessen Gesetzen die Menschen unterworfen sind. Der Sozialismus ist in Theorie und Praxis eine Wissenschaft. Der sozialistische Aufbau muss also auch wissenschaftlich betrieben werden, d.h., der sozialistische Politiker und Ökonom muss die Gesetze der Entwicklung der Gesellschaft und die ökonomischen Gesetze des Sozialismus kennen und darauf seine Politik aufbauen. Oder anders gesagt: Während der Prozess der Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus ein spontaner Prozess ist, ist der Prozess der Errichtung und Entwicklung des Sozialismus ein bewusster, organisierter Prozess. Das aber bedeutet, dass die Führungsqualitäten der führenden Persönlichkeiten im Sozialismus eine für das Schicksal des Sozialismus, für das Gelingen oder das Scheitern des sozialistischen Aufbaus, entscheidende Rolle spielen. Das bedeutet aber auch, dass die imperialistischen Politiker über ganz andere und wirkungsvollere Mittel der Einflussnahme auf die politische Entwicklung in den Ländern des Sozialismus verfügen, als umgekehrt. Das sozialistische System kann durch Einschleusung von Agenten des Imperialismus in seinen Herrschaftsapparat oder durch Korrumpierung von Führungskräften paralysiert und sogar zerstört werden, das kapitalistische System nur durch den Kampf der Massen.

Die Bourgeoisie weiß um diese besonders große Bedeutung revolutionärer Persönlichkeiten für den Sieg des Sozialismus offenkundig besser Bescheid, als wir. Daher gehört die Planung von Morden an besonders fähigen, populären und unbestechlichen Führern der kommunistischen Parteien und der antiimperialistischen Bewegungen ebenso zum Alltagsgeschäft der imperia-listischen Geheimdienste wie die Zersetzung revolutionärer Bewegungen und der kommunis-tischen Parteien von innen. Und daher auch ihre besonders großen Hoffnungen auf das Ableben von besonders populären und hervorragenden revolutionären Führern, und die besonders in-tensiven Bemühungen, nach deren Tod auf die Wahl des Nachfolgers Einfluss zu nehmen. Dazu gab es die Einteilung der Führer der kommunistischen Parteien in die “Tauben” die zu fördern und die “Falken”, die zu bekämpfen waren; später taufte man dann die zu Fördernden in die “Antistalinisten” und “Reformer” um, und die zu Bekämpfenden und zu Eliminierenden in “Stalinisten” und “Betonköpfe.”

Schon in den letzten Wochen und Tagen Lenins hoffte man im Westen auf die Schwächung und Zersetzung der Sowjetmacht durch Machtkämpfe um die Nachfolge Lenins nach dessen Tod. Und sie hatten Grund zu solchen Hoffnungen, denn der jahrzehntelange Gegner Lenins, der erst in den letzten Monaten vor der Oktoberrevolution, auf dem VI. Parteitag der Bolschewiki im August 1917, durch Eintritt in die Partei Lenins auf den Zug der von den Bolschewiki vorbe-reiteten und geführten Revolution aufgesprungen war, Trotzki, setzte alles daran, sich als Nachfolger Lenins an die Spitze der Partei zu setzen. Wäre ihm das gelungen, wäre das gleichbedeutend gewesen mit dem Ende der Partei als marxistisch-leninistischer Partei, und damit gleichbedeutend mit dem Ende der Sowjetmacht. Denn im Gegensatz zu Lenin und der Mehrheit der führenden Genossen vertrat Trotzki vehement die These, dass der Sieg und der Aufbau des Sozialismus in einem Lande unmöglich sei.

Lenin hatte 1915 in einem Aufsatz in der Schweizer Zeitung “Sozialdemokrat” erstmals davon gesprochen, dass der Sieg des Sozialismus in einem einzeln genommenen Lande möglich sei. Er schrieb in dem Artikel “Die Vereinigten Staaten von Europa”:

Als selbständige Losung wäre … die Losung Vereinigte Staaten der Welt wohl kaum richtig, denn erstens fällt sie mit dem Sozialismus zusammen, und zweitens könnte sie die falsche Auffassung von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande und eine falsche Auffassung von den Beziehungen eines solchen Landes zu den übrigen entstehen lassen. Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus. Hieraus folgt, dass der Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist.” (Nachzulesen ist das in Bd.21, S.345 der Werke Lenins, Berlin 1960).

Sofort meldete sich Trotzki mit einem Gegenartikel zu Wort, in dem er schrieb:

“ Das einzige einigermaßen konkrete historische Argument gegen die Losung der Vereinigten Staaten wurde im schweizerischen ‚Sozialdemokrat’ in folgendem Satz formuliert: ‚Die Un-gleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus.’ Daraus zog der ‚Sozialdemokrat’ den Schluss, dass der Sieg des Sozialismus in einem Lande möglich sei.” Dem widersprach Trotzki mit der Feststellung, es wäre aussichtslos, zu glauben, “dass zum Beispiel ein revolutionäres Russland einem konservativen Europa ge-genüber sich behaupten … könnte.” (In: Trotzki, Schriften, Bd. III, Teil I, S.89).

Nach dem Sieg der Oktoberrevolution hofften natürlich alle Revolutionäre in Russland, dass ihrem Beispiel die Arbeiter in anderen Ländern, vor allem in Deutschland folgen würden. Als sich dann nach dem Abklingen der revolutionären Welle herausstellte, dass Sowjetrussland zunächst allein in einer kapitalistischen Umkreisung leben müsse, waren Lenins Worte von 1915 von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande, noch dazu einem Lande wie Russland, das gewissermaßen einen eigenen Kontinent darstellte, der Leitfaden für das Handeln der wirklichen Bolschewiki.

Trotzki dagegen hielt an seiner These von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande fest und verkündete, ohne den Sieg der Weltrevolution sei die Sowjetunion zum Untergang verurteilt. Die Revolution müsse deshalb “permanent” gemacht werden und nöti-genfalls mit den Bajonetten der Roten Armee nach Westen getragen werden – oder sie werde “auf dem Halm verfaulen”. Trotzkis “Theorie der permanenten Revolution” verbarg in Wahrheit unter “revolutionärem” Etikett eine Theorie der Kapitulation für den Fall, dass die “Weltrevolution” nicht baldigst die russische Revolution aus der Isolierung befreien würde. Diese Theorie war zugleich abenteuerlich und defätistisch, und auf jeden Fall konterrevoluti-onär. Der Kampf gegen sie war deshalb ein Kampf, von dessen Ausgang die Existenz der Sowjetmacht abhing.

Weil Stalin am entschiedensten gegen Trotzkis Untergangsthese von der “Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande” Lenins These von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande, in der Sowjetunion, verteidigte, konzentrierten Trotzki und die Seinen das Hauptfeuer auf Stalin. Sie haben immerhin erreicht, dass die meisten Leute heute glauben, Stalin sei der “Erfinder der Theorie von der Möglichkeit des Sozialismus in einem Lande” gewesen und keine Ahnung davon haben, dass diese Theorie von Lenin stammt, noch davon, mit welchen Argumenten Stalin diese Leninsche Theorie verteidigte und begründete. Deshalb sei hier vorgetragen, was Stalin dazu in seiner Arbeit “Zu den Fragen des Leninismus” 1926 geschrieben hat:

“Was bedeutet die Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande?
Das bedeutet die Möglichkeit, die Gegensätze zwischen Proletariat und Bauernschaft mit den inneren Kräften unseres Landes zu überwinden, die Möglichkeit, dass das Proletariat die Macht ergreifen und diese Macht zur Errichtung der vollendeten sozialistischen Gesellschaft in unserem Lande ausnutzen kann, gestützt auf die Sympathien und die Unterstützung der Proletarier der anderen Länder, aber ohne vorherigen Sieg der proletarischen Revolution in anderen Ländern.

Was bedeutet die Unmöglichkeit des vollen, endgültigen Sieges des Sozialismus in einem Lande ohne den Sieg der Revolution in anderen Ländern? Das bedeutet die Unmöglichkeit einer vollständigen Garantie gegen die Intervention und folglich gegen die Restauration der bür-gerlichen Ordnung, wenn die Revolution nicht wenigstens in einer Reihe von Ländern gesiegt hat.” (Nachzulesen in Band 8, S.58 der Stalin-Werke.)

Nicht wenige Leute meinen heute, der Untergang der Sowjetunion beweise, dass Trotzki mit seiner These von der Unmöglichkeit des Sozialismus in einem Lande doch gegen Stalin recht behalten habe. Sie übersehen dabei jedoch erstens, dass die Sowjetunion nicht unterging, als sie noch der einzige sozialistische Staat der Erde war, sondern nachdem es sozialistische Staaten und Staaten sozialistischer Orientierung schon in allen Erdteilen außer Australien gab, die in den Jahren von 1948/49 an bis 1960, bis zum von Chruschtschow bewerkstelligten Bruch mit der Volksrepublik China und Albanien, eine sozialistische Staatengemeinschaft gebildet hatten, die bereits ein Drittel des Erdballs ausmachte. Das Problem des Sozialismus in einem Lande war damit gegen Trotzki im Sinne Lenins und Stalins gelöst. Und diese Leute vergessen nun ganz und gar, dass allein das bisherige Überleben des sozialistischen Winzlings Kuba im Würgegriff seines übermächtigen Nachbarn USA nach dem Untergang seiner wichtigsten Unterstützer die Trotzki-Theorie von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande der Lächerlichkeit preisgibt und beweist, dass Trotzki nie begriffen hat, wo die Wurzeln der Überlebenskraft der proletarischen Revolution liegen. Noch vor Lenins Tod begann er den Kampf um die Macht. Selbst in der nach dem XX. Parteitag “entstalinisierten” “ Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion” aus dem Jahre 1970 (erschienen in Berlin 1971), wurde dies noch wahrheitsgemäß berichtet:

“Trotzki machte sich den Umstand zunutze, dass der Führer der Partei, W.I. Lenin, infolge seiner schweren Erkrankung aus der Arbeit ausgeschieden war, und nahm den Kampf gegen die Partei erneut auf. Er hoffte, dass die Schwierigkeiten im Lande seine Pläne begünstigen würden, die Führung der Partei an sich zu reißen und eine Linie durchzusetzen, die letztlich zur Restauration des Kapitalismus geführt hätte.” (S.423).

Dabei setzte er vor allem auf Lenins Aufzeichnungen vom 23./24./25. Dezember 1922 und 4. Januar 1923, die als Brief an den bevorstehenden XIII Parteitag gedacht waren. Aus diesen Aufzeichnungen spricht die große Sorge Lenins, die Auseinandersetzungen in der Partei, vor allem zwischen Trotzki und Stalin, könnten zur Spaltung der Partei führen. Er gab in diesen Aufzeichnungen auch eine kurze Charakteristik der wichtigsten Genossen der Führung der Partei, – Trotzki, Stalin, Sinowjew, Kamenjew, Bucharin und Pjatakow, wobei er deren Vorzüge und Mängel benannte. Dabei war Stalin der einzige, bei dem er an seiner politischen Haltung nichts auszusetzen hatte, wohl aber an, wie er sie nannte, Stalins Grobheit in den in-nerparteilichen Auseinandersetzungen.

“Stalin ist zu grob”, schrieb er am 4. Januar 1924, “und dieser Mangel, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen Kommunisten durchaus erträglich ist, kann in der Funktion des Gene-ralsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte, und jemand anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht von Gen. Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet, nämlich dadurch, dass er toleranter, loyaler, höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer, weniger launenhaft usw. ist. Es könnte so scheinen, als sei dieser Umstand eine winzige Kleinigkeit. Ich glaube jedoch, unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung einer Spaltung und unter dem Gesichtspunkt der von mir oben geschilderten Beziehungen zwischen Stalin und Trotzki ist das keine Kleinigkeit, oder eine solche Kleinigkeit, die entscheidende Bedeutung erlangen kann.” (Die genannten Aufzeichnungen vom 22. 12. 1923 bis zum 4. 1. 1924 sind nachzulesen in Band 36, S.577-580, Berlin 1964 der Lenin-Werke).

Die trotzkistische Propaganda behauptet bis zum heutigen Tage, Stalin habe diese Kritik Lenins vor der Partei verheimlicht. Wie es sich wirklich verhielt, das wird in einem 1995 in Moskau erschienenen und natürlich antikommunistischen Buch mit dem Titel: Stalin. Briefe an Molotow 1925-1936, in Deutschland 1996 im Siedler Verlag herausgebracht, von einem der Herausgeber wie folgt beschrieben:

“ Nur Nadeschda Krupskaja, Lenins Frau, kannte den vollen Inhalt des Dokuments, das sie nach Lenins Tod Anfang 1924 zusammen mit anderen Papieren dem Zentralkomitee übergab. Die Parteiführung entschied, Lenins Brief nicht in das offizielle Protokoll des bevorstehenden XIII. Parteitages aufzunehmen, sondern es den einzelnen Delegationen vertraulich zu verlesen. Stalin bot seinen Rücktritt als Generalsekretär an, dies wurde aber nicht akzeptiert. Der Brief selbst wurde nicht veröffentlicht.” (S.33 des angegebenen Buches).

Veröffentlicht wurde jedoch Stalins Rede über “Die trotzkistische Opposition früher und jetzt” vom 23. Oktober 1927, in der Stalin auf die so genannte “Eastman-Affäre” einging und dann ausführte:

“Man sagt, Genosse Lenin habe in diesem “Testament” dem Parteitag vorgeschlagen, man solle sich im Hinblick auf Stalins ‚Grobheit’ überlegen, ob man nicht Stalin als Generalsekretär durch einen anderen Genossen ersetzen solle. Das stimmt durchaus. Ja, Genossen, ich bin grob gegen diejenigen, die grob und verräterisch die Partei zersetzen und spalten. Ich habe das nicht verheimlicht und verheimliche es nicht. Möglich, dass hier eine gewisse Milde gegenüber den Spaltern erforderlich ist. Aber das bringe ich nicht fertig. Gleich in der ersten Sitzung des ZK-Plenums nach dem XIII. Parteitag ersuchte ich das Plenum des ZK, mich von der Funktion des Generalsekretärs zu entbinden. Der Parteitag selbst behandelte diese Frage. Jede Delegation behandelte diese Frage, und alle Delegationen, unter ihnen auch Trotzki, Kamenew, Sinowew, verpflichteten Stalin einstimmig, auf seinem Posten zu bleiben.

Was konnte ich tun? Von meinem Posten davonlaufen? Das ist nicht meine Art, ich bin niemals von irgendeinem Posten davongelaufen, und ich habe kein Recht, davonzulaufen, denn das wäre Desertion… Ein Jahr danach richtete ich erneut einen Antrag an das Plenum, mich von meiner Funktion zu entbinden, aber man verpflichtete mich erneut, auf meinem Posten zu bleiben. Was konnte ich weiter tun?

Was die Veröffentlichung des ‚Testaments’ angeht, so beschloss der Parteitag, es nicht zu veröffentlichen, da es an den Parteitag gerichtet und nicht für die Presse bestimmt war.”
(Zu finden in: Stalin, Werke, Bd. 10, S.153, Berlin 1953).

In der Tat hatte nicht Stalin, sondern hatten andere eine Veröffentlichung zu fürchten, hatte Lenin doch Trotzki “Nichtbolschewismus” bescheinigt, von Kamenew und Sinowjew gesagt, “dass die Episode im Oktober natürlich kein Zufall war” – (im Oktober 1917 hatten die beiden der bürgerlichen Presse den in der Parteiführung beschlossenen Termin für den Beginn des bewaffneten Aufstandes zugespielt, weshalb Lenin damals für diesen Verrat ihren Ausschluss aus der Partei verlangt hatte); und hatte Lenin doch von Bucharin gesagt, “ er gilt mit Recht als Liebling der ganzen Partei, aber seine theoretischen Anschauungen können nur mit sehr großen Bedenken zu den völlig marxistischen gerechnet werden”.

Trotzki aber benutzte das “Testament” mit der Empfehlung , Stalin als Generalsekretär durch einen anderen zu ersetzen, dazu, der Parteiöffentlichkeit zu suggerieren, Lenin habe als seinen Nachfolger an der Spitze der Partei ihn, Trotzki, im Auge gehabt. Dabei gab ihm das 1925 herausgebrachte Buch eines amerikanischen Journalisten und Trotzki-Sympathisanten, Max Eastman, mit dem Titel: “Since Lenin Died”, kräftige Hilfestellung. Zu diesem Eastman und seinem Buch hatte Stalin in der erwähnten Rede ausgeführt:

”Es gibt da einen gewissen Eastman, einen ehemaligen amerikanischen Kommunisten, der dann aus der Partei hinausgeworfen wurde. Nachdem sich dieser Herr eine Zeitlang in Moskau unter Trotzkisten herumgetrieben und verschiedene Gerüchte und Verleumdungen in Bezug auf Lenins ‚Testament’ gesammelt hatte, fuhr er ins Ausland und gab unter dem Titel ‚Nach Lenins Tod’ ein Buch heraus, in dem er nicht an Farben spart, um die Partei, das Zentralkomitee und die Sowjetmacht zu verleumden, und in dem alles darauf aufgebaut ist, dass das ZK unserer Partei angeblich das ‚Testament’ Lenins ‚verheimlicht’. Da dieser Eastman eine Zeitlang mit Trotzki in Verbindung stand, forderten wir, die Mitglieder des Politbüros, Trotzki auf, sich von Eastman abzugrenzen, der dadurch, dass er sich an Trotzki klammert und sich auf die Opposition beruft, Trotzki für die Verleumdungen unserer Partei hinsichtlich des ‚Testaments’ verantwortlich macht. Da die Frage so offenkundig war, grenzte sich Trotzki wirklich von Eastman ab und gab eine entsprechende Erklärung an die Presse. Sie wurde im September 1925 in Nummer 16 des ‚Bolschewik’ veröffentlicht..”

Dieses Buch war eine unverhohlene Hilfestellung für Trotzki in dessen Kampf um die Nach-folge Lenins. Was von Eastmans “Enthüllungen” zu halten ist, schildert der Mitherausgeber der oben erwähnten Dokumentation der Stalin-Briefe an Molotow aus dem Jahre 1995 wie folgt:

“Frühere westliche Interpretationen sind stets davon ausgegangen, dass Eastmans Buch »lange Auszüge«‚ des Testaments »korrekt wiedergibt«. Als ich Testaments »Since Lenin Died« las, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass dies weit von der Wahrheit entfernt ist. Eastman gibt das Testament nicht nur stark entstellt wieder. Vielmehr dienen seine Entstellungen alle ganz offensichtlich einem politischen Zweck, der im Schlusssatz des Buches unzweideutig formuliert ist: Die Revolutionäre anderer Länder sollten sich daran erinnern, dass »sie nicht gelobt haben, im Namen des ‚Leninismus’ die internationale Autorität einer Gruppe zu akzeptieren, vor der Lenin in seinen letzten Worten warnt und die wesentlichen Texte Lenins unterschlagen hat, um diese Autorität aufrechtzuerhalten«.

Eastman interpretiert das Testament als eine »direkte Bestätigung von Trotzkis Ansehen«. Um zu dieser Schlussfolgerung zu kommen, musste er die positiven Äußerungen über andere Führungspersönlichkeiten und die negativen Bemerkungen über Trotzki weglassen. Die Schuld für diese Fehler ist nicht in erster Linie Eastman anzulasten, der sich auf »drei verantwortliche hochgestellte Kommunisten in Russland« berief, die das Testament gelesen und »sich seine wichtigsten Sätze eingeprägt« hatten. In seinen Memoiren, die 1964 erschienen, erinnert sich Eastman, dass Trotzki auf dem XIII. Parteitag im Jahre 1924 »mich in eine verborgene Ecke des Palastes zog und mir dort die wichtigsten Sätze aus Lenins ‚Testament’ mitteilte«. (In einem Memorandum an Stalin,… deutet Trotzki an, er habe Eastman während dieser Zeit nicht ge-troffen.) Vor der Veröffentlichung zeigte Eastman sein Manuskript Christian Rakowski, einem Gefolgsmann Trotzkis, der damals in Frankreich tätig war. Rakowski stimmte der Veröffent-lichung zu. Die Verantwortung für die Entstellungen scheint deshalb bei der Trotzki-Gruppe selbst zu liegen.” (S.34/35)

Damit aber hatte die Trotzki eine Grube gegraben, in die Stalin stürzen sollte, in die er aber nun selber fiel. Er konnte nicht anders, als der Forderung des Politbüros nachzukommen und sich von den Lügen und Verleumdungen Eastmans in dem von Stalin erwähnten Artikel zu distan-zieren. In seiner Rede über die trotzkistische Opposition zitierte Stalin eine lange Passage aus diesem Artikel Trotzkis. Trotzki hatte darin festgestellt:

“Es versteht sich von selbst, dass alle diese Briefe und Vorschläge (Lenins) stets bestim-mungsgemäß weitergeleitet, den Delegierten des XII. und XIII. Parteitags zur Kenntnis gebracht wurden und selbstverständlich immer entsprechenden Einfluss auf die Beschlüsse der Partei ausübten, und wenn nicht alle diese Briefe veröffentlicht wurden, so deshalb, weil sie von ihrem Verfasser nicht für die Presse bestimmt waren…. Alle Redereien über ein verheimlichtes oder verletztes ‚Testament’ sind böswillige Erfindungen und sind ganz und gar gegen den faktischen Willen Wladimir Jljitschs sowie gegen die Interessen der von ihm geschaffenen Partei gerichtet.”

Das kam einer Selbstentlarvung gleich, denn jedem musste klar sein, dass die Quelle für Eastmans “Enthüllungen” nur Trotzki selbst und seine Gruppe sein konnte. Die “East-man-Affäre” dürfte daher mit dazu beigetragen haben, dass der Versuch, Lenins Tod dazu auszunutzen, durch Entfesselung eines Machtkampfes die KPdSU zu schwächen und füh-rungsunfähig und dadurch den Weg für eine kapitalistische Restauration frei zu machen, kläg-lich scheiterte. Das Hauptverdienst dafür kam Stalin zu. Es war ein Glücksfall für die KPdSU und für die Sowjetunion, dass nach Lenins Tod ein Mann wie Stalin bereitstand, der Lenins Ideen wie kein zweiter sich zu eigen gemacht hatte und die notwendige Elastizität und Härte besaß, die notwendig war im Überlebenskampf der Sowjetunion gegen die feindlichen Um-kreisung, besonders, nachdem der Imperialismus die Sowjetunion mit dem Überfall des fa-schistischen Deutschland bedrohte.

Ich habe diese weit zurückliegende Geschichte so ausführlich erzählt, weil sie nach Stalins Tod – 5.März 1953 – wieder hervorgeholt wurde, um zu dem gleichen Zweck eingesetzt zu werden, zu dem sie damals von Trotzki und den Seinen eingesetzt worden war. Wieder erhofften sich die Imperialisten vom Tode des verhassten und gefürchteten Bolschewikenführers eine Chance, in die unvermeidliche Situation der Unsicherheit während der Herausbildung der neuen Führung zu ihren Gunsten eingreifen und Leute ihrer Wahl an die Spitze bringen zu können. Hätte ich damals, 1953, schon das westdeutsche “Keesings Archiv der Gegenwart” gekannt und dessen Veröffentlichungen verfolgt, es wäre mir schneller gelungen, dahinter zu kommen, dass man in London und Washington mit der neuen Moskauer Führung sehr zufrieden war und große Hoffnungen auf sie setzte. Ich hätte dann nämlich folgende Berichte lesen können:

Der neue USA-Präsident Eisenhower hielt am 16.April 1953 eine Rede, in der er sagte:

“Die Welt weiß, dass mit dem Tode Stalins eine Epoche zu Ende ging… Jetzt ist eine neue Führergeneration in der Sowjetunion an die Macht gekommen. Die sie mit der Vergangenheit verknüpfenden Bande mögen auch noch so stark sein, sie bedeuten jedoch keine feste Bindung für sie.” (Zwischenfrage: Woher wussten die das?) Eisenhower fuhr fort: “Die Gestaltung der Zukunft hängt weitgehend von ihrem Willen ab… Die neuen sowjetischen Führer haben somit eine einmalige Gelegenheit, sich … darüber klar zu werden, welchen Grad der allgemeinen Gefährdung wir erreicht haben, und dass sie das ihre tun müssen, den Lauf der Geschichte zu wenden.”

Churchill am 11. Mai 1953 im Unterhaus:

“Das wichtigste Ereignis ist natürlich die Änderung der Haltung und, wie wir alle hoffen, des Geistes, die im Sowjetbereich und insbesondere im Kreml seit dem Tode Stalins stattgefunden hat…. Es ist die Politik der (britischen) Regierung, es durch jedes Mittel in ihrer Macht zu vermeiden, etwas zu tun oder zu sagen, das irgendeine günstige Reaktion hemmen könnte, die sich ergeben könnte, sowie jedes Zeichen einer Verbesserung in unseren Beziehungen zu Russland zu begrüßen.”

Hätte ich das damals schon zu lesen bekommen, ich hätte mich bestimmt gefragt: Was ist denn da los? Woher auf einmal soviel Hoffnung auf und Wohlwollen gegenüber dieser neuen Kreml-Führung? Haben die da etwa einen Vertrauensmann drin? Ich hatte es aber nicht gelesen und brauchte deshalb viel länger, bis ich wegen einer Abfolge von Ereignissen zwischen 1953 und 1956 schließlich doch auch auf die gleiche Frage gestoßen wurde. Die Ereignisse, die das waren, kann ich aus Zeitmangel hier nur benennen. Was es war, das mich stutzig und miss-trauisch machte, habe ich in der Einleitung meines Buches (Die Taubenfuß-Chronik oder Die Chruschtschowiade 1953 bis 1964, Bd. I 1953 bis 1957, S. 9-26) einigermaßen ausführlich genannt, und vielleicht haben wir in der Diskussion noch Zeit, darauf zurückzukommen.

