F.-B. Habel

Berlinale 2018: Deutsche Nachwuchsfilmemacher in einer Nebensektion

F.-B. Habel

Welche Perspektive hat das deutsche Kino? Seit 17 Jahren versucht die gleichnamige Sektion eine Antwort auf diese Frage – wenigstens anzudeuten. Erste bis dritte Filme junger Regisseure laufen in dieser Reihe. In diesem Jahr, so Sektionsleiterin Linda Söffker, erlebt man starke Figuren, die im eigenen Leben verloren sind. Tatsächlich sind viele Protagonisten mit sich selbst beschäftigt. Dass der Mensch von sozialen Umständen geprägt wird, vermittelt sich dezent am Rande.

Publikumsträchtig scheint ein turbulenter, hintergründiger Film um eine Bar zu sein. Die heißt wie der Film, »Feierabendbier«, Späthipster Magnus ist der Wirt. Nach einer gescheiterten Beziehung hat der Vater eines Jungen mit der Menschheit abgeschlossen. Das einzige, was ihm noch etwas bedeutet, ist sein 81er Mercedes Sec. Als der gestohlen wird, hat Magnus einen Verdacht. Die Jagd nach dem Auto bringt ihn langsam wieder ins normale Leben zurück. Regisseur Ben Brummer ist eine publikumswirksame Komödie gelungen, die die Frage aufwirft, mit welchen Werten man leben soll. Dass nicht alle Handlungsumschwünge logisch sind, nimmt der Zuschauer in Kauf, solange er unterhalten wird.

Eine ganz andere Handschrift zeigt der Kölner Felix Hassenfratz. »Verlorene« nennt er die Figuren seines im dörflichen Milieu angesiedelten Films, bei dem ein junger Zimmermann auf der Walz ins Haus eines Vaters mit zwei Töchtern kommt. Die ältere, Maria, und er verlieben sich, aber ein dunkles Geheimnis hält die begabte Organistin davon ab, den Vater zu verlassen. Als die jüngere Tochter dahinterkommt, eskaliert die Situation. Der Regisseur führte die vier Hauptdarsteller sensibel durch die Missbrauchsgeschichte mit optimistischem Schluss.

Macht nicht an der Grenze halt: Paul (Sebastian Rudolph) in »Whatever happens next«
Foto: Carol Burandt von Kameke/The Storybay UG

Verloren und gleichzeitig stark ist Paul, Held des Langfilmdebüts von Julian Pörksen, »Whatever happens next«, einer der besten Beiträge der Perspektive, auch wenn die Wahl des englischsprachigen Titels unverständlich ist. Ein Aussteiger in mittleren Jahren, charismatisch und zugleich alltagsnah gespielt von Sebastian Rudolph, hat seine bürgerliche Existenz hinter sich gelassen und zieht als Schnorrer und Hochstapler durchs Land. Seine Begegnungen erlauben einen Blick auf andere Lebensentwürfe und Verhaltensweisen. Er macht nicht an der Grenze halt, was unsere polnischen Nachbarn in den Blick geraten lässt. Spannung entsteht durch einen von Peter René Lüdicke gespielten Privatdetektiv, den Pauls Frau auf ihn angesetzt hat.

Einen Ausflug ins Nachbarland Tschechien bot Autorenfilmer Philipp Eichholtz, dessen »Rückenwind von vorn« die Perspektive eröffnete. In dem sympathischen, selbstproduzierten Film (von Oma gefördert) sucht die Berlinerin Charlie (Victoria Schulz) noch nach ihrem Platz im Leben, nach der richtigen Partnerschaft. Ein Tschechien-Trip mit ihrem besten, in sie verliebten Freund Gerry (Daniel Zillmann) und ihrer Oma (DDR-Filmliebling Angelika Waller in einem tragikomischen Comeback) hat allerdings nicht so viel über unsere Nachbarn zu erzählen.

Viel weiter weg, nämlich nach Isfahan, führt »Die defekte Katze«. Der erste lange Film von Susan Gordanshekan, einer in Kassel geborenen Tochter iranischer Einwanderer, erzählt langsam und sensibel von einer arrangierten, in der Konsequenz weißen Ehe (ohne Sex). Mina, eine moderne Iranerin, verlässt nach der Hochzeit die Heimat, um mit ihrem Mann, dem Arzt Kian, in Berlin zu leben. Im Ehealltag erweist sich, dass der geduldige Kian von Denkweisen aus seiner Heimat nicht abkommt. Die Trennung steht im Raum.

Es gibt Hoffnung für den deutschen Film. Je mehr, desto eingehender sich die jungen Autorenfilmer mit sozialen Verhältnissen beschäftigen.
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Aus Junge Welt vom 23. März 2018, mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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Berlinale 2018 (2. Teil)
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