F.-B. Habel

Endlich mal die Fresse polieren lassen

Von Pasolini, einem Horrorhotel im Harz und der Bundeswehr im Irak:
Neue deutsche Filme auf der Berlinale

F.-B. Habel

Der Dokumentarfilm „Garagenvolk“, eine in Russland entstandene deutsche Produktion ist der Debütfilm von Natalija Yefimkina, die mit zwölf Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland kam. Sie porträtiert liebevoll Menschen an der Armutsgrenze im russischen Norden, erfragt ihre Erfahrungen, Wünsche, Träume, und das alles in einer verfallenden Garagenstadt, in der man viel findet – nur keine Autos.

Hier wird Schrott gesammelt, werden Wachteln gezüchtet, und eine Rockband hat hier ihren Probenraum. Immer zeigt sich: Russen haben in der Sowjetunion gelernt zu improvisieren, und in der tristen Gegenwart ist diese Fähigkeit nötiger denn je. Dieser Beitrag aus der Berlinale-Sektion »Perspektive Deutsches Kino« erhielt den 8. Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung, und dass eine Regisseurin geehrt wurde, ist nur logisch, denn sechs der acht Debütfilme dieser Reihe wurden von Frauen inszeniert.

Falko Lachmund/Flare Film
Vater in Geldnot: »Kids Run« (Jannis Niewöhner)

In Barbara Otts Drama »Kids Run« steht Jannis Niewöhner als Vater in Geldnot im Mittelpunkt. Ein Tagelöhner, der drei Kinder von zwei Frauen allein durchzubringen versucht und darauf hofft, als Preisboxer das große Geld zu machen. Es mag den oft jung und schön inszenierten Schauspieler gereizt haben, sich mal die Fresse polieren zu lassen. Er liefert eine sehenswerte Performance. Das Szenarium kommt aber über die Schilderung prekärer Verhältnisse kaum hinaus. Die einzigen Lichtblicke in dem auch optisch düsteren Film sind Szenen des Helden mit seinen Kindern.

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Im Film »Ein Fisch, der auf dem Rücken schwimmt«, mit dem die aus Bulgarien stammende Eliza Petkova ihr Studium an der Berliner Filmhochschule DFFB abschloss, geht es um »die innere Leere des Menschen«. Ort der Handlung ist das Haus mit Garten und Swimmingpool des global agierenden Managers Philipp, der seine Frau verloren hat und hier allein mit seinem 19jährigen, spätpubertären Sohn lebt. Philipps neue Freundin Andrea zieht ein, eine Frau ohne Vergangenheit, die in einigen Szenen mit Kindern arbeitet. Die Figur erinnert an den namenlosen Gast in Pasolinis »Teorema« (1968). Andrea ist gut zu allen, geht mit dem Sohn, aber auch mit dem Dienstmädchen eine besondere Beziehung ein, bringt einiges in diesem Mikrokosmos durcheinander. Anders als bei Pasolini bleiben grundlegende Probleme ausgespart, eine allenfalls vage Schussrichtung und doch sehr entschleunigte Erzählweise sorgen für Langeweile.

Von anderem Kaliber (um im Bild zu bleiben) ist die deutsch-griechische Koproduktion »Im Feuer« von Daphne Charizani, ein Kriegsfilm, der wie alle guten Filme dieses Genres ein Antikriegsfilm ist. Warum die in Köln lebende irakische Kurdin Rojda Bundeswehrsoldatin ist, erfahren wir nicht. Soll das als »normal« gelten? Rojdas Schwester Dilan jedenfalls hat sich im Irak kurdischen Kämpferinnen angeschlossen und den Kontakt zur Familie verloren – oder abgebrochen? Rojda lässt sich ins nordirakische Erbil versetzen, offiziell, um die Ausbildung von Peschmerga-Kämpferinnen gegen den IS mit ihren Sprachkenntnissen zu unterstützen, im Geheimen aber, um ihre Schwester zu suchen. Von Kampfeinsätzen bleibt Rojda nicht verschont. Charizani zeigt die Situation der Kurden (auch die der Flüchtlinge in Köln) und ihren Kampf ungeschönt. Ob das Miteinander in der Bundeswehr immer so problemlos läuft wie hier mit einem besonders verständnisvollen Feldwebel, darf in Frage gestellt werden.

»Schlaf« von Regisseur Michael Venus schließlich ist ein Genremix aus deutschem Heimatfilm und Gruselthriller. Von schrecklichen Alpträumen, die um ein kleines Hotel im Harz kreisen, wird die Mutter einer erwachsenen Tochter in den Wahnsinn getrieben, während die Tochter auf Mutters Spuren in ebendieses Hotel zieht und nach und nach mit unheimlichen, übersinnlichen Geschehnissen konfrontiert wird. Der aus weißblauen Heimatserien bekannte August Schmölzer darf einen jovialen Bösewicht spielen, der irgendwann zu einem völkischen Rechtsradikalen mutiert. Das wirkt aufgesetzt, lächerlicher als es gemeint war. Und wer glaubt, den Star des Films Sandra Hüller in einer neuen Charakterrolle zu erleben, sei gewarnt. Nach 20 Minuten fällt sie in den titelgebenden Schlaf und geistert erst am Ende als Somnambule umher. – Da haben die Frauen doch die schlüssigeren Filme gemacht!

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»Schlaf«, Regie: Michael Venus, D 2020, 102 Min., 27., 28.2.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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