Der Klassenkampf im Sozialismus als Schule des sozialistischen Bewusstseins

Die Lehre von der Denkweise ist auf Sand gebaut und lässt das stolze Schiff der Revolution bewegungslos auf der Sandbank der Konterrevolution stranden.

Buchkritik: Die Krise der bürgerlichen Ideologie und der Lehre von der Denkweise (Revolutionärer Weg 36/2021)

Im Sommer 2021 brachte die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD) das Buch »Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise« heraus. Wir haben es hier mit dem äußerst seltenen Fall zu tun, dass sich die Mitautorin Gabi Fechtner, also die Vorsitzende der MLPD, über den Charakter des kollektiv erstellten Werkes irrt. Bei der Besprechung des Buches im von Stefan Engel gelenkten Redaktionskollektivs gab es einen Dissens, ob es sich um ein politisches oder um ein philosophisches Buch handele. Man hätte gut daran getan, es als eindeutig politisches Buch zu bestimmen, zumal seine starke Seite die politische Analyse ist. Als besonders brillant ragt die präzise Darstellung der Entwicklung des Antikommunismus in der BRD seit 1945 hervor. Das ist denn auch der rote Faden des Buches, wobei beim Stammvater der CDU, Konrad Adenauer, noch weiter in die deutsche Geschichte zurückgegangen wird.

Sicherlich für viele neu ist die Tatsache, dass ein am 29. Juni 1933 im Kloster Maria Laach von Adenauer an die Bankiersehefrau Dora Pferdemenges geschriebener Brief vorliegt, der die Zeile enthält: “ … meinetwegen auch Hitler“1 Hier liegt eine falsche Zeitangabe vor, der Brief wurde nicht gegen Ende der Weimarer Republik geschrieben, sondern zu einem Zeitpunkt, an dem Hitler bereits an der Macht war. Vollständig lautet der Satz: “M. E. ist unsere einzige Rettung ein Monarch, ein Hohenzoller, oder meinetwegen auch Hitler“.

Auch die Passage über die Verstrickungen der Frankfurter Schule als eine der ‘demokratischen Variante des Antikommunismus‘ enthält zweifelsfrei wertvolles Material. Das sind z. B. Informationen über die gegenrevolutionäre Funktion des im Juni 1950 in Berlin von der US-Regierung gegründeten und von der CIA finanziell ausgehaltenen ‘Congress for Cultural Freedom‘. Sehr aufschlussreich auf Seite 71 der entlarvende Hinweis auf Paul Piccone, ein Vertreter der ‘Kritischen Theorie’ in den USA, der 1977 das wahre Gesicht dieser Theorie, die sich als Weiterentwicklung des Marxismus ausgab, zeigt, dass „… unsere historische Funktion darin bestand, dem Marxismus ein anständiges Begräbnis zu bereiten“. Hinzu kam, dass im Gefolge des Schaffens Hannah Arendts Intellektuelle die Totalitarismustheorie vertraten mit der Warnung, dass der Kommunismus die Weltherrschaft anstrebe, er die Versuchung des Jahrhunderts sei. Geringe Manipulierung mit Worten reicht aus. Der Kommunismus strebt natürlich keine Weltherrschaft an, sondern eine Welt ohne Herrschaft. Sehr schlüssig, Schritt für Schritt zu verfolgen, wird aufgezeigt, wie der Antikommunismus zur Staatsreligion der BRD hochstilisiert wurde. Ein eigenes Kapitel ist dem von der SPD herangezüchteten Verrat der gegen Stalin ausgerichteten illegal operierende KPD gewidmet. Die Rechtsopportunisten beider Couleurs trafen sich konspirativ zu einem Kuhhandel, dem die ‘Diktatur des Proletariats‘ und die illegale Arbeit zum Opfer fiel. Heraus kam die DKP.

Richtig ist auch die Warnung vor einer übermäßigen Speisung des Gehirns durch das Internet. 1789, dieses klassische bürgerliche Kristall, 1871, dieser Urtyp der Commune, 1905, die Geburt des Sowjets, und 2 x 1917, im Februar und im Oktober, sind durch Buchlektüren Rousseaus, Blanquis, Marx‘ und Lenins vorbereitet worden. Unter dem Banner der Digitalisierung haben sich die Bürger aller Länder heute vereinigt, die Herrschaft der Bilder über die der Wörter zu etablieren, um das Salz der Erde dumm zu machen. Die ‘Rote Fahne‘ der MLPD vergeudet ein Drittel ihrer Ausgaben für Illustrationen und rutscht damit bedenklich ins Genre der Gegenaufklärung ab.

In politischer Hinsicht sind hochinteressante Hinweise vorhanden, die jeder Revolutionär und jeder Forscher über die Ursachen der Implosion der Sowjetunion in Erwägung zu ziehen hat. Es kann nicht vorbeigegangen werden an der Tatsache, dass 1934 der XVII. Parteitag der KPdSU (B) die von Lenin initiierte Unabhängigkeit der Zentralen Kontrollkommission aufhob (Seite 174f.), was nach Lesart der MLPD zu einem weiteren Ausufern der kleinbürgerlichen Denkweise führen musste. Schließlich sei der mächtige Arbeiter- und Bauernkoloss 56 Jahre später an dieser zerbrochen. 1956 hatte sich auf dem XX. Parteitag nach Engel ein ideologischer Überbau für die Machtergreifung einer bürokratischen Monopolbourgeoisie neuen Typs und für die Restauration des Kapitalismus herausgebildet (Seite 173f.) Eine ökonomische Gesellschaftsformation (Kapitalismus) soll sich hier also aus dem Überbau heraus entwickelt haben. Das ist natürlich reinster Idealismus, aus dem jungfräulichen Überbau also soll die Sowjetunion zum Kinde ‘Kapitalismus‘ gekommen sein. Solche krassen Purzelbäume schlägt Stefan Engel gern. Man kann ihn getrost neben Professor Ostrowitjanow aus der Chruschtschow Ära stellen, der durch die höchste Steigerung der Warenproduktion diese überwinden wollte.2 Sie landen aber nicht auf einem marxistisch-leninistischen Teppich. Ganz anders, ja entgegengesetzt äußerte sich Stalin zur Warenproduktion, der Wert wie auch das Wertgesetz waren für ihn historische Kategorien, die Ausweitung der Warenproduktion hielt er für verderblich für die Weiterentwicklung des Sozialismus, eine Entfaltung der Warenproduktion verschiebe das Schwergewicht unmerklich von der Produktion von Produktionsmitteln auf die von Konsumgütern. Damit verlangsame sich aber das Wachstumstempo der sowjetischen Wirtschaft. Es war letztendlich die Erweiterung des Wirkungsbereiches der Warenwirtschaft, die die Weichen in den Abgrund stellte. Die sowjetische Lokomotive fuhr nach dem XX. Parteitag nicht in Richtung Überwindung der Warenproduktion und ihrer Ersetzung durch bloßen Produktenaustausch, sondern mehr und mehr in dem Schlamassel der reinen Warenwirtschaft, in der der Produktionsprozess die Produzenten beherrscht. Eine Denkweise ist nicht Ursache ökonomischer Aufstiegs- oder Abstiegsprozesse, sondern ihre Wirkung. So sieht die marxistische Reihenfolge aus. Was die MLPD als Verrat am Sozialismus bezeichnet, war eine Abweichung von Stalins Vorgaben, die Warenproduktion mehr und mehr einzuschränken in Richtung Produktenaustausch, eine Thematik, die weder Marx noch Engels vorlag.