Der erste Anlass dafür, dass ich mich fragte, warum die Freunde in Karlshorst so etwas zuließen oder vielleicht sogar die Anweisung dafür gegeben haben, war das Kommuniqué der SED-Parteiführung über den “Neuen Kurs” , das am 11. Juni 1953 veröffentlicht wurde. (Ausführliches kann man dazu in meinem Buch “Wider den Revisionismus” in dem Artikel über den 17. Juni 1953 nachlesen.)

Das zweite Ereignis, das mich überraschte und mir den Eindruck vermittelte, dass da drüben in der SU etwas nicht mehr ganz rund lief, war die Mitteilung im Dezember 1953 über die Er-schießung Berijas, – nach Stalins Tod zusammen mit Malenkow, Molotow und Chruschtschow prominentes Mitglied der neuen “kollektiven Führung” der KPdSU, nun zum Tode verurteilt mit der Beschuldigung, seit dem Bürgerkrieg schon ein imperialistischer Agent gewesen zu sein.

Als Drittes dann im Mai 1955 Chruschtschows Totalrehabilitierung Titos mit der Erklärung, alle 1948 und danach gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien Erfindungen von Staatsfeinden und imperialistischen Agenten gewesen, – eine Behauptung, die ganz offenkundig falsch war und die Frage aufwarf, was eigentlich mit dieser Geschichtslüge bezweckt wurde. Schließlich wusste ja alle Welt, dass Tito Jugoslawien in den Balkanpakt geführt hatte, dessen weitere Mitglieder die NATO-Staaten Türkei und Griechenland waren und der zum USA-geführten, gegen die Sowjetunion gerichteten Bündnissystem gehörte. Nicht weniger bekannt war, dass die USA, die ein striktes Waffenausfuhrverbot in die sozialistischen Staaten erlassen hatten, keinerlei Bedenken trugen, Tito-Jugoslawiens Armee mit Waffen auszurüsten.

Als Viertes und bislang Verwirrendstes – Chruschtschows Stalin-Verdammungsrede auf dem XX. Parteitag im Februar 1956. Sie schlug nicht nur allem ins Gesicht, was wir bisher aus der Sowjetunion über Stalin gehört, gelesen und in Filmen gesehen hatten, und es war das auch so sehr das Gegenteil dessen, was bisher Chruschtschow selbst über Stalin gesagt hatte, vor allem aber enthielt diese Rede nicht wenige ganz offenkundige Unwahrheiten, dass ich mich nunmehr ernsthaft fragte: Wer ist denn dieser Chruschtschow wirklich? Kann man ihm tatsächlich wei-terhin voll vertrauen?

Und dann geschah schließlich im Herbst des Jahres 1956, in den Tagen der Konterrevolution in Ungarn, das absolut Unbegreifliche und Unverzeihliche: Die Rote Armee stand mit ihren Panzern im Lande und griff tagelang nicht ein, als das ungarische Faschistengesindel wie in den Tagen der Liquidierung der Räterepublik in Ungarn im Jahre 1919 die Kommunisten jagte und an den Bäumen aufknüpfte. Die Verantwortung dafür konnte nur bei der Spitze, bei Chruschtschow liegen.

Was aber sollte man von einem Manne halten, der einen Liebling des Imperialismus, wie Tito, trotz erwiesener Feindschaft gegen die Sowjetunion und ebenso erwiesener Mitgliedschaft im USA-geführten Paktsystem rehabilitierte und einen “Teuren Genossen” nannte – gleichzeitig aber den Rotarmisten in Ungarn den Befehl gab, tagelang tatenlos zuzusehen, wie die ungari-schen Genossen ermordet wurden?

In meinem Buche (ebenda, S. 20) schildere ich, wie ich schließlich zu der Gewissheit gelangte, dass mit Chruschtschow als Generalsekretär der KPdSU das Undenkbare Wirklichkeit ge-worden war – dass nämlich ein als Marxist-Leninist getarnter Feind an die Spitze der Partei Lenins gelangt war. Diese Feststellung klingt manchem noch heute ungeheuerlich, aber nach den Erfahrungen mit einem Gorbatschow als KPdSU-Chef wohl nicht mehr so ganz unwahr-scheinlich und abenteuerlich, weil sich das Undenkbare nun doch vor aller Augen als nicht nur denkbar, sondern als traurige Wirklichkeit erwiesen hat.

Umso dringlicher aber stellt sich die Frage: Wie war das möglich? Bis wir imstande sein werden, darauf eine umfasssende Antwort zu geben, wird noch viel Zeit vergehen, weil es noch lange dauern wird, bis wir Zugang auch zu den Archiven bekommen, in denen ein Teil der Antwort verborgen ist. Aber Wesentliches zum Aufkommen und Wuchern des Revisionismus können wir doch schon heute sagen.

I. Gemeinsamkeiten und Unterschiede des “alten” und des “modernen” Revisionismus in den sozialistischen Ländern.

In der Zielsetzung:

Als “alten Revisionismus” bezeichne ich den Revisionismus , der Ende des 19. Jahrhunderts in den Parteien der Sozialdemokratie aufkam, als , “moderner Revisionismus” wurde der seit Ende der vierziger Jahre in der kommunistischen Bewegung aufkommende Revisionismus in den Dokumenten der internationalen Beratungen der kommunistischen und Arbeiterparteien bezeichnet. Beide sind Agenturen der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung. Aber der alte wirkt im Kapitalismus, der moderne vor allem im Sozialismus, aber auch in den kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder. Wir beschäftigen uns hier mit der Rolle des Revisionismus im Sozialismus.

Der alte Revisionismus will die Revolution verhindern, um den Kapitalismus zu erhalten. Der moderne will die Revolution rückgängig machen, um den Kapitalismus zu restaurieren.

Bei der Entstehung:

Der alte Revisionismus ist das Ergebnis der Entwicklung des Kapitalismus zum Monopolka-pitalismus, zum Imperialismus und des Entstehens der Arbeiteraristokratie, der vom Imperia-lismus korrumpierten Arbeiterschichten. Er ist der theoretische Ausdruck der Haltung der mit Brosamen der Extraprofite des Monopolkapitals korrumpierten Arbeiterschichten, die ihren Frieden mit einem “reformierten” Kapitalismus gemacht haben. Zu Beginn des Imperialismus war das auch in den Hauptländern des Kapitals eine mehr oder weniger dünne Oberschicht, heute stellt sie in diesen Ländern eine sehr breite Schicht dar, deren Ideologie gegenwärtig zur Ideologie der großen Mehrheit der Arbeiterklasse geworden ist.

Der moderne Revisionismus entstand auf andere Weise, ist nicht “von unten gewachsen”. Den Begriff des “modernen Revisionismus” gab es in der Sowjetunion der Vorkriegszeit nicht, weil es das, was ihn ausmacht, noch nicht gab. Es gab den Trotzkismus als “linke” Abweichung, und es gab rechte, opportunistische Abweichungen von der marxistisch-leninistischen Generallinie der Partei, aber sie besaßen noch keine durch bestimmte Inhalte gekennzeichnetes program-matische Ausprägung.

Das treffen wir erst nach dem Zweiten Weltkrieg an, aber nicht zuerst in der Sowjetunion, sondern in Titos Jugoslawien.

Eines der Merkmale des modernen Revisionismus ist die Geringschätzung der Rolle der Partei, das Bestreben, sie in einer klassenübergreifenden nationalen oder Volksfront aufgehen zu lassen. Genau diese Linie verfolgte Tito in Jugoslawien. In einer Rede, die er 1947 auf dem II. Kongress der Volksfront Jugoslawiens hielt und die 1947 von einem westberliner Verlag in großer Auflage unter dem Titel “ Marschall Tito: Wie wir es machen” verbreitet wurde, sagte er:

“Besitzt die Kommunistische Partei außerhalb der Volksfront irgendein anderes Programm? Nein! Die Kommunistische Partei hat kein anderes Programm. Das Programm der Volksfront ist auch ihr Programm.”

Ein weiteres Merkmal des Tito-Revisionismus war die Leugnung der Einteilung der Welt in ein Lager des Imperialismus und ein Lager des Sozialismus. Die Dokumente der Tito-Partei kennen eine solche Teilung nicht, sondern sprechen stets von der Einteilung der Welt in “entge-genstehende militärische Blöcke.” Trotz ihrer Zugehörigkeit zum imperialistischen Bündnis-system behaupteten sie von sich, “blockfrei” zu sein und traten als Organisatoren eines Blocks der “Blockfreien” auf.

Die Propagierung der “Blockfreiheit” – bedeutete jedoch und hatte zum Ziel und Ergebnis die Länder der nationalen Befreiungsbewegungen von einem Bündnis mit ihren natürlichen Ver-bündeten im Kampf um nationale Unabhängigkeit, mit den sozialistischen Ländern fernzu-halten. Während Fidel Castro innerhalb der Bewegung der “Blockfreien” immer wieder für ein solches Bündnis eintrat, stellte sich ihm Tito stets mit der Forderung entgegen, die “Block-freien” müssten ”gleichen Abstand zu beiden Blöcken” halten. Das war eine raffiniert ver-schleierte Hilfestellung für den USA-Imperialismus.

Was wir in Jugoslawien als Tito-Revisionismus vorfinden, war aber nicht dort entstanden, sondern hatte seinen Ursprung in den USA, genauer: der Schöpfer der Urform des modernen Revisionismus war Earl Browder, langjähriger Generalsekretär der KP der USA. Ab 1942, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, schlug er einen opportunistischen Kurs ein, löste die Partei auf und verwandelte sie in eine Art Propaganda-Verein, befürwortete das Aufgehen der Partei in einer breiten, alle Klassen umfassenden antifaschistischen Front, die Preisgabe des Kampfes der Kommunisten um den Sozialismus in den USA, und verkündete, die USA hätten ihre Absicht, den Sozialismus in der Sowjetunion zu beseitigen, aufgegeben, künftig werde ein dauerhafter Frieden durch die Zusammenarbeit der USA mit der UdSSR gesichert und die Sowjetunion solle ihre zerstörten Gebiete mit USA-Krediten wieder aufbauen. Diese revisio-nistischen Ideen fasste er in einer Schrift zusammen.

Diese Schrift wurde während des Krieges in deutscher und französischer Sprache in der Schweiz unter den kommunistischen Emigranten verschiedener Länder – vor allem deutscher, ungarischer und jugoslawischer – verbreitet und in Schulungen breit popularisiert. Der Mann, der die Übersetzung, den Druck und die Verbreitung dieser Urschrift des modernen Revisio-nismus betrieb, war Noel Field. Er war mit Browder befreundet .Als Beamter des US-Außenministeriums war er im Völkerbund tätig gewesen, war während des Verteidi-gungskrieges der spanischen Republik gegen die faschistische Intervention in Spanien, gehörte nach dem Abzug der Interbrigadisten und deren Einweisung in Lager in Frankreich der Kommission an, die alle Freiwilligen der Internationalen Brigaden namentlich registrierte. In Frankreich und der Schweiz übernahm er die Leitung einer Hilfsorganisation und knüpfte dadurch Beziehungen zu den kommunistischen Emigranten vieler Länder an. Gleichzeitig arbeitete er mit dem in Bern residierenden Chef des US-Geheimdienstes OSS, Allan Dulles zusammen.

In Bezug auf die Entstehung des alten und des neuen Revisionismus können wir also kurz zuammenfassend sagen: Der sozialdemokratische Revisionismus ist gewissermaßen aus den Oberschichten der Arbeiterklasse herausgewachsen. Der “moderne” Revisionismus ist als imperialistische Zersetzungsideologie von außen in die kommunistische Bewegung einge-schleust worden .

Wie und warum aber konnte er dort Wurzeln schlagen und schließlich über den Marxis-mus-Leninismus in der Sowjetunion und ihren europäischen Verbündeten den Sieg davontragen?

Auf den Beratungen der Kommunistischen und Arbeiterparteien Parteien 1957 und 1960 wurde der moderne Revisionismus zur Hauptgefahr erklärt und werden seine Hauptbestandteile auf-gezählt. So lesen wir in der Erklärung der Beratung von 1957:

“Der moderne Revisionismus ist bemüht, die große Lehre des Marxismus-Leninismus in Verruf zu bringen, er erklärt sie für ‚veraltet’, behauptet, sie habe heute ihre Bedeutung für die ge-sellschaftliche Entwicklung verloren. Die Revisionisten sind bestrebt, die revolutionäre Seele des Marxismus auszumerzen und den Glauben der Arbeiterklasse und des schaffenden Volkes an den Sozialismus zu erschüttern. Sie wenden sich gegen die historische Notwendigkeit der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, sie leugnen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei, sie lehnen die Prinzipien des proletarischen Internationalismus ab, sie fordern Verzicht auf die grundlegenden Leninschen Prinzipien des Parteiaufbaus und vor allem auf den demokratischen Zentralismus, sie fordern, dass die kommunistische Partei aus einer revolutionären Kampforganisation in eine Art Diskutierklub verwandelt wird.”

Das ist ein sehr hilfreicher, aber nicht einmal vollständiger Katalog der Kennzeichen des mo-dernen Revisionismus. Es fehlt ein ganz wichtiges Merkmal:

Die Verschleierung des unheilbar friedensfeindlichen Charakters des Imperialismus und seiner unversöhnlichen Feindschaft gegenüber dem Sozialismus, die Verbreitung der Illusion, der Imperialismus könne dazu gebracht werden, auf Dauer mit dem Sozialismus friedlich zusam-menzuleben und zusammenzuarbeiten.

Diese Aufzählung ist sehr nützlich, hat aber auch einen großen Mangel: Es fehlt die klare Aussage darüber, wer ist Träger dieser Auffassungen. Es werden zwar die inhaltlichen Merkmale des Revisionismus beim Namen genannt, aber über Namen und Adressen der füh-renden Revisionisten wurde geschwiegen. Hätte man diese benannt, hätte zusammen mit Tito Chruschtschows Name genannt werden müssen.

Er hat auf dem XX. Parteitag den Marxismus-Leninismus für veraltet erklärt, indem er ver-kündete, jetzt sei auch der parlamentarische Weg zum Sozialismus möglich!

Er hat den Glauben an die Gerechtigkeit des Sozialismus, des eigenen Werkes erschüttert, indem er auf dem XX. Parteitag der KPdSU die Geschichte der Sowjetunion als die Geschichte eines Landes darstellte, das seit 1924 von einem Verbrecher und Massenmörder geleitet wurde.

Er hat für die Gegenwart die proletarische Revolution und in der Sowjetunion die Diktatur des Proletariats für entbehrlich erklärt, als er verkündete, sie sei in der Sowjetunion von der “Herrschaft des Volkes” abgelöst worden.

Er erklärte solche Revisionisten, wie Tito und Gomulka, die die Notwendigkeit der führenden Rolle der Kommunistischen Partei beim Aufbau des Sozialismus leugneten, zu zuverlässigen Marxisten-Leninisten.

Er erklärte den Verzicht auf die Prinzipien des proletarischen Internationalismus, als er 1955 zusammen mit Tito die jugoslawisch-sowjetische Belgrader Deklaration unterzeichnete, in der es u.a. heisst: “die Fragen der inneren Ordnung, des Unterschieds zwischen den konkreten Formen der Entwicklung des Sozialismus sind ausschließlich Sache der einzelnen Länder”. Das war Chruschtschows Segen zum Tito-revisionistischen sog. “Nationalkommunismus!”

Aber er blieb ungenannt, konnte sich vielmehr auf beiden Tagungen als Vorkämpfer gegen den Revisionismus aufspielen.

Auf der Tagung von 1960 wurde die Anonymität des Revisionismusvorwurfes durchbrochen, indem eine scharfe Kennzeichnung und Verurteilung des Tito-Revisionismus in die Ab-schlusserklärung aufgenommen wurde:

“Die kommunistischen Parteien haben die jugoslawische Spielart des internationalen Op-portunismus, die einen konzentrierten Ausdruck der ‚Theorien’ der modernen Revisionisten darstellt, einmütig verurteilt. Die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, die den Marxismus-Leninismus verrieten, indem sie ihn für veraltet erklärten, haben der Erklärung von 1957 ihr antileninistisches revisionistisches Programm – (das “Laibacher Programm” von 1958,K.G.) – entgegengestellt. Sie haben den BdKJ der gesamten kommunistischen Weltbe-wegung entgegengestellt, ihr Land vom sozialistischen Lager losgerissen, es von der so ge-nannten Hilfe der amerikanischen und anderen Imperialisten abhängig gemacht und damit die Gefahr heraufbeschworen, dass das jugoslawische Volk seiner im heroischen Kampf erzielten revolutionären Errungenschaften verlustig geht. Die jugoslawischen Revisionisten betreiben eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung. Unter dem Vorwand einer blockfreien Politik entfalten sie eine Tätigkeit, die der Einheit aller friedliebenden Kräfte und Staaten Abbruch tut. Die weitere Entlarvung der Führer der jugoslawischen Revisionisten und der aktive Kampf dafür, die kommunistische Bewegung wie auch die Arbeiterbewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten abzu-schirmen, ist nach wie vor eine unerlässliche Aufgabe der marxistisch-leninistischen Parteien.”

Diese Forderung war nur zu sehr berechtigt, aber sie kam viel zu spät. Was hier verlangt wurde – Entlarvung Titos als Revisionist, und Abschirmung der kommunistischen Bewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten – das hatten die Parteien des Kommunistischen Informationsbüros – KPdSU, Polnische Arbeiterpartei, Ungarische Partei der Werktätigen, KP der CSR, Bulgarische Arbeiterpartei, KP Frankreichs und KP Italiens – schon 12 Jahre vorher mit ihrer Resolution vom Juni 1948 “Über die Lage in der kommunistischen Partei Jugoslawiens” getan. Aber wir hatten ja schon gesehen, dass Chruschtschow 1955 mit seiner Totalrehabilitierung Titos diese – wie von der Beratung 1960 so nachdrücklich bestätigt – notwendige Schutzimpfung der ganzen kommunistischen Bewegung unwirksam gemacht hatte. Tito wurde von Chruschtschow zum Opfer von Verleumdungen von Parteifeinden und imperialistischen Agenten, fast zu einem unschuldig verfolgten Heiligen erklärt. Stalin aber, der genau das getan hatte, was in der Erklärung von 1960 verlangt wurde, – Stalin wurde auch dafür von Chruschtschow auf dem XX. Parteitag als Verfolger des unschuldigen Tito verdammt.

Chruschtschow hatte – nach dem Zeugnis von Enver Hoxha in seinem Buch ”Die Chruscht-schowianer” (S.502) – erklärt: “Das Dokument war ein Kompromiss, und Kompromisse haben ein kurzes Leben.” Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er nicht im mindesten daran dachte, sich an das zu halten, was ihm an diesem Dokument nicht passte. Wiederum blieb der gefährlichste aller Revisionisten, Chruschtschow, ungenannt.

Und wie erfüllte Chruschtschow nun, 1960, die Forderung der Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien? Überhaupt nicht! Er tat das genaue Gegenteil! Er führte den Bruch mit den konsequentesten Kämpfern gegen den Tito-Revisinismus, mit China und Albanien, herbei und entfesselte ein beispiellose Hetzkampagne gegen diese beiden sozialistischen Bruderländer! Bereits auf dem Kongress von 1960 griff er Albanien und China massiv an. Von ihm war der Verlauf des Kongresses ganz anders geplant: Er hatte eine Anklageschrift gegen die KP Chinas verfasst, die vor Beginn der Konferenz an alle Delegationen verteilt wurde. Er wollte einen Kongress, der Jugoslawien erneut volle Rehabilitation gewährt und dafür Volkschina auf die Anklagebank setzt. Das ist ihm gründlich misslungen! Statt dessen wurde daraus ein Kongress, der seinen Schützling Tito verurteilte. Das war für ihn ein Betriebsunfall, der schnellstens korrigiert werden musste: Keine weiteren Entlarvungen der Tito-Revisionisten, sondern volles Feuer gegen Mao und Enver Hodscha, gegen Volks-China und Albanien!

Warum kam er damit durch?

Ein wesentlicher Grund war: Chruschtschow gelang es, wie schon auf der Beratung von 1957, durchzusetzen, dass in dem Dokument der Beratung der XX. Parteitag und seine Festlegungen als richtig bestätigt wurden.

Dazu schrieb die KP Chinas in ihrem Dokument vom 14. Juni 1963 :”Ein Vorschlag zur Ge-nerallinie der internationalen kommunistischen Bewegung” : “Viele der falschen Ansichten im Erklärungsentwurf der Führung der KPdSU wurden abgelehnt… Auch die Delegation der KP Chinas und die Delegationen einiger anderer Parteien machten gewisse Zugeständnisse, nachdem die Führer der KPdSU damit einverstanden waren, ihre falschen Ansichten fallen zu lassen und die richtigen Ansichten der Bruderparteien anzunehmen. So zum Beispiel gingen unsere Meinungen über die Frage des XX. Parteitages der KPdSU… auseinander, aber mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der KPdSU und einiger anderer Bruderparteien gaben wir unsere Zustimmung, in diesen …Fragen die gleiche Formulierung wie in der Deklaration von 1957 zu gebrauchen.” (In: Die Polemik über die Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung, hgg. von der KAZ 1993, Nachdruck der Ausgabe des Oberbaumverlages, Berlin 1971). Diese Formulierung lautete:

“Die historischen Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU haben nicht nur für die KPdSU und den kommunistischen Aufbau in der UdSSR große Bedeutung, sondern leiteten auch in der internationalen kommunistischen Bewegung eine neue Etappe ein und trugen zu deren weiterer Entwicklung auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus bei.”

Um der Erhaltung der Einheit willen gingen damals die Parteien, die auf unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Standpunkten standen, eine Art Handel ein: Lässt Du meine Formulierung an dieser Stelle zu, dann lasse ich auch Deine an jener Stelle zu.

In Wahrheit wurde damit aber nicht die Einheit erhalten, sondern eine nicht vorhandene Einheit nach außen hin vorgezeigt – ein Vorgehen, dass der Forderung Lenins nicht gerecht wurde, sondern sie missachtete: vorhandene Gegensätze in grundsätzlichen Fragen müssen ausgetragen und dürfen nicht verkleistert werden!

Diese Illusion ist lebensgefährlich für den Sozialismus, weil sie zur duldenden Hinnahme einer Politik der freiwilligen Entwaffnung und schließlichen Selbstauslieferung an den Todfeind führen kann und tatsächlich ja auch geführt hat.

Die Verbreitung einer solchen Illusion auch in der kommunistischen Bewegung und in der Sowjetunion fand nach dem Ende des zweiten Weltkrieges einige günstige Bedingungen vor:
Solche waren z.B.

1. Die Anti-Hitler-Koalition erleichterte Illusionen über eine Wandlung des Imperialismus und über das Verschwinden des antagonistischen Gegensatzes zwischen Imperialismus und Sozialismus.

2. Kriegsmüdigkeit, Friedenssehnsucht der Menschen

3. Die Existenz der Atomwaffen: das revisionistische Argument erschien jetzt besonders einleuchtend: der Frieden kann nicht gegen, sondern nur zusammen mit dem Imperia-lismus gesichert werden.

Vortrag, gehalten auf Einladung von Mitgliedern der KPÖ in Wien und Linz am 19. und 20 April 2002,
bisher nicht gedruckt veröffentlicht.

 

 Comment 
on 20. November 1999
Veröffentlicht in: DDR, International, Revisionismus

Kurt Gossweiler

Die Entfaltung des Revisionismus in der kommunistischen Weltbewegung und in der DDR

Die Entfaltung des Revisionismus in der kommunistischen Weltbewegung und in der DDR
– Teil II

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Kurt Gossweiler

Ich möchte einige Vorbemerkungen machen: als erstes möchte ich mich dem Dank anschließen, der gestern für die Veranstaltung gesagt wurde. Soweit ich das übersehe, ist das die einzige Veranstaltung zum Geburtstag der DDR, die wirklich rückhaltlos zur DDR – einschließlich aller ihrer Organe, das MfS eingeschlossen – steht, damit also eine Veranstaltung, die ihresgleichen sucht. (Beifall) Zu dem Dank gehört auch die Aufmachung dieses Raumes – es ist also eine besondere Freude, mal wieder unter einer DDR-Fahne zu sprechen. (Heiterkeit, Beifall) Und dann möchte ich mich auch bei meinem Vorredner, bei Michael Opperskalski, bedanken, vor allem, weil er die Vorbemerkung machte, dass das Thema so umfassend ist, dass er es eigentlich gar nicht vollständig behandeln kann – das trifft für meins auch zu! Wir wollen hier vor allem über die DDR sprechen, aber die Ursachen des Untergangs der DDR werden ja von vielen Leuten sehr gerne in der DDR selbst gesucht. Meiner Überzeugung nach kann man die Ursachen des Unterganges der DDR nicht verstehen, wenn man nicht sehr genau die Verhältnisse in der Sowjetunion und im sozialistischen Lager studiert. Deshalb wird das hier zunächst mein Schwerpunkt sein.

