Deutschland – klassisches Land der Konterrevolution

Heinz Ahlreip – 5. November 2022

Heinz Ahlreip

In Erfurt sind am sogenannten Tag deutschen Einheit am 3. Oktober 2022 mehr oder minder schöngeistige und süßliche Reden gehalten worden von der feinsten demokratischen Art. Die Konterrevolutionäre hatten sich in einer Kirche versammelt und ließen sich vom Pfaffenpack nur so beweihräuchern, während sie alle im Hinterkopf hatten, wie sie im unvermeidbaren, von ihnen mitangefachten dritten imperialistischen Völkergemetzel die größte Beute machen können.

Der Tenor dieser Reden war, dass Kapitalismus und Demokratie zusammenpassen, nicht aber Demokratie und Diktatur des Proletariats. Sie sind also auf Dummenfang gegangen. Es waren Reden von Spießern für Spießer. Diesen entgeht, dass die am 3. Oktober hochgelobte demokratische Republik, so vorteilhaft sie auch für den proletarischen Emanzipationskampf ist, letzten Endes doch nur ein großes Geflecht aus Blumengirlanden ist, die sich um die Ketten der kapitalistischen Lohnsklaverei ranken, um diese zu verbergen.   Die bürgerlich-terroristische Herrschaft der Kapitalistenklasse über die Lohnsklaven Deutschlands, das war es im Kern, was die Politprominenz in Erfurt hochleben ließ.

Am 25. Januar 1843 schrieb Marx an Ruge: “In Deutschland kann ich nichts mehr beginnen. Man verfälscht sich hier selbst“. Jawohl, auch wir verfälschen uns in diesem Land auch heute noch selbst, denn jeden Tag zertreten die Bedingungen der kapitalistischen Lohnsklaverei und die Tricks der Lebensmittelindustrie unsere Persönlichkeit und Würde, unser Leben und unsere Gesundheit.  Karl Marx schämte sich, ein Deutscher zu sein und auch wir schämen uns. Auch wir schämen uns u. a. der deutschen, von den herrschenden Klassen geschriebenen Geschichte, der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und der klassischen deutschen Staatsphilosophie.

Der Reihe nach: Erstens: Das deutsche Volk hat alle erfolgreichen Konterrevolutionen Europas mitgemacht, aber keine erfolgreiche Revolution. Wie oft hat insbesondere der junge Marx auf diesen Umstand hingewiesen!  Keine Bourgeoisie auf der Welt ist in konterrevolutionärer Hinsicht verseuchter als die deutsche. Es können noch so viele einseitige Reden gehalten werden, dass die BRD auch aus braunem Wurzelwerk entstanden ist, ist wissenschaftlich nachgewiesen, deshalb hat diese Republik ja so eine verkrüppelte Unkrautgestalt, die sie zeitlebens nicht loswerden wird, im Gegenteil, dieses Unkraut stinkt mehr und mehr nach Faschismus, der auf den Trümmern der Republik sein hässliches Haupt erheben wird.  Dieser rechten Variante ist die BRD heute näher als der linken, die der im Sozialismus in sich selbst absterbenden Rätedemokratie. Darüber dürfen keine Illusionen vorliegen, der kommende dritte Weltkrieg kann diesbezüglich einiges zurecht, besser: nach rechts rücken. Alle Illusionen werden zusammenstürzen wie Traumbilder im Augenblick des Erwachens: Die Imperialisten müssen Krieg führen, wenn sie den Kapitalismus erhalten wollen.

Die zweite schwere Last stellt der Sozialdemokratismus dar. Nach der Niederlage der Pariser Commune war die disziplinierte sozialdemokratische Massenpartei zu einer Vorbildpartei für die internationale Arbeiterbewegung aufgerückt, aber innerlich war alles opportunistisch hohl. Der 4. August 1914, an dem diese feinen “Genossen“ entgegen den 1912 einstimmig angenommenen Beschlüssen des Sozialistenkongresses von Basel, keine Kredite zu bewilligen und den unvermeidbar kommenden imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zum Sturz der Kapitalistenherrschaft zu verwandeln, im Reichstag den Kriegskrediten zur Führung des ersten Weltkrieges zustimmten, dieser Tag ist als der schwärzeste Tag in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung eingegangen.  Ab dem 4. August kommt diese Verräterpartei nicht mehr aus dem Schattenreich der Konterrevolution heraus auf die Sonnenseite des Sozialismus. Nur allzu gerne verfängt sie sich in den Netzen des internationalen Finanzkapitals und führt alle Anweisungen zur Niederhaltung der deutschen Arbeiterbewegung und des Bundschuhs aus. Von der blutigen Niederschlagung der Rätebewegung über den nicht unmaßgeblichen Beitrag, also Beihilfe zur Ermordung Karls und Rosas bis zu 100 Milliarden € Sondervermögen für das kriegsgierige Offizierskorps der Bundeswehr – abgestumpft und gedrillt in den Kasernen kann es nicht anders – eine rote Spur hinter sich, allerdings eine blutige, allerdings eine konterrevolutionäre. Den Bluthund Noske, den macht uns keine andere Nation auf Erden nach.

