Julius Jamal

Israelkritiker sollen mundtot gemacht werden

Im Gespräch mit Annette Groth

Julius Jamal

Kritik an Israel ist in Deutschland ein schwieriges Thema, schnell werden Veranstaltungen abgesagt und Kritiker als Antisemiten dargestellt. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Annette Groth hat eine Broschüre zu der Stimmungsmache gegen Friedensaktivisten geschrieben. Wir haben mit ihr über die Bedrohung der Meinungsfreiheit im Kontext der Israelkritik gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Du hast vor kurzem zusammen mit Günter Rath die Broschüre „Meinungsfreiheit bedroht – Die Gefährdung der Meinungsfreiheit durch die sogenannten Freunde Israels“ veröffentlicht. Wo siehst du denn die Meinungsfreiheit bedroht, was hast du persönlich erlebt?

Annette Groth: Persönlich habe ich das erlebt, als man versucht hat, mich oder die Veranstalter, die mich einluden, einzuschüchtern. Zunehmend werden Menschenrechtsveranstaltungen, die Israel oder Palästina zum Thema haben, nach Ausübung von öffentlichem Druck abgesagt oder verboten bzw. können nur per Gerichtsentscheid durchgeführt werden, wie z.B. die KOPI Tagung im Juni im Ökohaus in Frankfurt.
Die Einschränkungen und Verbote haben inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass ich ernsthaft unser im Grundgesetz verankertes Recht auf Meinungsfreiheit gefährdet sehe. Ich habe die Broschüre auch deshalb veröffentlicht, weil diese Auftritts- und Redeverbote Israel-kritischer ReferentInnen oftmals nicht in den überregionalen Medien thematisiert werden. Eine Freundin, die Korrektur gelesen hat, war entsetzt, als sie die zahlreichen Behinderungen, Drohungen und Auftrittsverbote gesehen hat. Ich bin der Meinung, dass diese Einschüchterungen weit über das Nahost-Thema hinausgehen und darauf abzielen, kritische Diskurse aus den Mainstream-Medien zu verbannen. Vielleicht können wir demnächst auch keine Veranstaltungen zu den Polizeiausschreitungen des G20 Gipfels in Hamburg oder zu rassistischer Gewalt gegen Geflüchtete abhalten. Darum müssen wir uns mit aller Vehemenz gegen Redeverbote und Einschränkungen der Meinungsfreiheit zur Wehr setzen. An dieser Stelle möchte ich an den ausgezeichneten Appell „Empört Euch“ von Stephane Hessel erinnern, der 2011 bei Ullstein erschienen ist. Dieser Aufruf ist von erschreckender Aktualität und verdient nach wie vor große Aufmerksamkeit.

Die Freiheitsliebe: Du weist in der Broschüre auch daraufhin, dass es immer schwieriger wird, Solidaritätsarbeit mit Palästina durchzuführen. Ist das nur im politischen Bereich der Fall oder auch in anderen?

Annette Groth: Es zieht sich durch alle Bereiche. Nehmen wir als Beispiel den Evangelischen Kirchentag. Es ist leider nicht möglich, innerhalb des offiziellen Kirchentagsprogramms einen Palästina-Tag durchzuführen, das ist den Veranstaltern anscheinend zu heikel, warum auch immer. So müssen die Organisatoren des Palästina-Tags immer einen Veranstaltungsort außerhalb des Kirchentages suchen. Beim letzten Kirchentag in Berlin im Mai 2017 hatten die Organisatoren ein Jahr im voraus die Katholische Akademie gebucht, einen Monat vor der Veranstaltung wurde der Vertrag durch die Akademie gekündigt. Der Versuch, den Vertragsbruch auf dem Klageweg juristisch aufzuheben, ist leider gescheitert. Glücklicherweise hat eine Kirchengemeinde in Marzahn ihre Räume für den Palästina-Tag zur Verfügung gestellt, so dass diese wichtige Veranstaltung mit Gideon Levy und anderen namhaften Nahost-Experten zustande kam.