Beginnen möchte ich mit einem Zitat aus einem Artikel von Gerhard Feldbauer in der Oktober-Nummer des wohl den meisten Anwesenden nicht unbekannten „Rotfuchs“: „Für die Vorbereitung einer neuen sozialistischen Offensive ist die marxistisch-leninistische Analyse der Ursachen und Gründe der Niederlage dringend erforderlich. Wir werden diese Lehren nicht ziehen können, wenn wir nicht das entscheidende Kettenglied – den Opportunismus und Revisionismus in seinen verschiedenen Ausprägungen – dabei erfassen“.

Es geht also nicht um eine geburtstagsfeierliche Rückschau auf die DDR, sondern um die gedankliche Vorbereitung einer neuen sozialistischen Offensive auf eine neue, diesmal gesamtdeutsche Demokratische Republik. Die aber wird nicht gelingen ohne Klarheit über die Rolle des Revisionismus bei der Zerstörung der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten Europas.

Was macht den Revisionismus aus, was ist sein Kerngehalt?

In der marxistischen Arbeiterbewegung wird seit den Zeiten von August Bebel, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die „theoretische“ Begründung der rechtsopportunistischen Ersetzung des proletarischen Klassenkampfes zum Sturz der Kapitalherrschaft durch die Ideologie und Praxis der Klassenversöhnung als verfälschende Revision des Marxismus, als Revisionismus, bezeichnet.

Die angebliche Notwendigkeit einer solchen Revision des Marxismus wurde von den Revisionisten, von Bernstein bis Tito, Chrustschow und Gorbatschow, und wird auch heute – scheinbar marxistisch – damit begründet, angesichts der Veränderungen der objektiven Bedingungen und des Klassenkräfteverhältnisses müsse der Marxismus weiterentwickelt werden, indem veraltete Leitsätze über Bord geworfen und durch neue, den veränderten Bedingungen Rechnung tragende, ersetzt werden.

Schaut man aber genau hin, dann läuft es bei ihresgleichen immer auf die Behauptung hinaus, die Marxsche These von der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze sei angesichts der gewachsenen Stärke der Arbeiterbewegung und der sozialistischen Kräfte und der Veränderung im Kapitalismus überholt, und nunmehr der friedliche Weg zum Sozialismus in Zusammenarbeit mit dem bisherigen Klassenfeind möglich.

Der rechte Opportunismus und seine „theoretische“ Rechtfertigung, der Revisionismus, sind ebenso wie ihr Gegenstück, der linke Opportunismus, das Sektierertum und der „linke Radikalismus“, unvermeidliche Strömungen oder Tendenzen in der Arbeiterbewegung und beim Aufbau des Sozialismus, weil sie ihre soziale Grundlage in der Vielschichtigkeit der Arbeiterklasse und der sozialistischen Gesellschaft zum einen, und den ungeheuren Schwierigkeiten des Kampfes gegen eine noch für längere Zeit an Stärke überlegenen Gegner zum anderen, haben.

Es ist unvermeidlich – und deswegen könnte man es eine Gesetzmäßigkeit des Klassenkampfes nennen, – dass bei auftretenden Schwierigkeiten Meinungsverschiedenheiten bis zu scharfen Fraktionierungen darüber auftreten, wie weiter vorzugehen sei: die Schwierigkeiten durch Kampf überwinden, oder sie zu umgehen, oder – drittens – sie durch einen Kompromiss mit dem Gegner vermeintlich aus der Welt zu schaffen. Je größer und Gefahr drohender die Schwierigkeiten, desto größer die Versuchung, durch einen opportunistischen Kompromiss den riskanten Kampf zu vermeiden. Wer dieser Versuchung im Klassenkampf erliegt, erliegt früher oder später auch dem Gegner; wer ihr widersteht, erstarkt und legt damit den Grund für künftige Siege.

Nun, nachdem wir das Ergebnis konsequent zu Ende geführter revisionistischer Politik von Chrustschow 1953 bis zu Gorbatschow 1989/90 kennen, können und müssen wir den Kerngehalt des Revisionismus noch präziser als eingangs geschehen, benennen, etwa so: Wenn Ziel und Inhalt des sozialdemokratischen Revisionismus war und ist, den revolutionären Sturz des Kapitalismus mit dem Märchen zu verhindern, es gäbe auch einen friedlichen Reformweg zum Sozialismus, dann war und ist Inhalt und Ziel des „modernen“ Revisionismus in den sozialistischen Ländern, durch „Reformen“, die angeblich dazu dienen, den Sozialismus besser und „humaner“ zu gestalten, die sozialistische Ordnung durch einen „Umbau“ (Perestroika, von Alexander Sinowjew treffend als „Katastroika“ bezeichnet), zu demontieren und der Restauration der bürgerlichen Ordnung den Weg zu bereiten. Die Revisionisten sind – ob sie das wollen oder nicht, wissen oder nicht – die Handlanger des Imperialismus bei der Verteidigung und/oder Restauration des Kapitalismus.

War der Sieg des Revisionismus in der kommunistischen Bewegung wegen des Kräfteübergewichts des Imperialismus unvermeidlich?

Unvermeidlich war und ist der Sieg und die Vorherrschaft des rechten Opportunismus und seiner theoretischen Rechtfertigung, des Revisionismus, wie die Geschichte zeigt, dort und so lange, wie in der Arbeiterbewegung der hoch entwickelten kapitalistischen Staaten ein relativ großer Teil der Arbeiter ihre Situation durchaus nicht mit den Worten des Kommunistischen Manifests richtig beschrieben sehen, sie hätten nichts zu verlieren als ihre Ketten.

Dagegen kann in den revolutionären, marxistisch-leninistischen Parteien und in den sozialistischen Staaten von einer Unvermeidlichkeit des Sieges des Revisionismus keine Rede sein. Ein solcher Sieg wird nur dann und dort unvermeidlich, wo der ständig zu führende Kampf gegen jede Abweichung vom Marxismus-Leninismus abgeschwächt oder gar eingestellt wird – wie in der KPdSU nach dem Tode Stalins. Der neue Generalsekretär der KPdSU, Chrustschow, steuerte – zunächst kaum merklich und dabei ständig lauthals seine unverbrüchliche Treue zu den Lehren Lenins beteuernd – zwar nicht geradlinig, sondern im Zick-Zack-Kurs, aber zielbewusst und hartnäckig – das Partei- und Staatsschiff immer weiter in das Fahrwasser des Revisionismus.2 Dies schon von Anfang an, also seit 1953. Aber als scharfe Zäsur wurde in der breiten Öffentlichkeit erst der XX. Parteitag der KPdSU empfunden. Aber diese Zäsur wurde ihr vorgeführt nicht als das, was sie war, nämlich das Verlassen des Leninschen Kurses, sondern umgekehrt, als Rückkehr zu ihm. Mit dieser Behauptung begann Chrustschow schon im Jahre 1953 sich in das Vertrauen der Partei und der Bevölkerung einzuschleichen, wie beim Studium der Materialien des Juli-Plenums der KPdSU von 1953 deutlich wird.3

Der heutige Zeitrahmen lässt nur zu, die Hauptlinien und die wichtigsten Fakten dieser Kursänderungen zu nennen und die Quellen anzugeben, in denen ausführlichere Informationen darüber zu finden sind.

Sahra Wagenknecht kennzeichnet „einige Eckpunkte“ der „wachsenden opportunistischen Tendenzen in der sowjetischen Politik“ wie folgt:

“ 1. Die undifferenzierte und pauschale Vergangenheitsabrechnung, wie sie sich mit dem XX. KPdSU-Parteitag verbindet, und die gleichzeitige Revision grundlegender Thesen des Marxismus-Leninismus (etwa die Akzeptanz eines parlamentarischen Weges zum Sozialismus, … usw.);

2. Die ausdrückliche Anerkennung des jugoslawischen Weges (zu dessen Grundposition die Ablehnung einer einheitlichen Gesamtstrategie des sozialistischen Lagers gehörte) als rechtmäßigem Weg des sozialistischen Aufbaus.

3. Die ersatzlose Auflösung des Kominformbureaus im Jahre 1956, damit der einzigen Institution, die wenigstens den Anspruch auf eine einheitliche Gesamtstrategie der sozialistischen Weltbewegung noch zum Ausdruck brachte…“4

In verschiedenen Aufsätzen gesammelt in dem Buche „Wider den Revisionismus“, habe ich als Hauptlinien und Hauptfakten des Chrustschow-Revisionismus die folgenden benannt und beschrieben:

Klassenversöhnung statt Klassenkampf
Propagierung des (USA) – Imperialismus als Vorbild für die Gestaltung des Sozialismus
Der Austausch von Freund- und Feindbild
Die Zerstörung des kommunistischen Parteibewusstseins5
Preisgabe des Internationalismus
Verzicht auf die Gestaltung einer eigenständigen sozialistischen Gesellschaft
Preisgabe einer wissenschaftlich fundierten Wirtschaftsplanung6
Verfälschung der marxistisch-leninistischen Politik der friedlichen Koexistenz
Dämpfung des antiimperialistischen Kampfes und des Kampfes um Sozialismus
Schwächung des Sozialismus durch Spaltung des sozialistischen Lagers und der kommunistischen Weltbewegung7
Heute möchte ich mich vor allem mit der Frage beschäftigen, welche Auswirkungen der Kurswechsel zu einer revisionistischen Politik durch die neue Partei- und Staatsführung nach Stalin auf die anderen sozialistischen Länder Europas, insbesondere auf die DDR, hatte, und wie die SED-Führung versuchte, diesen Auswirkungen entgegenzuwirken.

Voranstellen muss ich dem aber den Versuch einer Antwort auf eine umfassendere, aber mit der erstgenannten eng zusammenhängende andere Frage, die mir immer wieder gestellt wird und die etwa so lautet: „Wenn es stimmt, dass die Ursachen unserer Niederlage die Eroberung der Führung der Partei Lenins durch Revisionisten und deren Umsteuern der Partei und des Sowjetstaates auf einen revisionistischen Kurs war, wieso war ihnen das überhaupt möglich und wie erklärt sich, dass sie nicht davon gejagt wurden, sondern ihnen offenbar das Partei- und Sowjetvolk widerstandslos folgten?“

Als erstes muss dazu gesagt werden, dass der Schein einer widerspruchs- und widerstandslosen Gefolgschaft der ganzen Partei von oben bis unten ein trügerischer Schein ist; natürlich gab es heftige Auseinandersetzungen und sogar Machtkämpfe in der Führung, von denen aber – ganz im Gegensatz zur Stalin-Zeit -, die Öffentlichkeit nur ausnahmsweise, – z.B. bei der Ausstoßung Molotows und Kaganowitschs aus der Parteiführung im Juli-Plenum 1957, – etwas erfuhr.

Aber dennoch ist es Tatsache, dass der Kurs der Chrustschow-Gruppe von 1953 an bis zum Sturz Chrustschows im Oktober 1964 der Kurs der KPdSU blieb, und selbst danach wurde seine Absetzung nicht damit begründet, dass er eine falsche, dem Marxismus-Leninismus zutiefst zuwiderlaufende Politik betrieben hatte, – was der Wahrheit entsprochen hätte und notwendig gewesen wäre, wenn man auf den Leninschen Kurs hätte zurückkehren wollen. Aber als Grund für die Ablösung wurde angegeben: „Das Plenum des ZK der KPdSU kam dem Ersuchen des Genossen N.S. Chrustschows nach, ihn im Hinblick auf sein hohes Alter und die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes von den Obliegenheiten des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der KPdSU, des Mitglied des Präsidiums des Zentralkomitees der KPdSU und des Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR zu entbinden.“ (ND v. 16.10.1964). In den folgenden Tagen wurde von der Parteiführung, – an deren Spitze mit Leonid Breschnew der Mann gestellt worden war, den schon Chrustschow selbst als seinen Nachfolger ins Auge gefasst hatte -, nachdrücklich betont, dass sich die Partei weiterhin von den Beschlüssen des XX. Parteitages und der nachfolgenden Parteitage, – die alle den Stempel Chrustschows trugen! – leiten lassen werde. Später geübte Kritik an Chrustschow beschränkte sich auf den Vorwurf des „Subjektivismus“ und der „Tendenzen des Personenkults“.

Zu erklären bleibt also schon, wie es überhaupt zur Übernahme der Partei- und Staatsführung durch eine antileninistische Gruppierung kommen konnte, und wieso in all den Jahrzehnten seit 1953 die marxistisch-leninistischen Kräfte die Partei nicht wieder auf den richtigen Kurs zu bringen vermochte; wieso es den revisionistischen Kräften der KPdSU vielmehr gelang, auch international die meisten Parteien der kommunistischen Weltbewegung zur Billigung ihres Kurses zu bringen.

Unanfechtbare, auf Dokumente gestützte Antworten auf diese Fragen wird man erst geben können, wenn es möglich ist, die einschlägigen Akten der KPdSU und aller betroffenen Parteien in vollem Umfange einzusehen. Aber auch die bereits bekannten Tatsachen erlauben, erste begründete Antworten zu geben.

Auf einige dieser Antworten können übrigens all jene Genossen, die alt genug sind und schon in den fünfziger Jahren als Kommunisten das politische Geschehen verfolgten, selber kommen, wenn sie sich fragen: Weshalb habe ich damals eine Politik Chrustschows für richtig gehalten?

Sie werden sich mit ziemlicher Sicherheit die Antwort geben: Weil ich diese Politik als richtig, als in Übereinstimmung mit den Lehren von Marx und Lenin ansah. Das hatte seine Gründe:

Ein erster und elementarer – und offenbar noch immer nachwirkender – Grund dürfte gewesen sein, dass es für einen Kommunisten einfach das absolut Undenkbare war, auch nur den Gedanken zuzulassen, an der Spitze der Partei Lenins könne ein anderer als ein absolut zuverlässiger, vertrauenswürdiger Leninist stehen. Das war für mich zunächst genauso undenkbar wie für alle anderen Genossen. Dass es bei mir nicht dabei blieb, liegt daran, dass ein untrennbarer Bestandteil meines marxistischen Denkens die Maxime war: Tatsachen sind die höchste Instanz bei der Wahrheitsfindung und stehen höher als jede noch so autoritative Äußerung, von wem diese auch kommen möge. Chrustschows Worte und Taten gaben mir in den Jahren von 1953 bis Ende 1956 immer unerklärlichere und beunruhigendere Beispiele krasser Widersprüche zu den unbestreitbaren Tatsachen und zu den Prinzipien marxistisch-leninistischer Politik, Beispiele von Handlungen und Erklärungen, die unserer Sache nichts nützen, sondern ihr offenkundigen Schaden zufügten und unsere Gegner zu Beifallsstürmen veranlassten, so dass mein bisheriges selbstverständliches Vertrauen ins Wanken geriet und ich mich schließlich gezwungen sah, sogar das Undenkbare in Erwägung zu ziehen, nämlich, dass mit Chrustschow und Co. es einem verkappten Gegner gelungen ist, – dank einer jahrelang gut gespielten Rolle als der Partei treu ergebener Spitzenfunktionär – die Spitzenposition der Partei Lenins zu usurpieren. Eine nochmalige gründliche Betrachtung seiner Handlungen seit 1953 ließ bei mir am Ende des Jahres 1956 keinen Zweifel mehr zu, dass dem wirklich so war. Mit dieser Einschätzung Chrustschows blieb ich aber im Kreise meiner Genossen sehr allein. Für sie blieb das Undenkbare, was auch immer geschah, weiterhin undenkbar.

Und selbst nicht wenige von denen, die durch Gorbatschow lernen mussten, dass das Undenkbare eben doch Wirklichkeit geworden war, wollen es für Chrustschow noch immer nicht gelten lassen und halten an ihrem alten positiv gefärbten Chrustschow-Bild fest. Dieses Bild konnte entstehen und sich halten auch durch einige Praktiken, wie die folgend beschriebenen:

Chrustschow und seine Leute traten nicht etwa als Kritiker und Revisoren des Leninismus auf, sondern als dessen treue Verteidiger und schöpferische Weiterentwickler. Indem Chrustschow Stalin – dem das Verdienst nicht abgesprochen werden kann, Lenins programmatische Aussagen in die Tat umgesetzt zu haben -, der vorsätzlichen und willkürlichen Missachtung der Leninschen Normen des Partei – und Staatslebens beschuldigte, schuf er – der zu Lebzeiten Stalins sich als einer seiner „getreuesten Gefolgsmänner“ gebärdete und an sehr verantwortlichen Stellen die Politik der damaligen Partei- und Staatsführung maßgeblich mitbestimmt und durchgeführt hat -, ein Geschichtsfälschendes Kontrastbild, das Stalin als bösewichtigen Verfälscher der Lehre Lenins abbildete, vor dessen dunklem Hintergrund er sich umso leuchtender als Gralshüter der reinen Lehre und deren Wiederhersteller abheben konnte. Der dabei wohl am stärksten und am dauerhaftesten wirkende Faktor war und ist noch bis heute, dass Chrustschow sich den Ruf eines mutigen Kämpfers gegen begangenes Unrecht zu erwerben verstand, dass in den Jahren ab 1936 bei den so genannten Säuberungen auch viele Unschuldige verfolgt, eingesperrt, zum Tode verurteilt worden und in Lagern zu Tode gekommen sind, und dass ihre Rehabilitierung durch ihn eingeleitet wurde. Das hätte rückhaltlose Anerkennung verdient, wäre nicht schon damals für aufmerksame Beobachter erkennbar gewesen, dass es Chrustschow offenbar weniger um die Wiedergutmachung begangenen Unrechts als darum ging, möglichst emotional wirksames Anklagematerial gegen seinen Vorgänger Stalin zusammenzutragen, dessen Autorität und Ansehen im Lande und in der kommunistischen Weltbewegung noch immer so groß waren, dass er dem bisher noch hatte Rechnung tragen müssen. So verschwieg er in seiner Rede völlig, dass die Repressalien und Säuberungen von der Partei- und Staatsführung beschlossen worden waren, um angesichts der immer bedrohlicheren Gefahr eines Überfalls des von den imperialistischen Westmächten dazu ermunterten faschistischen Deutschland von Anfang an die Bildung einer Fünften Kolonne im Inneren des Landes unmöglich zu machen. Er stellte sie vielmehr als die willkürlichen Taten des einen Mannes Stalin hin. Mit völligem Schweigen überging er seine eigene Rolle als eines besonders eifrigen und gefürchteten „Trotzkistenjägers“ während seiner Zeit als Erster Sekretär der KP der Ukraine. Das von Chrustschow gegebene Bild wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten seit 1956 unaufhörlich und nachdrücklich als das wahre, von Legenden befreite Bild vorgeführt, und von dem Zerstörer der Sowjetunion, Gorbatschow, in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der KPdSU in den grellsten Farben ausgemalt, dass es noch heute von den meisten Kommunisten in Deutschland und weit darüber hinaus für dass richtige Bild von Stalin und Chrustschow gehalten und gegen jede Richtigstellung verteidigt wird.

Chrustschow vermied es sorgfältig, seine revisionistischen Thesen den ihnen widersprechenden Thesen des Marxismus-Leninismus entgegenzustellen. Er stellte sie vielmehr dar als eine durch die veränderten Bedingungen möglich und erforderlich gewordene Ergänzung und Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus, durch welche die alten Lehrsätze keineswegs ihre Gültigkeit verloren hätten. Nehmen wir als ein Beispiel für die dabei angewandte Methode seine auf dem XX. Parteitag vorgetragene These von der Möglichkeit des parlamentarischen Weges zum Sozialismus. Das ging so:

„In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf, ob es möglich ist, auch den parlamentarischen Weg für den Übergang zum Sozialismus auszunutzen. Für die russischen Bolschewiki… war ein solcher Weg ausgeschlossen… Seitdem sind jedoch in der historischen Lage grundlegende Veränderungen vor sich gegangen, die es gestatten, an diese Frage auf neue Art und Weise heranzugehen. In der ganzen Welt sind die Kräfte des Sozialismus … unermesslich gewachsen, der Kapitalismus dagegen ist um vieles schwächer geworden. …Unter diesen Umständen hat die Arbeiterklasse … die Möglichkeit, …eine stabile Mehrheit im Parlament zu erobern und es aus einem Organ der bürgerlichen Demokratie in ein Werkzeug des tatsächlichen Volkswillens zu verwandeln. In einem solchen Fall kann diese für viele hoch entwickelte kapitalistische Länder traditionelle Institution zum Organ einer wahren Demokratie für die Werktätigen werden… Gewiss, in den Ländern, in denen der Kapitalismus noch stark ist, wo sich in seinen Händen ein gewaltiger Militär- und Polizeiapparat befindet, … wird sich der Übergang zum Sozialismus unter den Bedingungen eines scharfen Klassenkampfes, eines revolutionären Kampfes, vollziehen.“8

Obwohl der Widerspruch dieser Aussage zu den elementaren Erkenntnissen von Marx bis Lenin über die Unmöglichkeit der Einführung des Sozialismus durch einen parlamentarischen Mehrheitsbeschluss offenkundig war, schien sie selbst Skeptikern unter den Kommunisten harmlos und ungefährlich zu sein, wandte sie sich doch nicht gegen das Beschreiten des revolutionären Weges in all den Fällen, in denen ein anderer nicht möglich ist. Aber es sollte sich bald zeigen, dass die Formel vom parlamentarischen Weg zum Sozialismus gerade deshalb eingeführt worden war, um diesen Weg als den einzig zeitgemäßen, normalen Weg zu propagieren und die praktische Politik der kommunistischen Parteien darauf einzustellen, wie das Beispiel Chile bewies. Aber wie es gar nicht anders sein konnte, bestätigte die chilenische Tragödie von 1973 die alte marxistische Wahrheit, dass das Beschreiten des Weges des Reformismus in die Katastrophe und zum Triumph der Konterrevolution führt. Weil die Bedeutung dieses Menetekels von den echten Kommunisten der Sowjetunion und ihrer Bruderstaaten nicht verstanden wurde, folgte auf die lokale Katastrophe in Chile anderthalb Jahrzehnte später, 1989/90, die kontinentale Katastrophe in der Sowjetunion und in Osteuropa.

Chrustschows Revisionismus in der Außenpolitik bestand vor allem in der Ersetzung des Kampfes gegen den Imperialismus mit dem Ziel seiner Überwindung im Weltmaßstabe, wie es in Lenins Formel vom Kampf „Wer – Wen“ seine prägnante Zielstellung erhalten hat, durch eine Politik der auf Dauer berechneten „friedlichen Koexistenz“ und der freundschaftlichen Zusammenarbeit mit den imperialistischen Mächten, vor allem mit dem USA-Imperialismus. Es gelang der Chrustschow-Führung, diese Politik als die einzig mögliche Politik der Sicherung des Friedens zu verkaufen, weil sie – demagogisch die Atomkriegsfurcht schürend und die Friedenssehnsucht der Völker ausnutzend – behauptete, das atomare Inferno könne durch die sowjetischen Atombewaffnung alleine nicht verhindert werden, notwendig sei die Zusammenarbeit der beiden Atommächte Sowjetunion und USA, der Friede könne nicht gegen, sondern nur gemeinsam mit den USA gesichert werden. Mit dieser These wurde stillschweigend die Leninsche Erkenntnis, dass Imperialismus Krieg bedeutet, verworfen und durch die These von der Friedensfähigkeit des Imperialismus ersetzt, deren Konsequenz durch Gorbatschow vor aller Welt offenbart wurde. Aber nicht nur in diesem Fall liegt die Wurzel des „Gorbatschowismus“ im „Chrustschowismus“. Der Chrustschowismus ist der Gorbatschowismus der fünziger und sechziger Jahre, wie der Gorbatschowismus der Chrustschowismus der achtziger / neunziger Jahre ist.

Es gelang Chrustschow ebenfalls, seine bei genauer Prüfung destruktive, allen ökonomischen Gesetzen erfolgreichen sozialistischen Aufbaus widersprechende, die Grundlagen der sowjetischen Wirtschaft unterminierende und die Fortsetzung ihres bisherigen raschen, proportionalen und stabilen Wachstums verhindernde und in die Stagnation führende Wirtschaftspolitik glaubhaft zu machen als eine Politik, die sich die Erfüllung des nur zu berechtigten Wunsches des Sowjetvolkes zum Ziel setzt, nach so vielen Jahrzehnten angespanntester Arbeit zur Erfüllung der Fünfjahrespläne und nach den Leiden und Entbehrungen in den Kriegsjahren nun auch die Früchte dieser Anstrengungen und des Sieges über den faschistischen Aggressor ernten zu können.

Mit der Begründung, die Versorgung mit Konsumgütern rasch verbessern zu wollen, wurde vom Prinzip des vorrangigen Wachstums der Produktionsgüterindustrie gegenüber der Konsumgüterindustrie abgegangen und die Akkumulation zugunsten des Verbrauchs eingeschränkt – und das zu einer Zeit, da zum Mithalten mit den entwickelten kapitalistischen Ländern auf dem Gebiet des wissenschaftlich-technischen Fortschritts dringend eine Stärkung der Akkumulation notwendig war.

