Andrej Konstantin Hunko

Scharfschützen beim Aachener Karlspreis
.

Andrej Konstantin Hunko

Am 10. Mai fand in Aachen die alljährliche Karlspreisverleihung statt. Preisträger war der französische Präsident Emanuelle Macron, Laudatorin die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Wer gehofft hatte, dass es bei dieser Karlspreisverleihung zu einem Zugehen Merkels auf die finanzpolitischen Vorschläge Macrons in Bezug auf die Eurozone kommen würde, wurde enttäuscht. Außer freundlichen Worten der Kanzlerin war nichts gewesen.

Spannender waren die Themen, die aus den Aachener Bewegungen anlässlich der Preisverleihung gesetzt wurden: Die in Aachen ausgesprochen starke und die Proteste auf dem Markt dominierende Stop-Tihange-Bewegung forderte vom französischen Präsidenten, seinen Einfluss geltend zu machen, um das marode Atomkraftwerk 60 km westlich von Aachen zu schließen. Der französische Staat ist größter Einzelaktionär des Mutterkonzerns von Electrabel, dem Betreiber von Tihange. Macron könnte also tatsächlich auf die Stilllegung des wohl gefährlichsten Reaktors in Europa, Tihange 2, hinwirken, wenn er wollte. Er will aber nicht, wie er in Aachen gegenüber Studenten deutlich machte: „Sie haben mein Versprechen, dass Sie in Sicherheit sind“ antwortete er frei nach dem Motto ‚la sécurité, c’est moi‘ auf entsprechende Fragen in einer Diskussion an der RWTH Aachen. Was interessieren schon Expertengutachten – wenn der französische Präsident sagt, Tihange ist sicher, dann ist Tihange sicher.
.

Scharfschützen beim Aachener Karlspreis

Rund 1000 Menschen waren also auf dem Aachener Markt zusammen gekommen, um anlässlich der Preisverleihung ihre jeweiligen politischen Vorstellungen auszudrücken. Der überwältigende Teil, in Gelb gekleidet, forderte die Abschaltung von Tihange. Darunter mischten sich die EU-Fans von ‚pulse of europe‘ in Blau. Etliche Antimilitaristen und Kriegsgegner/innen kritisierten zudem Macrons völkerrechtswidrige Bombardements in Syrien, seine Arbeitsmarkt’reformen‘, sowie die Aufrüstungspläne der EU. Die Versammlung am Tag der Karlspreisverleihung hat in Aachen eine lange Tradition, war angekündigt, genehmigt und wie immer völlig friedlich.

Umso überraschter waren viele Bürgerinnen und Bürger auf dem Aachener Markt, als sie auf dem Rathausdach und auf einem gegenüber liegenden Gebäude Scharfschützen entdeckten, die auf die Versammlung zielten. Offenbar nichts ungewöhnliches, wenn Staats- und Regierungschefs unterwegs sind. Im Rathaus waren immerhin Merkel, Macron, Poroschenko und der spanische König anwesend. Aber anlasslos auf friedliche Demonstranten zielen, während die hohen Damen und Herren sich mehrere hundert Meter und diverse Absperrungen entfernt feiern? Hier stellt sich schon die Frage, ob das rechtlich gedeckt ist. Es kann doch nicht sein, dass anlassloses Filmen auf Demonstrationen für die Polizei verboten ist, aber anlassloses Zielen erlaubt sein soll.

Folgende Frage an die Bundesregierung habe ich deshalb eingereicht, Antwort kommt nächste Woche: „Mit welchen Kräften waren deutsche und ausländische Polizei- oder Militärangehörige am 10. Mai 2018 zur Sicherung der Verleihung des „Karlspreis“ in Aachen eingesetzt (bitte insbesondere die Einheiten aus Frankreich mit ihrer entsendenden Abteilung benennen), und aus welchen Gründen war es aus Sicht der Bundesregierung notwendig, vom Dach des Rathauses auch dann mit automatischen Waffen auf eine angemeldete Kundgebung zu zielen, während die eingeladenen Politiker sich zu einer mehrstündigen Zeremonie im Kaisersaal getroffen hatten, was aus meiner Sicht versammlungsfeindlich ist und Menschen von der Teilnahme abgeschreckt hat?“

40.000 Menschen hatten am gleichen Tag in München gegen ein geplantes und drastisch verschärftes bayrisches Polizeigesetz demonstriert. Auch in NRW soll Mitte Juli ein entsprechendes Gesetz, das in die gleiche Richtung geht, den Landtag passieren. Grund genug den Vorgängen in Aachen nachzugehen.
.
Über den Autor: Andrej Hunko ist Sprecher für Europapolitik der Linken im Bundestag.
.

Für den Inhalt dieses Artikels ist der Autor bzw. die Autorin verantwortlich.
Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um die Meinung der Redaktion handeln.

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung –
Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz
.
Auch linker Journalismus ist nicht kostenlos
und auch kleine Spenden können helfen Großes zu veröffentlichen!

 

zurück zur Startseite

Sag uns deine Meinung zum Artikel mit einem Kommentar/Leserbrief