Julius Jamal

Obdachloser auf einer Bank

Sozialchauvinismus: ein Alltagsproblem

Oben buckeln und nach unten treten

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Julius Jamal

Sozialchauvinistische Einstellungen befinden sich in Deutschland im Aufwind, auch in den unteren Bereichen der Gesellschaft. Sie sind das Zeichen einer Gesellschaft, die sich durch das Treten nach unten und das Buckeln nach oben auszeichnet. Beispiele für diese Entwicklung sehen wir jeden Tag, ob in der U-Bahn, auf der Straße oder in dem eigenen Betrieb.

Obdachloser Foto: Dino Kužnik, licensed under CC BY 2.0, Budapest #1, 2014, via flickr.com

Jeder kennt sie, die Zeitungsverkäufer in der U-Bahn, sie verkaufen Zeitungen einer Arbeitslosenorganisation. Meistens laufen sie durch die Bahn und fragen Mitfahrende nach einer kleinen Spende oder dem Interesse eine Zeitung zu kaufen. Pro Tag finden sie mindestens einen Mitfahrenden, welcher in einer wüsten Sprache die Zeitungsverkäufer beschimpft und ihnen erklärt, dass er nichts mit ihnen zu tun haben will und sich nicht für ihre Probleme interessiert. Für diese Aussagen erntet der Schimpfende Anerkennung von vielen Mitfahrenden, welche ähnlichen Denkmustern folgen. Der arbeitslose Zeitungsverkäufer erhält nicht die Gelegenheit, seine Situation zu erklären, obwohl er jede Berechtigung hat sich selbst zu erklären.
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Beispiel unter tausenden

Das Beispiel des Zeitungsverkäufers in der U-Bahn ist nur eines unter tausenden, doch es zeigt deutlich wie weit der Sozialchauvinismus in unserer Gesellschaft verbreitet ist. Jene die am untersten Ende des kapitalistischen Systems stehen, werden von denen beschimpft, die selber nur ein kleines Rädchen im Laufwerk des Systems sind. Der Schimpfende in der U-Bahn lässt den Frust über die Situation zu Hause oder in der Arbeit an jenen aus, bei denen er sich keine Sorgen über Konsequenzen machen muss. Dieser versucht meist nicht, das System zu kritisieren, sondern beschimpft diejenigen, welche in der Rangordnung noch unter ihm stehen, die Arbeitslosen, die “nur auf der faulen Haut liegen”.
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Verknüpfung mit Alltagsrassismus
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Sozialchauvinistisches Denken findet sich häufig in der Verbindung mit alltagsrassistischen Denkmustern. Das zeigt sich in den vielerorts um sich greifenden Angriffen gegen Roma und Sinti. Diese werden in vielen Ländern Mitteleuropas als “Schmarotzer” bezeichnet und somit als unproduktivstes Element in der Gesellschaft. Die Bezeichnung “Schmarotzer” und “Unproduktive” wird häufig von jenen benutzt, welche sich als Teil der Mittelschicht sehen und somit ihre eigene Zugehörigkeit zur arbeitenden Klasse verdrängt haben. Die Einordnung in Schichten hat dazu geführt, dass die Solidarität innerhalb der arbeitenden Bevölkerung immer weiter aufgeweicht wurde und zu einer Abgrenzung innerhalb der Schichten geführt hat. So mag der Schimpfende in der Bahn der Mittelschicht angehören, ist aber selbst ein Teil der arbeitenden Klasse. Da er sich als Teil der Mittelschicht und nicht als Teil der Arbeitnehmer sieht, versucht er sich nicht von denen abzugrenzen, welche über ihm in der Rangordnung stehen, sondern nur von denen, die unter ihm stehen!

Sozialchauvinistische Denkmuster zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Anhänger sich meist vor Angriffen von oben wegducken, während sie auf die unter ihnen eintreten. Gegen solche Denkmuster kann nur vorgegangen werden, wenn die arbeitende Klasse erkennt, dass sie ihre eigene Position nur stärkt, in dem sie sich mit denen solidarisiert, die unter ihnen in der aktuellen Ordnung stehen.

Erstveröffentlichung in „Die Freiheitsliebe“ vom 27.01.2018.  Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.

Über den Autor: Ich habe 2009 die Freiheitsliebe gegründet aus dem Wunsch, einen Ort zu schaffen, wo es keine Grenzen gibt zwischen Menschen. Einen Ort an dem man sich mitteilen kann, unabhängig von Religion, Herkunft, sexuelle Orientierung und Geschlecht. Freiheit bedeutet immer die Freiheit von Ausbeutung. Als Autor dieser Webseite streite ich für eine Gesellschaft, in der nicht mehr die Mehrheit der Menschen das Umsetzen muss, was nur dem Wohlstand einiger Weniger dient.

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