Sascha

Franziska Rubens: Erinnerungen an die kommunistische Jugendarbeit 1919-1923

Sascha

Wenn man heute so liest, was bürgerliche Wissenschaftler über die kommunistische Jugendbewegung jener Jahre nach dem 1. Weltkrieg schreiben, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren,  dass hier nicht nur eine gewisse Arroganz gegenüber der Jugend zum Ausdruck kommt, sondern auch die unverhohlene Absicht, den Mut, die Opferbereitschaft und das politische Bewusstsein der Jungen Garde des Proletariats herunterzuspielen, zu diffamieren und ins Lächerliche zu ziehen. Ganz klar muss man sagen: die jungen Kommunisten waren sich ihrer revolutionären Rolle als Avantgarde des Proletariats sehr wohl bewusst.

Sie handelten keineswegs aus Abenteuerlust oder Verzweiflung, sondern als klassenbewusste junge Menschen, die erkannt hatten, dass allein der Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung den Ausweg aus der sich immer weiter verschärfenden kapitalistischen Krise bietet.  Aus den Erfahrungsberichten ist das klar ersichtlich. Die Kommunistin und langjährige Kämpferin gegen den deutschen Imperialismus und Faschismus schreibt Franziska Rubens in Deutschlands Junge Garde. – 50 Jahre Arbeiterjugendbewegung.
Und weiter:

„Der wütende Terror der Nosketruppen

Ende April 1919 erlagen die heldenhaft. kämpfenden Münchner Arbeiter der Übermacht der Nosketruppen, und es begann in Bayern ein wütender Terror. Die Partei- und Jugendorganisationen wurden zerschlagen, die Genossen in die Gefängnisse geworfen und Eugen Leviné, der Führer der Kommunistischen Partei Bayerns, ein Mitkämpfer Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, zum Tode ver­urteilt und erschossen. Verantwortlich für das Blutbad unter den Münchner Arbeiter sowie den Mord an Leviné und vielen anderen aufrechten Revolutionären war die Regierung des Sozialdemokraten Hoffmann, die die weißen Horden unter dem Kommando des Ritters von Epp auf die werktätige Bevölkerung losgelassen hatte.
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Als Jungkommunistin im Klassenkampf

Vor uns standen große Aufgaben. Die meisten Verbindungen waren zerrissen; neue mussten geknüpft, kompromittierte Genossen fortgebracht und illegal versorgt, die Jugendgruppen wiederaufgebaut werden. Ich ließ mich an der Universität immatrikulieren und begann mit der Arbeit, nach außen eine brave Studentin, in Wirklichkeit Leiterin der Bezirksorganisation der illegalen FSJ Münchens. Während die Partei mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und ihre Gruppen immer wieder aufflogen, konnten wir Jugendlichen eine ganze Weile unsere Organisation auf- und ausbauen, ehe man auf uns aufmerksam wurde.
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Die illegale politische Arbeit der kommunistischen Jugend

Wer schöpfte auch Verdacht, wenn fröhliche Jungen und Mädchen mit dem Fußball auf die Schwabinger Wiesen zogen oder mit der Klampfe am Lagerfeuer saßen?! Erst später witterte die Polizei, da hier etwas nicht stimmte, doch kam sie nie ganz dahinter, wie weit sich unsere Tätigkeit erstreckte. Sie konnte uns nicht nachweisen, dass wir Funktionäre, auf deren: ‚Ergreifung hohe Belohnungen ausgesetzt waren, versteckten und bei Nacht und Nebel über den Bodensee ins Österreichische oder in die Schweiz schafften, da wir regelmäßig politische Zirkel durchführten, Flugblätter herausbrachten und verteilten, Verbindungen zu den Betrieben herstellten und unterhielten.
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Haussuchungen und Verhaftungen

Als die Jagd der Reaktion auf uns begann, waren unsere Gruppen in München, Augsburg, Nürnberg, Lindau und anderen Orten schon so gefestigt, dass sie nicht mehr zerschlagen werden konnten, obwohl die Polizei große Anstrengungen machte, um die „Rädelsführer“ zu erwischen. Haussuchungen und Verhaftungen, auch unter der Jugend, waren an der Tagesordnung.
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„Saudumme Gedanken…“?

Dabei gab es auch lustige Zwischenfälle. So sagte eines Tages ein Polizeibeamter, als er bei einer Haussuchung eine unserer durch schwarzweißroten Umschlag getarnten Broschüren fand, zur Mutter des „verdächtigen“ Jugendgenossen: ,,Schauns, gute Frau, solche Büchel müßten Sie Ihrem Buben viele geben, da würde er nicht auf so saudumme Gedanken kommen!“ Ein andermal legte einer der bei uns die Haussuchung durchführenden Kriminalbeamten beim Eintritt seinen Hut auf den Tisch. Nachdem er mit seinen beiden Kollegen unsere kleine Wohnung um und um gekehrt, die Betten durchstochen, die Bilderrahmen unter­sucht und natürlich nichts gefunden hatte, nahm er seinen Hut, und sie verschwanden. Den Brief, der unter seinem Hut gelegen hatte und der eine Empfehlung für einen Genossen enthielt, der am nächsten Tage illegal mit Hilfe von Lindauer Jugendlichen in die Schweiz flüchten sollte, hatten sie nicht gefunden.
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…doch sie fingen mich nie!

