Books and films about Dean/Bücher und Filme über Dean

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ZeitZeuge Tod

Zeitzeuge Tod

Spektakuläre Fälle der Berliner Gerichtsmedizin

von Gunther Geserick, Klaus Vendura, Ingo Wirth. Militzke, 2006. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. 228 Seiten. ISBN: 3861896281


ZeitZeuge Tod

Zeitzeuge Tod

Spektakuläre Fälle der Berliner Gerichtsmedizin

von Gunther Geserick, Klaus Vendura, Ingo Wirth. Militzke, 2001. ISBN: 3861892316


Archivbücher eines Instituts für Rechtsmedizin sind eine spannende Lektüre. In denen der Berliner Charité stößt der Leser auf bekannte Namen, wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Walther Rathenau oder die der Toten der Köpenicker Blutwoche 1933. Ebenso finden sich hier die Namen von Berliner Juden, denen nur der Freitod blieb, um der Deportation zu entgehen. Man begegnet auch den Opfern des 17. Juni 1953 oder denen der Berliner Mauer.

Die Autoren, international anerkannte Kapazitäten, bereiten die berühmten Fälle des ältesten gerichtsmedizinischen Institutes Deutschlands für ein breites Publikum auf, ordnen sie in die Geschichte des 20. Jahrhunderts ein und erörtern ausgewählte gerichtsmedizinische Aspekte.

Sie untersuchen die spektakulärsten Selbstmordfälle von Vincenz Müller und Dean Reed. Nicht zuletzt widmen sie sich den Verbrechen von Serienmördern wie Karl Großmann oder Paul Ogorzow.

S. 205 - 215

Der ertrunkene Sänger

Um den Tod des US-amerikanischen Sängers und Filmschauspielers Dean Reed, der sich im Jahr 1973 in der DDR niederließ und hier 1986 aus dem Leben schied, ranken sich viele Mythen. Er hatte 13 Jahre in diesem Land gelebt, als man seine Leiche im Juni 1986 im Wasser des Zeuthener Sees treibend auffand.

Der knapp 48-Jährige soll Anfang Juni 1986 einen Herzanfall erlitten haben. Wenig später unternahm er nach einem häuslichen Streit am 9. Juni [Mi 11. Juni - Website-Red.] einen Selbsttötungsversuch, der offenbar demonstrativ angelegt war. Reed habe sich vor den Augen seiner Frau mit einer Machete zahlreiche Schnitte am linken Unterarm beigebracht.

Tatsächlich beschreibt das spätere Obduktionsprotokoll des Instituts für Gerichtliche Medizin der Charité mit der Nummer 312/86 derartige Befunde:

"Unter einem Mullverband finden sich am linken Unterarm bis zum Handgelenk beugeseitig ca. 50 feine, querverlaufende, parallele, 3 bis 4 cm lange, oberflächliche, glattrandige Hautdurchtrennungen, deren unterste bis in die Lederhaut reicht und blutverkrustet ist, die übrigen liegen in der Oberhaut". Weiter wird dazu ausgeführt: "Die oberflächlichen Schnitte am linken Unterarm soll der Betroffene wenige Tage vor dem Vermisstwerden sich selbst beigebracht und danach ärztliche Hilfe in Anspruch genommen haben." Canutosche Probierschnitte nennt man das.

Derartige Verletzungen kommen bei Selbsttötungen oder Selbsttötungsversuchen häufig vor. Meist werden sie mit Messern oder Rasierklingen, gelegentlich auch mit Glasscherben oder anderen scharfkantigen Gegenständen dem eigenen Körper angetan. Die Händigkeit bestimmt die Seitenposition. Ein Rechtshänder schneidet sich typischerweise in den linken Arm. Auf die Beibringung von eigener Hand weisen die Oberflächlichkeit, die Gruppenbildung und die Parallelität der Wunden hin. Naturgemäß muss der Gerichtsmediziner wie auch der Kriminalist stets die Gesamtsituation eines Falles beachten, um bei der Unterscheidung zwischen eigener und fremder Hand keine Fehler zu machen.