Der Idealismus ist ja auf immer verdammt, irgendeine Weltschöpfung anzunehmen, und sei sie auch noch so verschroben. Aber auf die Umkehrung des Verhältnisses von Überbau und Basis zu kommen, zu dieser Perversion bedarf es der Naivität eines Genies. Beachtenswert ist auch der Hinweis, dass der Siegeszug der, dies natürlich wieder die Lesart der MLPD, konterrevolutionären Bürokratie, nicht widerspruchsfrei verlief. 1964 hatte sich in der ukrainischen Stadt Balakleya, nicht weit von Charkow entfernt, eine marxistische Gruppe um die beiden Brüder Romanenko gebildet. Im Spätherbst 1964 verhaftet, wurden sie nur durch Fürsprache Maos vor einer langen Haftstrafe bewahrt. Das sind ohne Zweifel sehr wichtige Hinweise, die auf eine immense Forschungsarbeit schließen lassen.

Etwas sehr Wichtiges steht auf der letzten Seite des Buches. Es wird auf die Notwendigkeit einer Serie von proletarisch-bäuerlichen Revolutionen nach der Machteroberung des Proletariats hingewiesen. Hier kann man nur zustimmen, zu offenkundig ist die Gefahr einer Rechtsabweichung, was die Entwicklungen in der Sowjetunion und in der Volksrepublik China für jeden belegen, der mit offenen Augen durch die Welt geht. In beiden Ländern hat die lange Gärungszeit des Revisionismus nach dem Zerfall des Sozialismus Ganoventypen hervorgebracht, die mafiamäßig das politische Geschäft betreiben, besonders Typen, die im alten Geheimdienst gearbeitet haben, ich meine den ganzen Klüngel um Putin, auch in China ist es nicht anders. Der Pseudokommunismus vollzieht immer wieder Abweichungen nach rechts, weil er den wissenschaftlichen Sozialismus quasi verwaltet, aber nicht weiterentwickelt und damit die Massen täuscht, die nach vorne drängen. Darauf hingewiesen zu haben, das ist ein äußerst positiver Zug im Buch vom Stefan-Engels Kollektiv.

Die schwache Seite des Buches sind seine Ausflüge in das Gebiet der Philosophie. Ach! hätte hier doch nur ein Schutzengel beigestanden! In der Mitte des 18. Jahrhunderts erschien das Hauptwerk des Materialisten Helvétius, dass er irreführend ‘Vom Geist‘ betitelte. Die Intellektuellen zerbrachen sich die Köpfe, welche philosophische Schablone auf es passe, sie beachteten nicht, dass es eine systematische Grundlegung einer neuen Politik intendierte. Um nun sogleich durch ein Beispiel anzugeben, so ist es als missglückt zu bezeichnen, anlässlich der Abrechnung mit dem Antikommunismus der ‘Frankfurter Schule‘, eine Abrechnung, die ja ganz berechtigt ist, sich einen Satz aus Adornos ‘Minima Moralia‘ herauszupicken, diesen in einem Atemzug als gegen Hegel und Marx zugleich gerichteten auszugeben, ohne auf den fundamentalen Unterschied zwischen beiden einzugehen, was böswillig als Taschenspielertrick ausgelegt werden könnte, diesen Satz dann falsch zu interpretieren und obendrein mit einer nicht nur an dieser Stelle unzulässig verkürzten Literaturangabe unangenehm aufzufallen. Der Stein meines Anstoßes ist folgender Passus auf Seite 71: „Adorno behauptete in seiner 1944 bis 1947 verfassten Schrift ‘Minima Moralia‘ in bewusster Gegnerschaft zu Hegel und Marx: “Das Ganze ist das Unwahre“. Damit erklärt er die Welt als nichtexistent“. Die Literaturangabe hier nur: Theodor W. Adorno, ‘Minima Moralia‘, Seite 55.