Nicht weniger desaströs war Chrustschows Landwirtschaftspolitik. Mit der Abschaffung der Maschinen-Traktoren-Stationen wurden die Kolchosen gezwungen, die bisher zu niedrigen Tarifen von den MTS zur Verfügung gestellten landwirtschaftlichen Maschinen selbst zu kaufen, wodurch sie sich immer tiefer verschuldeten, zugleich die Wartung der Maschinen im notwendigen Maße nicht mehr gewährleistet war. Am verheerendsten aber war die groß herausgestellte „Neulandgewinnung“ in Kasachstan, durch die nach Chrustschows großmäuliger Versprechungen „das Getreideproblem ein für allemal gelöst“ werden würde. Dieses gigantische Schädlingsprojekt wurde gegen den Widerstand von Fachleuten und auch Mitgliedern des Politbüros, wie Molotow, durchgepaukt, mit dem Ergebnis, dass viele Milliarden Rubel, – die, in den alten fruchtbaren und klimatisch günstigen Landwirtschaftsgebieten Russlands, der Ukraine und Belorusslands für die Intensivierung des Anbaus ausgegeben, die Erträge um ein vielfaches erhöht und an das mitteleuropäische Niveau herangeführt hätten -, verschleudert wurden, das Getreideproblem aber infolge ständiger Ernteverluste in den Neulandgebieten – durch Frostschäden des Saatguts im Winter und Dürre im Sommer – prekärer denn je vorher und das Land von Jahr zu Jahr abhängiger von Getreideeinfuhren aus dem Ausland wurde.

Zieht man die Bilanz der Leistungen Chrustschows in den elf Jahren an der Spitze der KPdSU, dann muss man ihm zugestehen, dass er ein vorher unvorstellbares Maximum an Zerstörungsarbeit geleistet hat; er hat geschafft, was 1953 niemand für möglich gehalten hätte.

Er hat geschafft, das Bild Stalins als des Erbauers des Sozialismus und des Führers zum Sieg über die faschistischen Aggressoren aus dem Bewusstsein der Menschen zu verdrängen und an seine Stelle das Bild von Stalin als eines blutgierigen Massenmörders und Verderbers der Sowjetmacht in die Köpfe zu pflanzen.
Er hat geschafft, dass die KPdSU und die anderen kommunistischen Parteien zuließen, dass er die Tito-Partei, – dieses „Trojanische Pferd des Imperialismus“, wie er selbst sie bezeichnet hatte! – in die eigene Festung hereinholte und verlangte, ihm die Referenz als echte kommunistische Bruderpartei zu erweisen.
Er hat erreicht, dass die KPdSU in diesen elf Jahren aus der führenden marxistisch-leninistischen Partei in ein Führungszentrum der revisionistischen Zersetzung der kommunistischen Weltbewegung verwandelt wurde, deren gesunde marxistisch-leninistischen Kräfte nicht mehr die Kraft aufbrachten, nach Chrustschows Sturz die Partei wieder auf den Weg Lenins zurückzuführen.
Er hat erreicht, dass die Wirtschaft des Sowjetlandes auf ihren beiden Beinen – Industrie und Landwirtschaft – zu lahmen begann und die Versorgungslage immer schwieriger, die Menschen immer gleichgültiger und unzufriedener, ihre emotionale Bindung an die Sowjetmacht und den Sozialismus und ihr Vertrauen zur Partei immer schwächer wurden. Diese Abwärtsentwicklung wurde zeitweise überdeckt durch die euphorische Begeisterung über die Pionierrolle der Sowjetunion in der Weltraumfahrt mit dem Sputnik und mit Gagarin als erstem Menschen im All; Chrustschow versäumte natürlich nicht, diese Erfolge als Ergebnisse seiner Führung feiern zu lassen; aber er erntete nur, wofür der Grund vor ihm gelegt worden war. Auf sein Konto geht, dass die Führung, die die Sowjetunion auf diesem Gebiet errungen hatte, wieder verloren ging.
Er hat erreicht, die bis 1953 bestehende, auf der einheitlichen Grundlage der marxistisch-leninistischen Theorie beruhende monolithene Einheit der kommunistischen Weltbewegung und des sozialistischen Lagers zu zerstören und beide in sich heftig bekämpfende Lager zu spalten.
Das waren keine zufälligen Ergebnisse. Wie er sie erreicht hat, bezeugt, dass er zielbewusst und hartnäckig auf sie hingearbeitet hat, unter anderem auch durch eine bestimmte Kaderpolitik. Denn er wusste: War erst einmal die revisionistische Linie gegeben, entschieden die Kader alles.

An der Spitze der KPdSU und der Bruderparteien standen Persönlichkeiten, die in der Kommunistischen Internationale zu fähigen, standhaften, erprobten marxistisch-leninistischen Führern der Massen und zu Kämpfern gegen alle opportunistischen Abweichungen in den eigenen Reihen herangewachsen waren und auch im Kampf gegen den Revisionismus vorangingen.

Maurice Thorez und Jaque Duclos als Führer der KP Frankreichs.

Thorez hat in seiner Ansprache an den XX. Parteitag der KPdSU – trotz der bereits im Plenum des Parteitages noch vor Chrustschows Geheimrede von etlichen sowjetischen Rednern vorgebrachten Verdammungen Stalins – als einziger Redner überhaupt – Stalin gewürdigt, indem er ausführte: „Die Kommunistische Partei der Sowjetunion war stets das Vorbild der Prinzipienfestigkeit, der unerschütterlichen Treue zu den großen Ideen von Marx, Engel, Lenin und Stalin.“

Am 27. März 1956 erschien in der „Humanité“ ein Artikel von Thorez „Über einige vom XX. Parteitag gestellten Hauptfragen“. Darin würdigte er Verdienste des XX. Parteitages, sprach aber auch vom Vermächtnis Lenins, „an das Stalin so oft erinnerte“. Und er schrieb darin auch: „Was die Kommunisten betrifft, so nimmt es sie nicht wunder, wenn sie erneut auf das klassische Manöver der Trotzkisten und anderer Agenten der Reaktion stoßen: eine begründete Kritik, die im Zusammenhang mit einer richtigen Generallinie geübt wurde, dazu auszunutzen, um erneut diese Linie in ihrer Gesamtheit anzuzweifeln.“

Wenige Monate nach dem XX. Parteitag, am 19. Juni 1956, veröffentlichte das Politbüro der Kommunistischen Partei Frankreichs eine Erklärung, die insgesamt die Ergebnisse des XX. Parteitages positiv einschätzte, die aber auch in einigen Passagen Kritik übte: “ Das Politische Büro beklagt…, dass auf Grund der Bedingungen, unter denen der Bericht des Genossen Chrustschow vorgelegt und enthüllt wurde, die bürgerliche Presse in der Lage war, Tatsachen zu veröffentlichen, die die französischen Kommunisten nicht kannten. Eine solche Gegebenheit ist nicht günstig für die normale Diskussion dieser Probleme in der Partei. Sie begünstigt im Gegenteil die Spekulationen und die Manöver der Feinde des Kommunismus.“ (Über die hier angesprochene „Gegebenheit“ wird noch im Teil II berichtet werden.)

In der Erklärung des Politbüros heißt es weiter: „Die bis zur Stunde gegebenen Erklärungen über die Fehler Stalins, ihre Herkunft und die Bedingungen, unter welchen sie sich ereigneten, sind nicht befriedigend. Eine tiefgehende marxistische Analyse ist unentbehrlich, um die Gesamtheit der Bedingungen festzulegen, unter denen die persönliche Macht Stalins ausgeübt werden konnte. Es war falsch, zu Lebzeiten Stalins ihm überschwengliches Lob und das ausschließliche Verdienst aller Erfolge zuzusprechen, die durch die Sowjetunion dank einer allgemeinen richtigen Linie im Dienste des Aufbaus des Sozialismus errungen wurden. Diese Haltung trug dazu bei, den Personenkult zu entwickeln und die internationale Arbeiterbewegung in einem schlechten Sinne zu beeinflussen.

Heute ist es nicht richtig, Stalin allein alles zuzusprechen, was negativ in der Tätigkeit der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war. Stalin spielte eine positive Rolle während einer ganzen historischen Periode. Mit anderen nahm er aktiv an der Sozialistischen Oktoberrevolution, dann am siegreichen Kampf gegen die ausländische Intervention, gegen die Konterrevolution teil. Nach dem Tode Lenins bekämpfte er die Feinde des Marxismus-Leninismus und kämpfte für die Anwendung des leninistischen Planes des Aufbaus des Sozialismus. In einem großen Umfang trug er zur Bildung der Kommunistischen Partei bei.“ (Bayrisches Volks-Echo v. 22.6.1956.)

Palmiro Togliatti, der Führer der italienischen Kommunisten.

Togliatti veröffentlichte – ebenfalls im Juli 1956 – in der „Unita“ einen umfangreichen Artikel über Probleme des XX. Parteitages, in dem er diesen Parteitag insgesamt positiv beurteilte, aber auch kritische Feststellungen traf, die in die gleiche Richtung gingen wie jene der KP Frankreichs: Chrustschows Erklärung dafür, dass solche wie die von ihm geschilderten Fehler Stalins überhaupt und so lange Zeit über begangen werden konnten, „kompliziert und erschwert zugleich die Tatsachen. Man muss dann zugeben, dass entweder die Fehler Stalins der großen Masse und den führenden Kadern des Landes und des Volkes nicht bekannt waren – das scheint unwahrscheinlich -, oder man muss feststellen, dass diese von der großen Masse der Kader und von der öffentlichen Meinung nicht als Fehler betrachtet wurden. Viel richtiger scheint mir zu sein, anzuerkennen, dass trotz seiner Fehler Stalin die Zustimmung der großen Mehrheit des Landes, vor allem führender Kader fand. Das war die Folge der Tatsache, dass Stalin nicht nur Fehler beging, sondern auch ´sehr viel für die Sowjetunion tat´, ´der überzeugteste und stärkste Marxist war´. Das hat Chrustschow in einer Erklärung zugegeben und damit den merkwürdigen, aber verständlichen Fehler korrigiert, der meiner Meinung nach auf dem XX. Parteitag gemacht wurde, nämlich diese Verdienste Stalins zu verschweigen. … Hier ist es notwendig, offen und ohne Zögern zuzugeben, dass einerseits der XX. Parteitag einen ungeheuren Beitrag zur Aufrollung und Lösung vieler ernster und neuer Probleme der demokratischen und sozialistischen Bewegung leistete, … dass jedoch andererseits die Haltung, die auf dem Kongress im Zusammenhang mit den Fehlern Stalins und ihren Ursachen und Bedingungen, die sie ermöglichten, eingenommen wurden und heute in der sowjetischen Presse breit entwickelt wird, nicht als befriedigend betrachtet werden kann. Die Ursache für alles soll im Personenkult, im Kult einer Person gelegen sein, die bestimmte schwere Fehler hatte, der es an Bescheidenheit fehlte, die die persönliche Macht anstrebte und auch aus Unfähigkeit Fehler beging, die in den Beziehungen mit anderen führenden Männern nicht loyal war, die größenwahnsinnig, übertrieben, egoistisch, bis zum Äußersten misstrauisch war und schließlich durch die Ausübung der persönlichen Macht so weit kam, dass sie sich vom Volk entfernte und sogar an einer Art Verfolgungswahn litt. Die gegenwärtigen sowjetischen Führer haben Stalin besser gekannt als wir, (vielleicht werde ich ein andermal Gelegenheit finden, von einigen persönlichen Zusammenkünften mit ihm zu reden), und wir müssen ihnen daher glauben, wenn sie uns das heute auf diese Weise schildern. Wir können uns nur denken, dass – wenn es so war – sie … zumindest in der öffentlichen und feierlichen Verherrlichung der Eigenschaften dieses Mannes, an die sie uns gewöhnt hatten, vorsichtiger hätten sein können. Es ist wahr, dass sie sich heute kritisieren, und das muss ihnen hoch angerechnet werden; aber mit dieser Kritik geht zweifellos etwas von ihrem Ansehen verloren. Aber ganz abgesehen davon: solange man dabei stehen bleibt, im Grunde für alles die persönlichen Fehler Stalins verantwortlich zu machen, bleibt man immer noch im Bereich des ´Personenkults´. Früher kam alles Gute von den übermenschlichen Eigenschaften eines Mannes; jetzt wird alles Böse seinen ebenfalls außergewöhnlichen und sogar verblüffenden Fehlern zugeschrieben. Im einen wie im anderen Falle sehen wie uns außerhalb der dem Marxismus eigenen verstandesmäßigen Urteilskraft.“9 (Alle kursiven Hervorhebungen von mir, K.G.)

Togliatti hat mit diesen Ausführungen deutlich erkennen lassen, dass er am Wahrheitsgehalt dessen, was Stalin in der Chrustschow-Rede alles zugeschrieben worden war, seine Zweifel hatte und hat angekündigt, seine eigenen Erfahrungen bei Gelegenheit bekannt zu geben. Dazu ist es leider nie gekommen.

Boleslaw Bierut, Vorsitzender der polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP).

Die Kommunistische Partei Polens war im August 1938 auf Beschluss des Präsidiums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) wegen Durchsetzung ihrer Führung mit Agenten des polnisch-faschistischen Pilsudski-Regimes aufgelöst worden. (NB: Bei meinen Studien zur Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland hatte ich im Jahre 1955 im sozialdemokratischen „Vorwärts“ aus dem Jahre 1932 eine Notiz gefunden, die besagte, die Führung der polnischen Kommunistischen Partei sei mit Spitzeln der Pilsudski-Geheimpolizei durchsetzt.). Im Januar 1942 wurde die Partei neu gegründet als Polnische Arbeiter-Partei (PAP). Ihr erster Sekretär, Marian Nowotko, wurde im November 1942 ermordet. Sein Nachfolger, Pawel Finder, wurde im November 1943 verhaftet. An seine Stelle trat Wladyslaw Gomulka. Bald kam es innerhalb der neu gegründeten Partei zu Auseinandersetzungen zwischen einem rechten Flügel, zu dessen Hauptvertreter sich Gomulka entwickelte, und einem die rechten und nationalistischen Tendenzen bekämpfenden Flügel, der von Boleslaw Bierut geführt wurde. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand die Frage, ob in die Leitung der patriotischen Front des Kampfes gegen die deutsch-faschistischen Okkupanten auch Parteigänger der scharf antikommunistischen und antisowjetischen Londoner Exilregierung Mikolajczyks aufgenommen werden sollten oder nicht. Am 22. Juli 1944 gründete sich das nach seinem Sitz im von der Roten Armee befreiten Lubliner Gebiet „Lubliner Komitee“ genannte Führungsgremium des patriotischen Kampfes, das Polnische Nationale Befreiungskomitee, das den Grundstein legte für eine Arbeiter- und Bauernregierung in Polen, mit Boleslaw Bierut an der Spitze. Am 31. Dezember 1944 wurde die erste – provisorische – Regierung gebildet unter der Leitung von E. Osobka-Morawski und W. Gomulka. Nach dem Sieg über das faschistische Deutschland wurde sie am 28. Juni 1945 erweitert zur „Regierung der nationalen Einheit“ mit Osobka-Morawski als Ministerpräsidenten und mit Gomulka und dem bisherigen Chef der Londoner Exil-Regierung, dem Exponenten der polnischen Bourgeoisie und der Großgrundbesitzer, S. Mikolajczik, als stellvertretende Ministerpräsidenten. Mikolajcziks Ziel – die Wiederherstellung eines bürgerlichen Polens – erwies sich nach dem Wahlsieg der beiden Arbeiterparteien PAP und PPS – der Polnischen Sozialistischen Partei – in den Sejm-Wahlen am 19. Januar 1947 als nicht mehr erreichbar. Mikolajczik musste die Regierung verlassen, Osobka-Morawski wurde als Ministerpräsident abgesetzt, neuer Ministerpräsident wurde Jozef Cyrankiewicz (PPS); Boleslaw Bierut wurde zum Präsidenten der Polnischen Republik gewählt. Gomulka blieb Generalsekretär der Polnischen Arbeiterpartei; in dieser Eigenschaft versuchte er immer mehr, die Partei auf einen rechten, nationalistischen Weg zu drängen. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen erreichten 1948 auf mehreren Plenartagungen des Zentralkomitees der PAP vom Juni an einen Höhepunkt und gipfelten in der Absetzung Gomulkas als Generalsekretär der Partei auf dem Septemberplenum 1948. Als neuen Generalsekretär wählte das Zentralkomitee Boleslaw Bierut. Gomulka gab zum Abschluss eine Erklärung ab, in der er die an ihm geübte Kritik restlos als berechtigt anerkannte.10

In diesem Zusammenhang greife ich etwas vor, indem ich eine Passage über Gomulka aus der Aussage des im Budapester Rajk-Prozeß September 1949 angeklagten jugoslawischen Legationsrats Lazar Brankow zitiere. Über die Hoffnungen, die die jugoslawische Führung auf Gomulka setzte, sagte er aus: „Ich erinnere mich, dass damals, als sich in Polen der Fall Gomulka ereignete, große Hoffnungen gehegt wurden, dass Gomulka die Gedankengänge Titos in Polen verwirklichen werde. Man nahm einen abwartenden Standpunkt ein. Ich erinnere mich auch daran, dass man nicht unmittelbar eingreifen, sich nicht einschalten wollte, man war der Meinung, dass diese Aktion Gomulka in der Polnischen Kommunistischen Partei gelingen würde. Aber wie bekannt, führte Gomulka sein Vorhaben nicht durch, er gab zu, eine unrichtige Linie verfolgt zu haben, und Rankowitsch beklagte sich einmal auch darüber, dass in Polen alles von vorne begonnen werden müsse.“11

Um die Sache abzurunden. hier gleich noch ein weitere Vorgriff. Nachdem es dank Chrustschows Hilfe Gomulka im Oktober 1956 gelungen war, sich wieder an die Spitze der polnischen Partei zu setzen und dort eine Politik zu betreiben, mit der Tito nun endlich doch ganz und gar zufrieden sein konnte, gab der nun auch Gomulka das hoch verdiente Lob in einer Rede, die er am 11. November 1956, nach der schließlichen Niederschlagung der ungarischen Konterrevolution, in Pula hielt; er führte dort aus: „Dank der Tatsache, dass in Polen trotz aller Verfolgungen und Stalinschen Methoden… dennoch ein Kern mit Gomulka an der Spitze geblieben ist, der auf dem VIII. Plenum die Dinge in seine Hände zu nehmen und mutig einen neuen Kurs einzuschlagen vermochte…, – dank dieser Tatsache konnten in Polen die reaktionären Kräfte nicht zum Tragen kommen … Es ist dem reifen Verständnis und dem Verhalten der sowjetischen Staatsführung, die es rechtzeitig unterließ, sich einzumischen, zu verdanken, dass sich in Polen die Dinge stabilisiert und bis jetzt auch gut entwickelt haben. Ich kann nicht sagen, dass diese positive Entwicklung in Polen, die der unseren sehr ähnlich ist, in den anderen Ländern des ´sozialistischen Lagers´ irgendwelche Freude ausgelöst hätte. Nein, sie wird kritisiert… Bei diesen Ländern hat Polen nicht das gleiche Maß an Unterstützung gefunden wie bei den sowjetischen Staatsmännern, die einer solchen Haltung Polens zustimmten. Bei diesen verschiedenen führenden Leuten in einzelnen Ländern des ´sozialistischen Lagers´, aber auch bei einigen kommunistischen Parteien im Westen hat Polen kein Verständnis gefunden, weil dort noch stalinistische Elemente sitzen. … Ebenso notwendig ist es, dass wir in engstem Kontakt mit der polnischen Regierung und Partei arbeiten und ihnen helfen, soviel wir können. Gemeinsam mit den polnischen Genossen werden wir gegen solche Tendenzen kämpfen müssen, die in den verschiedenen anderen Parteien in den Ostländern oder im Westen auftreten. Dieser Kampf wird schwer und langwierig sein, denn jetzt geht es wirklich darum, ob in den kommunistischen Parteien ein neuer Geist siegen wird, der in Jugoslawien seinen Ausgang genommen hat und für den in den Beschlüssen vom XX. Kongress der KPdSU ziemlich viele Elemente geschaffen wurden. Es geht jetzt darum, ob dieser Kurs siegen wird, oder ob wieder der stalinistische Kurs siegen wird.“12

Dass der Mann, der 1948 vermocht hatte, Titos Hoffnungsträger Gomulka aus dem Sattel zu heben – Boleslaw Bierut -, in Titos und Chrustschows Augen ein „reaktionäres Element“ war, versteht sich von selbst.

Klement Gottwald, Vorsitzender der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPC) und Präsident der Tschechischen Republik.

Gottwald gehörte 1921 zu den Mitbegründern der KPC und wurde 1929 zu ihrem Generalsekretär gewählt. Das Ansehen und der Einfluss der Partei wurden gewaltig gestärkt durch ihren konsequenten Kampf für die Unabhängigkeit des Landes, gegen den Verrat der Westmächte im Münchner Abkommen, aber auch durch die Haltung der Sowjetunion, die – anders als der Hauptverbündete der Tschechoslowakei, Frankreich, das seinen Verbündeten schmählich im Stich ließ und mithalf, ihn an Deutschland auszuliefern -, erklärte, sie werde zu ihren Bündnisverpflichtungen stehen, falls die Tschechoslowakei Deutschland bewaffneten Widerstand leiste.

Nach der Befreiung des Landes wurde Gottwald in der ersten Regierung stellvertretender Ministerpräsident des Landes. Präsident wurde der aus dem englischen Exil zurückgekehrte letzte Präsident der bürgerlichen Republik vor dem Münchner Abkommen, Eduard Benesch. Aus den Parlamentswahlen vom 26. Mai 1946 ging die KPC mit 38 Prozent als stärkste Partei hervor; Klement Gottwald wurde nun, am 8. Juni 1946 – Ministerpräsident der aber immer noch aus bürgerlichen, sozialdemokratischen und kommunistischen Ministern zusammengesetzten Regierung. Am 21. Februar 1948 wollten die bürgerlichen Minister die Kommunisten aus der Regierung verdrängen, indem sie geschlossen zurücktraten, um damit Benesch die Möglichkeit zu geben, die gesamte Regierung zu entlassen und eine neue, „kommunistenfreie“ Regierung einzusetzen. Dieser „legale“ Putschversuch schlug aber total fehl: die Massen verteidigten ihre kommunistischen Minister und Ministerpräsidenten mit gewaltigen Demonstrationen und einem Generalstreik. Am 25. Februar hatte das Volk gesiegt, die Tschechoslowakei beschritt den Weg zum Arbeiter- und Bauerstaat. Am 9. Mai 1948 gab sich das Land eine neue Verfassung, Benesch trat zurück und am 14. Juni wurde Klement Gottwald Präsident der Republik, zugleich blieb er der Vorsitzende der KPC.

Generalsekretär der Partei war Ruldof Slansky. Einige Jahre später, 1951, wurde aufgedeckt, dass der diese seine Funktion dazu benutzt hatte, Gottwald zu isolieren und ein zweites, konspiratives Leitungszentrum in der Partei aufzubauen. Auf einem ZK-Plenum im Februar 1951 hatte Gottwald sich schon mit der Rolle Tito-Jugoslawiens und einiger Parteimitglieder beschäftigt, denen Parteiverrat vorgeworfen wurde; (Otto Sling, Sekretär der KPC-Kreiskomitees Brünn, Marie Svermova, Vladimir Clementis, ehemaliger Außenminister). Dabei nahm Gottwald grundsätzlich zu den Versuchen der Bourgeoisie Stellung, in die Reihen der revolutionären Arbeiterbewegung einzudringen und sie zu zersetzen. In seinem Referat führte Gottwald zu Jugoslawien unter anderem aus: „Kurz – im großen Weltkampf um den Frieden unter der Führung der Sowjetunion ist die Tito-Rankovic-Clique vollkommen auf die Seite der Kriegshetzer, geführt vom amerikanischen Imperialismus, übergegangen. … Es ist durchaus kein Zufall, dass überall dort, wo ein Spion und Diversant der westlichen Imperialisten entdeckt wird, gewöhnlich auch neben und mit ihm ein Spion und Diversant des titoistischen Jugoslawiens entlarvt wird.“

Zur Problematik der in der Partei wirkenden feindlichen Kräfte ist bei Gottwald zu lesen: „Wenn der Klassenkampf – sozusagen – normal ist und die Entwicklung ziemlich ruhig vor sich geht, da duckt sich die Agentur des Klassenfeindes in der Kommunistischen Partei, versteckt sich und passt sich an. Sobald sich aber der Klassenkampf verschärft, sobald die Bourgeoisie eine Position nach der anderen verliert, dann versucht der Klassenfeind natürlich die letzte, aber auch wichtigste Karte auszuspielen. Das heißt, dass er seine Agentur in der Kommunistischen Partei mobilisiert. … Einige Genossen fragen, warum wir diese Feinde nicht schon früher entlarvt haben. … Wir müssen uns dessen bewusst sein, …dass der Spionagedienst auf lange Sicht arbeitet. Er setzt Leute ein und … leitet sie so, dass sie Vertrauen gewinnen und so arbeiten, dass sie Erfolge haben, und erst dann hervortreten, wenn es nötig ist, zum Beispiel im Krieg und ähnlichem. Das heißt, dass ein solcher Agent nicht nur lauter schädliche Dinge macht. Da wäre es sehr leicht, ihn zu entlarven. Da würden wir ihn rasch vor die Türe setzen, wie jeden Saboteur und Schädling. Ein solcher Agent muss unbedingt auch irgendwelche guten Dinge tun, damit er sich mit ihnen ausweisen kann, damit er Vertrauen gewinnen, noch höher klettern und dann im gegebenen Falle den großen, strategischen Plan seiner Auftraggeber erfüllen kann. Wir wissen zwar theoretisch, dass der Feind in die Partei dringt, dass er versucht, ständig höher zu kommen und dass er sich bemüht, die Politik der Partei zu beeinflussen. … Wir wiederholen dies ständig von neuem, aber wenn es sich um eine konkrete Person handelt, die wir … lange kennen, zögern wir, auf den ersten Blick zu glauben, dass es ein feindlicher Agent ist, wanken selbst, denken nach, führen alle möglichen Gründe für und gegen an usw. Vom theoretischen Begreifen des Problems des Klassenschädlings innerhalb der Partei bis zur Entlarvung – wenn es um eine konkrete Person geht – ist bei uns noch ein weiter Weg. Weiter schließen wir oft die Augen vor verschiedenen unbolschewistischen Äußerungen und glauben, sie seien Zufall. Die Erfahrung lehrt, dass dies besonders bei hohen Parteifunktionären in der Regel nicht der Fall ist, dass sich hinter einem ähnlichen „Zufall“ die Teufelsklaue Renegatentum und Verrat versteckt.“13

Im September 1951 wurde der Generalsekretär Slansky aus dieser Funktion abberufen und in eine Funktion im Regierungsapparat eingesetzt, einige Zeit später in Untersuchungshaft genommen und im Dezember 1951 aus der Partei ausgeschlossen.14

Im November 1952 fand der Prozeß gegen Slansky und 13 Mitangeklagte statt, von denen Slansky und 10 weitere Angeklagte zum Tode, die übrigen zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt wurden.15

Matyas Rakosi, Vorsitzender der Partei der Ungarischen Werktätigen.