Im Fall Reed waren die Schnitte nur sehr oberflächlich angelegt. Zwischen der Hergangsschilderung und den Befunden gab es keinerlei Widersprüche. Das gilt auch für die zeitliche Entstehung wenige Tage vor dem Vermisstwerden, also kurz vor dem Tod.

Am Abend des 12. Juni fuhr Reed mit seinem Wagen von zu Hause weg, angeblich um nach einem Telefonat seinen Filmproduzenten vom DEFA-Studio in Babelsberg aufzusuchen. Dort kam er jedoch nicht an, und so begann am nächsten Tag eine fieberhafte Suche nach dem Verschwundenen. Keiner wusste etwas über seinen Verbleib - bis am 14. Juni in der Nähe eines Zeltplatzes am Zeuthener See ein herrenloser Pkw Lada zwischen Bäumen am Seeufer gefunden wurde. Die Kriminalpolizei und die Kriminalisten vom Ministerium für Staatssicherheit nahmen ihre Untersuchungen auf. Am und im Fahrzeug waren keine Auffälligkeiten festzustellen. Im Wagen lag eine Papierrolle mit dem Drehbuch zu dem Filmprojekt "Bloody Heart". Die Rückseite war 15 Seiten lang mit der Hand beschrieben, ein Abschiedsbrief, datiert auf den 12. Juni 1986 und unterschrieben mit "Dean Reed".

Sofort begann eine intensive Suchaktion im Bereich des Zeuthener Sees. Am Morgen des 17. Juni wurde in der Nähe des Autofundortes die im See treibende Leiche von der Wasserschutzpolizei entdeckt. Der Leichnam wurde mit einem Bootsseil geborgen und an Land gebracht.

Noch am selben Tag erfolgte die gerichtliche Leichenöffnung im Charité-Institut, vorgenommen vom damaligen Institutsdirektor, Prof. Dr. P., und von Prof. Dr. R. als zweitem Sachverständigen. Anwesend war auch die diensthabende Staatsanwältin als Vertreterin des Generalstaatsanwalts. Der Fall hatte politische Brisanz.

Die äußere Besichtigung beschreibt einen 187 Zentimeter großen Mann von athletischem Körperbau in gutem Ernährungszustand. Die postmortalen Veränderungen des Leichnams entsprachen einer mehrtägigen Liegezeit im Wasser bei sommerlichen Temperaturen, darunter die sogenannte Waschhaut, eine Quellung, Faltenbildung und weißliche Verfärbung der Haut durch Entfettung im Wasser, und ein Algenrasen an den Handflächen. Algen von meist grünlicher Farbe heften sich an der Hautoberfläche an, der zeitliche Ablauf hängt entscheidend von der Wassertemperatur ab.

Laut Gutachten war "davon auszugehen, dass der Verstorbene bald nach dem Vermisstwerden ins Wasser gelangt sein dürfte". Diese vorsichtigen Formulierungen erklären sich nicht mit einer besonderen Brisanz des Falles, sondern sind eine generelle, wohl begründete Vorgehensweise der Gerichtsmediziner, die aus variablen und vielfältig beeinflussbaren biologischen Vorgängen und Erscheinungen auf zurückliegende Ereignisse schließen müssen. Es gab keinerlei frischere Verletzungsbefunde als Zeichen fremder äußerer Gewalteinwirkung. Äußere Besonderheiten waren lediglich eine ältere Operationsnarbe am rechten Unterbauch, bezeichnet als "Zustand nach operativer Entfernung des Wurmfortsatzes des Blinddarmes lange Zeit vor dem Tode", eine alte Narbe der Bauchhaut rechts unterhalb des Rippenbogens, für die sich keine Erklärung fand, sowie eine alte Operationsnarbe am linken Mittelfuß, "nach Angabe der Angehörigen von einer Venenfreilegung als Kind".

Als wesentliches Ergebnis wurden neben den unspezifischen Zeichen des plötzlichen Todes die Hinweise auf einen Tod durch Ertrinken formuliert.