Fürs erste hätte der Kampfschauplatz, wenn denn die materialistische Dialektik methodologisch das A & O des Marxismus-Leninismus ist, für Engels ist sie die schärfste Waffe und das beste Arbeitsmittel der materialistischen Kommunisten, mit der ‘Negativen Dialektik‘ Adornos besetzt werden müssen, in der sich die Stoßrichtung sowohl gegen die ‘Philosophie und Dialektik des Ostblocks‘ als auch gegen die Restaurierung einer Metaphysik massiert. Mit dem dionysischen Adorno kommt zwar die Dialektik auf den Hund, es liegt hier aber eine berechtigte Kritik von ihm vor, denn der Satz richtet sich gegen Hegels Anmaßung, seine ‘Logik‘ enthalte die Gedanken Gottes vor der Schöpfung der Welt und eines endlichen Wesens und die Philosophie sei eine Wissenschaft über den Wissenschaften, so dass das Weltganze eine Leistung des Weltgeistes sei. Hinter Hegels Ganzem steckt der bei sich selbst seiende Weltgeist, besser: sein Weltgeist, der die Menschen im Sinne eines ihnen gegenüber Höherem, sei es nun Gotthegel oder Hegelgott, verbraucht. Hegel behauptet damit nicht die Nichtexistenz der Welt, sondern die Vollendung des der Menschheit möglichen Wissens. Diese Anmaßung wird nicht nur von Adorno kritisiert, sondern auch von Engels. Engels verfährt aber anders als Adorno, er gibt Hegel Recht und Unrecht zugleich: “Bei allen Philosophen ist grade das ‘System‘ das Vergängliche, und zwar grade deshalb, weil es aus einem unvergänglichen Bedürfnis des Menschengeistes hervorgeht: dem Bedürfnis der Überwindung aller Widersprüche. Sind alle Widersprüche ein für alle Mal beseitigt, so sind wir bei der sogenannten absoluten Wahrheit angelangt, die Weltgeschichte ist zu Ende, und doch soll sie fortgehen, obwohl ihr nichts mehr zu tun übrigbleibt – also ein neuer unlösbarer Widerspruch. Sobald wir einmal eingesehen haben – und zu dieser Einsicht hat uns schließlich niemand mehr verholfen als Hegel selbst -, dass die so gestellte Aufgabe der Philosophie weiter nichts heißt als die Aufgabe, dass ein einzelner Philosoph das leisten soll, was nur die gesamte Menschheit in ihrer fortschreitenden Entwicklung leisten kann – sobald wir das einsehen, ist es auch am Ende mit der ganzen Philosophie im bisherigen Sinn des Worts“.3 Es lohnt sich, über den Gedanken – Philosophie im bisherigen Sinn des Worts – nachzudenken und auch über die Feststellung von Engels im Anti-Dühring, dass das Nichtwissen stets das Wissen überwiegt, also Adorno wiederum Recht bekommt. Es gibt nicht die Eine Philosophie, der Whitehead als eine lange Serie von Fußnoten zu Plato anhing.4 Es gibt nicht Eine immer nur das Eine zu denken habende Metaphysik. Die einseitig negative Kritik Adornos reicht nicht aus, er gehört ganz der Tradition an. Hegel brach diese, brach die Liebe zur Weisheit durch den Gedanken, Philosophie habe eine strenge Wissenschaft zu sein, keine Gedankenspielerei, keine Sammlung von Kalendersprüchen, was den Weg zum wissenschaftlichen Sozialismus wies, Hegel brach sie weiterhin dadurch, dass er zeigte, wie der Geist durch die Weltgeschichte zu sich selbst durchdringt, final als Weltgeist. Für Hegel entwickelt sich der Geist nicht in der Geschichte, sondern als Geschichte. Der Geist ist nun also Weltgeist geworden, für den Idealisten ist nichts mehr zu überbieten, die Geschichte abgeschlossen. Diese idealistische Ganzheit, diese System- und Totalitätsphilosophie und diesen teleologischen Heilsweg der rechten Intelligenz kritisiert Adorno in antimetaphysischer Geste zu Recht. Adorno ist sich jedoch nicht bewusst, dass er in politischer Hinsicht das volksfeindliche Zerspringen in Pluralismen befördert. Dieses Zerspringen ist die Crux bürgerlicher Ideologie, sie entrückt uns weltanschaulich durch das heliozentrische Weltbild, politisch durch die Liquidierung Ludwig XVI., moralisch durch das Aufgeben der Idee eines höchsten Gutes und feiert widrig aller Gesellschaftswissenschaften das einzelne Subjekt außerhalb seines Arbeitsprozesses abstrakt als völlig freie Monade unter Verlust des Gattungsbezuges. Von allen Jakobinern hatte der scharfsinnige Robespierre den Bedeutungszusammenhang am tiefsten erfasst. Am Morgen der Hinrichtung hieß er das Zimmermädchen an, die Vorhänge seines Zimmers geschlossen zu halten, denn heute passiere etwas, dessen Folgen unabsehbar seien. Schon Kant, der Zermalmer der Metaphysik, steuerte dem mit dem Gedanken der ‘Gattung in mir‘ entgegen. Im Namen der traditionellen Metaphysik versuchte Hegel durch ein philosophisches System das Divergierende, den Verlust des Zentrums, durch einen Zug zum Absoluten zu konservieren. Die asoziale Zügellosigkeit der imperialistischen Bourgeoisie mit dem Wort ‘Entfesselung‘ auf den Lippen hat heute diese Klasse zur Negierung ihrer einst progressiven philosophischen Wurzeln gezwungen.

Die Negative Dialektik Adornos leugnet den Fortschritt, eine Höherentwicklung, die Negation der Negation, wird nur als gesteigerte Negativität gefasst. An Becketts absurdes Theaterstück ‘Endspiel‘ hebt Adorno kritiklos hervor, dass nichts zu bedeuten die einzige Bedeutung sei. 1967, zu Beginn der Studentenunruhen, gab die Kommune I ein Flugblatt heraus, auf dem zu lesen stand: ‘Adorno solle sich allein zu Tode adornieren‘. Die Aura des Traumtänzerischen umgab den am Merton College in Oxford ausgebildeten Intellektuellen aus Frankfurt. Es kam eben nicht gut an, wenige Tage nach der polizeilichen Ermordung Benno Ohnesorgs in Berlin einen Vortrag über Goethes Iphigenie zu halten. Überhaupt: Weiterentwicklung des Marxismus? Wo muss der Schwerpunkt liegen? Auf musiksoziologischen Untersuchungen oder auf ‘Noten zur Literatur‘? Oder auf die Vorbereitung der Arbeiter und Bauern auf den bewaffneten Aufstand, den Lenin als höchste Kunst bezeichnete. Er führte weiter aus, dass es in revolutionären Situationen sehr schwierig ist, mit den Ereignissen Schritt zu halten und dass der bewaffnete Aufstand 100mal schwieriger sei als ein Krieg zwischen Nationen. Adorno hörte lieber Musik von Gustav Mahler und verfasste Abhandlungen zur Literatur. Wer sich als Weiterentwickler des Marxismus ausgibt, muss im Kontext dieser Theorie vor allem auf diesem militärischen Gebiet Nachweise erbringen, vor allem aber kampfbereit sein. Er muss mach Anweisung der Klassiker ein klares Feindbild haben, einen gesunden Klassenhass und eine ständige fanatische Gewalt- und Vernichtungsbereitschaft dem bürgerlichen Staat gegenüber. Dies alles hatte der musische Adorno nicht.

Um die Verhältnisse Adornos zu Hegel klarzustellen, sind drei kleine Texte Adornos zu Hegel zu berücksichtigen, die im Suhrkamp Verlag unter dem Titel `Drei Studien zu Hegel` erschienen sind. Sie blieben unberücksichtigt, stattdessen im ‘Revolutionären Weg‘ 36/2021‘, unter dem das oben angegebene Buch firmiert, der Spruch Adornos: “Das Ganze ist das Unwahre“, und dann postwendend dessen Interpretation durch das Autorenkollektiv: “Damit erklärt er die Welt als nicht existent“. Halt! So schnell schießen die preußischen Philosophen nicht. Einen schlechteren Zugang zur Widerlegung Adornos im Namen des Marxismus-Leninismus hätte es gar nicht geben können. Denn aus Adornos Satz folgt keineswegs, dass er von der Nichtexistenz der Welt ausgeht, wie es Bischof Berkeley zu Beginn des 18. Jahrhunderts tat. 1710 erschien dessen Abhandlung über die Prinzipien der Erkenntnis. Für ihn existierte die Welt nur durch unsere Wahrnehmung.

