Über relatives und Absolutes Wissen

Heinz Ahlreip

Heinz Ahlreip

Erkenntnisfortschritte steigern sich von Rückfällen unterbrochen gegenseitig-kollektiv. Stubengelehrtes verbleibt in scholastischer Leere.

Der menschliche Verstand neigt dazu, Flüssiges für sich selbst zu fixieren und die Logik bzw. Dialektik Hegels richtet sich gegen dieses Festhalten der Bestimmungen durch den Verstand, dass er nicht loslassen kann, trockene Füße am trockenen Ufer behalten möchte. Die menschliche Vernunft dagegen “ist negativ und dialektisch, weil sie die Bestimmungen des Verstands in Nichts auflöst; sie ist positiv, weil sie das Allgemeine erzeugt und das Besondere darin begreift. Wie der Verstand als etwas Getrenntes von der Vernunft überhaupt, so pflegt auch die dialektische Vernunft als etwas Getrenntes von der positiven Vernunft genommen zu werden. Aber in ihrer Wahrheit ist die Vernunft Geist, der höher als beides verständige Vernunft oder vernünftiger Verstand ist. Er ist das Negative dasjenige, welches die Qualität sowohl der dialektischen Vernunft als des Verstandes ausmacht; – er negiert das Einfache, so setzt er den bestimmten Unterschied des Verstandes, er löst ihn ebenso sehr auf, so ist er dialektisch.“1 Die Thematik ist gar nicht neu, schon in der Antike wurden durch Heraklit Schlüsselsätze der Weltphilosophie geboren: ‘Alles fließt‘ und ‘Niemand steigt zweimal in den gleichen Fluss‘. Das Objekt bewegt sich, das Subjekt bewegt sich, Subjekt und Objekt bewegen sich ineinander und gegeneinander gleichzeitig, Dialektik lässt nichts abseits am Wegesrand der Wissenschaft liegen. Neue objektive Erkenntnislagen bringen neue subjektive hervor und umgekehrt eine Nacht drüber schlafen und am nächsten Morgen sieht man die Welt mit anderen Augen an. Mit den Worten Hegels: Der Geist ist wesentlich aktiv, produzierend und prozessierend mit den Worten von Engels: Die tief innerliche, ruhelose Dialektik. So der junge Engels aus Anlass einer Vorlesung des alten Schelling gegen Hegels Dialektik, der Engels 1841 in der Berliner Universität lauschte. Mit der Veränderung der Pole ändert sich auch die Erkenntnismaßstäbe in der Mitte, auch sie werden andere sind nie sich gleichbleibende. Der als relativ richtig erkannte Gegenstand ist ein anderer als der noch nicht erkannte oder auch der weniger erkannte entsprechende Wechselfälle des Subjekts, seines subjektiven Stachels zwischen befriedigt und unbefriedigt. Erkenntnisfortschritte steigern sich von Rückfällen unterbrochen gegenseitig-kollektiv. Stubengelehrtes verbleibt in scholastischer Leere.

Im Impuls gegen die mittelalterliche Metaphysik war die Suche nach den letzten Gründen obsolet geworden, so sehr sich auch die Metaphysiker in eine absolute Wahrheit vergafften. Ihnen arbeitete der Umstand zu, dass die Überwindung aller Widersprüche ein unvergängliches Bedürfnis des Menschengeistes ist. Das Verhältnis zwischen relativer Wahrheit, die von der materialistischen Dialektik in Anspruch genommen wird, immer wieder wird entgegen Tatsachen, Totalitarismus und Absolutismus in den Marxismus hineingeluchst, und der absoluten, die von der idealistischen Dialektik angestrengt wird, ist selbst zu relativieren. Engels schreibt Anfang 1886 in seiner Studie über Feuerbach: “Man lässt die auf diesem Weg (dem idealistischen/H.A.) und für jeden einzelnen unerreichbare „absolute Wahrheit“ laufen und jagt dafür den erreichbaren relativen Wahrheiten nach auf dem Weg der positiven Wissenschaften und der Zusammenfassung ihrer Resultate vermittelst des dialektischen Denkens“.2 All unser Wissen ist relativ, aber nicht beliebig. Lenin wies uns darauf hin, dass das Streben nach absoluter, aber für uns unerreichbarer absoluten Erkenntnis oder nach absolutem Wissen uns davor bewahren wird, Fehler zu machen. Für die objektive Dialektik ist im Relativen Absolutes vorhanden. “Der Unterschied zwischen Subjektivismus (Skeptizismus und Sophistik etc.) und Dialektik besteht unter anderem darin, dass in der (objektiven) Dialektik auch der Unterschied zwischen Relativem und Absolutem relativ ist. Für die objektive Dialektik ist im Relativen Absolutes enthalten. Für den Subjektivismus und die Sophistik ist das Relative nur relativ und schließt das Absolute aus“. 3. Es liegt dann doch eine berechtigte Konjunktion vor.

In der Tat – kann denn der wissenschaftliche Sozialismus ohne Fundamentales auskommen? Es ist dies ein für alle Mal herauszustellen, zwar nicht als auswendig zu lernende Axiome, aber als Wesensmäßiges ebenfalls der Dialektik der Vergänglichkeit Unterworfenes. Die Selbstauskunft des Begründers dieses spezifischen Sozialismus gibt uns Aufschluss über das hier Gemeinte: “Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusstwerden und ihn ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären.4 Zwei Anweisungen sind elementar, aber nicht leicht zu befolgen: Das absolute Streben, die Gesellschaftswissenschaften auf das Niveau von Naturwissenschaften zu heben und alles Ideelle (alles sich selbst dünkende) als das lediglich im Kopf umgesetzte und übersetzte Materielle zu entlarven. Noch heute hetzen bürgerliche Systemphilosophen im Geiste des Pfaffentums junge Studenten auf die Jagd nach letzten Gründen der Erkenntnis. Für die Bourgeoisie ist die Beherrschung der idealistischen Dialektik in Ordnung, denn der Weg zum Idealismus ist nach Lenin ein Weg zum Pfaffentum. Die Texte der Klassiker sind nicht für die Ewigkeit verfasst worden, sondern als Anleitung zum revolutionären Handeln in einer vom Raum von der Zeit und den Umständen abhängigen spezifischen historischen Epoche des Übergangs vom Imperialismus zum Sozialismus/Kommunismus.

  1. Georg Wilhelm Friederich Hegel: „Vorrede zur ersten Auflage der Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik“. Mit einem Vorwort von Leopold von Henning, Berlin, 1841, Seite 17
  2. Friedrich Engels: „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite270
  3. Lenin: „Zur Frage der Dialektik“, Werke, Band 38, Dietz Verlag Berlin, 1960,339
  4. Karl Marx: „Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie“, Werke, Band 13, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 9

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