Diese Ertrinkungszeichen waren: "stark überblähte, relativ trockene Lungen mit deutlichem Elastizitätsverlust des Gewebes nach Art des Emphysema aquosum". Die Lungen eines Ertrunkenen sind typischerweise überbläht und trocken, nicht voller Wasser, wie Laien glauben - das erklärt sich durch Resorption des eingeatmeten Wassers aus den Lungen durch kurzes Weiterbestehen der Herz-Kreislauf-Tätigkeit nach dem Atemstillstand. Zum Mageninhalt wird festgestellt: "mäßig verwässert". Ertrinkende schlucken typischerweise Wasser, daher rührt der historische Begriff Ertrinken für diesen Vorgang, der besser als Ersticken zu bezeichnen wäre.

Außerdem zeigte sich eine streifige Einfärbung der Bauchschlagaderwand. Die unterschiedliche Einfärbung der Gefäßinnenhaut erklärt sich durch Hämolyse. Durch Verdünnung des Blutes mit Süßwasser wird der osmotische Druck so vermindert, dass die roten Blutkörperchen platzen und den Blutfarbstoff Hämoglobin freisetzen, der dann in die Blutgefäßwand eindringen kann. Der Vermerk "Keilbeinhöhle feucht" weist darauf hin, dass beim Ertrinkungsvorgang Wasser in die Keilbeinhöhle (eine der Nasennebenhöhlen) eingedrungen ist, das vom Obduzenten entnommen werden kann. "Warzenfortsatzzellen deutlich unterblutet, ebenso die Mittelohrräume auf beiden Seiten" - das bezeichnet Einblutungen durch Druckschwankungen.

Die Obduktion der Wasserleiche ergab "keine Hinweise auf pathologisch-anatomische Veränderungen, die in der Lage wären, einen Todeseintritt auf natürliche Weise zu erklären". Diese Feststellung bedeutet, dass keine Hinweise für organische Herzerkrankungen bei Reed gefunden werden konnten. Speziell die Herzkranzschlagadern wurden als "ausgesprochen zart" beschrieben.

Die Toxikologen des Instituts wiesen in den Organen und Körperflüssigkeiten des Verstorbenen erhebliche Konzentrationen von Nitrazepam nach.

Dieses Medikament, in der DDR unter dem Markennamen Radedorm geführt, ist auch heute noch unter demselben Namen erhältlich und wird im Arzeimittelverzeichnis für Deutschland den Hypnotika und Sedativa, also den Schlaf- und Beruhigungsmitteln, zugeordnet. Nitrazepam wird bei Schlafstörungen verordnet, im Kindesalter auch bei Krampfleiden.

Nicht bekannt war, ob Reed dieses Mittel öfter, eventuell auch in hohen Dosierungen nahm, was auf einen längeren Missbrauch hingedeutet hätte, oder ob die gefundene Konzentration Ausdruck einer einmaligen hohen Aufnahme war mit der Absicht, eine Selbsttötung zu vollziehen. Das Gutachten führte zu dieser Frage aus: "Die gefundenen Wirkstoffmengen des Psychopharmakons Nitrazepam liegen - bei aller Vorsicht in der Beurteilung bei fortgeschrittener Fäulnis - deutlich im toxischen Bereich. Nach Einnahme solcher Dosen dürften in der Regel stark sedative bis hypnotische Wirkungen auftreten, die ein Ertrinken fördern oder beschleunigen können."

Als Todesursache ist formuliert: "Soweit bei fortgeschrittenen postmortalen Veränderungen feststellbar, am ehesten Ertrinken unter toxischer medikamentöser Beeinflussung."

Alle aufgeführten Untersuchungsbefunde passten gut zu der Version einer Selbsttötung des Dean Reed. Weder von den Gerichtsmedizinern noch von den Ermittlern wurde dies jemals ernsthaft in Zweifel gezogen. So muss es für die anderen Hypothesen - Unfall oder Mord - Gründe außerhalb der genannten Befunde geben.

Die Staatsräson verlangt einen Unfall

Die Motive, von einem Unfall zu sprechen, sind leicht zu durchschauen. Noch bevor Reed gefunden und geborgen war, hatten sich Partei- und Staatsführung der DDR offenbar schon geeinigt, dass es keine andere Erklärung geben könne. Treffend beschrieb das die Journalistin Jutta Voigt 1993 in der Zeitung Wochenpost: "Als der unglückliche Sänger des Sozialismus sich 1986 umbrachte, wurde dies von allen, die das Geheimnis des Selbstmordes kannten, als Omen begriffen, der Hollywood-Tod von Dean Reed nahm den anderen Untergang vorweg."