Rückendeckung bekommt Adorno von Heraklit, der die Erreichung der Grenzen der Logos-Seele als aussichtslos für uns Menschen hinstellte. “Der Seele Grenzen kannst Du nicht ausfinden, auch wenn Du gehst und jede Straße abwanderst; so tief ist ihr Sinn“.5

Rückendeckung bekommt Adorno von Pascal. Der infantile Geist blickt staunend mit aufgerissenen Augen und offenem Mund hoch zur Allmacht des Geistes, dieser muss selbst erst eine Höhe der Reife erreicht haben, um die Möglichkeit seines Scheiterns in Erwägung zu ziehen, das Ganze nicht zu fassen zu bekommen, nicht herauszubekommen, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält.

Rückendeckung bekommt Adorno von Immanuel Kant. Dieser behauptet 1755 in seiner Dissertation ‘Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels‘ den Untergang des ganzen Sonnensystems, erklärt dieses also als das Unwahre, ohne dass man ihn ontologisch und erkenntnistheoretisch des Solipsismus überführen könnte. Es war Friedrich Engels, der diese nur noch wenigen Experten bekannte Dissertation wieder ausgegraben hatte und sie in seiner ‘Dialektik der Natur‘ publik machte. Die Geisteswissenschaften legten die Auseinandersetzung mit dem Philosophen mehr auf seine drei ‘Kritiken‘, deren Kern- und Kurzformel nach der englischen maritimen Expansion lautet: Der Gattung in mir gemäß zu leben. Begriffe wie ‘Gattung‘ und ‘Weltganzes‘ wurden in London geprägt, ohne dass dieser Umstand von den Geisteswissenschaftlern immer berücksichtigt wurde.

Rückendeckung bekommt Adorno von Ludwig Feuerbach. In seinem seiner Dissertation 1828 beigelegten Brief an Hegel fällt bereits das programmatische Wort vom “Unsinn des Absoluten“. Um diesen ging es ideologisch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Welchem denkenden Wesen fällt ein solcher Unsinn ein, Feuerbach die Auffassung von der Nichtexistenz der Welt zu unterstellen? Hatte doch Feuerbach im Vollzug seiner Idealismus-Kritik ausdrücklich argumentativ betont, dass es eine Natur vor der Philosophie gegeben hat. Im Kampf gegen jegliche Metaphysik hatten bereits bürgerliche Ideologen Gott und jegliche Religion vernichtet, Philosophen zogen nach mit ihrer Vernichtung des Absoluten. Wer heute noch behauptet, dass das Ganze das Wahre sei, gehört mit einem Lasso eingefangen und unter die Kängurus Australiens oder unter die Zeugen Jehovas hier am Ort ausgesetzt.

Rückendeckung bekommt Adorno von Karl Marx. Der unter kapitalistischen Bedingungen an der Ware klebende Fetisch der Ware verhindert die Totaltransparenz des ganzen ökonomischen Weltsystem des Kapitalismus, dennoch kann man Marx nicht des Solipsismus überführen. Dem Suchenden stellt sich der Fetisch als etwas Fremdes dar, auch dem sich Einfindenden.

Rückendeckung bekommt Adorno von Friedrich Engels. In seiner Buchbesprechung von Starckes Feuerbachbuch führt Engels 1888 nach einer Kritik am System Hegels aus: “Man lässt die auf diesem Weg (dem Hegels/H.A.) und für jeden einzelnen unerreichbare ‘absolute Wahrheit‘ laufen und jagt dafür den erreichbaren relativen Wahrheiten nach auf dem Weg der positiven Wissenschaften und der Zusammenfassung ihrer Resultate vermittels des dialektischen Denkens. Mit Hegel schließt die Philosophie überhaupt ab …“.6 Auch Engels behauptet, dass das Ganze Hegels das Unwahre ist. Hegel stirbt 1831 in Berlin, das neueste Buch der MLPD müsste also vor 1831 geschrieben worden sein, um als philosophisches zu passieren.

Rückendeckung bekommt Adorno von Heinrich Heine, für den ebenfalls die Philosophie mit Hegel abschließt. Im Kapitalismus mit seiner Repression der Volksmassen liegen sowohl religiöse als auch philosophische Bedürfnisse vor, Bibeldrucker und Buchverlage kommen diesen entgegen, ohne auf die Hohlheit ihre Unterfangen speziell hinzuweisen, da sie sich dieser in der Regel gar nicht bewusst sind. Sowohl in der christlichen als auch in der “Bibel der Arbeiterklasse“, so bezeichnete Engels ‘Das Kapital‘, stehet geschrieben: ‘Die Menschen wissen nicht, was sie tun‘. Wir sehen, wie auch die MLPD nicht weiß, was sie tut, welchen Wert die MLPD mit ihrem Neue-Weg-Verlag noch im 21. Jahrhundert der Philosophie beimisst, wie sehr sie in deren Fetisch verstrickt ist. Die Idealisten suchen illusorisches Heil sowohl in der Religion als auch in der Philosophie, weil sie das Ganze zu versprechen scheinen. Die Philosophie durchdringe das Weltganze, so dass es keinen fremden Ort im Universum mehr gebe. Hegel verknüpft das theologische Heilsgeschehen mit dem Versprechen der Revolution von 1789, dass es keine füreinander fremden Menschen mehr gebe, nur Brüder. 1789 wurde für ihn die von Plato entdeckte Logizität der Welt Fleisch und Blut.

Rückendeckung bekommt Adorno auch von Lenin. Unsere Erkenntnis lasse immer nur relative Erkenntnisse zu, wir müssen aber absolute anstreben, um nicht im Prozess der Verwandlung von Nichtwissen in Wissen ohne Abschluss (!) Fehler zu begehen und zu stagnieren. Das Ganze ist eben eo ipso nicht zu erreichen. Nur das hat relative Substanz, was durch das Gegenströmige, das Absolute hindurchgegangen ist.

Die MLPD würde also gut daran tun, ihr Buch als politisches feilzuhalten, zumal von allen Überbauformationen die Politik der Ökonomie am nächsten kommt. Kommt aber die Politik der Ökonomie am nächsten, Marx und Engels betonen das im Feuerbachkapitel der ‘Deutschen Ideologie‘, so ist es zu Ende mit aller Denkweisephilosophie. Damit ist gesagt, dass die Politik höher steht als die Philosophie. Am anderen Ende steht die Theologie, die heute im ruralen Milieu, im Idiotismus des Landlebens ihre Basis hat.

