Franz Pöschl

Weg mit dem Hisbollah-Verbot!

Franz Pöschl

Am Donnerstag, den 30. April hat Innenminister Seehofer die Hisbollah „ganz“ (auch den politischen Teil) verboten. Die verlogene Begründung war, daß die Hisbollah „die Völkerverständigung“ stören würde. Wenn die Begründung ehrlich gemeint wäre, hätte deswegen die sogenannte „Deutsch-Israelische Gesellschaft“ (DIG) schon seit langem verboten werden müssen, die sich konsequent jeder jüdisch-palästinensischen Verständigung in den Weg stellt und alle Versuche, derartiges in Deutschland zu unterstützen, mit hysterischer Wut verfolgt.

Aber hier ging und geht es ja nicht um Gerechtigkeit, Wahrheit und Gesetz: Allein die israelischen Wunschvorstellungen zählten bei dieser jüngsten Maßnahme – und für diese findet, mehr denn je, bezogen auf das Verhalten der hiesigen Behörden, das alte deutsche Sprichwort Anwendung: „Ihr Wunsch sei uns Befehl!“

Eigentlich haben alle Eingeweihten es erwartet. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die iraelische Rassisten-Lobby in Deutschland mit dem Flaggenträger Springer-Presse sich durchsetzen würde. Aber die Art und Weise, wie es dann erfolgt ist, stellt einmal mehr die Rechtstaatlichkeit auf den Kopf.

Die Hisbollah ist eine islamische Organisation im Libanon, die ab 1982 durch den Zusammenschluss verschiedener schiitischer Gruppen im Widerstand gegen die israelische Besatzung entstanden ist. Die Hisbollah ist zudem eine politische Partei, die seit 1992 auch im libanesischem Parlament vertreten ist und Minister des Landes stellt. Im Libanon ist die Hisbollah vor allem für das sozialpolitische Engagement, wie z. B. im Bereich Bildung und Gesundheitswesen bekannt. In der Außenpolitik dominiert der Widerstand gegen langjährige israelische Besatzung.

Kämpfer der Hisbollah. Bild: Mohammad Zaatari, Quelle: YouTube, Bearbeitung Roter Morgen

Die Hisbollah unterhält viele soziale Einrichtungen, Krankenhäuser, Schulen und Waisenhäuser. Dies führt zur Unterstützung insbesondere bei der ärmeren Bevölkerung. Mit „Al-Manar-TV“ betreibt die Hisbollah seit 1991 einen eigenen regionalen Fernsehsender, der in ganz Libanon empfangen werden kann. Seit dem Jahr 2000 verfügt er auch über eine Satellitenstation. Nach Europa erfolgte die Übertragung ehemals über den französischen Satelliten Hotbird 4. Die französische Rundfunkbehörde sperrte die Ausstrahlung im Dezember 2004 wegen angeblich antisemitischer Inhalte. So war der Sender in Deutschland vor allem nur noch über Internet erreichbar. Später wurde damit gedroht, Vereine zu verbieten, die den Sender in Vereinsräumen zeigen.

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Die moralische Unterstützung der Palästinenser ist seit der Gründung dieser Organisation ein wichtiger Bestandteil ihres Programms. Auch berühmte Christen im Land wie Julia Boutros unterstützten den Widerstand gegen die Besatzung. Den Durchbruch bei der Anerkennung bei allen Muslimen aller Rechtsschulen sowie auch bei vielen Christen erhielt die Hisbollah mit der Vertreibung der israelischen Besatzer aus dem Libanon im Jahr 2000. Der Rückzug wird allerdings als unvollständig betrachtet, da der Libanon die israelisch besetzten Schebaa-Farmen als libanesisches Territorium ansieht, was von Syrien bestätigt wurde.

Zu einem weiteren Ansehensgewinn in der muslimischen Welt kam es nach dem sogenannten Juli-Krieg. Am 12. Juli 2006 drangen nach Angaben der libanesischen Polizei israelische Soldaten nahe Aita al-Schaab auf libanesischem Territorium vor. Angehörige derHisbollah stellten sich den israelischen Soldaten entgegen, acht wurden getötet, zwei gefangen genommen. Israel behauptete hingegen, daß der Zwischenfall auf israelischem Boden stattgefunden hätte und eröffnete daraufhin einen Krieg gegen den Libanon, bei dem überwiegend Zivilisten getötet wurden. Infolge der UN-Resolution 1701 trat am 14. August ein Waffenstillstand in Kraft, mit dem der Krieg beendet wurde. In der muslimischen Welt wurde das als Sieg der Hisbollah gefeiert.