Mit dem Fall sollen damals der Innenminister und Chef der Deutschen Volkspolizei Friedrich Dickel, der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, der Propagandachef Joachim Herrmann vom Politbüro der SED und sogar der Generalsekretär Erich Honecker befasst gewesen sein. Obwohl die Vorgeschichte, die Abschiedszeilen und die späteren gerichtsmedizinischen Befunde auf eine Selbsttötung hinwiesen, wurde von höchster Stelle die Unfallversion in die Welt gesetzt. Offenbar passte eine auf tiefe Depressionen hinweisende Selbsttötung nicht in den Propagandarummel, der ein blütenweißes Bild vom Strahlemann aus dem weiten Amerika und begeisterten Anhänger des Sozialismus gezeichnet hatte.

Um die Unfallversion nicht unglaubhaft zu machen, musste der Abschiedsbrief unterschlagen werden. Er war an Eberhard Fensch gerichtet, der im Zentralkomitee der SED die Kulturpolitik vertrat, und zu dem Dean Reed ein vertrauensvolles, freundschaftliches Verhältnis unterhielt. Der Adressat sollte den Brief erst Jahre später zu Gesicht bekommen - eine Zeitlücke, die von einigen Seiten dahingehend interpretiert wurde, dass es sich um eine Fälschung handele. Eine absurde Behauptung, denn warum sollte ein Geheimdienst einen Abschiedsbrief anfertigen lassen, um ihn dann geheim zu halten? Die Echtheit des Briefes wurde durch einen kriminalistischen Schriftsachverständigen bestätigt. Auch dies lässt sich natürlich - wie alles - anzweifeln, doch es fehlen schlüssige Erklärungen. Der Adressat Fensch jedenfalls soll den Brief nach seiner Prüfung als echt angesehen haben.

Neben der Schrift sind auch Inhalt und Ausdruck des Briefes als letzte Willensbekundung Reeds anzusehen. Er schildert darin in seinem nicht fehlerfreien Schriftdeutsch ausführlich seine privaten Probleme. Auch sein Filmprojekt mit der DEFA muss ihn belastet haben: "Es wird die einige Lösung für Defa - wenn ich sterbe - weil ich kann nicht das Gelt von das Volk nehmen für ein Film, die moglickte weise nie zu ende kommt..." Schließlich beteuert er: "Mein Tot hat nichts mit politik zu tun..." Seine politischen Ideale erscheinen gedämpft, aber nicht aufgegeben: "Meine Gruße auch an Erich - Ich bin nicht mit alles einverstanden, aber Socialismus ist noch nicht erwacksen. Es ist die einzige Losung für die haupt Problemen für die menschheit der Welt."

Der Ton dieser Abschiedsworte entsprach seinem Charakter. Sein ganzes Jugend- und Erwachsenenleben lang neigte Reed zu solchem Pathos und zu einer gewissen dramatischen Pose, in der sich Ehrlichkeit mit Selbstgefälligkeit verbanden.

Dean Cyril Reed wurde am 22. September 1938 in einem Dorf nahe Denver, Colorado (USA), geboren. Seine Mutter war Farmerin, sein Vater Lehrer an der örtlichen High-School. Der Junge besuchte eine Kadettenschule, lernte Reiten und war auch sonst ein guter Sportler, vor allem als Leichtathlet und als Schwimmer. Zum zwölften Geburtstag bekam er eine Gitarre geschenkt. Von da an bestimmte die Musik mehr und mehr sein Leben. Nach Abschluss der High-School wollte er Meteorologie studieren, für einen mehrjährigen Schallplattenvertrag aber gab er dies sofort auf.