Skandalös war auch die kurzfristige Absage einer langgeplanten Konferenz „Nahostpolitik im Spannungsdreieck – Israelisch-palästinensische Friedensgruppen als Lernorte für deutsche Politik?“ in der Evangelischen Akademie Tutzing, die die Akademie zusammen mit der Petra-Kelly-Stiftung und der Münchner Evangelischen Stadtakademie durchführen wollte. Ein gutes Jahr haben die Organisatoren diese Tagung mit hochrangigen VertreterInnen aus Israel (u.a. Moshe Zimmermann, Lizzie Doron) und Palästina, sowie aus Deutschland vorbereitet, und dann kam urplötzlich die Absage. Offizieller Grund dafür war, dass es „nicht gelungen sei, alle für die Veranstaltungen maßgeblichen Gesprächspartner zu gewinnen“. Dies war eine Ohrfeige für die Organisatoren, zumal die Veranstaltung mit Politikern wie Volker Beck (Grüne) oder Ruprecht Polenz (CDU) mehr als ausgewogen war, Linke waren erst gar nicht eingeladen. Als Reaktion verfassten die eingeladenen ReferentInnen einen offenen Brief an die Akademie und an den Landesbischof, in dem sie ihre große Enttäuschung über die Absage zum Ausdruck brachten und die Vermutung äusserten, daß wohl „kritische Stimmen zum Schweigen“ gebracht werden sollten: … „die Begründung der Absage lässt vermuten, dass sich unsere deutschen Gastgeber an die Haltung der israelischen Regierung angepasst haben, die die Befürwortung des Friedens für illegitim hält… Statt von Europa den Frieden zu unterstützen, wird den Hardlinern nachgegeben.“

Die Vereitelung dieser Veranstaltung mit palästinensischen und israelischen FriedensaktivistInnen ist umso bedauerlicher, weil ein Treffen der diversen AkteurInnen aus beiden Ländern nur im Ausland stattfinden kann, und das wurde ausgerechnet von einer kirchlichen Institution verhindert!
Publizität erhielten auch die Auftrittsverbote von Judith Bernstein, Sprecherin der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München, und von Abi Melzer, jüdischer Aktivist und Herausgeber von „Der Semit“. Diese Verbote mussten aufgrund von Gerichtsurteilen im Münchner Gasteig und im Frankfurter Saalbau Gallus aufgehoben werden.

Die Freiheitsliebe: Du schreibst, dass auch immer mehr kritische Jüdinnen und Juden von der Stimmungsmache und den Auftrittsverboten betroffen sind. Wie erklärt man denn, dass das ausgerechnet in Deutschland geschieht?

Annette Groth: Das finde ich mit am schlimmsten, und das Argument, diese seien „selbsthassende Juden“ finde ich absolut abstrus. Dass denjenigen, die sich angeblich für Jüdinnen und Juden einsetzen, nicht auffällt, welche Politik sie betreiben, wenn sie kritischen Jüdinnen und Juden den Mund verbieten wollen, ist doch bezeichnend. Es geht dabei gar nicht um Juden und Jüdinnen, sondern darum, Veranstaltungen zu verhindern, die sich mit den gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Israel befassen.

Die Freiheitsliebe: Du hast in deiner Broschüre nicht nur Berichte über kritische Aktivisten, sondern auch Beispiele aus Universitäten, wie der Wissenschaftlerin Eleonora Roldán Mendívil, die auch massiv angegriffen und deren Entlassung gefordert wurde, weil sie sich kritisch zum Zionismus geäußert hat, was häufig mit Antisemitismus gleichgesetzt wird. Das Ergebnis einer Untersuchung über ihre Lehrtätigkeit war allerdings, dass sie weder antisemitisch geschrieben noch geredet hat.

Annette Groth: Das ist nur ein Fall. Es nützt dir allerdings nichts, wenn du rehabilitiert wirst. Die Unterstellung des Antisemitismus wird man auch dann nicht mehr los, selbst wenn es nicht wahr ist und das sogar nachgewiesen wird.

