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Die Macht dem Volke! - Der Prozess von Buffalo

Es ist Sonnabend, der 28. Oktober 1978, auf dem Flugplatz von Minneapolis landet die viermotorige Linienmaschine aus Los Angeles mit über 100 Passagieren an Bord. Einer von ihnen will am darauffolgenden Tag in der örtlichen Universität einen Film vorstellen, der im vielgepriesenen "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" nicht gerne gesehen ist. Es geht um den im Vorjahr fertig gestellten Film El Cantor, der die letzten Tage des chilenischen Volks- und Protestsängers Victor Jara schildert und in vielfältiger Form die Verknüpfungen zwischen der chilenischen faschistischen Junta und der US-amerikanischen Regierung unter Präsident Nixon aufzeigt.

Klar, dass die Behörden in Minneapolis so eine Filmvorführung nicht gerne in ihrer Stadt haben, denn er ist dafür gemacht worden, den Menschen die Augen zu öffnen, ihnen zu zeigen, dass das Streben nach Macht und Profit einiger weniger Menschen und ihrer "ausführenden Organe" in den Regierungen vor keiner Schweinerei Halt macht. Gleichzeitig aber ist der Film eine Hommage an den viel geliebten Sänger und Kämpfer für ein demokratisch-sozialistisches Chile, eine angemessene Ehrung für Victor Jara und seine Lieder.

Deshalb hat sich der Passagier auch auf einige Unannehmlichkeiten eingestellt. Doch das, was ihm in den nächsten 16 Tagen widerfährt, hat er sich nicht im Traum ausmalen können. Dean Reed, Friedenskämpfer, Sänger, Schauspieler und Regisseur, soll den Kapitalismus und seine unbarmherzige Maschinerie am eigenen Leibe erleben.

In einem winzigen Nest namens Delano, nahe der 6.000 Einwohner großen Kleinstadt Buffalo, sind am Tag nach der Filmvorführung viele Menschen auf den Beinen. Der Grund dafür sind die Proteste gegen die Machenschaften des Energiekonzernes "North West Coal Company". Auf dem weiten Land, auf dessen Prärien einst Indianer der Stämme der Algonkin und Sioux ihre Jagdgründe fanden, grasen heute große Schaf- und Rinderherden. Dort, wo der Boden am fruchtbarsten ist, finden sich riesengroße Felder, auf denen Soja und Getreide angebaut werden.

Immer wieder haben sich in dieser Region und in anderen Gegenden der USA Energie- und Agrarkonzerne mit Unterstützung der Justizbehörden unberechtigt das Land der Farmer angeeignet, um dort ihre profitbringenden Überlandleitungen, Kraftwerke und Agrarfabriken zu errichten. Wer nicht freiwillig sein Land an die Profitgeier verkauft, wird verhaftet, gedemütigt und letztlich vertrieben.

An dem Ort, wo kurz zuvor wieder einmal einige Farmer vertrieben worden sind, findet die Protestkundgebung statt. Die Organisatoren wollen dort ihr in der Verfassung der Vereinigten Staaten verbrieftes Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehmen. Dean wurde von Freunden gebeten, die Demonstration zu unterstützen und dort zu singen. Er macht sich deshalb mit Freunden auf den Weg von Minneapolis nach Delano. Doch nicht nur er will den kämpfenden Farmern zur Seite stehen. Hunderte von Farmern aus der Umgebung und Arbeiter, Intellektuelle und Studenten aus Minneapolis und der Hauptstadt St. Paul treffen am Kundgebungsort ein.

Sogar einige für ihre Rechte kämpfende Indianer haben sich, mit ihrem populären Führer Clyde Bellecourt, erstmals mit den Farmern solidarisiert. Auch sie haben in den Reservationen die Willkür der großen Konzerne und der Behörden erlebt.

Dean singt in Minnesota Die Protestaktion verläuft planmäßig. Es werden Reden gehalten und Schilder mit der Aufschrift "No nuclear" und "Power to the people" hochgehalten. Die Stimmung ist gut, und als Dean zu seiner Gitarre greift und "We shall overcome" und all die Lieder, die von Freiheit und Menschlichkeit erzählen, von dem Recht auf Leben und Arbeit, von der Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, anstimmt, spüren alle Anwesenden die Stärke der Solidarität.

Verhaftung in Minnesota Alle? Nein! Da sind noch fast einhundert mit Schlagstöcken bewaffnete und mit Helmen geschützte "Ordnungshüter", die aus Buffalo in 49 Polizeiautos angereist sind. Als die Kundgebung endet und die Protestierenden geordnet ihren Rückzug antreten, wittern sie ihre Chance und walten ihres Amtes. Sie springen aus ihren Autos und prügeln wild auf die Demonstranten ein. Die Transparente und Schilder werden zu Boden gerissen, Teilnehmern und Teilnehmerinnen die Arme auf den Rücken gedreht und zwanzig von ihnen an den Händen mit Plast-Kabelbinder gefesselt und abtransportiert. Dean ist einer von ihnen.

Die Stimmung im Gefangenentransportwagen ist gut. Lieder werden gesungen und ein junger Student trägt entscheidend zur kämpferischen Stimmung bei. Er kann sich geschickt aus seinen Plastikfesseln befreien und hebt plötzlich zur Überraschung aller seine rechte Hand und ballt sie zur Faust. Einer hat ein Messer dabei und dann werden schnell alle Fesseln durchschnitten. Als die Verhafteten auf dem Hof des Wrigh-County-Gefängnisses in Buffalo, der kleinen Stadt westlich von Minneapolis, aus dem Transportwagen getrieben werden, ziehen die drei Frauen und sieben Männer klatschend und singend über den Gefängnishof.