Jedoch kamen wir nicht immer so gut davon. Für unseren Mangel an Erfahrung und Wachsamkeit mussten wir manches Lehrgeld zahlen. Trotzdem fingen sie mich nie. Zwar wurde ich nach einjährigem Aufenthalt mit einer faden­scheinigen Begründung aus Bayern ausgewiesen, aber noch nach Monaten suchten sie den „Franzl“, der nach ihren Informationen der Leiter der Münchner Jugendorganisation war!
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Grenzenloser Haß der Arbeiter gegen ihre Peiniger

Der Kapp-Putsch erwies die Festigkeit unserer Organisation. Ge­meinsam mit den Parteigenossen, mit Gewerkschaftern und oppositio­nellen Mitgliedern der sozialdemokratischen Jugend organisierten wir die Abwehr. Trotz der Niederlage der Räterepublik und des darauf folgenden Terrors war die Kampfstimmung der Münchner Arbeiterschaft ungebrochen und ihr Haß gegen die Reaktion grenzenlos. Wir waren nicht nur fest entschlossen, sondern auch vollauf gerüstet, die Reaktion zu hindern, von Bayern aus der kämpfenden Arbeiterschaft im Reich in den Rücken zu fallen. Doch bevor die Kapp und Lüttwitz auch in Bayern zum Schlag ausholen konnten, hatte die Aktionseinheit der Arbeiterklasse den reaktionären Spuk hinweggefegt.
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Ja, früher war alles anders…

,,Ihr hattet es doch viel besser früher“, sagte neulich ein Jugendfreund zu mir. ,,Ihr hattet den Feind, die Reaktion, unmittelbar vor euch, konntet gegen ihn mit ganzer Kraft kämpfen.“ Gewiss, das stimmt. Der Feind stand vor uns, und wir waren nicht feige, taten unser Bestes. Aber wir kämpften sozusagen mit „Dreschflegeln und Heugabeln“ – zumindest eine ganze Weile-, denn die blanken, scharfen Waffen des Marxismus-Leninismus kannten wir fast gar nicht. Und als wir sie kennenlernten, brauchten wir eine ganze Zeit, um sie richtig handhaben zu können.
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Studium des Marxismus-Leninismus

Die Themen unserer Schulungsarbeit in München zum Beispiel erstreckten sich auf „Lohnarbeit und Kapital“ (für Anfänger) und „Kapital“, 1. Band (für Fortgeschrittene). Wir glaubten viel zu wissen; heute muss ich nachsichtig lächeln, wenn ich an meine Zirkel aus jenen Tagen denke. Sehr mühsam lernten wir, machten viele Umwege, schleppten unverdautes Zeug und unnötigen Ballast kritiklos mit, bis – wie ein helles Licht – die ersten Schriften von Lenin in deutscher Sprache erschienen: ,,Staat und Revolution“ und „Der Radikalismus – die Kinderkrankheit im Kommunismus“. Unvergessliches Erlebnis!
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Die Zeitschrift „Junge Garde“ erscheint

Wir sahen, dass der Kampf nicht nur gegen den Kapitalisten, den Polizisten, den sozialdemokratischen „Bonzen“ geführt werden musste, sondern auch gegen die „Rechten“ und „Linken“ in unseren eigenen Reihen. Zu dieser Zeit war ich Mitglied des Zentralkomitees der Freien Sozialistischen Jugend und Redakteur der „Jungen Garde“. Wir hatten keinen Stab von … zig Mitarbeitern, keine gut eingerichteten Büroräume, keine eigene Druckerei.
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Aufklärungsarbeit unter der Jugend

Das ganze Zentralkomitee der Jugend saß in einem Laden in der Stralauer Straße in Berlin. Dort wurde unsere Literatur verkauft, im Keller expediert; und in einer Ecke des Hinterzimmers arbeitete der Redakteur, der einzige „Angestellte“ der „Jungen Garde“, der für den politischen Inhalt, die literarische Gestaltung und für den Druck verantwortlich war. Auf den Gedanken, dass man für Artikel, Bilder oder das Abschreiben von Manuskripten bezahlt werden könne, kam damals überhaupt niemand. Die jungen Genossen schrieben, malten und vervielfältigten in ihren wenigen freien Stunden, oft bis in die Nacht hinein.
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Trotz aller Widrigkeiten…

Gedruckt wurde bei einem kleinen Druckereibesitzer in der Prinzenstraße, mit dem ich ständig Krach hatte. Wie wir es fertigbrachten, weiß ich nicht, aber unsere Zeitung erschien pünktlich mehrere Male im Monat. Wir waren eben jung und begeistert, vor allem unverwöhnt und hart geworden im Klassenkampf. Wenn, was häufig genug vorkam, eine Ausgabe unserer Zeitung von der Polizei beschlagnahmt und der Redakteur gesucht wurde, erschien sie nach kurzer zeit trotzdem – „verantwortlicher Redakteur: Justav Kannstunwat“.
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Genossin Herta aus Moskau

