Nico Jühe

Kommentar zur Sammlungsbewegung “#aufstehen”
von Wagenknecht & Co

Nico Jühe

Was die Reaktionen vor allem gezeigt haben, ist, dass es ein großes Bedürfnis nach Veränderung gibt. Ein Wunsch nach Veränderung, der sich insbesondere aus den inneren Widersprüchen des Imperialismus, und seines ideologischen Schwertes, dem Neoliberalismus speist. Die grundlegende Frage, die ich mir dabei immer wieder stelle, ist: Was müssen und was können die Anforderungen an eine linke Bewegung in der BRD sein? „Können“ und „Müssen“ sind dabei zwei kategoriale Unterschiede: „Müssen“, also Notwendigkeit, ist für mich, wenn eine linke Bewegung ihren Namen überhaupt verdient, die Absage an das kapitalistische Wirtschaftssystem, d.h. Bekenntnis zum gesellschaftlichen Eigentum an Produktionsmitteln, ferner, die Bekenntnis zur Klassenpolitik und zur Klassenfrage: Der Staat ist, in wesentlicher Ausübung, Machtinstrument der herrschenden Klasse, d.h. auch alle Organe, seine Staatsform der „repräsentativen Demokratie“, sind Repräsentationen der geschäftsführenden Ausschuss des Monopolkapitals. Oder anders formuliert im Kommunistischen Manifest von 1848:

„Wir sahen schon oben, daß der erste Schritt in der Arbeiter-Revolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktions-Instrumente in den Händen des Staats, d. h. des als herrschende Klasse organisirten Proletariats zu centralisiren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“

Kurzum: Die reale Macht wird durch die Herrschaft über die Ökonomie ausgeübt, und in dieser Form, ist der Staat des Kapitals Klassenstaat, er ist in jeder Hinsicht keiner Reform und keiner wirtschaftlich- oder politischen Korrektur fähig. Das beweist zum einen seine Geschichte, denn der Staat passte sich jeweils den Krisenzyklen des Kapitalismus zugunsten des Kapitals an (das gilt auch für Willy Brandt und Helmut Schmidt), zum anderen beweist es seine imperialistische Politik nach außen. So sehr wir hier über Sozialleistungen und anderes diskutieren, ist das noch ein laues Lüftchen, im Verhältnis dazu, wie der deutsch-europäische Imperialismus in der Peripherie wirkt, der mittlerweile auch innereuropäisch sichtbar wird.

Zum anderen bedeutet „Können“ die konkrete historische Situation, unter denen das revolutionäre Subjekt steht, aber auch wie es um die Organisationsformen in der Klassengesellschaft bestellt ist, und inwieweit die Bewegung konkret ihr optimales Wirkungspotenzial entfalten kann. Nach dieser Einleitung kommen wir nun zur Sammlungsbewegung:
 Die grundlegende Intention, bei denen ich viele Freunde und Genossen erlebe, eine Bewegung jenseits des Parteienspektrums zu etablieren, ist zunächst einmal richtig.

Auch mancherlei Erklärungen, man müsse die Leute abholen wo sie stehen, ist vollkommen richtig und wichtig. Aber hier bedeutet Abholen nicht: Mit den Menschen im Kreis zu fahren und an derselben Stelle wieder anzukommen. Wir müssen uns doch fragen, inwieweit wir hier, und ich komme auf das oben erläuterte zurück, Können und Müssen miteinander verwechseln: Wir können die Menschen nur da abholen, wo sie stehen. Geschenkt. Aber bedeutet das wirklich, sie in eine Klassenromantiks-Rhetorik einzuseifen, in der suggeriert wird, wir können zurück in die 70er Jahre? Wer Kapitalismus verstanden weiß, dass es die 60er und 70er nur gab, weil es die 30er und 40er gab. Wollen wir den Menschen tatsächlich so etwas erzählen? Dann komme ich zu dem „Müssen“: Für die Länder der dritten Welt hat der dritte Weltkrieg längst begonnen, und wie es Heiner Müller einst so schön pointierte, ist die Kapitalbewegung in den imperialistischen Zentren durch eine Rheuma-Decke abgedeckt, während das Kapital an den Rändern, in der Peripherie erst sichtbar wird. Im Zuge von Waffenexporten, von den imperialistischen Ländern angezettelten Kriegen, dem voranschreiten des Klimawandels etc. sind es wir zwar auch, aber vor allem die Länder der dritten Welt, die keine weiteren Reformversuch kapitalistischer Ausbeutungs- und Knechtschaftsverhältnisse braucht.