Zum letzten Glied meiner hier skizzierten konterrevolutionären Trias: Hegel wird vom bürgerlichen, also parteiischen Philosophenpack als ein großer, allerdings nur als idealistischer Dialektiker gerühmt, aber seine Nachtseite wird außer Acht gelassen. Das ist die äußerst reaktionäre feudal-ständisch ausgerichtete Staatsphilosophie. Dieser Philosoph hat dem deutschen Volk einen Aberglauben an die Allmacht des Staates vererbt, der weltweit seinesgleichen sucht. Die deutsche Konterrevolution hat dem deutschen Volk im Verlauf seiner erbärmlichen und fatalen Geschichte eine solche Ehrfurcht vor der Staatshoheit eingeprügelt und eingeimpft, dass auch die deutsche Arbeiterbewegung davon tief tangiert wurde. Die zentrale Frage des Verhältnisses der proletarischen Revolution zum Staat wurde vor dem ersten Weltkrieg im Grunde nicht thematisiert und das leistete dem Aufkommen des Opportunismus Vorschub, der von dieser Fragestellung überhaupt nichts wissen will, der jegliche Anwendung von Gewalt seitens der unterdrückten Klassen gegen ihre Unterdücker verwirft. 

Der Staat gilt selbst heute noch als Selbstverständlichkeit, es fängt bereits im Kindergarten an. Zu ihrer Prüfung haben die Kindergärtnerinnen Paragrafen artig einstudiert, dass aber Rousseau, der auf dem Gebiet der Kindererziehung Gigantisches geleistet hat, den Menschen als von Natur aus als gut betrachtete und dass es für ihn nur die Institutionen sind, die ihn verderben, davon haben sie nichts gehört und werden bis an ihr Lebensende auch nichts hören. In konfessionellen Kindergärten nicht nur in Bayern werden den Kindern die Hände zu Gebeten gefaltet, ohne dass diese armen Würmchen überhaupt wissen, was sie da stammeln. 

Ohne Staat geht es nicht, die der ganzen Gesellschaft gemeinsamen Geschäfte können nur so geregelt werden wie es immer in den bisherigen Jahrhunderten geschah.  Das Staatliche muss und kann nur so besorgt werden, wie es bisher immer besorgt worden ist. Das damit bereits ein Nährboden für eine Stärkung der bürgerlichen diktatorischen Exekutive und damit auch ein Aufblühen des Faschismus vorliegt, das übersehen der liberalste Pädagoge im bundesrepublikanischen Schuldienst und der rosaroteste linke SPD-Abgeordnete im deutschen Bundestag.

Die Niederlage der Bauern im deutschen Bauernkrieg, die Verheerungen des 30jährigen Krieges mit seinen langen und qualvollen Wechselfällen, die Niederlage von 1848, das ständige Zurückwerfen demokratischer  Entwicklungen, das ständige Unterbrechen nationaler Einigungsbewegungen, das Sozialistengesetz, die Ermordung Karls und Rosas und die aus ihr folgenden KZs, die Ermordung Thälmanns, Tausender Kommunistinnen und Kommunisten, der Holocaust, das alles hat besorgt, dass sich in das Gehirn des deutschen Volkes ein Trauma nach dem anderen tief eingebrannt hat.

Ein konsequenter Demokratismus ist unter dem Kapitalismus unmöglich, die demokratische Republik beseitigt in keiner Weise die Herrschaft des Kapitals, im Gegenteil, es herrscht in ihr indirekt, aber umso sicherer, sodann mehr und mehr Peitschenhiebe für die Lohnsklaven, Vorbereitung der Exekutive auf Massenrepressalien, Unterdrückung der proletarischen Klassenkämpfe mit allen nur erdenklichen, selbst schäbigsten Mitteln, das ist das Wesen selbst der freiesten bürgerlichen demokratischen Republik.

Wir kommunistischen Revolutionäre fallen nicht auf den Staatsaberglauben rein, wir durchschauen die fadenscheinig vorgegaukelte Identität von Kapitalismus und Demokratie, von Lohnsklaverei und Freiheit, denn wir wachen morgens auf mit einem klaren Feindbild, mit einem gesunden Klassenhass und mit einer fanatischen Gewalt- und Vernichtungsbereitschaft dem bürgerlichen Staat gegenüber und sodann der Bourgeoisie selbst als zu vernichtende Klasse.