Die MLPD braucht einen philosophischen, vom Marxismus-Leninismus her völlig unzulässigen Freiraum, um zu bewerkstelligen, dass Überbaudenkweisen nicht nur massiv in das ökonomische Geschehen eingreifen, sondern diesem unter bestimmten historischen Umständen Vorgaben subjektiver Art (dem falschen Denken der Kleinbürger, das richtige Denken der Arbeiterinnen und Arbeiter) machen zu können, ein auf Mao zurückgehenden Fehler, den seine Sektenjünger in Deutschland seit Jahrzehnten breittreten. Das Schwergewicht liegt nicht auf der Frage, ob das Proletariat bewaffnet ist, sondern inwieweit die Gehirne der Kleinbürger in eine reine proletarische Denkweise rotgewaschen werden können. Uns liegt also ein auf den ersten Blick merkwürdiges Schauspiel vor. Aus ideologischer Verblendung werden elementare Bestandteile des Marxismus-Leninismus über Bord geworfen, Mao als Klassiker, nicht als Meister der Verballhornung beibehalten, um die Lehre von der Denkweise mehr und mehr auszustaffieren und dies als Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus auszugeben. Aus dieser Motivlage her wird ein politisch sehr gutes Buch in ein sehr schlechtes philosophisches frisiert. Es ist doch eine traurige Sache, dass sich die MLPD durch ihren Denkweiseschwindel immer selbst ein Bein stellt, dieser verhunzt vieles. Wieviel revolutionäre Energie verpufft sinnlos! Es ist doch eine traurige Sache, wenn die Parteivorsitzende Gabi Fechner am Samstagnachmittag eine glänzende politische Rede zum Bundestagswahlkampfauftakt in Hannover hält und dieser Eindruck dann am Sonntagnachmittag anlässlich der philosophischen Buchpräsentation eintrübt.

Die philosophische Schwäche der Satzinterpretation Adornos, der stets eine wesentlich höhere Affinität zur Musik denn zur Philosophie hatte, in deren Bereich er keine Kapazität abgab, dürfte auf der Hand liegen. Thomas Mann hat in seinem Nobelpreisroman ‘Buddenbrooks‘ den destruktiven Charakter der Musik für das Eingehen lebenswichtiger Geschäfte des Alltags als verantwortlich notiert, der Sohn des Senators Buddenbrook, der kleine Hanno, ist musikalisch hochbegabt, aber zur Leitung einer Firma gänzlich untauglich. Auch Lenin hielt Musikgenuss stark auf Distanz, er hatte nur eins im Kopf, eine sozialistische Revolution in Russland. Adorno war vom Typ her ganz anders, sehr vielseitig ausgerichtet, aber auf ihn fällt sofort das Verdikt Hegels, das dieser über das musikalische Denken, das nicht auf den Begriff kommt, dereinst ausgesprochen hatte.

Im Marxismus-Leninismus ist sehr wohl bekannt, dass nicht die Philosophie, eine genuin bürgerliche Disziplin, die Leitwissenschaft abgibt, sondern die Ökonomie und dass die ökonomische Basis nur sehr begrenzt eine zweifelsfrei vorhandene Eigendynamik der Überbaugebilde zulässt, niemals aber deren Dominanz. Die Lehre von der Denkweise, mittlerweile auch Lehre vom System der Denkweise, ist eine Irrlehre. Es lohnt sich, das Buch bis zum Ende zu lesen, denn auf der letzten Seite (auf S. 220) lesen wir im vorletzten Zitat: “Der Klassenkampf im Sozialismus muss deshalb als eine Schule der proletarischen Denkweise bzw. des sozialistischen Bewusstseins geführt werden“. Na also – da haben wir es! Das sozialistische Bewusstsein. Wozu der ganze Denkweisehumbug von Willi Dickhut, dem Vordenker und Mitbegründer der MLPD? Dass der Klassenkampf im Sozialismus eine Schule des sozialistischen Bewusstseins ist, das wissen die Sozialisten seit über 100 Jahren. Wenn das so ist, dann kann der ganze Humbug des Sich Aufspreizens natürlich keine Weiterentwicklung des Marxismus darstellen. Was doch drei kleine Buchstaben ausmachen. Die Lehre von der Denkweise ist eine Schablone, das sozialistische Bewusstsein ist viel zu komplex, um auf ein Schwarz-Weiß-Schema (Proletarische Denkweise plus, kleinbürgerliche minus) reduziert werden zu können.

Die Ideologen der MLPD heben nicht so sehr den Materialismus hoch, sondern von der philosophischen Seite her den dialektischen, ohne gewahr zu werden, dass die Philosophie aus dem Überbau durch den dialektischen Materialismus arg gerupft wird. Eine Geschichts- und eine Naturphilosophie, die einst das Ganze herzustellen hatten, sind obsolet, der Philosophie bleibt nur noch in ihrem Reich des reinen Gedankens die formale Logik und die Gesetze der Dialektik zu bearbeiten.7 Logik und Dialektik, nicht das Ganze als das Wahre, nicht proletarische und kleinbürgerliche Denkweise – das sind die letzten Worte der marxistisch-leninistischen Philosophie.