Der sympathische und gut aussehende junge Mann mit den blauen Augen sang gut, spielte gut Gitarre und landete rasch auf vorderen Plätzen einer amerikanischen Hitparade. Dort, so behauptete er später gern, sei er mit dem Lied "Summer-Romance" sogar vor Elvis Presley platziert gewesen. Es begann eine Bilderbuch-Karriere. Die Schallplattenfirma finanzierte dem 20-Jährigen eine Schauspielausbildung bei Warner Brothers.

Im Jahr 1962 übersiedelte Reed nach Lateinamerika. Dort feierte er große Erfolge als Sänger und als Schauspieler, zuerst in Chile, danach in Argentinien. Die Herzen der Fans flogen ihm zu, vor allem die der weiblichen. In Mexiko heiratete er 1964 Patricia, eine Amerikanerin, die er schon aus Hollywood kannte.

Immer häufiger seit dieser Zeit äußerte sich Reed kritisch zur Politik seines Heimatlandes, zum Beispiel zur Atomwaffenrüstung, zum Vietnamkrieg und zur wirtschaftlichen Ausbeutung Südamerikas.

Im Jahr 1965 reiste er als Mitglied der argentinischen Delegation zum Weltfriedenskongress nach Helsinki und machte anschließend einen Abstecher nach Leningrad. Diesem ersten und kurzen Besuch in der Sowjetunion sollten bald weitere und längere Aufenthalte folgen. Als er 1966 nach dem Militärputsch in Argentinien des Landes verwiesen wurde, gelangte er über Spanien in die Sowjetunion, von wo er eine Einladung zu einer großen Tournee erhalten hatte. Hier feierte der smarte Amerikaner - langhaarig, mit echten Jeans und moderner westlicher Musik - bei Millionen Zuschauern in den sowjetischen Großstädten grandiose Erfolge. Vom KGB gut beschützt und in jeder Stadt neu umjubelt, lernte er dieses Land kennen und lieben. Unterdessen suchte er eine neue Bleibe.

Im Jahr 1966 ließ er sich mit seiner Frau in Rom nieder und drehte dort in den folgenden Jahren mehrere Filme. Seine politischen Aktivitäten brachten ihn mehrfach in Konflikte mit den Behörden, nach Argentinien auch in Italien. Allmählich verfestigten sich bei ihm marxistische Überzeugungen, und er wurde mehr und mehr zum Propagandisten der antiimperialistischen Bewegung.

Im Jahr 1971 führte ihn sein Weg das erste Mal in die DDR, zum Leipziger Dokumentarfilmfestival. Dabei lernte der inzwischen Geschiedene seine zweite Frau kennen, die er 1973 heiratete. Reed spielte dann bei der DEFA in der Verfilmung von Eichendorffs "Aus dem Leben eines Taugenichts" die Hauptrolle. Bei den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten im Sommer 1973 in Ostberlin gehörte er zusammen mit der US-amerikanischen Bürgerrechtlerin Angela Davis zu den großen internationalen Stargästen. In dieser Zeit wählte Reed die DDR als seinen neuen Wohnsitz. Offensichtlich auch, weil sich ihm eine sichere künstlerische Karriere bot, als Sänger wie als Schauspieler, Drehbuchautor und Filmregisseur, wenngleich mit schwankendem Talent und wechselndem Erfolg.

Verständlich, dass die Abteilung für Ausländerfragen beim Ministerium des Innern der DDR dem Antrag auf Übersiedlung zustimmte. War doch ein junger, attraktiver US-Amerikaner, dazu noch bekannter Pop-Sänger und Schauspieler, als Stimmungsmacher in das Land gekommen, das von so manchem eigenen Bürger schmählich in Richtung Westen verlassen wurde. Jetzt erwies sich dieses Land sogar für Amerikaner als anziehend. Die frühen siebziger Jahre waren in der DDR eine Zeit neuer Hoffnungen. Die Führung zeigte gewisse Tendenzen zu einer internationalen Öffnung und suchte nach diplomatischer Anerkennung. Der neue Parteichef Erich Honecker galt zumindest vorübergehend als Hoffnungsträger für eine liberalere Politik, auch in Kunst, Kultur und Medien. Auf dieser Wolke mag auch Reed geschwebt haben. Seine Offenheit, Aufrichtigkeit und Hilfsbereitschaft, ein gewisser Mut und natürlich sein Idealismus verschafften ihm einen großen Freundeskreis.