Ihre Reise endet in einer der widerwärtigen Gefängniszellen, die aus einem stählernen Käfig bestehen und weiter nichts enthalten als rostige Bettgestelle, ein paar Decken und eine Toilette. Doch die Verhafteten sind nicht mutlos! Noch in der gleichen Nacht beschließen sie aus Protest gegen die willkürliche Verhaftung und um die Öffentlichkeit auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, in den Hungerstreik zu treten. Hungerstreik, das bedeutet, ab sofort wollen sie keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen und dies bis zur Entlassung aus dem Gefängnis oder bis zu ihrem Tode fortsetzen. An dieser Aktion beteiligen sich außer Dean noch neun weitere Mitgefangene. Die anderen zehn Verhafteten lassen sich am nächsten Tag gegen die Zahlung einer Kaution von je 1.000 Dollar entlassen. Das ist notwendig, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz verlieren würden.

Dean hat diese 1.000 Dollar nicht, aber es wäre für ihn ein Leichtes, sie unter seinen Freunden zu sammeln. Doch er denkt nicht daran, für eine so zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit den Justizbehörden noch Geld in den Rachen zu schmeißen. Für ihn und die anderen Gefangenen kommt es jetzt darauf an, mit einer aufsehenerregenden Aktion die Unterstützung der Staatsmacht für die Interessen der Energiekonzerne an den Pranger zu stellen. Deshalb erklären die Verhafteten als Zweites, dass sie sich ab sofort als politische Gefangene betrachten. Deans Freunde aus Minneapolis engagieren den Rechtsanwalt Kenneth Tilsen, organisieren Protestaktionen vor den Gefängnistoren und mobilisieren die Presse.

Dean im Gefängnis von Buffalo

Es entfaltet sich eine fast beispiellose Solidaritätswelle. Tausende Telegramme, Protestschreiben, Unterschriftenlisten und Telefonanrufe erreichen den Gouverneur Perpich in Minnesotas Hauptstadt St. Paul und Präsident Carter im Weißen Haus in Washington. Es protestieren Prominente wie Joan Baez, Pete Seeger, Dimitri Schostakowitsch und Gisela May für die Freilassung der Inhaftierten. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht der Name Dean Reed in den Meldungen der großen internationalen Nachrichtenagenturen zu finden ist. AP, ADN, CTK, Reuter, TASS und UPI schicken ihre Berichte in die Welt. Die Presseorgane der DDR berichten fast täglich.

Jetzt macht Dean auch dort Schlagzeilen, wo er bisher von der Presse wie eine Unperson behandelt wurde. "Der Rote Elvis" ist in aller Munde, und der Chefreporter des "Minneapolis Star" schreibt: "(...) hat die Nachricht von seiner Verhaftung die Proteste von prominenten Persönlichkeiten und sogar von Regierungen hervorgerufen".

Dean im Gefängnis von Buffalo (33803 Byte)

Am 3. November telefoniert Dean aus dem Gefängnis mit der ADN-Korrespondentin Ilse Schäfer in Washington: "(...) Wir drücken auf diese Weise aus, worum es uns im Prinzip geht: Wir sind nicht im Unrecht. Wir haben simpelste Bürgerrechte in Anspruch genommen (...)". In Schulen und Betrieben der DDR werden Unterschriften für Deans Freilassung gesammelt und in die USA geschickt. Egon Krenz schreibt Dean im Auftrag des Zentralrates der FDJ (Freie Deutsche Jugend): "Die Jugend unseres sozialistischen Vaterlandes, deiner Wahlheimat, bewundert und achtet Deine leidenschaftliche Parteinahme für die Rechte der Arbeiter, Farmer, der vom Kapital unterdrückten und ausgebeuteten Menschen sowie Deinen Protest gegen die vom USA-Imperialismus verübten Verbrechen. Der Willkürakt der amerikanischen Behörden gegen Eure friedliche Demonstration in Buffalo zeigt einmal mehr das wahre, menschenfeindliche Gesicht des Imperialismus und entlarvt sein Gerede von der Freiheit und den Menschenrechten als das, was es ist: als pure Heuchelei (...). Wir sind zu jeder Zeit an Deiner Seite. Freundschaft." Am 5. November sendet Dean ein Telegramm in die DDR, das am nächsten Tag auf der ersten Seite des Zentralorganes der SED, Neues Deutschland, veröffentlicht wird. Darin grüßt er das Volk der DDR und Erich Honecker.

Victor Grossman, Deans Landsmann, Dolmetscher und Freund, äußert sich in der Ausgabe der am 9. November in Berlin erscheinenden Zeitung der FDJ "Junge Welt" zu Deans Verhaftung: "Wie ist es gestern Dean Reed ergangen? Während ich schreibe, ist die Nachricht aus Minnesota noch nicht da; sieben Stunden Zeitunterschied machen schon etwas aus. Ich warte mit besonderer Spannung, denn ich kenne Dean, seit er zum ersten Mal die DDR besuchte. Ich arbeitete mit ihm als Dolmetscher, bevor er Deutsch lernte; ich habe viele Stunden mit ihm gelacht, freundlich gestritten, gearbeitet, demonstriert und, wenn auch schlecht, gesungen. Ich frage mich, was wird der Richter der Kleinstadt in Minnesota mit Dean und den anderen von Hunger geschwächten Mithäftlingen machen? Werden er und der Staatsanwalt merken, daß man einen groben Fehler gemacht hat, als man mit allzu durchsichtigem Vorwand - wohl 'Betreten fremden Eigentums' - einen Protest verhindern wollte? Wird man - im Erstaunen über den Strom von Protesten, von Briefen, Telegrammen und Unterschriften von Indianerführern, von Pete Seeger, Joan Baez, vom Schauspielerverband der USA und unzähligen aus der DDR, der UdSSR und anderen Ländern - die Verhafteten freilassen? Oder wird die Angst vor demonstrierenden Farmern und vor dem mutigen, einsatzfreudigen, ja gewiß auch trotzigen Sänger und Schauspieler in ihrer Mitte sie dazu verleiten, eine Strafe zu verhängen? Das, meine ich, wäre ein sehr dummer Fehler. Ich hoffe sehr, daß wir Dean Reed bald wieder in der DDR begrüßen können! Wenn man ihn und die Farmer aber weiter verfolgt, dann bin ich völlig überzeugt, daß jede derartige Entscheidung durch eine Lawine von Protesten hinweggefegt wird, die der Richter von Wright in Minnesota und, wenn notwendig, auch höhere Instanzen nicht so schnell vergessen werden! Und zwar, bis alle wieder frei sind."