In ihrer Ausprägung als bürgerliche Aufklärung entmythologisierte die bürgerliche Philosophie die Natur und mit diesem destruktiven Vorgehen auch ein übergeordnetes Ganzes und die Abweisung philosophischer Systeme, insbesondere die französische Aufklärung stellte die Methodik in den Mittelpinkt ihres Philosophierens. Es sind seitdem die Systemphilosophen, die mit dem obsoleten Herrschaftsanspruch zu verkörpernder Allgemeinheit auf den Bühnen der Weisheit und der Wissenschaften in Erscheinung treten, ohne mitzuentwickeln, dass sie präemanzipative Positionen, ja die feudalistischen Weltbilder vertreten. Die bürgerliche Philosophie, sollte sie heute noch mit übergreifender und die Resultate der Wissenschaften zusammenfassender Gestik auftreten, die sich seit dem Zerfall des theologisch geprägten Mittelalters als moderne Dachorganisation menschenmöglichen Wissens über Jahrhunderte in die systemisch denkenden Philosophenschädel eingebrannt hat, gerät heute sofort in eine Sackgasse, da die Einzeldisziplinen heute durch immanenten Austausch ihrer Errungenschaften untereinander einen philosophiefreien Gesamtzusammenhang herstellen. Das Gebiet der Philosophie hat sich durch die technisch-industriellen Revolutionen und ihren Folgeerscheinungen erheblich verkleinert, es bildet sich aus den Gesetzen der formalen Logik und denen der Dialektik. Es kann heute keine Päpste der Philosophie mehr geben. Die bürgerliche Philosophie behilft sich heute mit der Auslegung der Philosophie als ihre Geschichte, ein markantes Zeichen, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Vergangenheit über die Gegenwart herrscht. Philosophie als ihre Geschichte, schon im Kern bei Hegel vorliegend, ist bar progressiver Züge. Sowohl Hegels Geschichte der Philosophie mit ihrem Ganzheitsanspruch, mehr noch seine Philosophie der Geschichte, die Lenin als sein schwächstes Werk ausgab, ebenfalls mit einem Ganzheitsanspruch, sind heute veraltet und hemmen ein Darüber hinausdenken. Mit seinem totalitären Transparenzanspruch, das Wesen des Universums aufschließen zu können, dieses Vorhaben mit Vehemenz vertreten in seiner Antrittsvorlesung 1818 in Berlin, geht Hegel über Platon hinaus, dem immer noch ein Dunkel blieb, wie vor ihm schon Heraklit, für den die meisten Menschen anwesend abwesend waren. Platon, dieser wirkmächtige, antike Philosoph, vielleicht bis Marx der Hauptbegründer unserer Sicht der Dinge, hat durch die Jahrhunderte sich durchgehalten, obwohl oder grade, weil er das Ganze nicht als das Wahre zugrunde gelegt hatte. Langsam und qualvoll lösen wir uns heute von der platonischen Leibfeindlichkeit, der das Christentum eine höhere Weihe erteilt hatte. Ohne die Entlarvungen von Feuerbach wären wir noch nicht so weit aus dem Verhängnisvollen heraus.

Willi Dickhut verließ 1970 die KPD/ML, weil er sich mit seinen Auffassungen nicht durchsetzen konnte. Er gilt als Gründungsvater der MLPD (1982). | Bild: Archiv Roter Morgen.

Ein Grundfehler der linkshegelianischen Weltverbesserer im Vormärz war, dass für sie das Bewusstsein das Sein bestimmte. Heute gibt dies die MLPD zum Besten. Schon der bürgerliche Soziologe Max Weber überspitzte durch Distanzierung vom späten Engels, ein beliebtes Vorgehen, um Marx gegen Engels auszuspielen, der sich immer wieder genötigt sah, besonders nach dem Tod von Marx, Abweichungen derart zu korrigieren, dass die Basis in gesellschaftswissenschaftlichen Untersuchungen letztendlich den Ausschlag gegenüber dem Überbau gebe, dreist die Basis-Überbau-Lehre, indem er Marx pervertierte, der Überbau könne ebenso gut der Basis gegenüber als dominant auftreten. 1918 hielt Weber einen Vortrag in Wien mit dem Titel: ‘Die positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung‘. Mao liegt in dieser Spur und hielt es 1937 in seiner Schrift über den Widerspruch fest. Der Hut von Willi (gemeint ist Willi Dickhut, siehe rechts) war nicht dick genug, die Augen nicht klar genug, er ließ diesen Unsinn durch. So basiert denn heute auch die MLPD ideologisch nicht auf der Linie Marx-Engels-Lenin-Stalin, sondern auf der Linie Weber-Mao-Dickhut-Engel. Und die Folge? Stalin erbeutete 1907 bei einem im Auftrag von Lenin ausgeführten Banküberfall auf die Staatsbank in Tiflis 250 000 Goldrubel, um die Revolution zu finanzieren; Engel hetzt seine Parteisoldaten mit der Spendendose von Veranstaltung zu Veranstaltung, scheut sich nicht, bei den Ärmsten der Armen abzukassieren und putzt bei Sparkassen und bürgerlichen Rechtsanwälten die Klinken, um eine Wiederöffnung von Konten zu erreichen.

So haben wir es nicht nur mit einer Krise der bürgerlichen Ideologie, die auch immer eine Krise der bürgerlichen Philosophie beinhaltet, sondern mit einer Krise des Antikommunismus, mehr noch, auch mit einer Dauerkrise der Lehre von der Denkweise zu tun, im letzten Fall einer Krise von Anfang an. Gegen diese Lehre werden wir öfters auf die ‘Deutsche Ideologie‘ zurückgreifen müssen, denn diese Lehre gehört in den Bering dieses Verfaulungsprozesses des Geistes. 1845/46 schrieben Marx und Engels, dass die Philosophie mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr Existenzmedium verliere.8 Das gilt heute auch für die Denkweiselehre. In der Abfolge der geschichtlichen Verhältnisse der Menschen zur Wirklichkeit kommt bewusstes Denken erst an fünfter Stelle! “Jetzt erst, nachdem wir bereits vier Momente, vier Seiten der ursprünglichen, geschichtlichen Verhältnisse betrachtet haben, finden wir, dass der Mensch auch “Bewusstsein“ hat“.9 Also darf man nicht das Denken zugrunde legen, da es sich aus vorhergehenden menschlichen Bedürfnissen rekrutiert. Wie immer auch die Menschen klassenbedingt denken, die Denkweise ist ein Ausdruck von Bedürfnissen, sie ist eine milieugeprägte, also eine typische, durch deren Änderung sich an der Wirklichkeit nichts ändert, die ihr vorherliegenden schwergewichtigeren vier Seiten lassen sich durch sie nicht aussetzen. Ändere ich meine Denkweise, so ändert das an der Wirklichkeit nichts. Die ganze Ideologie der MLPD spielt sich im Reich des reinen Gedankens ab.