Mitbegründer der Kommunistischen Partei Ungarns und führend an der Ungarischen Räteregierung von 1919 beteiligt, dafür vom faschistischen Horthy-Regime nach seiner Rückkehr aus der österreichischen Emigration nach Ungarn 1926 verhaftet und zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, auf Intervention der Sowjetunion unter der Bedingung der sofortigen Ausreise in die Sowjetunion 1940 nach vierzehnjähriger Haft freigelassen.

Mit dem Kampf und dem Schicksal Rakosis und seiner Partei werde ich mich im folgenden ausführlich beschäftigen, weil sie exemplarisch sind für die Bedingungen, denen die kommunistische Bewegung insgesamt seit 1953 ausgesetzt war, und weil ohne die Kenntnis dieser Rahmenbedingungen auch die Entwicklung in der DDR und deren schließlicher Untergang nicht zu verstehen sind.

Rakosi war wohl der von den Revisionisten meist gehasste und meistverleumdete Parteiführer der Länder der Volksdemokratie, und das mit gutem Grund, scheiterten doch selbst nach dem XX. Parteitag die KPdSU zunächst noch alle ihre Versuche, die Partei und das Land auf die Tito-Linie zu führen, an seinem unbeirrbaren Festhalten an der marxistisch-leninistischen Orientierung der Politik der Partei. Mit besondere Wut erfüllte alle Feinde des Sozialismus der im September 1949 in Budapest durchgeführte Prozess gegen Laszlo Rajk und andere, – der erste der drei großen Prozesse, die in den volksdemokratischen Ländern Ungarn, Bulgarien und Tschechoslowakei gegen führende Partei- und Staatsfunktionäre wegen Hochverrats und Vorbereitung des Sturzes der sozialistischen Ordnung durchgeführt wurden.

Diese Prozesse haben eine Vorgeschichte, in deren Mittelpunkt die Änderung der Politik der Führer der kommunistischen Partei Jugoslawiens gegenüber der Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern steht. Bis in das Jahr 1948 hinein galt in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern, und auch bei uns, der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, Jugoslawien als ein Land, das auf dem Wege zur Errichtung einer sozialistischen Ordnung am weitesten vorangekommen war und der Sowjetunion am nächsten stand.16

Aber Ende 1947 – Anfang 1948 nahm die Führungsgruppe der KP Jugoslawiens eine verhängnisvolle Änderung ihres bisherigen Kurses vor. Diese Änderung lief darauf hinaus, im sozialistischen Lager ein zweites, ein Gegenzentrum gegen die Sowjetunion zu bilden – mit Jugoslawien als Hegemon. Das Ganze wurde begründet mit der Notwendigkeit, die Balkanländer zu einer Föderation zusammenzuschließen. Tito nutzte dabei den Umstand aus, dass die kommunistischen Parteien der Balkanländer schon zu Zeiten der Kommunistischen Internationale der imperialistischen Politik des Gegeneinanderhetzens der Balkanvölker die Forderung nach einem solidarischen Zusammenschluss in einer Balkanföderation entgegen gestellt hatten. Deshalb stimmte zunächst auch Georgi Dimitroff dem Vorschlag der Tito-Führung zu, nach dem Sieg über die Faschisten und nach der Verjagung der reaktionären Regierungen der Balkanstaaten nun die alte Idee der Balkanföderation zu verwirklichen. Als jedoch erkennbar wurde, dass hinter Titos Vorschlag die Absicht der Angliederung Bulgariens als Teilrepublik an Jugoslawien und die Schaffung eines antisowjetischen Zentrums steckte, nahm Dimitroff seine Zustimmung zurück und sprach sich gegen dieses Projekt aus.

Umso mehr drängte die Belgrader Führung jetzt – im Frühjahr 1948 – darauf, dass der andere, kleinere und – wie sie meinte -, leicht zu vereinnahmende Nachbar Albanien sich Jugoslawien anschloß.17 Die Belgrader Führer konnten damit umso eher rechnen, als sie in der Führung der albanischen Partei Vertrauensleute wussten, – wie den Organisationssekretär des ZK der albanischen Partei und Innenminister Koci Xoxe und andere -, die auf Titos Weisung hin auch einen Staatsstreich in Tirana unternehmen würden, falls anders das Ziel nicht zu erreichen sein sollte. Dazu kam es indessen nicht, weil die Kritik des Informationsbüros an der Politik der KP Jugoslawiens vom Juni 1948 Tito zur Zurückhaltung zwang, zum anderen diese Kritik auch zur Aufdeckung der Machenschaften der Verbündeten Titos in der albanischen Führung beitrug. Sie führte schließlich zur Verhaftung Koci Xoxes und seiner Mitverschwörer und der Eröffnung eines Gerichtsprozesses gegen sie, der vom 11. Mai bis zum 10. Juni 1949 in Tirana durchgeführt wurde und mit einem Todesurteil für Koci Xoxe sowie Freiheitsstrafen von 5 bis zu 20 Jahren für die vier anderen Angeklagten abgeschlossen wurde.18

Es ist übrigens bemerkenswert, dass ungefähr im gleichen Zeitraum, in dem die Belgrader Führung ihren neuen antisowjetischen Kurs verschärfte, in den USA der „Nationale Sicherheitsrat“ die Direktive 10/2 vom 18. Juni 1948 erließ, die zum Inhalt die Ausdehnung verdeckter Aktionen der CIA auch auf das Ausland hatte; in dieser Direktive hieß es u.a.: „Unter dem in dieser Direktive verwendeten Terminus ´geheime Operation´ sind alle Aktivitäten … zu verstehen, die von dieser Regierung gegen feindliche ausländische Staaten oder Gruppen oder zur Unterstützung befreundeter ausländischer Staaten oder Gruppen geleistet oder gefördert werden, die jedoch so geplant und geleitet werden, dass nach außen hin ihr Urheber – die Regierung der USA – auf keine Weise in Erscheinung tritt und im Falle ihrer Aufdeckung die Regierung der USA völlig glaubwürdig jede Verantwortlichkeit für sie plausibel leugnen kann.“

Als „geheime Aktivitäten“ wurden genannt: Propaganda, Wirtschaftskrieg, direkte Präventivhandlungen einschließlich Sabotage …, Wühlarbeit gegen feindliche Staaten, einschließlich Hilfe für die illegalen Widerstandsbewegungen im Untergrund, für Guerillas sowie die Unterstützung von antikommunistischen Elementen in bedrohten Ländern der freien Welt.“19

Was im Rajk-Prozeß aufgedeckt wurde, ging sicher zu einem erheblichen Teil schon auf das Konto der Arbeit dieser Direktive. Dazu gehört vor allem der Plan zum Sturz der bestehenden Regierung, in dem Laszo Rajk, dem ungarischen Außenminister, von seinen jugoslawischen und amerikanischen „Beratern“ die Hauptrolle zugedacht war. Über diesen Plan und seine Väter sagte der ehemalige Leiter der Kaderabteilung der Kommunistischen Partei Ungarns, Tibor Szönyi: „Der Plan der Verschwörung zum Sturz der ungarischen volksdemokratischen Regierungssystems diente selbstverständlich den Interessen derjenigen, die den Plan ausgearbeitet hatten, die die intellektuellen Urheber des Planes waren, das heißt, die Verschwörung war ein Teil der gemeinsamen amerikanischen und jugoslawischen Pläne. … Wir erhielten ein konkretes Versprechen in Bezug auf eine wirtschaftliche, finanzielle Hilfe Ungarns von Seiten der Vereinigten Staaten, nach Ausführung des Putsches; ferner … würden die Vereinigten Staaten Ungarns Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen … unterstützen.“

Auf die Frage des Gerichtsvorsitzenden, welche wesentlichen Änderungen für den Fall des Gelingens der Verschwörung in der Innen- und Außenpolitik vorgesehen gewesen seien, gab Szönyi zur Antwort:

„In erster Reihe die Bildung einer neuen Regierung. Wir planten ferner, die politische Struktur des Landes in dem Sinne zu ändern, wie das Rajk mit den führenden jugoslawischen Politikern besprochen hatte und wir hätten dazu die jugoslawische innenpolitische Lage als Vorbild genommen, das heißt eine Änderung, welche die Rolle der Parteien, in erster Reihe der Partei der Ungarischen Werktätigen im politischen Leben des Landes in den Hintergrund hätte drängen sollen, und an Stelle dieser hätte eine Volksfront mit verbreiterter Grundlage treten müssen, als eine Organisation, die das politische Leben des Landes lenkt. Die Verbreiterung wäre in dem Sinne geschehen, dass wir dem Kulakentum innerhalb der Volksfront zu politischer Vertretung verholfen hätten. Auf wirtschaftlichem Gebiet war in erster Reihe davon die Rede, dass wir stufenweise – freilich nicht auf einmal – alle wichtigen Errungenschaften der Volksdemokratie von neuem vernichten, das heißt die Fabriken, die Banken, die Bergwerke den Kapitalisten zurückgeben, die Errungenschaften der Bodenverteilung teilweise vernichten sollten. In der taktischen Ausführung des Planes dachten wir freilich nicht daran, alles mit einem Schlag zu verwirklichen, sondern stufenweise, langsam, der Lage entsprechend. Ähnliche langsame, progressive Änderungen wurden auch in außenpolitischer Hinsicht geplant. Unsere Zielsetzung, Ungarn von der Seite der Sowjetunion und der befreundeten Volksdemokratien an die Seite der Vereinigten Staaten zu stellen, wollten wir auch stufenweise, langsam ausführen.“20

Die Anklagen wie auch die Geständnisse der Angeklagten waren so ungeheuerlich und ungewöhnlich, dass es verständlich erscheint, wenn die späteren Behauptungen und Erklärungen, die Anklagen seien zu Unrecht erfolgt und die Angeklagten zu Unrecht verfolgt worden, ihre Geständnisse seien durch Folter, Drogen und falsche Versprechungen erpresst und erschlichen worden, ja, wenn sogar solch absurde Behauptungen, die Drehbücher für die Aussagen und Geständnisse der Angeklagten seine in Moskau von Stalin und Berija entworfen worden und hätten dann von den Angeklagten auswendig gelernt und in den Verhören vorgetragen werden müssen, Glauben fanden und sogar mit einer gewissen Erleichterung darüber aufgenommen wurden, dass die Angeklagten ehrliche Kommunisten geblieben und unfähig gewesen waren, die ihnen zur Last gelegten Verbrechen zu begehen. Allerdings musste man dafür nun für möglich halten, dass Rakosi und alle anderen für diese Prozesse Verantwortlichen noch viel schlimmere Ungeheuer waren, als den nunmehr Rehabilitierten je zugeschrieben war.

Man muss sich einmal vorstellen, was es für eine politische Bewegung bedeuten muss, wenn ihren Anhängern heute eine Gruppe ihrer Führer als Verräter und Verbrecher, morgen ihnen jedoch die gleichen Führer als quasi Heilige, die von den denkbar schlimmsten Verbrechern, nämlich ihren gestrigen Richtern, unter erfundenen Beschuldigungen grundlos ermordet wurden. Das alles machte die kommunistische Bewegung in den wenigen Jahren zwischen 1949 und 1956 durch! Eine Bewegung, die daran nicht zugrunde geht, muss einen sehr gesunden Organismus haben und zur Vertretung der Lebensinteressen der Klassen, deren politisches Führungsorgan sie ist, trotz alledem als unentbehrlich empfunden werden. Aber unvermeidlich stellen sich viele die Frage: Wie kann man sich da noch zurechtfinden? Wer lügt? Wo ist die Wahrheit? Die Antwort ist: Die Wahrheit ist nur in den geschichtlichen Tatsachen zu finden, sogar dann, wenn Beweisdokumente noch fehlen. Die geschichtlichen Tatsachen aber besagen: Das, was Rajk und Komplizen als ihre Absicht vorgeworfen und wofür sie – bevor sie diese in die Tat umsetzen konnten – verurteilt wurden, das wurde nach der Rehabilitierung Rajks und seiner Mitangeklagten von anderen Führern der ungarischen Partei gleich zweimal nun tatsächlich begangen: zum ersten Male von Imre Nagy im Herbst 1956, zum zweiten Male von Gyula Horn ab 1989.

Wer war Imre Nagy? Als eine Auswirkung der Veränderungen in der Leitung der KPdSU nach dem Tode Stalins wurde am 27./28. Juni 1953 das Politbüro der Partei der Ungarischen Werktätigen erweitert; die wichtigste Veränderung war die Aufnahme Imre Nagys in dieses Gremium.21 Am 2. Juli wurde auch die ungarische Regierung umgebildet und Imre Nagy als Ministerpräsident an ihre Spitze gestellt.22

Aber auf einem ZK-Plenum am 2.-4. März 1955 wurde scharfe Kritik an seiner Amtsführung geübt. Das Plenum fasste einen Beschluss „Über die politische Lage und die Aufgaben der Partei“, in dem u.a. gesagt wurde, Nagy habe die Beschlüsse des Juni-Plenums von 1953 im opportunistischen und antimarxistischen Sinne entstellt. „Von einer Hebung des Lebensstandards sprechen und zur gleichen Zeit nicht für die Gewährleistung der hierfür notwendigen ökonomischen Voraussetzungen sorgen, sind in Wirklichkeit billige Demagogie und Irreführung des Volkes. … Wer versichert, dass die Hauptmasse der Klein- und Mittelbauern als Einzelbauern einen gewissen Wohlstand erzielen kann, dass unsere aus Hunderttausenden Einzelbauern bestehende Landwirtschaft gedeihen und zu einer fortgeschrittenen Landwirtschaft werden kann, ohne dass die Produktionsgenossenschaften entwickelt werden, betrügt die werktätigen Bauern. … Die größer gewordene rechte, opportunistische Abweichung zeigte sich auch in der Unterschätzung der führenden Rolle der Partei. Einige negierten die Rolle der Partei in der Vaterländischen Volksfront. … Mit diesen rechten Anschauungen wollte man im Grunde die marxistisch-leninistische Lehre von der Diktatur des Proletariats einer Revision unterziehen. Das wichtigste in der volksdemokratischen Ordnung ist die unbedingte Gewährleistung der führenden und richtunggebenden Rolle der revolutionären Partei der Arbeiterklasse. Ohne Gewährleistung dieser Rolle gibt es keine Volksdemokratie! … Die rechten Anschauungen in unserer Partei und in unserem Staat sind so gefährlich geworden, weil Genosse Imre Nagy in seinen Reden und Artikeln diese antimarxistischen Ansichten unterstützt, ja mehr noch, sie am eifrigsten predigt. … Ein Hauptmerkmal der rechten Linie des Genossen Imre Nagy zeigte sich darin, dass er die von der Partei erzielten großartigen Siege leugnete und unterschätzte und die Erfolge regelmäßig verschwieg. … Die rechten Elemente außerhalb und innerhalb der Partei betrachteten diesen Artikel (Imre Nagys vom 20. Oktober 1954) als Signal und begannen die richtige Politik der Partei zerstörend anzugreifen. Solche Erscheinungen gab es in den Redaktionen vieler Zeitungen sowie auf dem Gebiet der Literatur. … Genosse Nagy und einige andere Genossen haben mit billigen demagogischen Versprechungen in der Presse … die Arbeiterklasse mitunter irregeführt, … sich den rückständigsten Schichten der Arbeiter angepasst und dadurch gewisse Elemente der Zersetzung in die Arbeiterklasse hineingetragen.“23

Auf dem darauf folgenden Plenum des ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen wurde Imre Nagy aus dem Politbüro und dem ZK der Partei ausgeschlossen und aller Funktionen enthoben, die er im Auftrag der Partei ausübte, also auch als Ministerpräsident. Das war im April 1955. Aber schon im Mai trat ein Ereignis ein, das den künftigen Sturz Rakosis und den Wiederaufstieg Imre Nagys vorherbestimmte; es war dies Chrustschows Erklärung gegenüber Tito aus Anlass des Besuches einer sowjetischen Delegation, – worüber weiter unten ausführlicher zu sprechen sein wird -, dass alle gegen Tito erhobenen Vorwürfe sich nach gründlicher Prüfung als unberechtigt und Erfindung von Feinden, von Agenten des Imperialismus, erwiesen hätten.

Sofort nutzte Tito dies aus, um Druck auf alle anderen kommunistischen Parteien auszuüben, auch ihrerseits alle Vorwürfe gegen ihn und seine Partei zurückzunehmen. „Am 27. Juli forderte er in einer Rede in Karlovac, dass auch die Führer in Ungarn und in der Tschechoslowakei ihre gegenüber Jugoslawien begangenen Fehler bekennen, so wie dies die sowjetischen Führer anlässlich des Besuches der sowjetischen Staatsmänner in Jugoslawien getan hätten. Er verlangte hierbei insbesondere eine Revision der seinerzeitigen Prozesse gegen Rajk…in Budapest, gegen Trajtscho Kostoff…in Sofia und gegen Rudolf Slansky und Vladimir Clementis in Prag…. Tito sagte u.a.: „Wir bedauern, dass es im Osten in einigen unserer Nachbarstaaten immer noch Leute gibt, denen diese Normalisierung nicht gefällt. … Stattdessen intrigieren sie hinter den Kulissen gegen uns … und versuchen überall, uns Steine in den Weg zu legen… Vor allem in Ungarn gibt es Leute, die so reden. Aber wir sind überzeugt, dass sie … die Erfüllung dessen, was wir wollen und was die Sowjetführer in Belgrad erklärten und gegenwärtig auch ausführen, nicht verhindern können… Auch in der Tschechoslowakei gibt es Leute, die Mühe haben,… ihre Fehler zu bekennen… Diese und ähnliche Leute werden ihre Fehler gegenüber unserem Lande auf die eine oder andere Weise bekennen müssen.“24

Dieser Druck aus Belgrad beeindruckte die ungarischen Genossen nicht und brachte sie nicht davon ab, ihren Kampf gegen die Tito-Sympathisanten weiterzuführen, die vor allem in den Reihen der Schriftsteller zu finden waren, die sich als ein organisatorisches Zentrum einen Club schufen, dem sie den Namen des populären ungarischen Schriftstellers Petöfi gaben. Im Dezember 1955 fasste das ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen einen Beschluss mit der Überschrift: „Die rechten Fehler im literarischen Leben Ungarns überwinden“, in dem es u.a. hieß: „Einige Schriftsteller, auch Parteimitglieder,… haben die Perspektive des Sozialismus verloren. … Pessimismus und Verzweiflung haben von ihnen Besitz ergriffen. … All das legen sie als etwas ´Neues´, als einen Sieg über den Schematismus dar. … Einige Schriftsteller … haben den Beschluss des März-Plenums des ZK (gegen Imre Nagy) abgelehnt oder sich auch nur nach außen hin einverstanden erklärt… Der rechte Opportunismus kommt zur Zeit in den gefährlichsten, offensten und organisiertesten Formen in der Literatur zum Ausdruck.“25

Dann aber kam im Februar 1956 der XX. Parteitag, auf dem Stalin verdammt und Tito gefeiert wurde. Rakosi versuchte dennoch, die antirevisionistische Linie der Partei beizubehalten. Auf einem ZK-Plenum im März erklärte er noch: „Unsere rechten Elemente erhoffen sich vom XX. Parteitag, dass er sie rechtfertigen werde. Jetzt ist für jedermann klar, dass sich diese Hoffnungen nicht erfüllt haben.“ Er sollte sehr schnell erfahren, dass dies eine große Fehleinschätzung war. Chrustschow und Tito übten nun konzertiert einen immer stärkeren Druck auf andere Parteien, vor allem aber auf die ungarische Partei aus. Nur zwei Wochen nach dieser optimistischen Einschätzung sah sich Rakosi gezwungen, auf einer Sitzung des Parteiaktivs in einer ungarischen Stadt zu erklären, der Rajk-Prozess sei überprüft worden; das Ergebnis sei die Feststellung, dass der Prozess eine feindliche Provokation und unberechtigt gewesen sei. Das oberste Gericht habe Rajk und die mit ihm Verurteilten rehabilitiert.

Rakosi hatte damit den ersten Schritt der von außen erzwungenen Selbstdemontage getan. Am 19. Mai 1956 musste er vor dem Budapester Parteiaktiv in einem Referat „Über die Lage und die Aufgaben im Lichte des XX. Parteitages“ den nächsten Schritt mit einer „selbstkritischen“ Einschätzung seiner Arbeit und seines Verhaltens „zu bestimmten Fragen“ tun und gleichzeitig ausgerechnet am ungarischen Beispiel „nachweisen“, dass Stalins These von der Verschärfung des Klassenkampfes mit wachsenden Erfolgen – die gerade in Ungarn durch die Offensive des Revisionismus seit 1953 und verstärkt seit dem XX. Parteitag ihre nachdrückliche Bestätigung fand! – „falsch und schädlich“ sei.

Chrustschow und Tito verstärkten nun den Druck in Richtung Budapest, um den verhassten Rakosi endlich vom Stuhl des 1. Sekretärs zu stoßen, damit der Weg für Imre Nagy frei werde. Tito reiste am 6. Juni nach Moskau, einen Tag später traf das sowjetische Politbüromitglied Suslow, der sich von einem „Stalinisten“ zu einem treuen Chrustschow-Gefolgsmann entwickelt hatte, in Budapest ein. Die Auswirkungen zeigten sich auf dem nächsten ZK-Plenum der ungarischen Partei am 18. Juli 1956. Rakosis Stellvertreter Ernö Gerö verlas auf diesem Plenum einen Brief Matyas Rakosis, in dem dieser bat, ihn von der Funktion als 1. Sekretär wegen „Fehlern in der Arbeit und Krankheit“ zu entbinden. Aber Tito und Chrustschow waren damit unerwarteter Weise noch nicht am Ziel. Das ZK-Plenum wählte nämlich nicht ihren Kandidaten Imre Nagy zum Nachfolger Rakosis, sondern den nach Rakosi meistgehassten Mann, Ernö Gerö. Der musste, dem Zwang der Umstände gehorchend, auf diesem Plenum zwar erklären: „Wir beabsichtigen, einen Brief an den Bund der Kommunisten zu senden, in dem wir feststellen: ´Wir bedauern tief, was geschehen ist. Wir ziehen unsere Verleumdungen zurück, mit denen wir in der gespannten internationalen Lage die Föderative Volksrepublik Jugoslawien und ihre Leiter bedachten. Wir schlagen vor, Verhandlungen zu beginnen…´“

Aber das konnte an dem Entschluss der beiden, ihn auch den Weg Rakosis gehen zu lassen, nichts ändern. Zunächst erzwangen sie auf dem nächsten ZK-Plenum der PdUW am 18.-21. Juli 1956 eine Erweiterung des ZK und des Politbüros26 durch Aufnahme von jetzt rehabilitierten Tito-Sympathisanten, – zu denen auch Kadar gehörte -, womit die bisherige Mehrheit der Anti-Revisionisten in beiden Parteigremien gebrochen war. Und dann gingen sie gemeinsam an die Vorbereitung des letzten Schrittes, des Sturzes Gerös und der Rückkehr Imre Nagys in die Führungspositionen in Partei und Staat. Vom 19. bis zum 27. September verbrachte Chrustschow seinen „Urlaub“ in Jugoslawien, am 25. September war er Gast Titos auf der Insel Brioni. Am 28. September revanchierte sich Chrustschow als Gastgeber für Tito auf der Krim. Sie bereiteten sich beide auf die Verhandlungen mit Gerö vor, die dort am 2. Oktober 1956 stattfanden. Worum es bei diesen Gesprächen in Jugoslawien und auf der Krim ging, das hat Tito in einer Rede, die er am 11. November 1956 in Pula hielt, durchblicken lassen. Natürlich konnte er nicht die volle Wahrheit ausbreiten, vor allem durfte die wahre Rolle Chrustschows nicht offen dargelegt werden. Aber es wird dennoch deutlich genug, dass bei diesen Gesprächen darüber beraten wurde, wer in den anderen sozialistischen Ländern tragbar sei und wer – vor allem in Ungarn – auf jeden Fall weg müsse.