Hinzu kommt das Einstellen auf die Rhetorik der Obergrenzen für Flüchtlinge. Das wird zumeist damit begründet, dass man vor Ort helfen solle. Wie aber Bitte soll das in einem imperialistischen Weltsystem innerhalb diesem zu machen sein? Allein die Agrarsubventionen, die westliche Staaten zahlen um ihre Konzerne in Afrika zu übervorteilen, kostet die afrikanischen Staaten jedes Jahr um die 20 Milliarden Dollar, das ist mehr als die Summe der gesamten Entwicklungshilfe. Wir können uns vorstellen, wie die Summe steigt, wenn wir andere Wirtschaftssektoren, insbesondere den Rohstoffsektor, hinzunehmen.

Wie um alles in der Welt soll das mit „vor Ort Hilfe“ mittels Gelder lösbar sein? Hinzu kommt die in Zukunft anhaltende Fluchtbewegung durch die Klimaveränderungen, dazu noch nicht die gegenwärtige Situation und die Auswirkungen westlicher regime-changes in Libyen und anderer Staaten.
Wie um alles in der Welt soll das innerhalb reformistischer Bestrebungen lösbar sein? Ist es offensichtlich nicht. Es bleibt also die Frage, inwieweit wir heute für die Interessen der Ausgebeuteten & Unterdrückten in aller Welt eintreten und wirken wollen. Die Klasseninteressen des deutschen Proletariats sind längst nur noch im Kontext globaler Fragen zu verstehen. Ich bin kein Träumer von der Weltrevolution, aber so realistisch zu sehen, dass der Kampf innerhalb der BRD auch ein Kampf gegen den deutschen Imperialismus und seiner Auswirkungen in der Welt sind.

Hier stellt sich für mich die einfache Frage: Erfüllt diese neue Sammlungsbewegung (zugestanden: auf lange Sicht) diesem Ziel oder nicht?
Wenn wir es gut meinten, könnten wir sagen, es würde das Bewusstsein der deutschen Arbeiterklasse schärfen und wachrütteln. Wohin aber? Zu einem Sozialstaats-Konzept der Vergangenheit? Oder zu einem „Wir helfen mal vor Ort, allerdings haben deutsche Interessen Vorrang“-Bewusstsein? Ich sehe keine Anknüpfungspunkte an diese Fragen, die mich, als Marxisten und halbwegs intelligenten Menschen bewegen.

Wie ich es bereits sagte: Wir leben noch, im Verhältnis zu anderen Ländern, auf einer Insel der Seeligen, da der deutsche Imperialismus durch riesige Exportüberschüsse die Krise aus seinem Land (noch) fernhalten kann. Was aber, wenn die Krise auch uns erreicht? Was hilft da ein höherer Mindestlohn, eine Finanztransaktionssteuer oder Erbschaftssteuer?

Eine linke Bewegung ist verpflichtet, auf diese Fragen Antworten zu finden, wenn sie das nicht kann, so reiht sie sich nur als eine weitere Fußnote ins Bühnenspiel „bürgerliche Demokratie“ ein.

Dieser Beitrag ist keine „Miesmachung“ oder Diskreditierung, sondern ein ernst geäußerte Besorgnis.

Ich war damals bei der Vereinigung von PDS und WASG Mitglied der PDS und habe damals eine ähnliche Euphorie erlebt. „Jetzt geht’s los“, hieß es. Wo die PDL nun heute steht, ist mit ihren Regierungsbeteiligungen schon längst bekannt.

Ich habe die Befürchtung, dass auf der Euphorie eine weitere Ernüchterung folgt. In den Wissenschaften heißt es so schön „Wir irren uns empor“, das Problem ist nur, dass sich ein Irren in der politischen Gegenwart gegen die tickende Zeitbombe des dritten Weltkriegs, dem Klimawandel u.ä. steht.
Für mich stellt sich die Frage: Ist diese Äußerung sozialen Protestes als außerparlamentarische Bewegung (zunächst zumindest) eine Wirkung hinsichtlich der Bewusstmachung weiter Teile der Ausgebeuteten in diesem Land, oder aber verspricht sie Hoffnungen auf ein Sozialstaatsmodell, dass es unter kapitalistischen Bedingungen nicht geben wird und somit womöglich die Enttäuschten erst recht zu AfD & Co treiben werden?

Ich lasse mich anhand dieser Frage nicht in diesen Gegensatz „Dafür oder Dagegen“ drängen, sondern meine Referenz ist und bleibt der Klassenstandpunkt und die Klassenfrage, die Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft und des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Solidarität der unterdrückten Völker und Ausgebeuteten national wie international. Anhand dieser Frage richten sich meine Bedenken und Sorgen aus. Ich bin aber weit davon entfernt, etwas abzulehnen oder zu verteufeln.

Ich lehne die aufstehen Bewegung nicht grundsätzlich ab, ansonsten erscheint der Beitrag in einem falschen Kontext. Ich will nicht Teil einer „Anti-Kampange“ sein, sondern kritischer Beobachter.
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Das Bild wurde von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.
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