Einigen Gefangenen geht es gesundheitlich nicht gut. Deshalb fordert der Anwalt die Anstaltsleitung auf, die Häftlinge vom Anstaltsarzt untersuchen zu lassen. Statt eines persönlichen Besuches lässt er verantwortungslos an die Gefangenen Antibiotika verteilen.

Elf Tage lang lassen die Behörden die Gefangenen schmoren, bis ihnen der Prozess gemacht wird. Für die Hungerstreikenden ist dies eine lange Zeit, aber für die allgemeinen Verhältnisse in den USA eine ungewöhnlich kurze Zeitspanne. Am Mittwoch, dem 8. November, beginnt endlich der Prozess im Bezirksgericht von Buffalo. Schon im Vorfeld der Verhandlungen gab es einen Eklat: Der Vertreter der Anklage, der Bezirksstaatsanwalt William McPhail, hatte wiederholt verleumderische Bemerkungen über die Angeklagten in die Öffentlichkeit getragen. In den Nächten zuvor wurden Flugblätter mit hetzerischen Inhalten in mehren Stadtteilen Minneapolis verteilt, um die Bevölkerung gegen die Protestler aufzubringen. Auf Grund öffentlicher Proteste musste er suspendiert und durch einen anderen Staatsanwalt ersetzt werden.

Dem verantwortlichen Richter Harold Dahl sollen 12 Geschworene zur Seite stehen, die nun gewählt werden. Der Staat wird vertreten von Staatsanwalt Thomas Price. Einer der 20 Angeklagten, ein 13-jähriger High-School-Absolvent, wird aus dem Prozess ausgeklammert und an das Jugendgericht verwiesen. Viel mehr tut sich an diesem ersten Verhandlungstag nicht, die Verlesung der Anklage wird für den nächsten Tag angekündigt.

Der Staatsanwalt verdeutlicht am zweiten Verhandlungstag sein Interesse an einer Kriminalisierung der Angeklagten. Er spricht nachdrücklich von der "Schwere des Falles" und behauptet, dass es sich um einen ausgesprochen "kriminellen Prozess" handelt. Er lässt in der Beweisaufnahme 18 Sheriffs und Hilfssheriffs als Zeugen der Anklage aufmarschieren. Sie schildern, dass fünf Sherifftrupps, mehrere Polizeiautos, ein Gefangenentransportwagen und eine spezielle Einheit, die erkennungsdienstliche Behandlung von Arretierten vornimmt, bereits Stunden vor Beginn der ordnungsgemäß angemeldeten und genehmigten Bürgerrechts-Demonstration Aufstellung genommen hatten. Die Demonstranten, die auf einer öffentlichen Straße entlang zogen, hätten gesungen, Transparente getragen und sich friedlich und gewaltlos verhalten. Dean Reed habe ein Schild mit der Aufschrift getragen: "Alle Macht dem Volke". Auf Befragen des Verteidigers mussten die Polizeizeugen bestätigen, dass es von Seiten der Demonstranten keinerlei Akte von Gewalt oder Anzettelung von aufrührerischen Handlungen gegeben hätte.

Dann ereignet sich ein merkwürdiger Vorfall: Als die Anklagevertretung in gewohnter Weise einem Angeklagten das Wort abschneiden will, wird sie zur Richterbank zitiert. Dort kommt es zu einem längeren, in leisem Ton gehaltenen Gespräch zwischen Richter und Staatsanwalt, woraufhin Price seinen Einspruch zurückzieht und sich auch danach merklich zurückhält. Die Vertreter der großen Nachrichtenagenturen und Zeitungen sitzen im Saal, und es ist zu vermuten, dass Präsident Carter keinen öffentlichen Skandal wünscht.

Die Mitangeklagten Deans, aber auch die Bewohner der Kleinstadt Buffalo hatten bis jetzt wohl kaum eine Vorstellung über den Begriff "Internationale Solidarität". Jetzt sind sie von den zahlreichen Sympathiebekundungen und dem immensen Medienecho aus aller Welt tief beeindruckt. Das gibt ihnen Kraft und Mut und einige wagen es jetzt öffentlich ihre Meinung zu äußern. Chris Strickling, eine junge Therapeutin für Körperbehinderte fordert z.B., dass das amerikanische Volk in den Entscheidungsprozess über das Wohl und Wehe des Landes einbezogen wird. Es darf nicht länger Objekt der Entscheidungen der Monopole sein. Die Indianerin vom Stamme der Chippewa, Janie Cyssonn, erklärt, sie unterstützt den Protest der Farmer, weil sie schon in den Reservationen die Willkür der großen Konzerne erlebt hat. Auch dort seien die einfachen Menschen von ihrem Land vertrieben worden.

Danach kommt Dean zu Wort: "Euer Ehren, Mitglieder der Jury, mein Name ist Dean Reed. Ich bin geboren und aufgewachsen in Colorado. Ich bin ein amerikanischer Bürger. Ich habe in Kalifornien gelebt, in Argentinien, in Chile, in Peru, in Mexiko, in Italien und gegenwärtig wohne ich in der Deutschen Demokratischen Republik.

Manche Leute versuchen daraus zu schließen, ich sei ein Außenseiter. Doch bin ich ein Internationalist, denn ich glaube, dass es eine einzige große menschliche Familie gibt. Wie könnte ich ein Außenseiter sein? Genau wie Sie esse ich - zumindest unter normalen Bedingungen -, wie könnte ich gegenüber dem Schicksal unserer Farmer gleichgültig sein, die unsere Nahrung produzieren? Alle Menschen dieser Welt, die essen wollen und die wünschen, dass die Millionen Menschen, die gegenwärtig Hunger leiden, Nahrung bekommen, müssen an den Problemen der Farmer unseres Landes Anteil nehmen.