Das Schlimme ist nicht, dass Stefan Engel und Konsorten sich als Marxisten-Leninisten ausgeben, der Magen des Proletariats ist groß und kann viel Übles vertragen, das Schlimme ist, dass sie in der Gedankenwelt junger Menschen Amok laufen und dass sie sich berufen fühlen, mit einer Lehre von der Denkweise den Marxismus-Leninismus weiterzuentwickeln. Sie sind indessen nicht berufen, sich in der Sache des Marxismus-Leninismus und seiner Weiterentwicklung selbst ein Urteil anzumaßen. Die Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus ist immer noch eine Sache der bürgerlichen Intelligenz. Dietzgen der Ältere war eine Ausnahme, der Arbeiter kopiert das um ihn herum Chaotische und kann unter dem Terror der Kapitaleigner keine Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus erbringen. (In der Pariser Commune zum Beispiel übersahen die historisch Handelnden einen ganz zentralen Punkt, die Besetzung der Zentralbank, ein Teil der Arbeiter ging zudem zu den Versaillern über). Liest man Lenins Werk ‘Was tun?‘, das Werk, dass die Grundlagen der bolschewistischen Partei legte aufmerksam, so ist der Lernprozess aber nicht einseitig, dass die Arbeiter nur von ihren Führern zu lernen haben, sondern auch umgekehrt. Stalin bezeichnete die Eisenbahnarbeiter aus Tiflis als seine ersten Lehrer. Marx betont: “Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird“.10 Auch hier wieder: Das Ganze ist das Unwahre. “ … zu tun gezwungen sein wird“. Denkweise hin, Denkweise her, diese fünf Worte besiegeln ihr Schicksal. Man kann nicht die Revolution der Arbeiter und Bauern vorbereiten, wenn man nicht den Marxismus-Leninismus weiterentwickelt und man kann nicht den Marxismus-Leninismus weiterentwickeln, wenn man nicht die Revolution der Arbeiter und Bauern vorbereitet. Der Schrei nach Brot und Revolution geht für Materialisten durch den Magen und durch den Kopf. “Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muss durch ihren Kopf hindurch, aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab“.11 Für Idealisten nur durch den Kopf. Der Magen der Qual ist unerbittlich, in einer revolutionären Situation denkt der weise Kopf zu viel über Menschenrechte nach, die nur noch für die arbeitende Mehrheit des Volkes gelten. Ist denn nicht bekannt, dass jede nachhaltige Revolution einen wohltuenden primitiven und autoritären Grundzug aufweist? Beim Ausbruch der Oktoberrevolution konnten nur ein Viertel der russischen Bevölkerung lesen und schreiben, konnten also ‘Denkweise‘ kultivieren. Trotzdem war die Schlagkraft der ungebildeten Rotgardisten höher als die der gebildeten und kriegserfahrenen Weißgardisten. Jede nachhaltige Revolution wird immer Elemente des robusten Vandalismus der Bauernkriege und Elemente der urwüchsigen Primitivität der Volksmassen in sich schließen.

Die Lehre von der Denkweise stellt eine eklatante Abweichung vom Marxismus dar und kann im Falle einer revolutionären Situation mit der Absicht, die Denkweise zu kritisieren, einen verbrecherischen Einschlag bekommen. Das bürgerliche Recht, das auch noch im Sozialismus gilt, lässt das Denken frei und kann nur konkrete Handlungen unter Strafe stellen, denken kann ich, was ich will, und wie leicht ist es für einen Reaktionär, eine ‘rrrrevolutionäre Denkweise‘ vorzugeben. Im Gedanken kann ich tausend konterrevolutionäre Straftaten durchspielen, es kann keiner erkennen und ein Revolutionstribunal kann nichts sehen. Erst wenn aus einer proletarischen oder kleinbürgerlichen Denkweise politische Straftaten erfolgen, erwachen die Eumeniden. Die heutigen Denkweiseschwindler geraten in einer revolutionären Situation eventuell in eine Haltung, die nach dem Motto verfährt: Und willst du nicht mein Denkweisebruder sein, so erkläre ich Dich zum Volksfeind und schlage Dir den Schädel ein. Alle Menschen, die ein religiöses Bewusstsein haben und also keine proletarisch-atheistische Denkweise haben können, wären demnach zu kontrollieren. Im Gegenteil, der Diktatur des Proletariats gegenüber ist die Religion reine Privatsache. Eine proletarische Revolutionsgerichtsbarkeit wäre gar nicht möglich, wenn die Denkweise entscheidend ist.

In seiner Polemik gegen Proudhon führt Marx 1844 im ‘Elend der Philosophie‘ aus, dass eine Handmühle eine Gesellschaft mit Feudalherren ergibt, eine Dampfmühle eine mit industriellen Kapitalisten.12 Das ist heute eine feste Burg, die Arbeitsorganisation durch die Produktionsmittel, diese ist es, die objektiv gesellschaftlich durchschlägt, gleich, welche Denkweise auch gesellschaftliche Avantgarden beanspruchen bzw. zu welchen sie verurteilt sind. Wenn im Produktionsprozess eine Maschine als defekt ausfällt, ruft man einen Mechaniker, keinen Dialetiker. Der praktische Vollzug des Marxismus-Leninismus ist an die objektive Entwicklung kombinierter Produktionsmittel gebunden, die nur noch kollektiv in Gang und in fortlaufende Tätigkeit zu setzen sind. Dieser objektive Prozess führt u.a. zur allmählichen Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, zwischen den Arbeitern und den Bauern und dieser hat als Appendix auch das Absterben der KP und mit ihr das der Demokratie gegen den Kapitalismus in petto. Wo gibt uns die MLPD etwas zum Absterben der Lehre von der proletarischen Denkweise bekannt? Ist diese “Lehre“ noch not, nachdem die MLPD abgestorben sein wird? Wie sieht es mit einer bäuerlichen und halbproletarischen Denkweise aus? Man hört und liest immer nur das Schema F – proletarische Denkweise, also rein urbane Ausrichtung. Aus der Formel ‘Proletarische Denkweise‘ fällt unser Verbündeter, der agrarische Lohnsklave heraus. Die Wendung ‘proletarische Denkweise‘ schließt den Bauern nicht ein, sie vermittelt nicht die urbanen und ruralen Klassen ineinander. Sie blockiert ein für den Sieg des Sozialismus entscheidendes Wechselverhältnis, beide entscheidenden Klassen können sich nicht ineinander setzen, der Bauer kann mit der Floskel ‘proletarische Denkweise‘ nichts anfangen und mit ihr kehrt auch der Stadtmensch ihm den Rücken zu. Der Bauer muss mitziehen, wenn der Arbeiter in der Stadt revolutionär denkt und handelt. Die ganze machtbesessene „Linke“ krankt heute doch daran, dass der Bauer auf dem Land vergessen bleibt. Das Adjektiv ‘proletarisch‘ ist nun einmal begrenzt und reserviert – gruppiert im Kreis der Urbanität. Es ist bei der Formel aber nicht an den Durchbruch gedacht worden, ohne den aber jede proletarische Revolution die Straße der Niederlage einschlägt. Nehmen wir einmal an, die MLPD ist an ihr Ziel angekommen, alle Proletarierinnen und Proletarier in den Städten denken nach ihrer Weise, nicht aber die Lohnsklavinnen und Lohnsklaven, die Tagelöhner/innen und Saisonarbeiter/innen auf dem Land. Wir wissen aus der Geschichte der russischen Oktoberrevolution, wie leicht es den Verlierern in den Städten war, Bauernmilizen gegen die Gottlosen zu mobilisieren. Die Bauern, die zum Beispiel entlang des Flusses Kama lebten, riefen diesen an: Kama, Kama, Mütterlein, schlag die Bolschewiken kurz und klein. Die Revolution auf dem Lande vollzog sich in Russland erst ein Jahr nach der urbanen Oktoberrevolution.

