Womit muss der Anfang beim Studium des Kapitals gemacht werden?

Oder bürgerliche Schwierigkeiten beim Studium des Kapitals

Bekanntlich bezeichnete Friedrich Engels das Kapital von Marx als Bibel der Arbeiterklasse. Die Bibel sollte man unvoreingenommen studieren. Ein übermäßiger Konsum von Sekundärliteratur kann dazu führen, dass man am Ende den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.

Die Frage, womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden, bewegte die Menschenaffen vor dem aufrechten Gang noch nicht. Wissenschaftsgeschichtlich wurde die Frage relativ spät aufgeworfen. Essentiell wird sie von Hegel gestellt.  Er antwortet, der Anfang müsse mit dem Sein, dem reinen Sein gemacht werden, dem Sein ohne jede weitere Bestimmung. Das reine Sein erweist sich, da nichts Konkretes ausgesagt werden kann, als nichts. Aus dem Sein und Nichts zugleich entsteht Werden, denn dieses ist Sein und Nichts in einem. Das Sein ist die These, dass Nichts die Antithese, das Werden die Synthese. So gelangt Hegel in die fortschrittliche Bewegungsdynamik der Dialektik seiner logischen Kategorien, der Hauptbegriffe seines Systems, dessen Grundstein wie gesagt das Sein ist und dessen Schlussstein nach den Worten des idealistischen Großmeisters der Dialektik selbst die Gedanken Gottes vor der Schöpfung des Menschen bildet. Bei Hegel überwiegt die konservative Seite der Dialektik, politisch läuft alles auf die unberührbare Notwendigkeit der wirklichen Verhältnisse ab, auf die Rechtfertigung und Verteidigung der preußischen Monarchie seiner Zeit, kein Wunder, dass Engels die Hegelsche Dialektik in der vorliegenden Form als unbrauchbar abqualifizierte.

Marx beginnt mit der Ware. Die Warenform des Arbeitsproduktes ist für ihn wie er es in dem ersten Vorwort zum Kapital formuliert die ökonomische Zellenform der bürgerlichen Gesellschaft (Vergleiche Karl Marx, Das Kapital, Werke, Band 23, Dietz Verlag Berlin, 1960,12). Aus ihrer Analyse ergibt sich der ganze Umfang der ökonomischen Gesellschaftsformation des 19. Jahrhunderts, in dem der Kapitalismus sein höchstes Stadium unter Beibehaltung des Privataustausches individueller Arbeitsprodukte noch nicht erreicht hatte. Mit der Ware beginnend, endet ihre Analyse laut des Schlussgedankens des zweiten Kapitels des Manifestes, in der Erkenntnis, dass an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen eine Assoziation tritt, “worin die freie Entwicklung eines Jeden die Bedingung für die freie Entwicklung Aller ist“ (Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,482). Der Gegensatz zur Dialektik Hegels springt in die Augen.

Wir Marxisten-Leninisten dürfen uns nicht auf christliche Manier dem Bibelstudium verpflichtet fühlen. Als sakrosanktes Buch, das die ewige Wahrheit in sich birgt. Man begreift den Schock der jüdischen Gemeinde von Amsterdam, als Spinoza frank und frei in der Nüchternheit der Aufklärung offenlegte, die Bibel der Christenheit sei von Menschenhand geschrieben worden. Er wurde zum bestgehassten Philosophen des 17. Jahrhunderts. Unsere Zugangsweise zur Bibel muss die dialektische im Sinne der Anerkennungsverweigerung alles Ewigkeit Beanspruchenden sein. Hätte Lenin das Hauptwerk von Marx christlich studiert, läge heute keine Imperialismusanalyse vor. Das Schlüsselbuch für die Analyse des klassischen Konkurrenzkapitalismus des 19. Jahrhunderts kann nicht das Schlüsselbuch für die Analyse des Monopolkapitalismus des 20. Jahrhunderts folgende abgeben. Obwohl bei Marx und Engels geniale Vorahnungen von Keimen des Imperialismus im Konkurrenzkapitalismus vorliegen, man denke nur an die Auskunft im dritten Band des Kapitals, dass mit den Banken die Form einer allgemeinen Buchführung und Verteilung der Produktionsmittel auf gesellschaftlicher Stufenleiter gegeben ist, aber auch nur die Form (Vergleiche Karl Marx, Das Kapital, Werke, Band 25, Dietz Verlag Berlin, 1960,620). Siehe auch: Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus in dem Kapitel: ‘Die neue Rolle der Banken‘ (Lenin Werke, Band 22, Dietz Verlag Berlin, 1960,220), ist das Kapital stellenweise veraltet. Es kann nicht das Schlüsselbuch abgeben zum Verständnis ökonomischer Abläufe im 20. Jahrhundert. Der Materialismus bekommt mit jeder neuen Erkenntnis ein neues Gesicht. Mit der Bestrahlung des Kapitals mit heiligem Licht können sich konterrevolutionäre Implikationen verbinden. Das Studium des Marxismus ist heute nur als Studium des Marxismus-Leninismus möglich. Für uns ist das eindeutig; für Kapitalstudierende aus bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kreisen ist das umstritten.

Im Gesamtwerk von Lenin befindet sich viele Komplementärschriften. Sein ökonomisches Hauptwerk hat einen kleinen Bruder: ‘Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus‘ (Lenin, Werke, Band 23, Dietz Verlag Berlin, 1960, 102 bis 118). In dieser relativ kurzen, aber vollgepackten gedankenkomplexen Schrift findet sich eine äußerst prägnante Bestimmung des Imperialismus, über die man ständig verfügen muss. Des Weiteren werden die Gründe für die Spaltung der internationalen Arbeiterbewegung in der Phase des Imperialismus notiert, die Marx und Engels ab 1858 nur erst ansatzweise und nur in England, also gerade nicht international, konstatieren konnten. Auf Grund seines Industrie- und Kolonialmonopols hatte die englische Bourgeoisie Extraprofit zwecks Korrumpierung einer Oberschicht von Arbeitern zur Verfügung. Als erster spricht Engels 1892, acht Jahre vor dem Hochkommen des Imperialismus im Vorwort zur zweiten Auflage seiner arbeitenden Klassen in England von einer Arbeiteraristokratie. Ohne diese könnten sich die Kapitalisten heute nicht halten. Wenn das nicht aktuell ist! Kurz: Womit muss der Anfang des Studiums des Kapitals von Marx gemacht werden? Es ist dies keine Sache der Beliebigkeit.  Die bürgerlichen Verlage sind auf Grund ihrer Systemhörigkeit veranlasst, einen Hit nach dem anderen marktschreierisch um sich zu werfen. Darauf dürfen wir nicht reinfallen. Wir halten unsere Groschen zusammen und konzentrieren uns als Einführungsschrift in das Kapital auf eine der wichtigsten Schriften Lenins überhaupt: ‘Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus‘. Marx muss heute auf Lenin geeicht werden. Marx hat den Kern erarbeitet, er hat die Wirklichkeit seiner Zeit annähernd richtig widergespiegelt, aber eben nur seiner Zeit.

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Dieser Artikel fußt auf eine Vorlage von Heinz Ahlreip. Eine Weiterveröffentlichung des Textes ist gemäß einer Creative Commons 4.0 International Lizenz ausdrücklich erwünscht. (Unter gleichen Bedingungen: unkommerziell, Nennung der verlinkten Quelle (»Der Weg zur Partei«) mit Erscheinungsdatum).
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