Natürlich konnte gerade Tito, der immer jede Kritik aus anderen Parteien an seiner Politik als „Einmischung“ in die inneren Angelegenheiten seines Landes scharf zurückgewiesen hatte, das nicht offen zugeben. Deshalb formulierte er: „Als dort – in Ungarn – die Unzufriedenheit auch in den Reihen der Kommunisten immer stärker auszubrechen begann, und als sie forderten, Rakosi solle gehen, da … waren die sowjetischen Genossen damit einverstanden, ihn abzusetzen. Aber sie machten den Fehler, nicht zuzulassen, dass auch Gerö und die sonstigen Anhänger Rakosis … abgesetzt würden.“ Es ging also eingestandenermaßen um die Erzwingung der Absetzung Gerös von außen!

Offenbar hatte es um diese Zeit in der sowjetischen Führung auch noch ernsthaften Widerstand gegen Titos und Chrustschows Forderungen gegeben, denn Tito sagte in der gleichen Rede: „Aber wir haben das nicht so tragisch genommen, denn wir haben gesehen, dass das nicht die Haltung der gesamten Sowjetführung ist, sondern nur eines Teils. … Wir haben gesehen, dass diese Haltung von den Leuten aufgezwungen wurde, die ziemlich stark auf den Stalinschen Positionen standen und auch heute noch immer stehen, dass es aber noch immer die Möglichkeit gibt, dass in der Führung der Sowjetunion in einer inneren Evolution die Elemente siegen, die für eine kraftvollere und schnellere Entwicklung in Richtung auf eine Demokratisierung sind… Aus gewissen Anzeichen, aber auch aus den Gesprächen haben wir gesehen, dass diese Elemente nicht schwach, sondern stark sind.“27

Um endlich in Ungarn ans Ziel – die Vertreibung Gerös von der Parteispitze und zugleich Hegedüs als Ministerpräsidenten – zu gelangen, griff man nun zu dem Mittel, das bereits in den Planungen Rajks als äußerstes Mittel vorgesehen war – zur Entfesselung des bewaffneten Aufstandes.

In Polen und Ungarn hatte die vom XX. Parteitag der KPdSU ausgelöste „Entstalinisierungs“- und Rehabilitierungswelle im Laufe des Jahres 1956 antikommunistische und nationalistische Kräfte innerhalb und außerhalb der Partei zu immer offeneren Vorstößen ermuntert. In Ungarn begannen, inszeniert von Intellektuellen-Kreisen, die sich ja im so genannten „Petöfi-Klub“ ihr Zentrum geschaffen hatten, am 21. Oktober 1956 Studentenunruhen, denen sich auch Arbeiterdemonstrationen anschlossen, vor allem aber antikommunistischer Mob. Die Unruhen wurden zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei, zum bewaffneten Aufstand und zur Jagd auf und Lynchmorden an Kommunisten, Staats- und Parteifunktionären eskaliert. Damit waren die Verhältnisse geschaffen, die ermöglichten, die schon im Rajk-Prozess enthüllten Zielsetzungen im stufenweisen Vorangehen zu verwirklichen.

Die erste Stufe war die Umbildung der Regierung am 24. Oktober 1956: Imre Nagy wurde zum Ministerpräsidenten ernannt, der bisherige Ministerpräsident Hegedüs zu seinem Stellvertreter degradiert. Am 25. Oktober wurde Ernö Gerö vom ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen abgesetzt und Janos Kadar zum neuen 1. Sekretär gewählt. Der Aufstand hatte das erste von den Nagy-Leuten anvisierte Ziel erreicht: die Eroberung der Führung in Partei und Staat. Aber das ungehinderte Wüten des weißen Terrors gefährdete die Durchführung des Stufenplanes des allmählichen, „legalen“ Übergangs zur bürgerlichen Republik, beschwor die Gefahr eines radikalen „Rückschlages“, gestützt auf die Sowjet-Truppen im Lande, herauf. Deshalb verhängte die neue Regierung nun den Ausnahmezustand und rief sogar die Sowjettruppen zu Hilfe zur „Wiederherstellung der Ruhe“ im Lande. Am 30. Oktober zogen sich dann die Sowjettruppen auf die Forderung Imre Nagys hin aus Budapest wieder zurück. Am nächsten Tage, am 31. Oktober, nachdem schon mehrere Stufen bis zur fast völligen Wiederherstellung eines bürgerlichen Ungarn bewältigt worden waren, hielt Nagy vor dem auf dem Parlamentsplatz versammelten Volk eine Rede, in der er ausführte: „Wir haben die Bande Rakosi-Gerö vertrieben. Diese Bande hat versucht, mich zu beschmutzen; sie hat erklärt, ich hätte die sowjetische Intervention verlangt. Das ist falsch. Im Gegenteil: Ich war es, der den sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen verlangt hat. Heute beginnt die Konferenz über die Abschaffung des Warschauer Paktes und über den Abzug der Russen aus unserem Lande.“

Vor Journalisten erklärte er dann danach: „Wir haben die Möglichkeit, den Warschauer Pakt auszulöschen. Es kann sein, dass Ungarn zu einem neutralen Kern in Mitteleuropa wird. Wir müssen uns auf die materielle Hilfe des Auslandes stützen.“28 Kennen wir diese Melodie nicht schon aus den Aussagen Szönyis?

Aber wir haben vorgegriffen: nach der Eroberung der Führungspositionen in Partei und Regierung am 24. Oktober war erst einmal die nächste, zweite Stufe zu nehmen: Die Bildung einer neuen ungarischen Regierung, der erstmals auch zwei bürgerliche Minister, ehemalige Funktionäre der konterrevolutionären Partei der kleinen Landwirte, angehörten. Das geschah am 27. Oktober.

Als eine weitere, dritte Stufe kann die Bildung eines „Sechserkomitees“ durch das ZK am 28. Oktober betrachtet werden, dessen Bildung praktisch die Ausschaltung des ZK und der Mitgliedschaft bei der weiteren Festlegung der Politik der Partei bedeutete. Vorsitzender dieses exklusiven Komitees war Janos Kadar, und natürlich gehörte ihm auch Imre Nagy an. Gelegentlich der Gründung des Sechserkomitees äußerte Nagy, es sei nicht wahr, dass das, was sich in Ungarn ereigne, eine Konterrevolution sei. Es sei das vielmehr „eine demokratische Bewegung, die unsere ganze Nation erfasst hat, um unsere Unabhängigkeit zu sichern.“

Eine vierte, große Stufe wurde am 30. Oktober mit der Bildung des „engeren Kabinetts“ innerhalb der Regierung genommen, denn sie bedeutete den Übergang zu einer bürgerlichen Koalitionsregierung aus Vertretern von vier Parteien: der Partei der Ungarischen Werktätigen, der wieder zugelassenen Partei der kleinen Landwirte, der Nationalen Bauernpartei und der wieder gegründeten Sozialdemokratischen Partei. Kadar erklärte als 1. Sekretär der Partei der Ungarischen Werktätigen aus diesem Anlass, die Wiederzulassung der bisher verbotenen Parteien und die Abhaltung freier Wahlen bedeute eine „Rückkehr zur Demokratie“. „Er forderte die Mitglieder seiner Partei auf, mit den Freiheitskämpfern zusammenzuarbeiten“29 – also mit den Henkern seiner Genossen! Noch am 3. November wüteten diese „Freiheitskämpfer“ so, dass Radio Budapest sich veranlasst sah, die Bevölkerung aufzufordern, „mit den summarischen Hinrichtungen aufzuhören“ und daran „zu erinnern“, „dass niemand ohne vorherige gerichtliche Verurteilung hingerichtet oder ins Gefängnis gesteckt werden dürfe.“ In der Pressemitteilung heißt es dazu weiter: „Es war berichtet worden, dass von den Aufständischen auf Mitglieder der Sicherheitspolizei und kommunistische Führer Jagd gemacht werde und dass hierbei Personen gelyncht oder eingekerkert wurden.“30

Nächste Stufe: Am 1. November 1956 gab Nagy bekannt, „dass Ungarn mit sofortiger Wirkung den Warschauer Pakt kündigt und die Neutralität Ungarns proklamiert.“ Zugleich richtete er ein Schreiben an den Generalsekretär der UNO, in dem er diesem mitteilte, er habe den sowjetischen Botschafter Andropow zu sich gerufen und ihm erklärt, dass die ungarische Regierung den Warschauer Pakt aufkündigt, die Neutralität Ungarns proklamiert und sich an die Vereinten Nationen wendet, um die Hilfe der vier Großmächte zur Verteidigung seiner Neutralität zu erlangen. Er gab gleichzeitig bekannt, dass er selbst das Außenministerium übernehme, „um eine entsprechende Politik hinsichtlich des Warschauer Paktes zu gewährleisten.“31 Damit hatte er nicht nur die Durchführung des Plans seines Vorgängers Rajk, sondern auch dessen Amt als Außenminister übernommen.

Einen Tag später, am 2. November, tagte die Leitung der Partei der Ungarischen Werktätigen und gründete sich – da es ja nun wieder eine legale sozialdemokratische Partei im Lande gab – um; sie nannte sich nunmehr „Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei“ (USAP). Ihrem Vorstand gehörten außer Janos Kadar auch Imre Nagy und andere Mitglieder der Führung der bisherigen Partei der Ungarischen Werktätigen an. Danach nahm Kadar in einer Radioansprache eine sehr widersprüchliche Haltung ein. Zum einen bekräftigte er den revisionistischen Grundkurs der Verteufelung der Rakosi-Führung mit den Worten: „Unsere Partei bricht für immer mit den Verbrechen der Vergangenheit und wird gegen alle die Ehre und die Unabhängigkeit Ungarns verteidigen.“ Das war eine Bekräftigung der Nagy-Erklärung über den Austritt aus dem Warschauer Pakt und über die Neutralität Ungarns. Er fuhr fort: „Die ungarische Jugend“ – damit waren die Studenten gemeint, die den Aufstand begannen! – „hat nicht ihr Blut vergossen,“ – im Kampf gegen die bewaffneten Kräfte der Volksrepublik Ungarn! – „um die Tyrannei von Rakosi durch die Tyrannei einer Gegenrevolution zu ersetzen. Wir haben nicht gekämpft, damit aus den Händen der Arbeiterklasse die Bergwerke und die Fabriken und aus den Händen der Bauernschaft der ihnen zugeteilte Boden wieder genommen werden. Wir wollen nicht wieder in die Sklaverei des alten Regimes der feudalen Herrenklasse fallen.“ Mit Bezug auf die schon am Vortage durch Radio bekannt gegebene Nachricht, dass neue Einheiten der Sowjetarmee nach Ungarn verlagert worden seien, sagte Kadar, „es bestehe die Gefahr, dass die Intervention einer ausländischen Macht unserem Land das Schicksal Koreas bereitet.“32 Diese insgesamt vieldeutige Erklärung lässt darauf schließen, dass sich Kadar und andere nun auch auf die Möglichkeit einstellen, dass die von ihnen als Regierungsmitglieder mitgetragene Politik Nagys doch noch am Eingreifen der Sowjetunion scheitert und deshalb eine Rückzugsstellung vorbereitet werden musste. Denn inzwischen hatte, nach der Proklamation des Austritts aus dem Warschauer Pakt, der weiße Terror eine bisher ungekannte Steigerung erfahren. Am 2. November berichtete der Reuter-Korrespondent: „Seit gestern herrscht Menschenjagd in den Straßen von Budapest.“ Systematisch wurden Menschen „gehetzt, gejagt und wie Hunde erschlagen, an Laternen und Balkons aufgehängt. Szenen, die an die Wiederkehr der ´Weißen´ in Ungarn von 1919 erinnern, spielen sich im ganzen Lande ab.“33

Nie in meinem Leben werde ich diese Tage anfangs November 1956 vergessen, in denen ich zusammen mit meinen Genossen und Kollegen Tag für Tag im Radio mit Entsetzen und ungläubigem Zorn die Schreckensnachrichten über die Kommunistenjagd und die Mordorgien der weißen Banden in Budapest verfolgte und wir uns immer wieder fragten: Wie ist es nur möglich, dass dies alles geschehen kann, obwohl die Panzer der Roten Armee im Lande stehen? Wie kann man sich das früher ganz und gar Unmögliche erklären, dass die Armee der Sowjetunion Gewehr bei Fuß zusieht, wie Kommunisten von weißen Banditen gelyncht und aufgehängt werden? Wann werden sie denn dem endlich Einhalt gebieten?

Am 4. November 1956 – unverständlich spät! – war es endlich so weit: Die Sowjetarmee griff ein und zerschlug alle Hoffnungen der Nagy und ihrer Hintermänner in Belgrad, Washington und Bonn und wo sonst noch immer. Offenbar in Absprache mit sowjetischen Stellen hatte Janos Kadar am gleichen 4. November sich von Nagy abgesetzt und von Szolnok aus eine „revolutionäre Gegenregierung“ ausgerufen, der er als Ministerpräsident vorstand.34

Imre Nagy und einige andere seiner Minister und Anhänger offenbarten nun auch noch ganz unzweideutig, in wessen Interesse und Auftrag sie gehandelt hatten, indem sie in die jugoslawische Botschaft flüchteten. Von dort aus wollten sie nach Jugoslawien ausreisen. Aber der Bus, in dem sie am 22. November die Reise antraten, landete statt in Belgrad in Bukarest.35 Erst 1958 lieferte die rumänische Regierung Nagy den ungarischen Behörden aus, und nun erhielt auch er – wie seinerzeit Rajk – seinen Prozess, diesmal aber nicht unter Matyas Rakosi als Parteichef, sondern unter seinem ehemaligen Mitverschworenen, Janos Kadar – der ihm gerne geholfen hätte, aber nicht helfen konnte, wollte er seine eigene Stellung an der Spitze der Partei und der Regierung nicht gefährden.36 Der Prozess wurde am 6. Februar 1958 eröffnet als „Strafprozess Imre Nagy und Komplizen“, und wurde am 15. Juni mit dem Todesurteil gegen Nagy und weitere drei Angeklagte und Freiheitsstrafen von 5 Jahren bis lebenslänglich gegen weitere fünf Angeklagte beendet.

Nachdem so auch der zweite Versuch der Durchführung des Programms gescheitert war, dessen Umrisse im Rajk-Prozeß enthüllt worden waren, ergab sich erst nach vier Jahrzehnten, 1989/90, die Gelegenheit zum dritten, diesmal – dank Gorbatschow – erfolgreichen Versuch zu dessen Vollendung. Wiederum fanden sich „gestandene Kommunisten“, die ihr ganzes politisches Leben „im Dienste der Partei“ verbracht hatten, die sich jetzt mit Eifer der Beseitigung der Volksrepublik Ungarn und ihrer Umwandlung in das heutige kapitalistische Ungarn widmeten und auch mit sichtlichem Vergnügen dabei halfen, die sozialistische Ordnung in anderen Ländern, wie z.B. der DDR, zu untergraben und zum Einsturz zu bringen. Es genügt, an den damaligen ungarischen Außenminister Gyula Horn zu erinnern, der sich in diesem Jahr des 10. „Jubiläums“ der Grenzöffnung zu Österreich, die er am 27. Juni 1989 gemeinsam mit dem österreichischen Außenminister Mock vollbracht hatte, feiern ließ, und der als Ministerpräsident des „neuen“, in Wahrheit alten, kapitalistischen Ungarn, der er zeitweilig war, das Land so regierte, dass man meinen konnte, er benutze das Rajksche Drehbuch der Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung als Vorlage.

Die Geschichte selbst hat also die Anklagen im Rajk-Prozeß als begründet, die Rehabilitierung der Verurteilten dagegen als konterrevolutionäre Geschichtslügen offenbart, deren Wirkung auf die Massen die nachträgliche Durchführung des Programms der Rajk und Komplizen ermöglichen sollte und zum Unglück des ungarischen Volkes schließlich auch ermöglicht hat. Wer wissen will, wohin die nach dem XX. Parteitag und erneut nach dem Sieg der Konterrevolution von 1989/90 Rehabilitierten das Land führen wollten, der sehe sich an, wohin die Rehabilitierer es geführt haben!

Wylko Tscherwenkoff, Generalsekretär des ZK der Kommunistischen Partei Bulgariens, enger Mitarbeiter Georgi Dimitroffs. Tscherwenkoff wurde nach dem Tode Dimitroffs zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Bulgariens gewählt.

Dimitroffs Tod – er starb am 2. Juli 1949 – war ein schwerer Verlust für die Partei und für die ganze kommunistische Weltbewegung. Sein weltweites Ansehen als der Held von Leipzig, der als Gefangener der Nazifaschisten diesen ihre erste Niederlage beibrachte, seine riesigen Klassenkampferfahrungen und seine unanfechtbare Autorität als eine der größten Führerpersönlichkeiten der kommunistischen Bewegung, fehlten gerade jetzt, da es galt, den Kampf um die Liquidierung der revisionistischen Agentur in der bulgarischen – und wie sich nur zu bald zeigen sollte, sogar in der sowjetischen! – Partei erfolgreich zu Ende zu führen. Für den Erfolg dieses Kampfes im eigenen Lande hatte Dimitroff auf dem letzten Parteitag der bulgarischen Partei, den er noch erlebte, ein festes Fundament gelegt.

Der V. Parteitag der Bulgarischen Arbeiterpartei – auf ihm wurde die Umbenennung in Kommunistische Partei Bulgariens beschlossen – wurde am 19. Dezember 1948 eröffnet, also ein halbes Jahr nach der 2. Beratung des Informationsbüros der Kommunistischen Parteien und deren Resolution „Über die Lage in der Kommunistischen Partei Jugoslawiens“. Diese Resolution trug neben der Unterschrift Tscherwenkoffs auch die von Traitscho Kostoff als Vertreter der bulgarischen Partei (ebenso wie die Slanskys und Geminders, der Verurteilten im Slansky-Prozeß, als Vertreter der KP der Tschechoslowakei). In seinem Referat ging Dimitroff mit keinem Wort auf diese Resolution ein, erwähnte auch mit keinem Wort Tito und Jugoslawien. Dennoch enthielt dieses Referat an mehreren Stellen eindeutige Verurteilungen der politischen Linie der Tito-Partei. Dies allein schon durch die mehrfache Erwähnung von Ausführungen Stalins als richtungweisend für die bulgarischen Kommunisten. Vor allem aber durch seine Ausführungen zum Charakter und zu den Aufgaben der Volksdemokratien und zu den internationalen Aufgaben Bulgariens. Zu diesen Fragen führte er u.a. aus: „Der volksdemokratische Staat wird in Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Sowjetunion geschaffen. Ebenso wie die Befreiung des Landes … setzt auch die weitere Entwicklung unserer Volksdemokratie die Aufrechterhaltung sowohl enger Beziehungen wie auch aufrichtiger Zusammenarbeit, gegenseitiger Hilfe und Freundschaft unseres Landes mit dem großen Sowjetstaat voraus. Jede Tendenz zur Schwächung der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ist gegen die Existenzgrundlagen der Volksdemokratien in unserem Lande selbst gerichtet.

Der volksdemokratische Staat gehört zum demokratischen, antiimperialistischen Lager. Nur durch die Teilnahme an dem einigen, demokratischen, antiimperialistischen Lager, an dessen Spitze der mächtige Sowjetstaat steht, kann jedes Land der Volksdemokratie seine Unabhängigkeit, Souveränität und Sicherheit vor den Angriffen imperialistischer Kräfte gewährleisten. … Die Volksdemokratien kämpfen für den Internationalismus. … Nationalismus ist mit Volksdemokratie unvereinbar. … Die Erziehung im Geiste des proletarischen Internationalismus und der Treue zur eigenen Heimat heißt vor allem, das Bewusstsein von der entscheidenden Wichtigkeit der fest gefügten Einheitsfront der Länder der Volksdemokratie und der großen Sowjetunion zum Kampf gegen die Offensive aggressiver Kräfte der internationalen Reaktion und des Imperialismus zu entwickeln und zu festigen. Die ganze Zukunft unseres Volkes hängt einerseits von der Macht der Sowjetunion und andererseits von der Bereitschaft und Fähigkeit unseres Volkes ab, im Falle einer kapitalistischen Aggression seine Pflicht im allgemeinen Kampf würdig zu erfüllen. Im Zusammenhang damit bedeutet die Erziehung im Geiste des proletarischen Internationalismus auch die Stärkung der Einsicht, wie wichtig die völlige Übereinstimmung der Handlungen der Kommunistischen Parteien und die führende Rolle der KPdSU(B) ist. Denn die kommunistischen Parteien haben eine einheitliche Theorie als Anleitung zum Handeln, die Theorie des Marxismus-Leninismus, sie haben ein einmütiges Ziel in ihrer Politik, es gibt die große Partei Lenins, die führende Partei der internationalen Arbeiterbewegung. … Das Verhältnis zur Sowjetunion ist gegenwärtig der entscheidende Trennungsstrich zwischen dem Lager der Demokratie und dem der Reaktion in der inter-nationalen Arena, zwischen den Kriegsbrandstiftern und den Anhängern eines dauerhaften demokratischen Friedens.“37

Wegen seiner Krankheit, die ihn im März 1949 aus der aktiven Arbeit herausriss, war Dimitroff an den Vorbereitungen des Prozesses gegen den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Bulgariens, Traitscho Kostoff und seine Gruppe nicht mehr beteiligt. Durch den Prozess erfuhr die Öffentlichkeit, dass ebenso wie in Albanien und Ungarn englische und amerikanische Geheimdienste und die Belgrader Tito-Leute ein Agentennetz bis in die Partei- und Staatsführung hinein geknüpft hatten; mit seiner Hilfe sollte die Volksmacht gestürzt und Bulgarien als „7. Republik“ an Jugoslawien angeschlossen werden.

Der Hauptangeklagte Traitscho Kostoff konnte 1944, nach der Befreiung des Landes, in der nunmehr legalen und führend an der Macht beteiligten Kommunistischen Partei in eine Führungsposition aufsteigen, weil er – als leitender Funktionär der illegalen Partei, der 1942 zusammen mit sechs weiteren Genossen von der faschistischen bulgarischen Partei verhaftet, mit seinen Genossen vor Gericht gestellt und mit ihnen zum Tode verurteilt worden war -, als vermeintlich im Kampf bewährter Genosse das Vertrauen der Partei besaß. Dabei hatte sich damals offenbar keiner die Frage gestellt, wie es dazu kam, dass alle damals zum Tode Verurteilten auch hingerichtet wurden – außer ihm, der, obwohl er von allen die höchste Funktion in der illegalen Partei innegehabt hatte, zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt worden war. Er hatte der Partei verheimlicht, was jetzt im Prozess ans Tageslicht gefördert wurde, dass er nämlich, um den Misshandlungen und dem Todesurteil zu entgehen, sich schriftlich verpflichtet hatte, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Diese Verpflichtung wurde von den bulgarischen faschistischen Behörden an die Engländer, mit denen sie schon in Kriegszeiten geheime Kontakte geknüpft hatten, weitergegeben und von dem britischen Geheimdienstmann im Stabe der Alliierten Kontrollkommission für den Waffenstillstand mit Bulgarien, Oberst Bailey, im November 1944 dazu benutzt, Kostoff zur Zusammenarbeit mit ihm anzuwerben.38

Der Prozess begann am 7. Dezember 1949. Wie im Rajk-Prozeß in Budapest waren auch hier Pressevertreter aus sozialistischen und kapitalistischen Ländern und von bürgerlichen Presse-Agenturen als Prozessbeobachter zugelassen; darüber hinaus wurde der Prozess in Bulgarien auch durch Rundfunk übertragen. Die bürgerlichen Korrespondenten konnte ihren Redaktionen gleich am ersten Tage eine Sensation berichten: Der Hauptangeklagte Kostoff widerrief jene Teile seiner Aussagen in der Voruntersuchung, in denen er zugegeben hatte, mit der faschistischen bulgarischen Polizei, mit Tito und mit dem englischen Geheimdienst zusammengearbeitet zu haben. Nach der Urteilsverkündung am 14. Dezember widerrief er jedoch seinen Widerruf und bat in einem Gnadengesuch um die Umwandlung des Todesurteils in lebenslängliche Haft.39 Natürlich wurde und wird bis heute von allen, die diese Prozesse als von den „Stalinisten“ inszenierte „Schauprozesse“ hinstellen, Kostoffs Widerruf als Beweis für die Richtigkeit dieser ihrer Darstellung angeführt.

