Karl Marx 1868: Der Denkprozess ist ein Naturprozess

Auch noch heute, 139 Jahre nach dem Tode des Begründers des wissenschaftlichen Sozialismus, fühlen sich viele Theoretiker, ob als Einzelpersonen oder als Teil einer der vielen Gruppen und Parteien, die sich auf dieser Erde tummeln und vorgeben, der Arbeiterklasse zu dienen berufen, nach ihrem guten Dünken in die Marxschen Schlussfolgerungen einzugreifen und diese zum Teil sogar vollkommen auf den Kopf stellen.

Besonders eifrig ist dabei im deutschsprachigen Raum die Marxistisch-Leninistische Partei-Deutschlands (MLPD), über deren Auslegung des Marxismus-Leninismus wir an dieser Stelle schon mehrmals berichtet haben. Sie bezeichnen, die von ihnen entwickelte maoistisch geprägte „Lehre von der Denkweise“ als Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus und belehrt all diejenigen, die das nicht nachvollziehen können.

Louis Kugelmann, Mediziner und Sozialdemokrat, 1868. | Foto: Friedrich Karl Wunder

In einem der ganz sicher wichtigsten Briefe von Karl Marx vom 11. Juli 1868, hier an Ludwig Kugelmann, der damals in Hannover wohnte, sein Grab befindet sich noch heute auf dem Judenfriedhof, findet die Arbeiterbewegung jedoch einen äußerst interessanten Hinweis von Marx zum Sachverhältnis zwischen der Natur und dem menschlichen Denken, das für die MLPD in der Form der Denkweise zu einer Schlüsselfrage geworden ist. Das Schicksal einer Arbeiterrevolution entscheide sich nach der abstrusen Lehre dieser Kraut- und Rübenköpfe durch die Verinnerlichung einer proletarischen Denkweise und von der Tiefe dieser Verinnerlichung hänge der Erfolg oder Misserfolg der Revolution ab.

Der Brief von Marx ist aus zweierlei Gründen einer der wichtigsten aus seiner extrem umfangreichen Korrespondenz. PRIMÄR erläutert Marx in ihm seine Auffassung von der von ihm entwickelten “Arbeits“werttheorie. Lenin empfiehlt aus diesem Grund, um sich Klarheit über das Wertgesetz zu verschaffen, das zu begreifen und darzulegen so vielen Marxisten schwerfällt, diesen Brief immer wieder zu lesen. “Es wäre nur zu wünschen, dass jeder, der Marx zu studieren und ‘Das Kapital‘ zu lesen beginnt, gleichzeitig mit dem Studium der ersten und schwierigsten Kapitel des „Kapitals“ auch den von uns erwähnten Brief läse und immer wieder läse“.1

Das Wertgesetz bildet sich überhaupt in einem Gesellschaftszustand heraus, “worin der Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit sich als Privataustausch der individuellen Arbeitsprodukte geltend macht“.2 Es ist in diesem Gesellschaftszustand die Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen notwendig und die Form, worin sich die proportionale Verteilung der Arbeit durchsetzt, ist eben der Tauschwert dieser Produkte.

In dieser Erläuterung, wie das Wertgesetz sich durchsetzt, die Wissenschaft besteht eben darin, zu entwickeln, wie das Wertgesetz sich durchsetzt, stoßen wir auf einen Satz, der im Zusammenhang mit der skurrilen maoistischen „Lehre von der Denkweise“ Licht hellster Aufklärung in dieses ‘Phänomen‘, in diese extreme Fehlentwicklung des Marxismus-Leninismus bringt. Nach Mao kann die Basis-Überbau-Lehre der deutschen Klassiker und auch Lenins so ausgelegt werden, dass auch der Überbau fundamental bestimmend auf die ökonomische Basis einwirken bzw. zurückwirken kann, das klassische Verhältnis also umkehren, der Überbau die Basis zeitweise zu etwas Sekundärem degradieren kann. Sonst ergäbe ja die ganze Faselei von der entscheidenden Bedeutung der Denkweise keinen Sinn.

Und was legt nun Marx in dem wichtigen Brief an Kugelmann 1868 dar? “Da der Denkprozess selbst aus den Verhältnissen herauswächst, selbst ein Naturprozess ist, so kann das wirklich begreifende Denken immer nur dasselbe sein, und nur graduell, nach der Reife der Entwicklung, also auch des Organs, womit gedacht wird Denkprozess ist ein Naturprozess, sich unterscheiden, alles andere ist Faselei“.3 Also das menschliche Denken ist selbst ein Naturprozess. Der menschliche Denkprozess ist nur ein widergespiegelter Naturprozess, graduelle Unterschiede zwischen dem Natur- und dem Denkprozess ergeben sich aus dem Grad der Entwicklung der Natur und dem Grad der Entwicklung des Gehirns, das ebenfalls als Naturorgan höchst entwickelt ist. Die entscheidende Rolle, die die MLPD der proletarischen Denkweise zuspricht, ist also eine idealistische Luftnummer, eine “Faselei“ recht kruder Gehirne – eine weitere Spielart des modernen Revisionismus.

1 Lenin, Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von Karl Marx an L. Kugelmann, in: Lenin, Marx-Engels-Marxismus, Grundsätzliches aus Schriften und Reden, Dietz Verlag Berlin, 1967, Seite 188.
2 Karl Marx, Brief an Ludwig Kugelmann in Hannover vom 11. Juli 1868, Seite 553.
3 a.a.O., Seite 553.

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