Hegel, der in seiner Jugend noch Anarchist war, trägt die philosophische Hauptschuld, dass auch die deutsche Arbeiterbewegung von einem Aberglauben an den Staat tief tangiert wurde. Bebel überhörte eine Kritik von Engels und verwandte weiterhin das mit der marxistischen Staatstheorie unvereinbare Wort: Volksstaat. Die zentrale Frage des Verhältnisses der proletarischen Revolution zum Staat wurde im Grunde nach dem Tod von Marx und Engels nicht thematisiert und das leistete dem Aufkommen des Opportunismus Vorschub, der ebenso wie der Anarchismus von dieser Fragestellung überhaupt nichts wissen will. Sowohl Bernstein als auch Kautsky beantworteten die Frage nach dem Verhältnis falsch, am Ende, nach Kautskys Abfall vom Marxismus, waren die Namen beider diesbezüglich austauschbar.

Der sich nicht erst nach dem Beginn des Ukrainekrieges am 24. Februar 2022 anbahnende dritte Weltkrieg hat die Frage des Verhältnisses von Staat und Revolution in relativ kurzer Zeit wieder akut werden lassen, obwohl richtig überlegt, der Bürgerkrieg zwischen Lohnarbeit und Kapital immer akut ist, mal versteckter, mal offener. Um einen dritten Weltkrieg weltweit abzuwenden und um das deutsche Volk aus dem sich anbahnenden, eventuell atomaren Inferno herauszureißen, ist eine proletarische Revolution unabdingbar, und gerade diese wissenschaftlich feststehende Unabdingbarkeit wird von einer politisch unreifen und/oder opportunistischen Linken umgangen. Diese volks- und friedensschädlichen Elemente benutzen die Krise zum Aufspreizen subjektiver Belange, was sie politisch draufhaben, was sie militärisch alles wissen, und wer wunder sie sind. Darum geht es aber nicht. 

Vor dem ersten Weltkrieg wurde der Opportunismus in der SPD zu spät erkannt. Die revolutionäre Commune, die Partei des revolutionären Proletariats befindet sich heute in einem Wettlauf zur Vorbereitung eines bewaffneten Aufstandes, der zuvor die Ausschaltung pseudorevolutionärer, die Arbeiterklasse verwirrender Linker und Opportunisten bzw. Sozialchauvinisten zur Bedingung hat. Nur der Marxismus-Leninismus gibt die wissenschaftlich begründete Anweisung zum politisch korrekten und konsequenten revolutionären Handeln vor. Die Frage des Verhältnisses von Staat und Revolution, der auch Kommunisten, in Zeiten relativ friedlicher Entwicklung, gewöhnlich nicht die Beachtung schenken, die sie politisch und historisch verdient, wird von Tag zu Tag wichtiger. Von Tag zu Tag wichtiger wird das Studium von Lenin politischem Hauptwerk ‘Staat und Revolution‘. Warum? Allein der Schlusssatz dieses Fundamentalwerkes gibt uns darüber schon Aufschluss: “Es konnte nicht anders sein, die Entstellung (durch die DKP/H.A.) und das Verschweigen (durch die linke SPD, von der rechten schon gar nicht zu reden/H.A.) der Frage, wie sich die proletarische Revolution zum Staat verhält, mussten eine ungeheure Rolle spielen zu einer Zeit, da die Staaten mit ihrem infolge der imperialistischen Konkurrenz verstärkten militärischen Apparat sich in Kriegsungeheuer verwandelten, die Millionen von Menschen vernichten, um den Streit zu entscheiden, ob England oder Deutschland, ob dieses oder jenes Finanzkapital die Welt  beherrschen soll.“1 Man ersetze England und Deutschland durch die USA, Russland und China und man bemerkt sofort, wie hochaktuell dies ist. Die Kriegsungeheuer haben sich mit ihren hässlichen Fratzen vor uns aufgerichtet. Was ist da zu tun? Dem Proletariat bleibt weltweit nichts anderes übrig, als der Frage des Verhältnisses von proletarischer Revolution und Staat des Finanzkapitals eine ungeheure Rolle zukommen zu lassen, sie sich theoretisch zu vergegenwärtigen, sie zu lösen, sich sodann mit revolutionärem Klassenbewusstsein zu bewaffnen – bewaffnen, nicht wappnen – und darauf hinzuwirken, dass das bewaffnete Proletariat die Regierung ist. Allein diese Regierung kann die menschenverschlingende Bestie Imperialismus zu Boden werfen und ihr den Todesstoß versetzen, der die ganze arbeitende Menschheit für immer aufatmen ließe.

  1. Lenin, Staat und Revolution, Werke, Band 25, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 506.

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Über den Autor:

Heinz Ahlreip, geb. am 28.2.1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse. Ahlreip arbeitete als Lagerarbeiter u. a. beim Continental in Hannover und bis zum Rentenbeginn als Gärtner für Museumsstätten und Friedhöfe.

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