Wir aber halten uns daran, die Aussagen und Geständnisse der Angeklagten an den Tatsachen zu überprüfen; und da kommt das gleiche Ergebnis heraus wie schon im Fall des Rajk-Prozesses. Das soll hier nur an einem Beispiel, den Aussagen Kostoffs über die jugoslawischen Absichten hinsichtlich der Nachkriegsgestaltung des Verhältnisses zur Sowjetunion, vorgeführt werden. Über ein Gespräch mit Eduard Kardelj, dem zweiten Mann nach Tito in der jugoslawischen Führung, Ende November 1944, berichtet Kostoff: „Kardelj teilte mir vertraulich mit, die Engländer und Amerikaner hätten den jugoslawischen Partisanen während des Krieges unter der Bedingung Waffen und Munition geliefert, dass Tito nach Kriegsende Jugoslawien von der UdSSR fernhalten und nicht zulassen werde, dass die Sowjetunion ihrem Einfluss in Jugoslawien, ja auf dem Balkan überhaupt, Geltung verschaffe. … Kardelj erklärte, die jugoslawische Regierung beabsichtige, die UdSSR zu bitten, dass die Sowjettruppen Jugoslawien verlassen sollten, so bald die Kampfhandlungen auf seinem Gebiet abgeschlossen sein würden. ´Dies ist aber nicht ausreichend´, so sagte mir Kardelj, ´die Sowjettruppen müssen auch Bulgarien verlassen, denn die Amerikaner und die Engländer sind außerordentlich daran interessiert, dass sich der sowjetische Einfluss südlich der Donau nicht durchsetzt.´ Kardelj bemerkte, dass Tito und überhaupt die ganze jugoslawische Leitung einen sofortigen Anschluss Bulgariens an Jugoslawien als bestes Mittel zur Erreichung dieses Ziels ansähen, wobei die unter den Völkern Jugoslawiens und Bulgariens äußerst populäre Idee einer Föderation der Südslawen im Interesse der jugoslawischen Leitung ausgenutzt werden könnte. ´Dann´, so erläuterte mir Kardelj, ´wird Bulgarien nicht länger als feindlicher Staat angesehen werden, es wird zum Bestandteil einer alliierten Macht werden, und die Anwesenheit sowjetischer Truppen auf seinem Territorium wird sich als überflüssig, als durch nichts gerechtfertigt erweisen.´ … Kardelj unterstrich, dass man sich auch aus anderen Gründen beeilen müsse, solange G. Dimitroff noch nicht nach Bulgarien zurückgekehrt sei, da uns seine Rückkehr zusätzliche Schwierigkeiten bereiten würde. ´Georgi Dimitroff wird selbstverständlich entschieden gegen die erwähnte außenpolitische Orientierung des Einheitsstaates sein. Außerdem´, so betonte Kardelj, ´sind die Jugoslawen unbedingt dafür, dass Tito in dem zusammengefassten Staat sowohl der politische als auch der militärische Führer sein wird, da sie einen Nationalhelden in ihm sehen, der auch in Bulgarien populär ist. Es wird besser sein´, so fügte Kardelj hinzu, ´wenn Dimitroff in Moskau bleibt.´“40

Über ein Gespräch mit dem britischen Geheimdienstoberst Bailey auf einem Empfang am Neujahrstag 1945 berichtete Kostoff: „Im Zusammenhang damit sagte mir Bailey, dass schon während des Krieges eine Vereinbarung über die Nachkriegspolitik Jugoslawiens zwischen Tito und den Engländern mit Zustimmung der Amerikaner getroffen worden sei. Tito habe die Verpflichtung übernommen, Jugoslawien von der UdSSR und deren Freunden in Ost- und Südosteuropa fernzuhalten und eine Politik durchzuführen, die den besonderen politischen und strategischen Interessen des englisch-amerikanischen Blocks auf dem Balkan entspreche. ´Als Gegendienst´, so erklärte Bailey, ´hat Tito während des Krieges großzügige Unterstützung von den Engländern und den Amerikanern erhalten und wird ebensolche Unterstützung auch in Zukunft bekommen.´“41

Und nun vergleichen wir diese Aussagen mit folgenden Ausführungen eines C.F. Melville in der britischen Zeitschrift „The Fortnightly“, Nr. 935 vom November 1944 (S. 293 f.) in einem Artikel, überschrieben „The Future of Yugoslavia“ („Die Zukunft Jugoslawiens“). Melville gehörte offenbar zu den ja nicht gerade seltenen Auslandskorrespondenten, die über einen direkten Draht zu den Geheimdiensten verfügen und deshalb Dinge „voraussagen“ können, deren Grundlagen im Dunkeln bleiben müssen. Bei Melville können wir lesen: „Die Idee einer eventuellen Föderation zwischen Jugoslawien und Bulgarien unter russischer Ägide auf der Grundlage einer großen Südslawischen Föderation, regiert von einem linksorientierten agrarischen politischen System (´Left-wing agrarian political regime´) ist nicht unmöglich. Aber es ist keinesfalls unvermeidlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen Bulgarien und Jugoslawien geben wird und dass die Bewegung in Richtung Einheit bis zu einer Zollunion gehen wird. Aber die Idee eines großen jugoslawisch-bulgarischen Blocks als einer spezifisch russischen Interessensphäre … ist eine, die den neuen jugoslawischen Führern nicht empfehlenswert ist (´is one which is not likely to commend itself to the new leaders of Yugoslavia´). … Marschall Tito und seine Genossen und das neue Jugoslawien, das sie schaffen, haben natürlich tiefe Sympathie für das neue Russland. Die Beziehungen zwischen beiden werden unvermeidlich enge und freundschaftliche sein. Aber das kräftige Gefühl der Unabhängigkeit, das jeden Jugoslawen erfüllt, wird es sicherlich nicht zulassen, dass das Land ein reiner Satellit Russlands wird. Das wird viel wahrscheinlicher mit Bulgarien als mit Jugoslawien der Fall sein. Die neuen Führer Jugoslawiens wollen eine Politik verfolgen, die auf Zusammenarbeit mit beiden, mit Russland und mit England beruht, und wahrscheinlich auch mit dem neuen Frankreich. Nach meiner Ansicht wäre es ein großer Fehler unsererseits, davon auszugehen, dass, während Griechenland natürlich unser

Freund auf dem Balkan bleiben wird, wir uns mit einem Jugoslawien unter russischer Vormundschaft abfinden müssten. Wir brauchen beide, Jugoslawien und Griechenland, als unsere Freunde auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeer. Und es kann gesagt werden, dass weit vorausschauende Leute in Jugoslawien in gleicher Weise die Notwendigkeit der Freundschaft Großbritanniens empfinden. Nach dem Kriege wird Britannien viel tun können, um die Freundschaft zu pflegen und zu entwickeln, die durch die Waffenbrüderschaft zementiert wurde.“

Der Artikel Melvilles schildert im großen Überblick die Entwicklung der Zusammenarbeit Titos mit der militärischen und politischen Führung Englands und ist damit eines der frühesten publizistischen Zeugnisse dafür, wie stark der Einfluss der Briten und Churchills persönlich bereits damals auf die politischen Entscheidungen Titos war. Der Kostoff-Prozess hat das, was bei Melville nur andeutungsweise erkennbar ist, in Gänze ans Tageslicht gebracht.

Wylko Tscherwenkoff hat mit dem Kostoff-Prozess im Sinne Dimitroffs die sozialistische Ordnung Bulgariens verteidigt, sich damit aber – wie Rakosi – den unversöhnlichen Hass Titos und von dessen Freunden und Beschützern zugezogen. Am 16. April 1956 musste er seinen Rücktritt als Ministerpräsident erklären! Weshalb? Natürlich „wegen Fehlern“!

Zu den führenden hervorragenden Persönlichkeiten der internationalen Kommunistischen Bewegung und der sozialistischen Staaten gehören unbedingt auch Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht. Über ihre Rolle – vor allem diejenige Walter Ulbrichts – im Kampf gegen den Revisionismus wird in den Abschnitten des 2. Teils42 zu sprechen sein, die sich mit der Deutschen Demokratischen Republik beschäftigen.

Solange – wie noch 1953 – eine solche Phalanx hervorragender Führer kommunistischer Parteien gegen ein Abweichen der kommunistischen Bewegung vom marxistisch-leninistischen Kurs stand, mussten Chrustschows Ziele unerreichbar bleiben. Er musste deshalb nach Wegen suchen, sie von ihren Führungspositionen zu verdrängen, und zwar sowohl in der eigene Partei als auch in den Bruderparteien. In der KPdSU trat nach Stalins Tod die neue Führung zunächst als ein Kollektiv auf, mit der Begründung, kein einzelner von ihnen könne die Nachfolge der überragenden Persönlichkeit Stalins antreten, das könnte nur ein Führungskollektiv. In diesem ursprünglichen Kollektiv der wichtigsten Politbüro-Mitglieder rangierte Chrustschow erst an vorletzter Stelle, hinter dem Ministerpräsidenten G.N. Malenkow, der auf dem letzten, dem XIX. Parteitag 1952, anstelle Stalins den Rechenschaftsbericht gegeben hatte; auch hinter L. P. Berija, 1. Stellvertreter des Ministerpräsidenten und Innenminister, und hinter W.M. Molotow ebenfalls 1. Stellvertreter des Ministerpräsidenten und Außenminister. Erst dann kam Chrustschow als Sekretär des Zentralkomitees und als letzter N. A. Bulganin, stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister. Aber es dauerte nur fünf Jahre, und von der „kollektiven Führung“ war nur noch Chrustschow übrig geblieben. Die Stufen zu seiner Ein-Mann-Führung sahen so aus:

Sommer 1953: Auf Initiative vor allem Chrustschows wurde Berija verhaftet und auf dem Juli-Plenum des ZK von 1953 in seiner Abwesenheit beschuldigt, ein imperialistischer Agent und Spion zu sein, es wurde beschlossen, ihn aus der KPdSU auszuschließen und dem Gericht zu übergeben. Das ist nach offiziellen Angaben geschehen und endete im Dezember 1953 mit einem Todesurteil und seiner Erschießung.

Nächste Stufe: Im Februar 1955 wird Malenkow als Ministerpräsident „wegen Mängeln in der Arbeit“ abgesetzt. Sein Nachfolger wird der bisherige Verteidigungsminister Bulganin. Aber auch er bleibt nicht lange Chef der Regierung.

Letzte Stufe, März 1958: Bulganin wird als Ministerpräsident von Chrustschow abgelöst. Der vereinigt jetzt in seinen Händen die Führung der Partei und des Staates, verfügt also über eine Machtfülle wie vor ihm nur Stalin. Er konnte nun – was die Situation im Innern betraf – davon ausgehen, dass ihm niemand mehr unüberwindliche Hindernisse in den Weg stellen konnte, zumal seine gefährlichsten Gegner, Molotow und Kaganowitsch, ihm durch einen Versuch, ihn durch einen Mehrheitsbeschluss des Parteipräsidiums abzusetzen, die Möglichkeit gegeben hatten, den Spieß umzudrehen. Zunächst hatte die Präsidiumsmehrheit in einer Sitzung im Juni 1957 in der Tat Chrustschow für abgesetzt erklärt; aber eine sofort von dessen Leuten einberufene ZK-Tagung hatte nun ihrerseits seinem Antrag auf Ausschluss Molotows und Kaganowitschs aus dem Politbüro und dem ZK zugestimmt. Chrustschow ließ 1961 beide auf dem XXII. Parteitag auch aus der Partei ausschließen.

Chrustschows Wünschen, auch mögliche harte Gegner seines Kurses an der Spitze der Bruderparteien durch Leute seiner Wahl ersetzt zu sehen, kam das Schicksal – oder wie man das bezeichnen mag -, durch einige plötzliche Todesfälle entgegen.

Am 14. März 1953 starb im Alter von 57 Jahren Klement Gottwald an den Folgen einer Erkältung, die er sich in Moskau bei den Trauerfeierlichkeiten für Stalin zugezogen hat, wie es in einer offiziellen Verlautbarung hieß. (ND vom 15.3.1953)

Am 12. März 1956 starb im Alter von 66 Jahren Boleslaw Bierut in Moskau, wo er am XX. Parteitag teilgenommen hat, an einem Herzinfarkt. (Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie, Nr. 11, 1956.) Damit wurde der Weg frei für die Rückkehr Gomulkas an die Spitze der Partei, die er schon einmal bis 1948 als Generalsekretär der Polnischen Arbeiterpartei inne gehabt hatte.

Am 11. Juli 1964 starb Maurice Thorez im Alter von 64 Jahren an Bord des sowjetischen Schiffes „Litwa“ auf einer Urlaubsreise an Herzschlag. (ND vom 13.7.1964).

Am 24. August 1964 starb Palmiro Togliatti im Alter von 71 Jahren nach seiner Ankunft in Jalta, wo er an einer Konferenz teilnehmen wollte, für die er ein umfangreiches Memorandum ausgearbeitet hatte zu den Fragen, die auf der Konferenz behandelt werden sollten. Darin sprach er sich auch ausdrücklich gegen die Absichten aus, die KP Volkschinas aus den Reihen der kommunistischen Parteien auszuschließen. Das richtete sich, ohne ihn zu nennen, gegen Chrustschow, zu dessen Konferenzzielen es gehört hatte, die Zustimmung aller anderen teilnehmenden Parteien zum völligen Bruch mit der KP Volkschinas zu erlangen. Die KP Italiens veröffentlichte das Memorandum Togliattis und fügte ihm eine Erklärung an, in der es unter anderem hieß: „Das Memorandum … wurde vom Genossen Togliatti wenige Stunden, bevor ihn die tödliche Krankheit für immer niederwarf, fertig gestellt. … Auch seine letzte Schrift … bezeugt, dass sich Genosse Togliatti bis zum letzten Augenblick mit Kraft und Klarheit der Arbeit widmete. Nichts lässt das Eintreten der schrecklichen Krankheit vorausahnen…“43

Im März 1953 waren noch alle diese hervorragenden kommunistischen Führer auf ihren Posten, und es ist schon sehr bezeichnend, dass das erste Land und der erste Mann, die zu spüren bekamen, dass aus Moskau jetzt ein anderer Wind wehte, das Land war, das von seinem imperialistischen Nachbarn als sein eigenes Staatsgebiet beansprucht und damit am meisten gefährdet war, nämlich die Deutsche Demokratische Republik, und der Mann, der von den Feinden der DDR am meisten gehasst und ihren massivsten Angriffen ausgesetzt war – Walter Ulbricht, weil er der härteste Widersacher aller Versuche war, die DDR vom Wege des Sozialismus abzudrängen. Er stand damit – wie sich zeigte – auch jenen Leuten in Moskau im Wege, deren Exponent damals, einer Auskunft Molotows zufolge, Berija war. Molotow berichtet über eine Besprechung im Politbüro der KPdSU im Frühjahr 1953 über die Situation in der DDR. Dort habe Berija den Standpunkt vertreten: „Wozu muss man in der DDR Sozialismus machen, wenn sie nur ein friedliches Land ist, genügt uns das; was für ein Land, das ist dann unwichtig.“ Molotow trat – seinem Bericht zufolge – Berija entschieden entgegen und erklärte, er hielte es für sehr wichtig, welchen Weg die DDR beschreite, sie sei ein hoch entwickeltes kapitalistisches Land im Zentrum Europas und obwohl nur ein Teil Deutschlands, hänge vieles von ihr ab. Deshalb müsse fester Kurs auf den Aufbau des Sozialismus gehalten werden, jedoch ohne sich zu übereilen.44 Dieser Besprechung im Politbüro der KPdSU folgte eine Einladung an Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Fred Oelßner zu einer „Beratung“ nach Moskau. Bei dieser „Beratung“, die in Wahrheit einem Befehlsempfang gleichkam,45 wurde den Genossen aus Berlin ein fertiges Dokument in die Hand gedrückt mit der Überschrift: „Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik“, in dem alle Maßnahmen der Partei und der Regierung der DDR der letzten Monate, – die zu einem großen Teil auf Empfehlungen und Forderungen der Sowjetischen Kontroll-Kommission (SKK) zurückgingen! – für falsch und fehlerhaft erklärt wurden, und verlangt wurde, sie rückgängig zu machen. Verlangt wurde auch, alle landwirtschaftlichen Genossenschaften aufzulösen, „die sich als lebensunfähig gezeigt haben“, in der DDR seien nur einfache Formen der Genossenschaften lebensfähig, in der der Boden gemeinsam bearbeitet würde, „ohne dass die Produktionsmittel vergesellschaftet werden“. Die Forderung nach Auflösung der „lebensunfähigen“ Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wurde in der DDR dank Walter Ulbrichts und der Mehrheit des ZK der SED nicht durchgeführt; – diese Forderung aber entsprach genau dem, was Gomulka in Polen praktizierte, nachdem er im Oktober 1956 mit Chrustschows Hilfe an die Macht gehievt worden war; er hat damit neun Zehntel der bestehenden Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften liquidiert und die Landwirtschaft Polens mit der Verewigung zwerghafter Familienbetriebe so sehr auf den Hund gebracht, dass die jetzigen konterrevolutionären Regierungen Polens mit dieser Landwirtschaftsstruktur die allergrößten Schwierigkeiten haben mit der „Europäischen Union“. Aber was Gomulka 1956 an konterrevolutionärer Landwirtschaftspolitik betrieb, das war – wie das sowjetische Dokument von 1953 zeigt -, durchaus kein original polnisches Gewächs, sondern der allgemeingültige revisionistische Weg zur Verhinderung des Sozialismus in der Landwirtschaft, den die Chrustschow-Führung den sozialistischen Ländern aufzuzwingen versuchte.

Doch zurück zur DDR. Nach ihrer Rückkehr aus Moskau stand die Führung der SED vor der aufgezwungenen Aufgabe, den Moskauer Forderungen entsprechende Maßnahmen durchzuführen und sie dem Partei- und dem Staatsvolk plausibel zu erklären. Aber auch dafür ließen ihnen die neuen Männer in Moskau keinen Freiraum. Der am 27. Mai 1953 – nach Auflösung der SKK – zum „Hohen Kommissar“ der Sowjetunion in der DDR ernannte W.S. Semjonow verlangte von der SED-Führung einen Wortlaut des Kommuniques, mit dem der „neue Kurs“ verkündet werden sollte, von dem der zu seiner Abfassung verurteilte Rudolf Herrnstadt sagte: obwohl er es nach den gegebenen Anweisungen selbst geschrieben habe, könne er seiner Veröffentlichung nicht zustimmen; es würde „eine nicht zu verantwortende Schockwirkung in der Partei und in der Öffentlichkeit hervorrufen, die Partei desorientieren und erbittern und dem Gegner die Flanke öffnen“. Walter Ulbricht und Otto Grotewohl, denen er seine Bedenken mitteilte, waren genau der gleichen Ansicht. In einer Unterredung mit Semjonow sagte Herrnstadt dem dann auch: „So darf man den Kurswechsel nicht einleiten. Das Kommunique kann nur Verwirrung stiften.“ Darauf Semjonow: „Das Kommunique muss morgen in der Zeitung stehen.“ Herrnstadt hatte dennoch versucht, Semjonow umzustimmen, indem er ihm sagte: „Geben Sie uns 14 Tage, und wir können den Kurswechsel so überzeugend und fortreißend begründen, dass wir mit ihm in die Offensive gehen und nicht der Gegner.“ Darauf gab Semjonow „sehr scharf und von oben herab“ die geradezu ungeheuerliche Antwort: „In 14 Tagen werden Sie vielleicht schon keinen Staat mehr haben.“46 So erschien das Kommunique dann am 11. Juni 1953 und tat genau die von Herrnstadt, Ulbricht und Grotewohl vorhergesehene und befürchtete Wirkung: es „desorientierte und erbitterte die Partei und öffnete dem Gegner die Flanke“. Diese Vorgänge und die zitierte Antwort Semjonows sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass es bereits zu diesem frühen Zeitpunkt, nur drei Monate nach Stalins Tod, in der neuen Führung Leute gab, die mit dem Gedanken spielten, die DDR der BRD preiszugeben – gegen entsprechende Gegenleistungen, versteht sich.

Und wenn schon das nicht gelang, dann sollte der 17. Juni wenigstens dazu ausgenutzt werden, Walter Ulbricht zu stürzen. In den heftigen Diskussionen im Politbüro und im Zentralkomitee wurde von verschiedenen Genossen sein Rücktritt gefordert, und Herrnstadt brachte den Vorschlag ein, als neuen 1. Sekretär Wilhelm Zaisser, damals Minister für Staatssicherheit, zu wählen. Dieser Vorschlag war offenbar mit einigen Leuten im Moskauer Politbüro abgestimmt, war doch Berija als Chef der sowjetischen Staatssicherheit Zaissers sowjetischer übergeordneter Amtskollege. Heinz Brandt, zur Zeit des 17. Juni 1953 noch Sekretär für Agitation und Propaganda in der Bezirksleitung Berlin der SED, später Überläufer und eines der für manchen noch so sehr notwendigen Beispiele dafür, dass einer ein Feind sein und dennoch jahrelang im Parteiapparat in hoher verantwortlicher Position unerkannt bleiben und als zuverlässiger Genosse gelten kann, – dieser durch seine Funktion gut informierte Heinz Brandt schrieb in einem Buch über die Situation im Juni 1953: „Der Kreml verlangte ultimativ, dass die bisherige SED-Politik liquidiert werde, er verlangte sogar einen Wechsel in der Führung, er war bereit, die DDR eventuell sogar aufzugeben, um über Churchills Mittlerrolle zu einem Agreement mit den USA zu gelangen. Es hatte sich eine einmalige Konstellation für die demokratische und friedliche Wiedervereinigung Deutschlands ergeben, für die katastrophenlose Liquidierung des unseligen ´sozialistischen´ DDR-Abenteuers.“47 Der gleiche Heinz Brandt ließ am 23. April 1981 in einer Sendung des RIAS mit dem Titel „Die DDR vor der Mauer“ wissen, dass Semjonow am 9. Juni schon eine neue Liste für das Politbüro fertig hatte, mit Herrnstadt an der Spitze. Dieser erste, aber keineswegs letzte Versuch, Walter Ulbricht zu stürzen, schlug fehl, nicht zuletzt deshalb, weil sein damaliger Hauptbetreiber in der sowjetischen Parteiführung, der Inspirator und Schutzherr Zaissers, Berija, gerade in diesen Tagen in Moskau selbst gestürzt wurde. Kurzum, so früh hatten wir es schon mit dem ersten Fall der Bereitschaft der neuen Führung in Moskau zur Preisgabe der DDR und mit dem Versuch, Ulbricht zu stürzen, zu tun. Das ist wichtig zu wissen, um den weiteren Verlauf der Dinge in der DDR besser zu verstehen.

Zwei Jahre später, im Mai 1955, führte Chrustschow einen Streich, der sich gegen die gesamte kommunistische Bewegung richtete und darauf abzielte, vom Tito-Revisionismus den Stempel der Abtrünnigkeit zu entfernen, der ihm zurecht mit dem Beschluss des Informationsbüros der Kommunistischen und Arbeiterparteien von 1948 aufgedrückt worden war und der sich als eine wirksame Schutzimpfung gegen die Ausbreitung der revisionistischen Krankheit bewährt hatte. Dieser Streich war ferner darauf berechnet, den revisionistischen Kräften in den kommunistischen Parteien und in den sozialistischen Ländern, deren Wirkungsmöglichkeiten durch diesen Beschluss sehr eingeengt worden waren, nun ungehinderte Betätigungsmöglichkeiten und womöglich noch – als „zu Unrecht Verfolgten“ – eine privilegierte Position zu verschaffen. Dieser Streich kam also einer vorsätzlichen Infizierung des kommunistischen Organismus mit einer lebensgefährlichen Krankheit gleich.

Es handelt sich dabei um die Erklärung, mit der Chrustschow bei seinem Besuch Jugoslawiens an der Spitze einer sowjetischen Delegation im Mai 1955 die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Jugoslawien begründete. Er tat das mit einer Erklärung, die – wie er das immer wieder zu tun beliebte – von dem ihm Aufgetragenen in einer Weise abwich, durch die schädliche, aber ohne schwerwiegende Komplikationen kaum wieder zurückzunehmende Fakten geschaffen wurden; in diesem Falle mit einer Erklärung über die Ursachen des Zwistes zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion, die die Wahrheit dreist auf den Kopf stellte.

In seiner Begrüßungsansprache auf dem Flugplatz in Belgrad am 26. Mai erklärte er nämlich dem „Teuren Genossen Tito“, dass diese Entzweiung ganz allein von der sowjetischen Seite ausgegangen sei; wörtlich: „Wir haben eingehend die Materialien überprüft, auf denen die schweren Anschuldigungen und Beleidigungen beruhten, die damals gegen die Führer Jugoslawiens erhoben wurden. Die Tatsachen zeigen, dass diese Materialien von Volksfeinden, niederträchtigen Agenten des Imperialismus, fabriziert waren, die sich durch Betrug in die Reihen unserer Partei eingeschlichen hatten.“48 Das wagte er zu sagen, obwohl er und die ganze Welt wusste, dass der „Teure Genosse Tito“ sein Land 1953 in den imperialistischen Balkanpakt hineingezogen hatte und Jugoslawien mitten im Kalten Krieg der USA gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten von den USA mit Waffen beliefert wurde, natürlich nicht, ohne dass die sich die Kontrolle über deren Verwendung vorbehielten.49 Seine Flugplatzerklärung war eine wohl berechnete Lüge, welche die „Schutzimpfung“ der Erklärung von 1948 wirkungslos machen sollte und in der Tat – wie wir schon gesehen haben – auch gemacht hat.

