Der proletarische Bruch mit 1789

Der Sturm auf die "Bastille" (das Pariser Gefängnis) stand am Beginn der Französischen Revolution 1789. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" war die Forderung der Revolutionäre.

Heinz Ahlreip – 12. Februar 2024

Heinz Ahlreip

1789 ging es ökonomisch um die Etablierung des Kapitalismus, politisch um die nationalversammlungsmäßige Inthronisierung der politischen Herrschaft der Bourgeoisie. Und so auch in Russland 1905, aber mit einem Proletariat, das viel weitere ökonomisch-historische Ansprüche stellen musste als die kleinbürgerlichen Pariser Handwerker, die bürgerliche Gesellschaft erhebliche transzendierende, ja infrage stellende.

Es fällt jedoch auf, dass Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Alexander Parvus komparativ immer rasch den Bogen zur klassischen bürgerlichen Revolution schlagen, sie als Urquelle der Revolution schlechthin nehmen. Wahr ist daran, dass die Französische Revolution durch die Verschwörung Babeufs[1] die kommunistische Idee hervorgetrieben hat. “Diese Idee konsequent ausgearbeitet, ist die Idee des neuen Weltzustandes“.[2] Alles, was die Französische Revolution durch- bzw. vorgemacht hatte, wurde, so der Tenor, in den bürgerlichen Revolutionen und bürgerlichen Staaten Westeuropas mutatis mutandis mit veränderten Vorzeichen nachgemacht: Herrschaft der Kapitalistenklasse – demokratische Opposition des Kleinbürgertums – sozialrevolutionäre Opposition der Arbeiterklasse als in der Vorbereitung sich befindliche Diktatur des Proletariats. Die Französische Revolution war die politische Revolution schlechthin, kann also nicht als Aufhänger einer sozialen genommen werden. Eine soziale sieht ihren Ausgangsbezug in der staatenlosen Urgesellschaft.

Der Artikel von Parvus zur demokratischen Revolution von 1905 vom 28. November 1905 ‘Die Aufgaben der Sozialdemokratie Russlands‘ enthält einige Mängel. Er beginnt mit dem Satz: “Die politische Revolution bildet die Grundlage des Programms der Sozialdemokratie aller Länder – die Proletarierrevolution, welche den Zyklus der Revolutionen zum Abschluss bringen wird, die mit der großen Französischen Revolution ihren Anfang nahmen“.[3] Da haben wir den fehlerhaften Bezugspunkt, bekanntlich nannte Engels zu Recht die bürgerliche Revolution eine halbe, die es nicht mal bis zum gleichberechtigten Frauenwahlrecht brachte. Wir Marxisten-Leninisten müssen heute die klassische bürgerliche Revolution entweihen, es besteht ein tiefer Bruch zwischen 1789 und 1871/1905/1917. Desgleichen müssen wir die Forderung von Parvus abweisen, dass sämtliche Fabrik- und Bergwerksarbeiter in die sozialdemokratische Partei eintreten müssen.[4] Es ist an ein frühes Wort des jungen Marx zu erinnern, dass es nicht genüge, dass die Idee zur Wirklichkeit dränge, die Wirklichkeit muss sich auch zur Idee drängen. Wir dürfen den Weg der Freiwilligkeit des Parteieintritts nicht verlassen ebenso wenig wie bei einer Kollektivierung der Landwirtschaft und dürfen nicht auf die schiefe Bahn der Nötigung geraten, um vor Erfolgen vom Schwindel befallen zu werden. Im Kapitalismus ist es doch so, dass sich immer nur eine Minderheit des Proletariats organisiert, mehr gewerkschaftlich, weniger marxistisch-leninistisch, also kaderparteimäßig. Sämtliche Fabrik- und Bergwerksarbeiter müssen in die sozialdemokratische Partei eintreten – das wäre natürlich schön, aber es geht hier nicht um Wünsche und Ideale, sondern wir befinden uns in der harten, rauen Wirklichkeit eines veritablen Klassenkrieges, und im Krieg geht es am allerwenigsten nach Wünschen zu, sondern um die nackte, sehr oft deprimierende Wirklichkeit. Parvus sieht weiter eine politische Verworrenheit, die durch die Revolution entstanden sei. Es ist aber gerade die Aufgabe der wissenschaftlichen Sozialisten, hier zu entwirren, so wie Lenin es darlegte. Wir sind eine Partei, die trotz aller Schwankungen um sie herum ihren Weg genau kennt.

Auch Mehring beginnt seinen Artikel zur Revolution von 1905 ‘Die Revolution in Permanenz‘ genau mit dem gleichen Gedanken wie Parvus. Die russische Revolution von 1905 mache genauso Epoche wie einst die von 1789,[5] betont dann aber doch die Differenzen: Das russische Proletariat habe 1905 den Gedanken einer permanenten Revolution begriffen, den Marx aus der Analyse der 48er Revolution eruiert geschlossen hatte, der in dieser keine Rolle spielte.[6] Die Revolutionäre blieben 1848 stumme Fische im Wasser. Jetzt aber ist die Permanenz das Selbsterhaltungsgesetz der Revolution, die große Sperrmauer, hinter der das Proletariat in kriegerischer Haltung und hoher Klassenenergie und Klassenkreativität steht. Und hinzu kommt die große Waffe des politischen Massenstreiks als Bereicherung der Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse. Die Sieger von heute wollen nicht die Verlierer von morgen sein, “und ebendies ist der welthistorische Fortschritt, den die russische Revolution über ihre Vorgängerinnen macht“.[7]

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ANMERKUNGEN:

  1. Die Verschwörungder Gleichen (französisch Conjuration des Égaux) war ein frühsozialistischer Geheimbund. Aufgebaut wurde er 1795 in der dritten Phase der Französischen Revolution von François Noël Babeuf, einem zu dieser Zeit inhaftierten französischen Revolutionär.
  2. Karl Marx – Friedrich Engels: „Die Heilige Familie“, Werke, Band 2, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 126
  3. Alexander Parvus: „Die Aufgaben der Sozialdemokratie Russlands“ in: Die Neue Zeit (Stuttgart), 24. Jg., 1905/06, 1. Bd., Seite 451
  4. a.O, Seite 455
  5. Franz Mehring: „Die Revolution in Permanenz“ in: Die Neue Zeit, 24. Jg. 1905/06, 1. Band, Seite 169
  6. Karl Marx – Friedrich Engels: „Die Klassenkämpfe in Frankreich“, Werke, Band 7, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 89
  7. Franz Mehring: „Die Revolution in Permanenz“, in: Die Neue Zeit, 24. Jg. 1905/06, 1. Band, Seite 170

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