Im Jahre 1921 kam die Genossin Stassowa nach Berlin, eine alte Bolschewikin, ehemalige Mitarbeiterin und Sekretärin Lenins. Wir wußten nicht, wer sie war; erst später, als sie sich schon längst wieder in Moskau befand, erfuhren wir es. Nach 1933 traf ich sie dort. Für uns Jugendliche war sie „ein Stück Moskau“, eine Vertreterin der siegreichen Revolution aus dem Land, in dem das verwirklicht wurde, wofür wir mit vollster Hingebung kämpften. Sie half uns viel, oft ohne daß wir es gleich merkten, die Genossin Herta, wie sie bei uns hieß. Unvergesslich sind uns die Stunden, da sie von Moskau, vom Oktober, von Lenin erzählt hat. Unseren Dank dir, liebe Genossin Stassowa, die du heute als Achtzigjährige und zweifache Leninordensträgerin immer noch jugendlich-frisch in den Reihen der KPdSU für den Frieden und den Aufbau des Kommunismus kämpfst.
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Rat und Hilfe durch Clara Zetkin

Auch die Genossin Clara Zetkin hatte stets für unsere Sorgen und Fragen ein offenes Ohr. Der Weg von München nach Stuttgart ist nicht gar so weit, und oft konnte ich mir, wenn uns die Arbeit über den Kopf wuchs, Rat holen. Ebenso wurde sie stets, wenn sie nach Berlin kam, von uns jungen Genossen mit Freuden begrüßt. Ihre Erzählungen aus der Pariser Emigration zur Zeit des Sozialistengesetzes, aus den Tagen der Gründung des Spartakusbundes, von Karl und Rosa, ihren teuersten Freunden und Mitkämpfern, begeisterten uns immer wieder aufs neue, gaben uns Kraft für unsere revolutionäre Arbeit.
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Lenin…

Im Dezember 1923 fuhr ich für einige Wochen nach Moskau. Tag und Nacht träumte ich davon, Lenin zu sehen, ihn zu hören, vielleicht sogar mit ihm sprechen zu können. Es kam anders. Während meines Aufenthaltes in Moskau hörte sein großes Herz auf zu schlagen. Ich sah Lenin nur aufgebahrt im Kolonnensaal. Immer werde ich an jene Januartage des Jahres 1924 denken, an den Schmerz des Sowjetvolkes, das mitten in seinem schweren Kampf diesen furchtbaren Verlust erlitt, dessen Kraft aber nicht zerbrach. Es erschütterte mich bis ins Innerste, als ich die unabsehbaren Reihen der Kolonnen sah, die viele Tage und Nächte die Straßen säumten und – bei 36 Grad Kälte – warteten, um noch einmal ihren geliebten Lenin zu sehen.
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Für immer!

Ich war in einer Fabrik, wo die Arbeiter und Arbeiterinnen den Schwur leisteten, treu zur Partei zu halten und nun erst recht zu kämpfen, ich sah am Tage der Beisetzung auf dem Roten Platz die Werktätigen Moskaus ihren Lenin zu Grabe tragen und ich begriff damals, was es bedeutet: ,,Lenin ist tot, aber sein Werk lebt!“

Quelle:
 Deutschlands Junge Garde. 50 Jahre Arbeiterjugendbewegung. Verlag Neues Leben 1954, S.169-173. (Zwischenüberschriften eingefügt, Sascha.)
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Was hat uns dieser Text heute noch zu sagen?

Zweierlei: Es wird immer junge Leute geben, die verstehen, dass man nicht alles hinnehmen muss, und dass man sich wehren muss. Ohne Wissen „Warum?“ ist jeder Versuch, etwas an den heutigen Verhältnissen zu ändern, völlig sinnlos. Der Marxismus-Leninismus gibt uns eine zuverlässige Orientierung! Und das ist nun keine Nostalgie, sondern der Versuch, aufs Wesentliche zu lenken: auf eine gerechte und für alle Menschen lebenswerte Gesellschaft – weg vom Egoismus, weg von der Ellbogenmentalität, weg von der Bereicherung einiger auf Kosten aller, hin zu einer sozialistischen Gesellschaft, in der alle Menschen die gleichen Rechte und gleichen Pflichten haben, als gleichwertig behandelt werden! Wohlgemerkt: „Gleichwertigkeit“, nicht „Gleichheit“, denn das ist ein normativer Begriff, kein deskriptiver. (Mausfeld)

Siehe auch:
 Sie werden es nicht verstehen…
 und Albert Einstein: Warum Sozialismus?

Erstveröffentlichung am 9. Februar 2018, Sascha‘s Welt

Bilder hinzugefügt von der Redaktion AmericanRebel
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