Wie gewissenlos dieser Mann an der Spitze der KPdSU diese für die sozialistische Welt lebensgefährliche Lüge vorbrachte, wird besonders deutlich durch die Selbstwiderlegung, zu der er sich drei Jahre später gezwungen sah, um seine Position zu behaupten, nachdem sich Tito als Mitinitiator der Konterrevolution in Ungarn 1956 erwiesen hatte und dadurch in der ganzen kommunistischen Bewegung der Revisionismus als die Hauptgefahr erkannt worden war. Jetzt, zum Aussprechen der Wahrheit gezwungen, hörte man von ihm auf dem VII. Parteitag der KP Bulgariens im Juni 1958 dies: „Besonders gefährlich für die revolutionäre Bewegung sind diejenigen, die sich selbst Marxisten-Leninisten nennen, in Wirklichkeit aber, ob sie es wollen oder nicht, die Rolle einer Agentur des Klassenfeindes in der Arbeiterbewegung spielen.“ Damit hatte er – natürlich ohne das zu beabsichtigen – ein treffendes Selbstportrait gezeichnet! Sein Text geht dann wie folgt weiter: „Der moderne Revisionismus ist eine Art trojanisches Pferd. Die Revisionen versuchen, die revolutionären Parteien von innen zu zersetzen, die Einheit zu unterminieren und Verwirrung und Durcheinander in die marxistisch-leninistische Ideologie zu tragen. Im Jahre 1948 nahm die Konferenz des Informbüros eine Resolution ´Über die Lage in der KP Jugoslawiens´ an, die eine berechtigte Kritik an der Tätigkeit der KP Jugoslawiens in einer Reihe prinzipieller Fragen enthielt. Diese Resolution war im wesentlichen richtig und entsprach den Interessen der revolutionären Bewegung.“50

Chrustschow konnte sich nun, im Juni 1958, zu dieser Selbstwiderlegung umso leichter bereit finden, als er sicher sein konnte, dass dadurch die mit der Lüge von 1955 beabsichtigten und erreichten verhängnisvollen Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten, nämlich die Besetzung der Spitzen der polnischen und der ungarischen Partei mit neuen Führern nach Chrustschows und Titos Wahl in der Person Gomulkas, Imre Nagys und Kadars, sowie die Erzeugung einer Massenstimmung des Misstrauens gegen die alten Führer, ohne die es der Konterrevolution 1956 in Polen und Ungarn nicht gelungen wäre, große Teile der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen.

Wir sagten vorhin, dass Chrustschows Unschuldserklärung für Tito von 1955 darauf berechnet war, die Schranken gegen das Eindringen des Revisionismus in die Reihen der wirklichen kommunistischen Parteien niederzulegen. Jeder Mensch, der über normales Denkvermögen verfügt, musste sich nach dieser Erklärung sagen: Wenn Tito zu Unrecht beschuldigt wurde, ein Agent des Imperialismus zu sein, dann sind auch alle jene zu Unrecht beschuldigt, denen „Titoismus“ vorgeworfen wurde oder die als Tito-Agenten vor Gericht gestellt und zu Zuchthaus oder gar zum Tode verurteilt wurden, wie Rajk in Ungarn, Kostoff in Bulgarien, Slansky in der Tschechoslowakei und Koci Xoxe in Albanien. Und dann sind die in diesen Ländern an der Spitze der Partei und des Staates stehenden Führer – die Bierut, Gottwald, Rakosi, Tscherwenkoff und Hodscha und weitere – nicht mehr vertrauenswürdig, sondern des Mordes an Unschuldigen schuldig.

All diese Verdächtigungen und Beschuldigungen hätten nie erhoben werden können, hätte Chrustschow nicht erst 1958, sondern schon 1955 die Wahrheit über die Rolle Titos und des Revisionismus als trojanisches Pferd des Imperialismus ausgesprochen. Aber was hatte er 1958 so treffend über die Absichten der Revisionisten ausgeführt?

„Die Revisionisten versuchen, die revolutionären Parteien von innen zu zersetzen, die Einheit zu unterminieren und Verwirrung und Durcheinander in die marxistisch-leninistische Ideologie zu tragen.“ Wer hätte das präziser formulieren können als er selbst, der Meister dieses schmutzigen Handwerks! (Starker Beifall)

Vortrag, gehalten auf der Konferenz „50 Jahre DDR – Für Sozialismus und Frieden – Zur Verteidigung des revolutionären Erbes“, Berlin, 20. und 21. November 1999. Veröffentlicht in “ Auferstanden aus Ruinen – Über das revolutionäre Erbe der DDR“, 20./21. November 1999: 50 Jahre DDR – Für Sozialismus und Frieden – Konferenz zur Verteidigung des revolutionären Erbes, Hrsg: „Offensiv“, S. 148-184

In diesem ersten Teil, einem Vortrag, gehalten auf der Konferenz „50 Jahre DDR – Für Sozialismus und Frieden – Zur Verteidigung des revolutionären Erbes“ (Berlin, 20. und 21. November 1999), geht es vor allem um die Entwicklung des Revisionismus in der Sowjetunion und den sozialistischen Länder Osteuropas. Kurt Gossweiler beabsichtigt, sobald es ihm die Umstände erlauben, in einem zweiten Teil die Entwicklung in der DDR und der SED zu behandeln. Der zweite Teil soll laut Ankündigung von „Offensiv“ in einem Sonderheft veröffentlicht werden. (Anmerkung der Redaktion von www.kurt-gossweiler.de)

Ausführliches dazu im Abschnitt „Wider den Chrustschow-Revisionismus“ in meinem Buche „Wider den Revisionismus“, Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung – Stefan Eggerdinger Verlag, München 1997, S. 37ff.

Der Fall Berija. Protokoll einer Abrechnung. Das Plenum des ZK der KPdSU, Juli 1953, Berlin, 1993, bes. ab S. 331.

Sahra Wagenknecht: Antisozialistische Strategien im Zeitalter der Systemauseinandersetzung. Zwei Taktiken im Kampf gegen die sozialistische Welt, Pahl-Rugenstein Nachfolger, Bonn 1995, S. 34.

Vortrag am 2. Mai 1993: Stärken und Schwächen der SED gegen den Revisionismus, in: Kurt Gossweiler, „Wider den Revisionismus“, S. 341ff

Vortrag am 12.1.1991: Hatte der Sozialismus nach 1945 keine Chance? In: Wider den Revisionismus, S. 289ff.

Kurt Gossweiler: Bemerkungen zu Fred Müllers „Würdigung und Schluss der Debatte“ in ´Offensiv´ 1/99″, in „offensiv“ 4/99 (irrtümlich „4/98“ ausgedruckt), S. 39ff.

N.S. Chrustschow, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPdSU an den XX. Parteitag, Berlin 1956, S. 46.

Erster Teil aus: Togliatti über Probleme des XX. Parteitages, in: Bayrisches Volksecho v. 25.Juni 1956; der letzte Teil aus: Palmiro Togliatti zur Stalin-Frage, in UZ (Unsere Zeit) v. 6. Oktober 1988.

Zusammengestellt aus: Karl Peters, Polen und der Weg zum Sozialismus, in Einheit, Theoretische Zeitschrift der SED, Nr. 11/1948, S. 1058 ff. Ferner: Informationsbulletin des Zentralkomitees der PVAP Auslandsabteilung Nr. 1-2, Januar-Februar 1952, Artikel v. Franciszek Jozwiak-Witold: Zum 10. Jahrestag der Gründung der Polnischen Arbeiterpartei.

Laszlo Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht, Dietz Verlag Berlin 1949, S. 156.

Titos Pula-Rede ist nachzulesen in: Archiv der Gegenwart vom 19. November 1956, S. 6105-6110.

Klement Gottwald, Bericht auf der Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei am 22. Februar 1951, Dietz Verlag Berlin 1951, S. 10, 32, 37 ff.

Klement Gottwald, Zu einigen innerparteilichen Fragen der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Rede auf der Tagung des ZK der KPC vom 6. Dezember 1951, Dietz Verlag Berlin, 1952, S. 3f, 15.

Prozess gegen die Leitung des staatsfeindlichen Versschwörungszentrums mit Rudolf Slansky an der Spitze, Gerichtsprotokoll. Justizministerium der CSR, 1953, S. 663 ff.

A.Y. Wyschinski, stellv. Außenminister der UdSSR, im Sommer 1948 über die Beziehungen Jugoslawiens zur Sowjetunion: „Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland wurden zwischen der Sowjetunion und Jugoslawiens die brüderlichsten Beziehungen hergestellt, es wurden wichtige Beschlüsse gefasst, Jugoslawien wirtschaftlich, militärisch und politisch in der internationalen Arena zu helfen, das wir als einen unserer treuesten und ideologischen Verbündeten betrachteten.“ Zitiert in: Enver Xoxha, Die Titoisten, Tirana 1983, S. 587.

Ausführlich dazu: Enver Hoxha, Die Titoisten, S. 301-556.

Ausführlich dazu: Ebenda, S. 557-632.

Zitiert aus: Klaus Steiniger, Tops und Flops. Die Geschäfte der USA-Geheimdienste, Berlin 1998, S. 38f. (Hervorhebungen von mir, K.G.)

Zitiert aus: Laszlo Rejk und Komplizen vor dem Volksgericht, Berlin 1949, S. 193, 195 ff

Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!, Nr. 27/1953. Im Sender „SFB“ wurde am 15.6.1983 in einer Sendung berichtet, Chrustschow habe von Rakosi die Ernennung Imre Nagys zum Ministerpräsidenten verlangt.

Für dauerhaften Frieden,… Nr. 28/1953

Für dauerhaften Frieden,…, Nr. 10/1955

Archiv der Gegenwart, S. 5292

Für dauerhaften Frieden…, Nr. 50/1955

Neues Deutschland v. 24.7.1956

Archiv der Gegenwart, S. 6106

Archiv der Gegenwart vom 4. November 1956, S. 6069

Ebenda, S. 6068

Ebenda, S. 6070. Zur Konterrevolution in Ungarn siehe auch die vier Hefte des Informationsbüros des Ministerrates der Ungarischen Volksrepublik: Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn; ferner: Die konterrevolutionäre Verschwörung von Imre Nagy und Komplizen. Dieser vom gleichen Büro herausgegebene Band enthält einen großen Teil der Materialien des Prozesses gegen Imre Nagy.

Archiv der Gegenwart, S. 6069

ebenda

Hans Adler, Zwischen Kairo und Budapest. Die Geschichte einer Verschwörung. Berlin 1957, S. 84f.

Archiv der Gegenwart, S. 6071

Die jugoslawische Version der Entführung Nagys und der mit ihm in die jugoslawische Botschaft Geflüchteten und der jugoslawische Protest ist im „Archiv der Gegenwart“, S. 6117f. wiedergegeben.

Im Deutschlandfunk wurde am 16.6.1983 in der Frühsendung 8.30 Uhr behauptet, Kadar habe sich vergeblich darum bemüht, das Todesurteil gegen Nagy zu verhindern.

Georgi Dimitroff, Ausgewählte Schriften, Db. 3, Berlin 1958, S. 567 f., 601 f., 605 f.

Traitscho Kostoff und seine Gruppe, Berlin 1951, S. 35 f., 93 f.

ebenda, S. 76-82, 639 f., 653 f.

Ebenda, S. 96 ff.

Ebenda, S. 105.

Siehe Anm. 1

Neues Deutschland vom 12. 9. 1964

Feliks Tschujew, 140 Gespräche mit Molotow, (russ.), Moskau 1991, S. 332-336

siehe dazu: Kurt Gossweiler, Hintergründe des 17. Juni 1953, in: Wider den Revisionismus, S. 47 ff.

Rudolf Herrnstadt, Das Herrnstadt-Dokument, hgg. von Nagja Stultz-Herrnstadt, rororo aktuell, 1990, S. 72-74

Heinz Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West. Frankfurt/M, 1985, S. 208

Siehe: Kurt Gossweiler, Wider den Revisionismus, S. 362

Siehe: Kurt Gossweiler, Einige Daten zur Rolle Tito-Jugoslawiens zwischen West und Ost, in: Offensiv 7/99, S. 39 f.

Kurt Gossweiler, Wider den Revisionismus, S. 363. Hervorhebung von mir, K.G.

 Comment 
on 27. März 1925
Veröffentlicht in: Stalin

‚Prawda‘, Nr. 27, 3. Februar 1925

Stalins Ratschläge an die KPD

Stalin im Gespräch mit dem Mitglied der KPD Wilhelm Herzog, 3. Februar 1925

.

Frage (Herzog):

Schätzen Sie die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der demokratisch-kapitalistischen Republik Deutschland so ein, dass die Arbeiterklasse in einer mehr oder minder nahen Zukunft den Kampf um die Macht führen muss?

Antwort (Stalin):

Es ist schwer, diese Frage mit strikter Entschiedenheit zu beantworten, wenn es sich um Termine und nicht um die Tendenz handelt. Er braucht nicht erst bewiesen zu werden, dass die gegenwärtige Situation sich sowohl den internationalen als auch den inneren Bedingungen nach wesentlich von der Situation des Jahres 1923 unterscheidet. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich die Situation in Anbetracht der Möglichkeit ernster Veränderungen in der äußeren Lage in der nächsten Zeit schroff zugunsten der Revolution ändern kann. Die Labilität der internationalen Lage ist eine Garantie dafür, dass diese Annahme sich als durchaus wahrscheinlich erweisen kann.

Frage:

Wird in Anbetracht der gegebenen ökonomischen Lage und der gegebenen Kräfteverhältnisse bei uns eine längere Vorbereitungsperiode notwendig sein, um die Mehrheit des Proletariats zu gewinnen – eine Forderung, die Lenin den kommunistischen Parteien aller Ländern als eine äußerst wichtige, vor der Eroberung der politischen Macht zu lösende Aufgabe stellte?

Antwort:

Insofern es sich um die ökonomische Lage handelt, kann ich die Angelegenheit nur anhand der allgemeinen Angaben einschätzen, über die ich verfüge. Ich denke, dass der Dawes-Plan schon einige Resultate gezeitigt hat, die zu einer relativen Stabilität der Lage geführt haben. Das Eindringen amerikanischen Kapitals in die deutsche Industrie, die Stabilisierung der Valuta, die Verbesserung einer der wichtigsten Bereiche der deutschen Industrie – was keineswegs eine gründliche Gesundung der deutschen Wirtschaft bedeutet – endlich eine gewisse Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiterklasse – all das musste zu einer gewissen Festigung der Positionen der Bourgeoisie in Deutschland führen. Das ist sozusagen die ‚positive‘ Seite des Dawes-Plans.

Aber der Dawes-Plan hat auch noch ‚negative‘ Seiten, die sich in einem bestimmten Zeitabschnitt unvermeidlich zeigen und die ‚positiven‘ Resultate dieses Plans zunichtemachen müssen. Zweifellos bedeutet der Dawes-Plan für das deutsche Proletariat eine doppelte Presse durch das Kapital, eine innere und eine äußere. Der Widerspruch zwischen der Erweiterung der deutschen Industrie und der Einengung des Feldes der Außenmärkte für diese Industrie, das Missverhältnis zwischen den übermäßigen Forderungen der Entente und den begrenzten Möglichkeiten der Befriedigung dieser Forderungen durch die deutsche Volkswirtschaft – all das verschlechtert unvermeidlich die Lage des Proletariats, der kleinen Bauern, der Angestellten und der Intelligenz und muss somit zur Explosion, zum direkten Kampf des Proletariats um die Machtergreifung führen.

Aber dieser Umstand darf nicht als die einzige, für die deutsche Revolution günstige Voraussetzung angesehen werden. Für den Sieg diese Revolution ist außerdem notwendig, dass die Kommunistische Partei die Mehrheit der Arbeiterklasse vertritt, dass sie zur entscheidenden Kraft in der Arbeiterklasse wird. Es ist notwendig, dass die Sozialdemokratie entlarvt und geschlagen wird, dass sie zu einer verschwindenden Minderheit in der Arbeiterklasse herabgedrückt wird. Ohne dies ist an die Diktatur des Proletariats gar nicht zu denken. Damit die Arbeiter siegen können, muss sie EIN Wille beseelen, muss sie EINE Partei führen, eine Partei, die das unbestrittene Vertrauen der Mehrheit der Arbeiterklasse besitzt. Wenn es innerhalb der Arbeiterklasse zwei miteinander konkurrierende gleich starke Parteien gibt, dann ist selbst bei günstigen äußeren Bedingungen ein dauerhafter Sieg unmöglich. Lenin war der erste, der in der Periode vor der Oktoberrevolution hierauf, als auf der absolut notwendigen Voraussetzung des Sieges des Proletariats besonders bestand.

Als die für die Revolution günstigste Lage könnte man eine solche Lage ansehen, bei der die innere Krise in Deutschland und das entschiedene Wachstum der Kräfte der Kommunistischen Partei mit ernstlichen Komplikationen im Lager der äußeren Feinde Deutschlands zusammenfallen würde.

Ich denke, dass das Fehlen dieses letzten Umstands in der revolutionären Periode des Jahres 1923 bei weitem nicht die letzte negative Rolle gespielt hat.

Frage:

Sie sagten, dass die KPD die Mehrheit der Arbeiter hinter sich haben muss. Diesem Ziel wurde bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Was muss man Ihrer Meinung nach tun, um die KPD in eine solche tatkräftige Partei mit progressiv wachsender Werbekraft zu verwandeln?

Antwort:

Manche Genossen meinen, die Partei festigen und sie bolschewisieren bedeute, alle Andersdenkenden aus der Partei hinauszujagen. Das ist natürlich falsch. Die Sozialdemokratie kann nur im Verlaufe des tagtäglichen Kampfes für die konkreten Bedürfnisse der Arbeiterklasse entlarvt und zu einer verschwindenden Minderheit in der Arbeiterklasse hinabgedrückt werden. Die Sozialdemokratie muss angeprangert werden, nicht auf der Grundlage von fernliegenden  Fragen, sondern auf der Grundlage des tagtäglichen Kampfes der Arbeiterklasse für die Verbesserung ihrer materiellen und politischen Lage, wobei die Fragen des Arbeitslohns, des Arbeitstages, der Wohnverhältnisse, der Versicherung, der Steuern, der Arbeitslosigkeit, der Verteuerung der Lebenshaltung usw. eine überaus ernste, wenn nicht die entscheidende Rolle spielen müssen. Den Sozialdemokraten Tag für Tag auf der Grundlage dieser Fragen Schläge versetzen und ihren Verrat aufdecken – das ist die Aufgabe.

Diese Aufgabe wäre jedoch restlos gelöst, wenn die Fragen der alltäglichen Praxis nicht mit den grundlegenden Fragen der internationalen und der inneren Lage Deutschlands verknüpft würden und wenn diese ganze alltägliche Arbeit nicht in der gesamten Arbeit der Partei vom Standpunkt der Revolution und der Eroberung der Macht durch das Proletariat beleuchtet würde.

Eine solche Politik kann jedoch nur eine Partei durchführen, an deren Spitze ein Stamm von Führern steht, die genügend erfahren sind, um alle und jegliche Blößen der Sozialdemokratie für die Stärkung ihrer Partei auszunutzen, und die genügend theoretisch geschult sind, um bei Teilerfolgen nicht die Perspektive der revolutionären Entwicklung zu verlieren.

Damit erklärt sich auch hauptsächlich, dass die Frage der führenden Kader der kommunistischen Partei überhaupt, darunter auch der Deutschen Kommunistischen Partei, eine der wesentlichen Fragen des Prozesses der Bolschewisierung darstellt.

Um die Bolschewisierung durchzuführen, ist es notwendig, wenigstens einige grundlegende Voraussetzungen zu schaffen, ohne die überhaupt eine Bolschewisierung der kommunistischen Partei unmöglich ist.

Es ist notwendig, dass die Partei sich nicht als Anhängsel des parlamentarischen Wahlapparats betrachtet, wie es im Grunde genommen die Sozialdemokratie tut, und auch nicht als Gratisbeilage zu den Gewerkschaften, wovon zuweilen gewisse anarcho-syndikalistische Elemente faseln, die berufen ist, alle übrigen Formen der proletarischen Organisationen, von den Gewerkschaften bis zur Parlamentsfraktion, zu führen.

Es ist notwendig, dass die Partei, besonders ihre führenden Elemente, sich der revolutionären Theorie des Marxismus, die mit der revolutionären Praxis unmittelbar verbunden ist, voll bemächtigen.

Es ist notwendig, dass die Partei die Losungen und Direktiven nicht aufgrund eingelernter Formeln und geschichtlicher Parallelen, sondern als Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der konkreten Bedingungen der revolutionären Bewegung im Lande und im internationalen Maßstab ausarbeitet, wobei die Erfahrungen der Revolutionen aller Länder unbedingt mit in Rechnung gestellt werden müssen.

Es ist notwendig, dass die Partei die Richtigkeit dieser Losungen und Direktiven im Feuer des revolutionären Kampfes der Massen überprüft.

Es ist notwendig, dass die gesamte Arbeit der Partei, besonders wenn in ihr die sozialdemokratischen Traditionen noch nicht überwunden sind, auf neue, revolutionäre Art, jede ihrer Aktion naturgemäß zur Revolutionierung der Massen, zur Vorbereitung und Erziehung der breiten Massen der Arbeiterklasse im Geiste der Revolution führt.

Es ist notwendig, dass die Partei in ihrer Arbeit versteht, die höchste Prinzipienfestigkeit (nicht zu verwechseln mit Sektierertum) mit einem Maximum an Verbundenheit mit den Massen (nicht zu verwechseln mit Nachtrabpolitik) zu verbinden, da es ohne diese Bedingung für die Partei unmöglich ist, nicht nur die Massen zu lehren, nicht nur die Massen zu führen und sie auf das Niveau der Partei zu heben, sondern auch auf die Stimme der Massen zu lauschen und ihre brennendsten Nöte zu erkennen.

Es ist notwendig, dass die Partei es versteht, in ihrer Arbeit eine unversöhnliche revolutionäre Einstellung (nicht zu verwechseln mit revolutionärem Abenteurertum!) mit einem Maximum an Elastizität und Manövrierfähigkeit (nicht zu verwechseln mit Anpassungspolitik!) zu verbinden, da es ohne diese Bedingung für die Partei unmöglich ist, alle Formen des Kampfes und der Organisation zu meistern, die Tagesinteressen des Proletariats mit den grundlegenden Interessen der proletarischen Revolution zu verbinden und in ihrer Arbeit den legalen Kampf mit dem illegalen zu  verknüpfen.

Es ist notwendig, dass die Partei ihre Fehler nicht verhüllt, dass sie die Kritik nicht fürchtet, dass sie es versteht, ihre Kader an Hand ihrer eigenen Fehler zu verbessern und zu erziehen.

Es ist notwendig, dass die Partei es versteht, in die führende Gruppe die besten Elemente der fortschrittlichen Kämpfer aufzunehmen, die genügend Hingabe besitzen, um wahrhafte Vertreter der Bestrebungen des revolutionären Proletariats zu sein und die genügend Erfahrung haben, um wirkliche Führer der proletarischen Revolution zu werden, die fähig sind, die Taktik und die Strategie des Leninismus anzuwenden.

Es ist notwendig, dass die Partei die soziale Zusammensetzung ihrer Organisation systematisch verbessert und sich von zersetzenden opportunistischen Elementen reinigt, wobei sie die Erreichung einer maximalen Einheitlichkeit als Ziel vor Augen haben muss.

Es ist notwendig, dass die Partei eine eiserne proletarische Disziplin entwickelt, die auf der Grundlage der ideologischen Einheit, der Klarheit der Ziele der Bewegung, der Einheit des praktischen Handelns und des bewussten Verhaltens der breiten Parteimassen zu den Aufgaben der Partei erwächst.

Es ist notwendig, dass die Partei die Durchführung ihrer eigenen Beschlüsse und Direktiven systematisch überprüft, da ohne diese Bedingung die Gefahr besteht, dass sie sich in leere Versprechungen verwandeln, die nur geeignet wären, das Vertrauen der breiten proletarischen Massen zur Partei zu untergraben.

Ohne diese und ähnliche Bedingungen ist die Bolschewisierung ein leerer Schall.

Frage:

Sie sagten, dass neben den negativen Seiten des Dawes-Plans die zweite Voraussetzung für die Eroberung der Macht von Seiten der KPD eine solche Lage ist, bei der die Sozialdemokratische Partei vor den Augen der Massen völlig entlarvt dasteht und keine ernsthafte Kraft innerhalb der Arbeiterklasse mehr darstellt. Bis dahin ist in Anbetracht der realen Tatsachen noch ein weiter Weg. Hier machen sich die Mängel und Schwächen der jetzigen Arbeitsmethoden der Partei deutlich bemerkbar. Wie kann man sie beseitigen? Wie schätzen Sie das Resultat der Dezemberwahlen 1924 ein, bei denen die Sozialdemokratie – eine völlig korrupte und verfaulte Partei – nicht nur keine Stimmen verloren, sondern sogar etwa zwei Millionen Stimmen gewonnen hat?

Antwort:

Hier handelt es sich nicht um die Mängel der Arbeit der deutschen kommunistischen Partei. Hier handelt es sich vor allem darum, dass die amerikanischen Anleihen und das Eindringen des amerikanischen Kapitals, plus die stabilisierte Valuta, die die Lage etwas verbesserten, die Illusion von der Möglichkeit einer grundlegenden Liquidierung der mit der Lage Deutschlands verbundenen inneren und äußeren Gegensätze geschaffen haben. Auf dieser Illusion ritt auch die deutsche Sozialdemokratie wie auf einem weißen Ross in den gegenwärtigen Reichstag hinein. Wels tut sich jetzt mit seinem Wahlsieg groß, aber er begreift anscheinend nicht, dass er sich einen fremden Sieg zuschreibt. Gesiegt hat nicht die deutsche Sozialdemokratie, sondern die Gruppe Morgan. Wels war und  bleibt nur ein Kommis Morgans.

‚Prawda‘, Nr. 27, 3. Februar 1925, aus: Stalin-Werke, Bd. 7, Berlin  1952, S. 29ff).

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