Als nach 1989 auch die Geschichte des Dean Reed neu geschrieben wurde, fehlte es nicht an hämischen Kommentaren und Titeln, eher nachsichtige Bezeichnungen waren "Ein Cowboy im Sozialismus" (Dokumentarfilm 1993) oder "Der rote Prinz" (Wochenpost vom 16. September 1993).

Nicht alle geplanten künstlerischen Projekte konnte Reed in der DDR realisieren. Zu den filmischen Erfolgen zählte "El Cantor", eine Hommage für den in Chile 1973 von den Militärputschisten ermordeten Sänger Victor Jara. Reed engagierte sich für das sozialistische Kuba und für die Palästinensische Befreiungsorganisation, die PLO. Bei einem Besuch in den USA nahm er an einer rabiaten Protestaktion von Farmern teil, was ihm einen Gefängnisaufenthalt und ein Gerichtsverfahren einbrachte. Die DDR-Führung war natürlich schnell dabei, dies propagandistisch für sich auszuschlachten. Egon Krenz übermittelte im Namen der FDJ schwülstige Sympathiebekundungen im gemeinsamen Kampf gegen den USA-Imperialismus. Doch auch in seinem Heimatland erhielt er Unterstützung. Joan Baez und Pete Seeger schickten Protestschreiben nach Washington.

Nach kurzer Inhaftierung kam Reed frei und konnte 1979 beim Pfingsttreffen der FDJ singen. Neue Erfolge feierte er 1981. Sein Film "Sing, Cowboy, sing" wurde ein Triumph. An seinem 43. Geburtstag heiratete er die Schauspielerin Renate Blume. Sie bezogen ein Haus in Rauchfangswerder am Zeuthener See am Südostrand von Berlin, und für den Sommer gab es noch ein Ferienhaus auf der Ostseeinsel Hiddensee. Aber im beruflichen Leben wurden die Höhepunkte seltener. Er "erzählte das Märchen von Frieden und Gerechtikeit, bis es keiner mehr hören wollte", schrieb später die Journalistin Jutta Voigt in dem schon erwähnten Wochenpost-Artikel. "Dean Reed begann, eine traurige Gestalt zu werden, sein naives Pathos wirkte lächerlich. Plötzlich hörten alle, dass seine Stimme dünn war, und das Repertoire eintönig, dass der Man aus Hollywood kein erstklassiger Schauspieler gewesen ist und erst recht kein guter Regisseur. Die Haut aus Glamour und Ekstase war verschlissen, die Zeit vorbei, aus der Traum. Der Ami hatte seine Schuldigkeit getan. Sein Gesicht wurde schmaler, seine Kleidung zu jugendlich, im Badezimmer stapelten sich Vitamine und Tranquilizer". Ob eine derartige Einschätzung dem Menschen und Künstler Dean Reed gerecht wird, sei dahingestellt.

Wenn es so ist: Er wäre nicht der erste extrovertierte Star, dem die Symbole von Jugend und Vitalität so wichtig und vielleicht lebensnotwendig geworden waren, dass jedes Zeichen des Alterns als Katastrophe empfunden wird. Er wäre ja auch nicht der erste bekannte Künstler, der den Bitternissen des alltäglichen Lebens durch Beruhigungs- oder Betäubungsmittel oder Alkohol zu entrinnen versuchte. Es gehört zum medizinischen Erfahrungswissen, dass allen beruhigenden oder betäubenden Mitteln die Gefahr der Dosissteigerung bei längerem Gebrauch innewohnt.

Der Kriminalreporter Jan Eik, der in seinem Buch "Besondere Vorkommnisse" die wohl schlüssigste Beschreibung der Tragödie Reed geliefert hat, vermutet, dass der Amerikaner seit seiner Jugend an einer Epilepsie gelitten habe, was die tägliche Medikation erklären könnte. Eindeutige Beweise für diese Hypothese gibt es allerdings nicht.