Bisher sind Hunderte von Telegrammen, die unsere Freilassung fordern, an Gouverneur Perpich und an Präsident Carter gesandt worden. Erlauben Sie mir bitte, eines davon vorzulesen. Es ist adressiert an Gouverneur Perpich, State Capitol, St. Paul.

'Als Bürger und Mitglied des Vorstandes der Berufsgenossenschaft der Schauspieler bin ich zutiefst darüber empört, daß der international bekannte Schauspieler und Sänger Dean Reed und andere Bürger unter dem fadenscheinigen Vorwand eingesperrt worden sind, sie hätten widerrechtlich fremden Grund und Boden betreten, während sie doch friedlich für die Unterstützung der Farmer von Minnesota demonstrierten. Wir machen uns selbst in aller Welt unglaubwürdig, wenn wir ständig überall die Menschenrechte glauben verteidigen zu müssen und gleichzeitig zusehen, wie der Sheriff des Wright County und seine Leute die Bürgerrechte von Landsleuten verletzen, die an einer gewaltlosen, ehrenwerten Aktion teilgenommen haben. Ich appelliere an Sie als Gouverneur eines großen Bundesstaates, Ihren Einfluß dafür zu nutzen, daß dieser Verhöhnung unserer Prinzipien Einhalt geboten wird und alle Eingekerkerten unverzüglich auf freien Fuß gesetzt werden. Gezeichnet John Randolph.'

Ich bin des widerrechtlichen Betretens fremden Grund und Bodens angeklagt worden, aber ich erkläre hiermit, dass ich diese Anklage nicht anerkenne. Ich brauche mich nicht zu verteidigen, sondern ich klage die großen Energiekonzerne an, die mit der Errichtung von neuen Hochspannungsleitungen Profit machen wollen. Sie sind es, die gegen jedes Recht gehandelt haben. Sie sind es nicht nur deshalb, weil sie sich widerrechtlich das Land der Farmer von Minnesota angeeignet haben, sondern weil sie auch deren Menschenrechte mit Füßen getreten haben.

Nachdem ich am 29. Oktober auf einer friedlichen Protestkundgebung gesungen habe, trug ich ein Plakat mit der Aufschrift 'Die Macht dem Volke' einer Kette von Polizisten entgegen, und während ich weitersang, wurde ich verhaftet. Ziviler Ungehorsam ist eine ehrenwerte amerikanische Tradition des Kampfes gegen Ungerechtigkeit, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Wer von Ihnen ist nicht stolz auf jene amerikanischen Patrioten, die bei der Bostoner Tea-Party, jenem historisch gewordenen Akt zivilen Ungehorsams, den britischen Tee ins Wasser geworfen haben?

Eines Tages wird sich das Volk von Amerika mit dem gleichen Stolz der Proteste erinnern, die gegenwärtig in den gesamten Vereinigten Staaten gegen jene Konzerne laut werden, die die Umwelt verschmutzen und die Profite mehr lieben als die Menschen. Genau das ist es, worum es geht: Das Recht der großen amerikanischen Energiekonzerne, Profit zu machen, bedroht die Menschenrechte der Farmer.

Einer der Farmer erzählte mir kurz vor meiner Verhaftung vom Schicksal eines seiner Nachbarn, der achtzig Jahre alt ist. Die Leute des Energiekonzerns sind zu diesem Mann gekommen und haben ihm gesagt, wenn er ihnen nicht das Land verkaufe, würden sie es beschlagnahmen lassen und ihm wegnehmen. So eingeschüchtert, verkaufte er sein Land und verlor mit einem Schlag alles, was er sich achtzig Jahre lang bewahrt hatte: Lebenskraft, Lebenssinn, Lebensunterhalt, Lebensfreude - und Liebe.

Euer Ehren, Mitglieder der Jury, von Südamerika bis Europa blicken heute Millionen von Menschen auf Sie und darauf, wie Sie entscheiden werden, ob Sie sich zugunsten der großen Unternehmen und ihrer Profite entscheiden oder zugunsten der Menschenrechte der Farmer und der anderen Bürger Ihres Staates und unseres ganzen Landes.

Ich erwarte, dass Sie eine gerechte Entscheidung treffen werden - weil ich Ihnen vertraue. Denn ich stehe hier, weil ich die Rechte der Farmer achte und weil ich die Pflicht gefühlt habe, mich mit ihnen zu solidarisieren.

Ja, ich erwarte, dass Sie eine gerechte Entscheidung treffen und mich und meine Freunde nicht schuldig sprechen werden.

Es war mir eine große Ehre, mit meinen Freunden, die neben mir sitzen, elf Tage lang im Hungerstreik gestanden zu haben. Sie sind gute, prinzipienfeste Menschen und wir alle sollten sehr stolz auf ihren Mut und ihre Rechtschaffenheit sein.

Die Macht dem Volke!"

Danach beschließt das Gericht, alle Angeklagten vorerst auf freien Fuß zu setzen und vertagte den Prozess auf Montag, 13. November. Am dritten Verhandlungstag halten die Vertretung der Anklage und der Verteidigung ihre Plädoyers. Der Gerichtssaal ist bis zum letzten Platz mit Unterstützern und Journalisten gefüllt, und in der Vorhalle und im Gang vor dem Saal drängeln sich noch viele Menschen, die keinen Platz gefunden haben.

Staatsanwalt Thomas Price gibt sich nochmals sichtlich Mühe, den Geschworenen den kriminellen Charakter der Angeklagten zu erläutern. Kenneth Tilsen, der Anwalt der Angeklagten, kontert, indem er noch einmal die Verfassungsmäßigkeit der friedlichen und angemeldeten Demonstration hervorhebt. Gegen 16.00 Uhr zieht sich die Jury zur Beratung zurück. Die Zeit vergeht und erst nach über sieben Stunden, nach 23.00 Uhr, betreten sie wieder den Saal. Der Richter stellt zu dieser späten Stunde den Geschworenen die traditionelle Frage, ob sie zu einem Ergebnis gekommen sind. Der Sprecher der Geschworenen antwortet mit "yes". Die mit Spannung erwartete Antwort auf die zweite Frage des Richters lautet "Not guilty!" Nicht schuldig! Nicht schuldig - das heißt, alle 19 Angeklagten sind freigesprochen.