Der Antisemitismus-Vorwurf ist wirklich existenzgefährdend, weil man damit rechnen muss, seine Arbeit zu verlieren, und da gibt es bereits einige traurige Beispiele. Die Gefahr ist gross, dass insbesondere an den Unis das Nahost-Thema kaum noch Gegenstand von Lehrveranstaltungen ist, aus Angst, dass man den Stempel des Antisemitismus erhält. An einigen Unis sind die Unterstützer der israelischen Politik besonders präsent, so z.B. in Göttingen, wo der ASTA kürzlich zu einer Demo für Israel aufgerufen hat.

Die Freiheitsliebe: Ist diese Kampagne und Stimmungsmache besonders stark in Deutschland?
Annette Groth: Nein, auch in USA gibt es in verschiedenen Staaten Gesetze, die Unterstützung von BDS kriminalisieren; damit kann man eigentlich jede Israelkritik verbieten, man muss nur behaupten, der oder die ist pro BDS. In Großbritannien hat ein Hohes Gericht ein BDS-Gesetz kassiert, in einigen anderen EU-Mitgliedstaaten sind sog. BDS-Gesetze in der Planung, in fast allen EU-Staaten haben Organisatoren Israel-kritischer Veranstaltungen ähnliche Probleme, Räume zu finden und sehen sich mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert.

In Deutschland gibt es Versuche wie in München und Frankfurt, städtische Räume nicht mehr an Organisationen zu vermieten, die angeblich BDS unterstützen, weil BDS angeblich antisemitisch sei, was aber Unsinn ist. Dass BDS NICHT antisemitisch ist, hat sogar der wissenschaftliche Dienst des Bundestages auf eine Anfrage des ehemaligen MdB Volker Beck bestätigt.

Vor einigen Tagen hat die israelische Regierung angekündigt, 20 Solidaritätsorganisationen, die BDS unterstützen, die Einreise nach Israel zu verbieten. Unter diesen Organisationen sind u.a. BDS Frankreich, BDS Italien, BDS Südafrika, aber auch Jewish Voice for Peace (!), Palestine Committee of Norway, Palestine Solidarity Association of Sweden, und das europäische Netzwerk European Coordination of Committees and Associations for Palestine

Die Freiheitsliebe: Welche Möglichkeiten siehst du gegen diese Stimmungsmache vorzugehen?

Annette Groth: Neben dem juristischen Weg, den einige ja erfolgreich gegangen sind, müssen wir uns alle gemeinsam gegen Auftrittsverbote zur Wehr setzen. Ich wünsche mir, dass JournalistInnen, PolitikerInnen und Kulturschaffende laut gegen Einschüchterungsversuche wie z.B. den Antisemitismus-Vorwürfen, protestieren und nicht länger dazu schweigen, wie es die meisten machen. Angesichts der aktuellen Debatte um eine/n Antisemitismus-Beauftragten sollten wir eine/n Antirassismus-Beauftragten fordern, denn die Statistiken sprechen für sich: Diskriminierung und Gewalt gegen Geflüchtete und AusländerInnen, gegen Muslime und Nicht-Weisse sind wesentlich größer als Diskriminierung und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden. Ich will den Antisemitismus nicht klein reden, im Gegenteil, er muss überall bekämpft werden. Aber die sog. Antisemitismus-Kampagnen, die sich in erster Linie gegen kritische Jüdinnen und Juden, gegen Friedens- und MenschenrechtsaktivistInnen richten, relativieren den realen Antisemitismus – und das ist gefährlich.

Wir müssen gemeinsam gegen alle Formen von Rassismus, der den Antisemitismus mit einschließt, kämpfen.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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Erstveröffentlichung in „Die Freiheitsliebe“ vom 06. Januar 2018.  Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers
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Über den Autor: Ich habe 2009 die Freiheitsliebe gegründet aus dem Wunsch, einen Ort zu schaffen, wo es keine Grenzen gibt zwischen Menschen. Einen Ort an dem man sich mitteilen kann, unabhängig von Religion, Herkunft, sexuelle Orientierung und Geschlecht. Freiheit bedeutet immer die Freiheit von Ausbeutung. Als Autor dieser Webseite streite ich für eine Gesellschaft, in der nicht mehr die Mehrheit der Menschen das Umsetzen muss, was nur dem Wohlstand einiger Weniger dient.

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