Marxismus und Religionskritik

Ludwig Andreas Feuerbach (28. Juli 1804 bis 13. September 1872) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (27. August 1770 bis 14. November 1831) | Zeitgenössische Darstellungen | Montage: Roter Morgen

Ludwig Feuerbach bemerkt im Paragrafen elf seiner „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“ ganz richtig, dass die Einheit des Denkenden und Gedachten das Geheimnis des spekulativen, sprich theologischen Denkens ist.1 Die Philosophie Hegels ist gemäß der Lesart Feuerbachs eine doppelt negierte Theologie als Restauration derselben. Die dem Atheisten Feuerbach zugeschriebene Erkenntnis, dass Philosophie denkend ausgeführte Theologie sei, ist in Hegels Philosophie nun aber selbst schon präsent, denn was ist für ihn Philosophie anderes als aufgehobene oder begrifflich begriffene Religion.

Für Hegel verbürgt seine Philosophie die Wahrheit des Christentums im religiösen Bereich, und im politischen wird dem Staat eine religiöse Grundlage entzogen. Dieses spezifische Aufheben der Religion in Philosophie verleitete Bruno Bauer in seiner Schrift „Die Posaune vom Jüngsten Gericht über Hegel, den Atheisten und Anti Christen, ein Ultimatum“ dazu, Hegel als Atheisten auszurufen, als Marx 1841 noch als Idealist an seiner Dissertation über Epikur und Demokrit brütete.

Es verleitete aber auch die politische Reaktion dazu, gegen Hegel vorzugehen, allerdings bezichtigte sie Hegels Religionsphilosophie ab 1825 in Berlin viel zu kurzsichtig eines Pantheismus. Schelling sprang ihr bei, der Pantheismus Hegels sei nicht der stille Spinozas, sondern in Hegels religiösem Denken gehe die göttliche Freiheit schamlos verloren. Hegel ist in seiner Philosophie oder durch seine Philosophie ja philosophiegeschichtlich der erste Erlöser Gottes, nicht umgekehrt. Das ist natürlich viel radikaler als Friedrichs und Kants Toleranz, jeder solle nach seiner Fasson selig werden dürfen und ist als Revolution in der Geschichte der Philosophie kaum gewürdigt worden. Alles, was bisher in der Geschichte der Philosophie über das Verhältnis von Gott und Mensch geschrieben worden ist, ist durch Hegels Religionsphilosophie lange vor Nietzsches ‚Gekreuzigten‘ wahrlich auf den Kopf gestellt worden.

Der junge Marx unterließ eine fundamentale Kritik der Religion, er überließ diese der bereits von Feuerbach vorliegenden. Aber wir haben gesehen, dass dessen Kritik auch als Bestätigung der Hegelschen Religionsphilosophie gedeutet werden kann. Im Kampf gegen den Idealismus wendet der Materialist Feuerbach ja zwei simple Waffen der Umkehrung an: Es hat eine Natur vor der Philosophie gegeben, so dass ein Welt- bzw. Naturschöpfungsakt, von wem auch immer, nicht mehr angenommen werden darf und die einfache Umkehrung religiösen Denkens. Die Religion macht nicht den Menschen, der Mensch macht die Religion. Beides ist richtig und beides ist fundamental, aber beides ist natürlich auch für den wissenschaftlichen Sozialismus nicht ausreichend. Wie wenig Feuerbach ein wirklicher Materialist war, wird deutlich, wenn wir uns seine Religionsphilosophie und Ethik durchlesen. „Er will die Religion keineswegs abschaffen, er will sie vollenden. Die Philosophie selbst soll aufgehen in Religion“.2

Feuerbach hatte sich durch sein primär anthropologisches Denken die Sicht auf die primär sozialen Wurzeln der Religion selbst versperrt, die Marx im ‚Kapital‘ auf den Punkt gebracht hatte.  „Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen“.3

Das Wechselverhältnis zwischen Ökonomie und Politik und wie in diesem der Schwerpunkt zu setzen ist, blieb Feuerbach unbekannt und so sind seine großen Leistungen nur auf dem Gebiet der Philosophie zu verzeichnen. In seinem Kampf gegen den Idealismus sah sich Feuerbach gezwungen, auf den französischen Materialismus zurückzugreifen, der im Zuge der bürgerlichen Aufklärung durchaus radikale atheistische Konsequenzen gezogen hatte. Aber warum ist es bis heute trotz der fantastischen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten weltweit nicht gelungen, die Fessel der Religion abzuwerfen?

Ein Blick in die bürgerlichen Massenmedien genügt. Sie verdrehen tagtäglich alles, klären nicht auf, sondern verdrehen die Tatsachen, erklären zum Beispiel den millionenfachen Hungertod der Kinder weltweit als Folge von Kriegen und Naturkatastrophen, weil bei ihnen gar kein Interesse vorliegen kann, dass die Menschen untereinander und zur Natur transparente Beziehungen herstellen. Im Gegenteil, dieser ganze perverse Brei, den uns die bürgerliche Journaille tagtäglich vorsetzt, das alles ist oberflächlich, ist Gegenaufklärung, Konterrevolution. Und solange die kapitalistische Ausbeutung, die in den Tagesnachrichten nicht vorkommt, in denen Blutsauger Arbeitgeber genannt werden, noch am Blutsaugen ist, solange wird es Religion geben.

Die wirklich fundamentale marxistische Kritik der Religion findet sich neben der sehr wichtigen, eben zitierten Passage im ‚Kapital‘ in den Thesen über Feuerbach, im Feuerbachkapitel der ‚Deutschen Ideologie‘ aus dem Jahr 1845 und in einer Spätschrift von Friedrich Engels, in der Studie: „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“, geschrieben 1868, veröffentlicht 1888, fünf Jahre nach dem Tod von Karl Marx. Engels schreibt: „Die Religion ist entstanden zu einer sehr waldursprünglichen Zeit aus missverständlichen, waldursprünglichen Vorstellungen der Menschen über ihre eigne und die sie umgebende äußere Natur.… Dass die materiellen Lebensbedingungen der Menschen, in deren Köpfen dieser Gedankenprozess vor sich geht, den Verlauf dieses Prozesses schließlich bestimmen, bleibt diesen Menschen notwendig unbewusst, denn sonst wäre es mit der ganzen Ideologie zu Ende“.4 Diese viel zu wenig bekannten und zu wissenschaftlichen Zwecken so gut wie gar nicht herangezogenen atheistischen Passagen von Engels sind auch insofern bemerkenswert, als dass der Name des Philosophen Feuerbach hier gar nicht mehr eine Erwähnung findet.  

Die ganze Ausbildung im kapitalistischen System und die Massenmedien arbeiten Hand in Hand. Erwachsene Menschen glauben, was in den Tagesblättern steht, während sie doch eine Fehlerquelle ersten Ranges sind und verhindern, dass politische Diskussionen auf einer gesellschaftswissenschaftlichen Ebene stattfinden. Die Menschen behalten ihre waldursprünglichen Vorstellungen, denn das Kapital kann keine aufgeklärten Menschen gebrauchen, sondern Hinterwäldler, damit die Hinterwelt der Lohnarbeit bestehen bleibt.

1 (Vergleiche Ludwig Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main, 1983, Seite 46).
2 (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 283).
3 (Karl Marx, Das Kapital, Werke, Band 23, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 94).
4 (a.a.O., Seite 303)

 

 

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