Nach dem Freispruch 1978

Ein Jubel geht durch den Saal und die Freigesprochenen stimmen mit ihren Unterstützern den Song der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung "We shall overcome" an. We shall overcome, we'll walk hand in hand, we shall live in peace und we are not afraid, wir fürchten uns nicht, schallt es dem Staatsanwalt und dem Richter um die Ohren. Diesen Tag werden sie nicht so schnell vergessen. In Deans erster Erklärung nach dem Prozess bedankt er sich im Namen aller für die internationale Solidarität und für die Standhaftigkeit der Farmer, Gewerkschafter, Indianer und Studenten innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern. Dann sagt er: "Lasst uns nun unsere Anstrengungen verdoppeln, um auch die Freilassung von Ben Chavis, Russell Means und der anderen politischen Gefangenen in den USA zu erkämpfen." Kurze Zeit zuvor hat der US-UN-Botschafter Andrew Young voreilig erklärt, dass es in den USA viele Hunderte, wenn nicht Tausende politische Gefangene gibt.

Am nächsten Tag meldet die "Junge Welt" in Berlin: "Dean Reed ist freigekämpft! (...) Durch internationale Solidarität und die Standhaftigkeit amerikanischer Farmer, Indianer, Gewerkschafter und Studenten ist Montagnacht im Kreisgericht von Buffalo im USA-Bundesstaat Minnesota ein Erfolg errungen worden. Nach siebenstündigen dramatischen Beratungen fällten die Geschworenen für alle 19 Angeklagten, unter ihnen der in der DDR lebende amerikanische Sänger und Schauspieler Dean Reed, das Urteil "nicht schuldig". Die Angeklagten, die von der USA-Justiz verfolgt wurden, weil sie auf einer Farmerdemonstration zu Aktionen gegen die Landraubpolitik amerikanischer Industriekonzerne aufgerufen hatten, brachen im Gerichtssaal in lauten Jubel aus. Verhandlungssaal, Gang und Vorhalle des Kreisgerichts in Buffalo waren zurzeit des Urteilsspruchs gegen 23.00 Uhr Ortszeit dicht gefüllt mit Farmerdelegationen, Bürgerrechtsgruppen und Pressevertretern. (...) Die Vertreterin der Farmerbewegung von Minnesota, Alice Tripp, die zusammen mit ihrem Mann eine Familienfarm bewirtschaftet, bezeichnet den Freispruch als 'Ermutigung für die Farmer, sich gegen die Existenzbedrohungen durch die Profitpolitik großer Konzerne zur Wehr zu setzen'. In einem Solidaritätstelegramm an den eingekerkerten Indianerführer Russel Means hatten die Freigesprochenen am Montag aus dem Gerichtssaal in Buffalo die sofortige Freilassung des Mitbegründers der amerikanischen Indianerbewegung gefordert. Sie protestierten nachdrücklich gegen ein System unmenschlicher Erpressungsmethoden, die der neugewählte Gouverneur von Dakota, William Janklow, gegenwärtig gegen Russel Means und den Stamm der Sioux anzuwenden versucht. Der zu vier Jahren Gefängnis verurteilte Indianerführer soll nur auf Bewährung in die Obhut des Stammes entlassen werden, wenn der Stamm jegliche Rechtsprechungssouveränität in der Reservation an den Bundesstaat South Dakota abtritt. 'Russel Means wird vom Bundesstaat South Dakota als politische Geisel gegen den Stamm der Oglala Sioux benutzt', heißt es in dem Protestschreiben. 'Es handelt sich ganz klar um einen Versuch der USA-Behörden, komplette Kontrolle über die Ländereien, Rohstoffe und Bewohner der Reservation zu erreichen.' Das sei eine flagrante Verletzung des 1868 zwischen den Sioux und der USA-Regierung abgeschlossenen Vertrages und reduziere Selbstbestimmung und Menschenrechte eines der zahlenmäßig größten Indianerstämme der USA auf ein Minimum."

Der Journalist Jürgen Weidlich liefert in der gleichen Zeitung einige Hintergrundinformation zum Kampf der nordamerikanischen Farmer: "Es war nicht das erste Mal, daß die kleinen Farmer in den USA auf die Straße gingen, um auf ihre soziale Notlage aufmerksam zu machen. Im Dezember vergangenen Jahres z.B. fuhren Farmer mit Traktoren zum Capitol in Washington, dem Sitz des USA-Kongresses und protestierten gegen den ökonomischen Druck, der auf sie ausgeübt wird. Die Agrarpolitik der USA-Regierung, die in den letzten 20 Jahren fast die Hälfte aller Zuwendungen für landwirtschaftliche Unternehmen nur den fünf mächtigsten Agrar-Konzernen zukommen ließ, treibt die kleinen Farmer in den Ruin, begünstigt den Landraub durch amerikanische Industriekonzerne. Gab es im Jahre 1950 noch 5,4 Millionen kleine Farmer, so weist die Statistik heute 2,8 Millionen aus, und dieser Trend hält weiter an. Die Einnahmen der Farmer für ihre Erzeugnisse bleiben im Verhältnis zu den Preissteigerungen für landwirtschaftliche Produkte auf dem Markt weit zurück. Die Farmer bringen ihre Waren nicht selbst auf den Markt, sondern diese werden von Zwischenhändlern (Aufkaufgesellschaften und Handelskonzernen) angekauft, die nicht bereit sind, bei steigenden Marktpreisen den Farmern mehr für ihre Produkte zu zahlen. Andererseits erhöhen sich die Preise für landwirtschaftliche Maschinen, Benzin, Düngemittel, Saatgut usw. immer mehr. Somit haben die kleinen Landwirte immer höhere Aufwendungen zu tragen. 'Die amerikanischen Farmer sind heute tiefer verschuldet als zu jeder anderen Zeit in der Geschichte. Ihr Einkommen ist das geringste seit den 30er Jahren', kommentiert die 'Washington Post' die Lage der Landbesitzer. Die Protestaktion von Minnesota, an der auch Dean Reed teilnahm, unterstreicht erneut die Kampfentschlossenheit der Farmer gegen die Monopolpolitik. Der Zusammenbruch der Anklage gegen die inhaftierten Demonstranten beweist, wie notwendig die Solidarität von Freunden und Verbündeten für die Farmer ist."