Als Reed 46 Jahre alt war, starb sein Vater. Film- und Bühnenerfolge wollten sich nicht mehr so recht einstellen. Er arbeitete verbissen an einem neuen, großen Filmprojekt, das sich mit der blutigen Niederschlagung eines Aufstandes der Sioux-Indianer 1890 am Wounded Knee sowie einer gewalttätigen Protestaktion im Jahr 1973 am selben Ort beschäftigte. Dazu reiste er erneut in die USA und knüpfte neue Kontakte. Vielleicht hatte er sogar Pläne, in seine Heimat zurückzukehren. Diese Träume waren spätestens nach einem Interview ausgeträumt, das er für den amerikanischen Sender CBS gab. Er rechtfertigte darin seine Haltung zur Sowjetunion und zur DDR, auch zum Mauerbau und zum Afghanistan-Krieg, was ihm in Amerika neben Unverständnis auch böse Kritiken einbrachte und ihm jedenfalls alle Türen nach Hollywood und ins amerikanische Entertainment versperrte. Ihm begann der Boden unter den Füßen zu schwanken. Er verzweifelte offenbar auch an dem Drehbuch, das er für die DEFA über die Sioux-Indianer verfasste - dasselbe Drehbuch, auf dessen Rückseite er dann seinen Abschiedsbrief schrieb.

Die Trauerfeier für Dean Reed fand am 24. Juni 1986 im Krematorium Berlin-Baumschulenweg statt. Die Rede wurde vom stellvertretenden Kulturminister der DDR gehalten. In der Feierhalle erhielt der Künstler seinen letzten Applaus in Form von stehenden Ovationen, worum einer seiner Freunde die Anwesenden gebeten hatte.

Schon zu dieser Zeit wucherten in der DDR und im Ausland Gerüchte, die den Unfalltod des amerikanischen Künstlers anzweifelten. Nahe Verwandte wollten auch nicht an eine Selbsttötung glauben.

Nach 1989 bekamen die Spekulationen neuen Auftrieb. Erst da tauchten die bisher unter Verschluss gehaltenen Unterlagen auf, nämlich Abschiedsbrief und Obduktionsbericht. Zwar gab der letzte Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel, eine offizielle Erklärung ab, wonach Reed nicht "einem tragischen Unfall zum Opfer fiel, sondern aufgrund persönlicher Motive Selbstmord beging". Diese zutreffende Darstellung hinderte aber einige Journalisten nicht daran, weiterhin abenteuerliche Geschichten zu erfinden, die von der Rauschgiftüberdosierung bis zur Ermordung durch Geheimdienste wie Stasi oder KGB reichten. Überzeugende Belege oder ernst zu nehmende Begründungen finden sich dafür nirgendwo.

Bis heute hat der Tote aus dem Zeuthener See keine endgültige Ruhe gefunden. Immer wieder greifen Journalisten gern zu diesem Thema. So war am 25. Januar 2001 in einer Berliner Zeitung zu lesen: "Die Schauspielerin Renate Blume (56) glaubt nicht an einen Selbstmord ihres Mannes." Liest man den Artikel weiter, so sind die Vermutungen schon wesentlich zurückhaltender. Einem Boulevardblatt sagte Frau Blume, ihr sei mitgeteilt worden, "dass es noch Material in den Stasi-Archiven gibt". Solange es keine neuen Informationen gebe, wolle sie sich nicht an Spekulationen beteiligen.

Was bleibt, ist der völlig unspektakuläre, tragische Suizid eines Verzweifelten, dem seine außergewöhnliche Biographie in einer besonderen politischen Zeit zu erneutem, gnadenlosem und unverdientem Medieninteresse verhalf. Vielleicht ist es diese Sicht des erfahrenen Gerichtsmediziners, die so manchen angeblich sensationellen Vorgang in einem viel einfacheren, in einem menschlichen Licht erscheinen lässt.

Comments/Kommentare

Ein schlüssiger und individuell sachlicher Kommentar - doch zerstreut er vorhandene Zweifel am Suizid von Dean nicht wirklich. Siehe die Äußerung von R. Blume "...dass es noch Material in den...".

Die Webseite ist toll recherchiert und grandios gestaltet!!!
Kompliment!

Mario, 07.02.2010

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Letzte Änderung: 2017-07-31