Es sind noch Kleinigkeiten nachzureichen: Auf Seite 117 wird die russische Revolution von 1905 als eine sozialistische ausgegeben, es wurde aber nur der Sturz des Zaren und der Achtstundentag gefordert. Auf Seite 132 wird angegeben, dass die MLPD die Existenzberechtigung eines israelischen Staates unterstützt. Marxisten können nicht einem bürgerlichen Staat Ehre erweisen, denn nach Marx ist seine Existenz und die der Sklaverei unzertrennlich, Marxisten erkennen nur den „Staat“ der Pariser Commune an, der nach Engels schon kein Staat im eigentlichen Sinne des Wortes war. Desgleichen wird auf Seite 138 oben angegeben, dass Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber den Juden habe. Das ist zu pauschal! Das ganze Deutschland? Ziehen wir die Analyse der Klassen zu Rate, so war nur eine kleine Minderheit von perversen Imperialisten schuldig. Wenn ganz Deutschland schuld war, dann war doch was dran am Morgenthauplan. Die Hitlers kommen und gehen, das deutsche Volk aber wird nicht untergehen. (Stalin) Die Revisionisten schummelten doch den Staat hinzu. Also erklärt Stalin das deutsche Volk für unschuldig am Holocaust. Das ganze Gerede von einer besonderen Verantwortung Deutschlands dient doch nur dazu, um die kapitalistische Ausbeutung einen Heiligenschein zu bilden. Man dürfe um Gottes willen nicht den heiligen Juden antasten, dabei sieht Marx im Juden ein antisoziales Element.13 Also tut die MLPD gut daran, die Juden zur Zerschlagung ihres Ausbeuterstaates aufzurufen, auch wenn die PFLP und Ibrahim Ibrahim noch nicht so weit sind. Proletarier aller Länder vereinigt euch, sollen die jüdischen nicht dazugehören? Man darf nicht auf die geheuchelten Krokodilstränen des Bourgeois hereinfallen, der heute nicht mehr die jüdische Rasse als solche besonders ausbeutet, sondern weiterhin und immer extremer das deutsche Volk. Dass das deutsche Volk eine besondere Verantwortung habe, das sagen nur asoziale Elemente, die das jüdische und das deutsche Volk gemeinsam ausbeuten. Deutschland hat eine besondere Verantwortung? Wer das behauptet, hätte vielleicht gern gesehen, wenn Deutschland 1945 in ein reines Agrarland umgewandelt worden wäre, was nicht ganz so krass war wie die Ausführung des Nerobefehls Hitlers. Doch es ist Zeit, zum Ende zu kommen. Wie ist es möglich – eine Rezension über ein Buch von der MLPD über die Krise des Antikommunismus endet mit dem Nerobefehl Hitlers? So endet der philosophische Teil mit der Denkweise mit der Vernichtung des deutschen Volkes, während der politische Teil mit der Notwendigkeit von weiterführenden Revolutionen im Sozialismus zum Aufblühen zunächst der Nationen und das einer kommunistischen Weltbevölkerung endete. Das Buch müsste neu geschrieben werden, aber das setzt natürlich marxistisch-leninistische Elementarkenntnisse voraus.

Kurz: Die Lehre von der Denkweise ist auf Sand gebaut und lässt das stolze Schiff der Revolution bewegungslos auf der Sandbank der Konterrevolution stranden. Alle theoretischen Verlautbarungen der MLPD verkünden heute bei kritischer und revolutionärer Lektüre die Götterdämmerung dieser Partei. Wenn die ersten Stürme der Revolution anklingen und die Sonne der proletarischen Freiheit aufsteigen werden, werden die Geier ihre Flügel schlagen und sich auf die kleinbürgerliche, Immobilien besitzende MLPD stürzen, damit dann die Adler der proletarischen Freiheit aufsteigen.

 

  1. Stefan Engel, Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise, Neuer Weg Verlag, Gelsenkirchen, 2021,55
  2. Vergleiche Iring Fetscher, Josef W. Stalin, in: Politiker des 20. Jahrhunderts, Band I, Die Epoche der Weltkriege, Beck Verlag München, 1970,291
  3. Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960,270
  4. Vergleiche Peter Sloterdijk, Philosophische Temperamente, Diederichs Verlag, 2009,135
  5. Heraklit, Fragmente, Artemis & Winkler Verlag, Zürich und München, 2007,17
  6. Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960,270
  7. Vergleiche a.a.O.,306
  8. Vergleiche Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, Werke, Band 3, Dietz Verlag Berlin, 1960,27. Es muss bei diesem Frühwerk berücksichtigt werden, dass Engels in einem seiner Spätbriefe darauf hinweist, dass es unter einer gewissen Einseitigkeit leide, dass das Gewicht der Basis zu stark akzentuiert worden sei, um Sachverhalte zu verdeutlichen, dass aber der Überbau als zu einseitig abhängig von der Basis dargestellt worden sei. Der Überbau wirke auch auf die Basis zurück, es ist aber klar, dass hier der Basisfundamentalismus nur geschmälert wird, dass es sich keinesfalls um eine Wendung um 180 Grad wie bei Mao handelt.
  9. a.O.,30
  10. Karl Marx, Friedrich Engels: Die Heilige Familie, Werke, Band 2, Dietz Verlag Berlin, 1960,38
  11. Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960,298
  12. Vergleiche Karl Marx, Das Elend der Philosophie, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,130
  13. Vergleiche Karl Marx, Zur Judenfrage, Werke, Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960,372

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Literaturliste:

  • Engel, Stefan: Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise, Neuer Weg Verlag, Gelsenkirchen, 2021
  • Engels, Friedrich: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960
  • Fetscher, Iring: W. Stalin, in: Politiker des 20. Jahrhunderts, Band I, Die Epoche der Weltkriege, Beck Verlag München, 1970
  • Heraklit: Fragmente, Artemis & Winkler Verlag, Zürich und München, 2007
  • Marx, Karl: Zur Judenfrage, Werke, Band 1, Dietz Verlag Berlin, 1960
  • Marx, Karl: Das Elend der Philosophie, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960
  • Marx, Karl/Engels, Friedrich: Die Heilige Familie, Werke, Band 2, Dietz Verlag Berlin, 1960
  • Marx, Karl/Engels, Friedrich: Die deutsche Ideologie, Werke, Band 3, Dietz Verlag Berlin, 1960
  • Sloterdijk, Peter: Philosophische Temperamente, Diederichs Verlag, 2009

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