Nach der Haftentlassung 1978 (19077 Byte)

Am 19. November wird Dean auf dem Berliner Flughafen Schönefeld ein triumphaler Empfang geboten. Gestärkt, voller Kampfesmut und Zuversicht wird er sich seinem nächsten Vorhaben widmen.

Norbert Diener

Anmerkung des Autors:

Der mutige Kampf der 19 war nicht vergebens. Der Freispruch von Buffalo ist zu einem Präzedenzfall geworden, auf den sich noch viele Jahre lang Anwälte von Bürgerrechtlern beriefen. Er ist alleinig durch das besonnene und verantwortungsbewusste Handeln der angeklagten Protestler zustande gekommen. Ausschlaggebend für den Erfolg war der Umstand, dass die Verhafteten sich von vornherein als politische Gefangene betrachtet haben, dementsprechend gehandelt haben und den Prozess auch politisch geführt haben. Sie sind kaum auf den einzigen rechtsrelevanten Anklagepunkt, das Betreten fremden Eigentums, eingegangen und haben die wahren Hintergründe, die Schaffung eines rechtsfreien Raumes für die Energiekonzerne, aufgezeigt.

Die umfassende internationale Solidarität und der Umstand, dass die großen Presseagenturen anwesend waren, trugen entscheidend zum Erfolg bei. Es ist in den USA nicht üblich, Menschen, die organisiert für ihre Rechte eintreten, mit Samthandschuhen anzufassen. Aber die Solidarität und der Presserummel waren zu der Zeit für Präsident Carter, Oberhaupt eines Staates, der laufend mit dem Begriff Menschenrechte herumjongliert und sich oft als Hüter derselben aufspielt, zu groß, um vor aller Welt sein Gesicht zu verlieren.

Diese Reportage wurde nach den uns z.Z. zugänglichen Quellen erstellt. Deans Biografie, die Berichterstattung der Massenmedien der DDR bildeten hierfür den Grundstock. Aber es geht weiter: Neue Quellen werden erschlossen, Augenzeugen befragt und die Berichterstattung der örtlichen Presse ausgewertet. Deshalb lohnt es sich, in einiger Zeit diese Seite wieder zu besuchen.

Press review/Pressespiegel

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Sorry, lieber JB, aber du haust hier Äpfel und Birnen durcheinander. Das Thema hieß "Dean Reed und die DDR". Was das mit dem Computer zu tun hat, auf dem wir schreiben und dem Medium, das wir nutzen, erschließt sich uns nicht. Schon gemerkt? Die DDR gibt es nicht mehr und keiner will sie ernsthaft zurück. Das ändert aber nichts daran, dass es überhaupt nichts bringt, ihr im Nachhinein Sachen anzudichten, die nicht stimmen, nur um sie schlimmer aussehen zu lassen als sie war (oder besser: die eigenen Unzulänglichkeiten besser aussehen zu lassen). Es gibt nun wahrlich jede Menge Stoff für kritische Nachbetrachtungen, der reicht vollkommen.

Was uns stört, ist die Art und Weise, wie Dean Reed nach seinem Tode instrumentalisiert wird, die DDR mit allen Mitteln in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Wir glauben kaum, dass das in seinem Sinne gewesen wäre und es passt auch nicht. Außerdem sollten Leute, die von den Vorgängen und Umständen offensichtlich wenig wissen, die Aufarbeitung der Geschichte lieber anderen überlassen und stattdessen besser vor der eigenen Türe kehren. Da liegt genug herum... Übrigens haben wir mit keinem Wort behauptet, andere Gesellschaftssysteme wären schlechter als das der DDR (gewesen). Das wäre nämlich der gleiche Unsinn.

Deine Thesen in allen Ehren, aber ihnen fehlt der Bezug zum Thema und sie haben auch nichts mit dem zu tun, was in unserem Beitrag steht.

Was du zum Thema "Doppelmoral" schreibst, sehen wir übrigens genauso, nur dass das eben keine spezifische Eigenschaft der DDR war. Das wird heute gleichermaßen praktiziert. Achte mal auf die Feinheiten: Bei einer Demo in Russland beispielsweise geht grundsätzlich "die Polizei mit Gewalt gegen die Demonstranten" vor. Passiert das hier, haben "einige Vermummte die Polizei provoziert". Ehrlich: Das stinkt zum Himmel...

P.S.: Ja, es gab freie Bauern. Nicht viele, aber es gab sie. Ja, es gab Wettbewerb und Konkurrenz. In kleinem Rahmen und ganz bestimmt nicht staatstragend, aber es gab sie (bspw. unter privaten Handwerkern). Zum Thema Demo - siehe oben. Es wäre allerdings interessant zu erfahren, wie man im anderen Teil Deutschlands auf das reagiert hätte, was bei uns 1989 passierte... Und, um Missverständnisse zu vermeiden: Halstuch meistens "vergessen" (oder zum Cowboyspielen missbraucht), DSF, FDGB und FDJ "Tschüß!" gesagt, Wehrdienst (Waffe) verweigert und in Staatsbürgerkunde Fünfen gefangen wegen "falscher Meinung".

P.P.S.: Wer die DDR heute noch "rosig darstellt", muss irgendwas verpasst haben...