Die westliche Welt hatte vordergründig eine widersprüchliche Haltung zur Hisbollah eingenommen. Einige Staaten, unter anderem die USA und Israel, betrachten die Hisbollah als Terrororganisation. Großbritannien und Australien bezeichnen lediglich Teile der Hisbollah als solche. Der Rat der Europäischen Union führt die Hisbollah in seiner am 29. Mai 2006 veröffentlichten Liste von Terrororganisationen nicht auf, während das EU-Parlament in einem Beschluss vom März 2005 von „terroristischen Aktivitäten seitens der Hisbollah“ spricht. Der EU-Rat setzte am 22. Juli 21013 den sogenannten „militärischen Arm“ der Hisbollah, ausdrücklich aber nicht die ganze Organisation, auf seine Liste der Terrororganisationen. Anfang April 2014 hat der damalige Bundesinnenminister de Maiziere das Waisenkinderprojekt Libanon e. V.verboten, wobei die Nähe zur Hisbollah als eines der Hauptgründe genannt wurde. Am 30. 4. 2020 hat der amtierende Bundesinnenminister Seehofer für Deutschland alle Aktivitäten der Hisbollah mit dem Vereinsgesetz verboten und damit ein faktisches Verbot für die Gesamtorganisation in Deutschland ausgesprochen, was die Entscheidung des EU-Parlaments übersteigt. Gleichzeitig wurden vier Moscheen „ElIrschad“ (Berlin), Al-Mustafa Gemeinschaft e. V. Bremen, Imam Mahdi Zentrum Münster und die „Gemeinschaft libanesischer Emigranten“(Dortmund) durchsucht und Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Zunächst einmal überrascht der Zeitpunkt des Betätigungsverbots und der Razzien. Sie erfolgten in mitten des ohne hin bestehenden Betätigungsverbots für Moscheen während der Corona-Krise, in der alle vier durchsuchten Objekte menschenleer waren und sicherlich auch kaum „Material“ zu finden gewesen ist.

7000 Menschen protestieren 2014 in Berlin gegen den israelischen Krieg in Gaza. Bild: YouTube

Im Libanon gibt es gerade eine schwere Regierungskrise, die auch als Systemkrise eines von Kolonialisten aufgebauten Systems betrachtet werden kann. Die Hisbollah wirkt hier stets als mäßigender und stabilisierender Faktor. Aber offensichtlich will Deutschland seine Beziehungen zum Libanon abbrechen. Der Polizeieinsatz erfolgte einen Tag vor dem Trauertag der Schiiten, an dem Abu Talib dahingeschieden ist. Der Einsatz erfolgte aber auch rechtzeitig vor der erwarteten Annexion des Westjordanlandes durch Israel und der dann nicht mehr zu kaschierender Manifestation des Apartheidstaates. Danach wäre solch ein Einsatz schwieriger zu rechtfertigen gewesen.

Vor allem überrascht die Reihenfolge der Vorgehensweise. Der Verfassungsschutz beobachtet die Objekte seit Jahrzehnten ohne jemals Strafhandlungen festzustellen. Jetzt erfolgte das Betätigungsverbot für mögliche Moscheebesucher. Daraufhin erfolgen die Razzien und zuletzt wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. In einem vergleichsweise sachlichen Tagesschau-Bericht wurde darauf verwiesen, daß auch die Räumlichkeiten von Steuerberatern durchsucht worden seien. In wieweit das mit der Verschwiegenheitspflicht von Steuerberatern zu vereinbaren ist, müssen Juristen klären.

Weniger sachlich als der Tagesschau-Bericht war dieSensationsberichterstattung der Bild-Zeitung, die live an allen vier Moscheen-Standorten dabei war und gleichzeitig im Studio eine Moderatorin und einen Möchtegernexperten zu Wort kommen ließ, der eine Reihe von Unwahrheiten verbreitete. Ganz offensichtlich war die Bild-Zeitung vor allen anderen Medien über die Einsätze informiert und konnte daher live dabei sein und sogar von einem vorbereitetenStudio aus kommentieren. Selbst Filmbeiträge aus früheren Tagen wurden eingespielt, so dass von einer längeren Vorlaufzeit ausgegangen werden muß. In wieweit solch eine Kooperation zwischen privater Medienmacht und Staat, zudem offensichtlich exklusiv, mit den Prinzipien eines Rechtsstaats zu vereinbaren ist, werden heutige Juristen sicherlich nicht behandeln, aber eines Tages Geschichtsbücher.

Es besteht kein Zweifel. Diese Aktion richtete sich nicht nur gegen vier Moscheen, sondern gegen Tausende und Abertausende Sympathisanten des Widerstandes gegen die israelische Besatzung. Die unaufhörliche Unterdrückung der Palästinenser soll auch auf deutschen Boden für alle Zeiten verankert werden. Tausende und Abertausende Familien sollen gewarnt sein, sie sollen Angst bekommen, sie sollen sich noch mehr zurück ziehen, als sie es ohnehin schon getan haben angesichts der Corona-Beschränkungen.

Erstveröffentlichung in ROTER MORGEN info vor wenigen Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers und des Autors.

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