(kf), 11. März 2008

Mir fällt hierbei eine gewisse Doppelmoral auf, dass die DDR in anderen Ländern das kritisierte, was sie selber gerne tat. In der DDR gab es nichts, was offiziell "Großgrundbesitzer und Monopolisten" hieß, aber gab es denn Bauern, die nicht in der LPG sein mussten? Gab es etwa Wettbewerb und Konkurrenz? Es gab immer wieder auch eine Demo, die aufgelöst wurde und bei der dann einige heimlich still und leise ins Gefängnis kamen.

(kf) schreibt interessante Dinge und benutzt einen Computer, der so in der DDR vielleicht erst 2017 erhältlich gewesen wäre und den er sich hätte niemals leisten können über ein Medium, was es so in der DDR sicher auch nicht gegeben hätte.

Es war nicht alles schlecht in der DDR, aber es war auch nicht alles schlecht in anderen Gesellschaftsformen, die es auf deutschem Boden vorher gab. Die Bundesrepublik ist mit Sicherheit auch kein Paradies, aber das gilt auch für jede Demokratie, die es vorher auf deutschem Boden gab. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen, würde die Bundesrepublik Deutschland die gleiche Toleranz haben, wie sie die DDR hatte, dann wäre die PDS schon lange verboten, die Luxemburg/Liebknecht Demos würden mit Gewalt verhindert werden und jegliche Website, welche die DDR rosig darstellt, wäre verboten und deren Betreiber würden Nacht für Nacht geweckt und verhört.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich habe blaues und rotes Halstuch geknotet, brav den Märchen der Staatsbürgerkundelehrerin gelauscht und bei einer Wahl mitgemacht, wo man den Wahlzettel unverändert in die Urne tat.

JB (Jose-Buskers), 11. März 2008

Norbert Dieners Beiträge enthalten soviel Diskussionsstoff, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll... Auf jeden Fall verwundern uns seine Aussagen sehr, insbesondere da sie von jemandem kommen, der angetreten ist, das Andenken an Dean Reed zu wahren und zu würdigen. Nimmt man diesen Vorsatz ernst, verbietet es sich eigentlich von selbst, Deans Lebenslauf oder Stationen davon als Argumente gegen die DDR einzusetzen, weil man damit nur allzu leicht auf höchst dünnes Eis gerät. Das ist hier passiert. Norbert Diener versucht, komplizierte und sensible Zusammenhänge auf einen einfachen Nenner zu reduzieren, der da lautet: Die DDR ist schuld. Doch das ist nichts anderes als Schmierenpropaganda und weit von historisch korrekter Aufarbeitung entfernt. Diese Form von "Vergangenheitsbewältigung", die man so von den westlichen Medien und ihrer "neuen Geschichtsschreibung" her kennt, hätten wir gerade hier nicht erwartet.

Norbert schreibt, ein Transparent mit der Aufschrift "Die Macht dem Volke" hätte in der DDR keine drei Minuten gehangen. Das ist schlicht Unsinn, denn Transparente mit diesem Text wurden bei diversen offiziellen Demonstrationen massenweise zur Schau getragen. Sie hingen in Pionierräumen, an Wandzeitungen, in Kulturhäusern usw. Man hätte sich den Slogan auch auf ein T-Shirt drucken lassen können und wäre damit von den Behörden unbehelligt geblieben, denn die DDR sah sich nunmal selbst als Volksherrschaft. Was die Mitmenschen dann von einem gehalten hätten, sei mal dahingestellt... Die Aufschrift allein hätte jedenfalls nicht genügt, in der DDR für Ärger zu sorgen - auf den Zusammenhang wäre es angekommen. Und gerade Dean Reed wäre nun wirklich der Unverdächtigste mit so einem Transparent gewesen...

Reichlich seltsam erscheint auch der Versuch zu beurteilen, wie eine "ähnliche Aktion" in der DDR ausgegangen wäre. Diese schwammige Formulierung ist entlarvend! Es hätte im Arbeiter- und Bauernstaat keine auch nur ansatzweise vergleichbare Aktion stattfinden können, dazu fehlten jegliche Voraussetzungen. Gegen welche Großgrundbesitzer und Monopolisten hätte man denn hier demonstrieren sollen? Der Vergleich hinkt nicht nur - er sitzt geradezu im Rollstuhl.

Genauso ungenau ist die Behauptung, man hätte Reed rasch fallen gelassen, als das Blatt sich wendete. In Wahrheit war Dean zu diesem Zeitpunkt schon tot. Zu seinen Lebzeiten genoss er bis zum Schluss alle Privilegien, die der Staat zu bieten im Stande war. Darüber gibt sein Abschiedsbrief Aufschluss, der sich u.a. an Erich Honecker persönlich wandte. Überdies: Bekommt ein "Fallengelassener" noch kurz vor seinem Ende eine eigene Fernsehsendung!? Wohl kaum... Und hier liegt wohl auch die Ursache dafür, dass Dean Reed öffentlich nicht gegen den Staat opponierte: Er hätte seinen Lebensstandard und seinen Status riskiert, an dem er noch festhielt, obwohl er sicher selbst nicht mehr dran glaubte. Dass man Reeds Ideale später nicht mehr zu Propagandazwecken benutzte, stimmt. Der Grund war aber äußerst profaner Natur: Das Volk nahm den Vorzeige-Ami längst nicht mehr ernst, er hätte keine Massen mehr bewegen können. So blöd waren denn selbst die Kulturmächtigen in der DDR nicht...

Zur Berichterstattung in den Medien sei gesagt, dass man damit auch die Leute erreichen muss. Glaubst du, es hätte jemanden interessiert, wenn detailliert über die Hintergründe berichtet worden wäre? Und warum gerade an dieser Stelle? Es gab soviel Ungerechtigkeit auf der Welt, dass man damit ganze Bücher hätte füllen können - die am Ende keiner gelesen hätte. Das ist noch heute so. Warum wirfst du derartiges ausgerechnet der DDR vor? Sprechen wir doch mal über die Berichterstattung der bundesdeutschen Medien...

Dean Reed wusste genau, dass sein Einsatz für Aufsehen sorgen würde, eben genau weil ER es war, der dem ganzen das öffentliche Interesse bescherte. Wer benutzte also wen? Hat er sich je dagegen gewehrt, als "Held" und "Idol" gefeiert zu werden? Mach die Augen auf! Er inszenierte sich selbst in dieser Weise, er glaubte daran. Und mal im Ernst: Glaubst du wirklich, Dean Reed (der beispielsweise seine Unterschrift gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns verweigert hatte) hätte die Demonstrationen zur Wendezeit angeführt? Sorry, aber das ist reichlich weltfremd. Die Demonstranten hätten ihn ausgelacht und davongejagt, wenn er etwas in der Art versucht hätte!

Auch wir haben seinerzeit Unterschriften für Deans Freilassung gesammelt. Natürlich! ER war es ja, der uns nahe stand, nicht die Farmer, deren Probleme wir detailliert nicht hätten verstehen können, selbst wenn wir es versucht hätten. Dean Reed hatte sich für etwas eingesetzt und war dafür verhaftet worden. Wir wollten ihn wiederhaben, mehr nicht. Was ist daran schlecht? Und hatte Reed nicht gerade DARAUF gesetzt, um durch dieses öffentliche Interesse auch etwas für die Farmer zu tun? Ist das nicht letztendlich gelungen? Du nennst das revisionistisch, wir nennen es realistisch. Man kann nunmal nicht überall gleichzeitig kämpfen und es bringt auch herzlich wenig, wenn man täglich 10mal in der Schule herumrennt, um Unterschriften für die verschiedensten unterdrückten Leute zu sammeln, die kein Mensch kennt. Wer hätte das denn noch ernst nehmen sollen? Hat man das im Westen etwa getan???

Du verrennst dich hier in wilden Anschuldigungen und merkst dabei gar nicht, wie lächerlich das alles rüberkommt. Und der ganze Aufwand nur, um etwas zu beweisen, was eh jeder weiß. Die DDR hatte wahrlich genug Eigenheiten, die ihr nicht zur Ehre gereichten - man muss keine dazuerfinden, um das zu erkennen. Und übrigens: So penetrant und so absolut, wie man heutzutage vorgelogen bekommt, dass die BRD der demokratischste und gerechteste Staat der Welt ist, hat sich das die DDR (aus gutem Grund) niemals erlaubt. In diesem Sinne: PEACE!

P.S.: Harmonica, du darfst getrost davon ausgehen, dass sich Dean Reed über die möglichen Folgen seines Handelns SEHR WOHL bewusst war. Das war nicht spontan, das war gut organisiert. Was die Sache aber nicht weniger bewundernswert macht...

(kf), 22. Oktober 2007

Ich muss gestehen, dass mich diese Reportage sehr gefesselt hat. Man muss sich das einmal vorstellen: Der Mann kam Anfang der 70er in die DDR und konnte hier eine - für planwirtschaftliche Verhältnisse - große Karriere als Sänger und Schauspieler starten, hatte also, wie man so sagt, sein Schäflein im Trockenen. Und nicht nur von Saßnitz bis Sonneberg, auch in den sozialistischen Bruderländern feierte man den exotischen Friedensaktivisten aus Amerika, der nicht in der vermeintlichen Traumwelt Colorados sondern diesseits des Eisernen Vorhangs leben und wirken wollte, wie einen großen Star. Dass er dennoch, als er 1978 in die USA flog, um eigentlich "nur" seinen engagierten Film über Victor Jara vorzustellen, alles aufs Spiel setzte und die Grenzen seiner Privilegien als international bekannter Unterhaltungskünstler auszuloten schien, verwundert mich im gleichen Maße, wie ich Reed für seine selbstlose Solidarität den amerikanischen Farmern gegenüber bewundere. Schließlich konnte er die Folgen seiner Beteiligung an einer öffentlichen Protestaktion unmöglich abschätzen, hätte zur Abschreckung für potentielle Nachahmer verurteilt und für einige Jahre ins Gefängnis gesteckt werden können.

Sein demonstratives und zugleich weitsichtiges Auftreten vor Gericht hat mich menschlich tief beeindruckt. Dort bewies er mit Nachdruck, was ihn im Leben wirklich antrieb, was ihm wichtig erschien und wovon er offenbar zutiefst überzeugt gewesen ist. Und weil er für seine Überzeugungen bereit war, große Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, ist der Stellenwert des Dean Reed im Gesamtgefüge der Zeit, in der er lebte, weit größer einzuordnen, als es seine Profession als Sänger und Schauspieler auf den ersten Blick vermuten ließe.

Meiner Einschätzung nach bringt diese wirklich beeindruckende Geschichte all jenen, die mit dem "Showman" Dean Reed nie wirklich etwas anfangen konnten, auf einer anderen Ebene den Menschen, der hinter dem Künstler steckte, sehr viel näher.

Harmonica, 31. August 2007

Was ging in Dean Reed vor?

Als er wieder den für ihn sicheren Boden der DDR betrat und ihm die Glückwünsche und das Lob der Bevölkerung und des Staates entgegengebracht wurden? Er wusste genau, dass eine ähnliche Aktion in der DDR nicht so glimpflich ausgegangen wäre, dass die Demonstranten wahrscheinich viele Jahre lang, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, hinter Mauern verschwunden wären. Ein Transparent mit der Aufschrift "Die Macht dem Volke" hätte dort keine drei Minuten hängen dürfen.

Nicht erst nach der sogenannten Wende wissen wir, welch immenser Unrechtsstaat auch die DDR war. War Dean wirklich so naiv und merkte nicht, dass er und seine von Grund auf aufrichtige Haltung für eine bessere und gerechtere Welt von der Staatsmacht missbraucht wurde? Ja, er wusste es, und wie sich später herausstellte, benutzten sie Dean nur so lange, wie er ihnen als nützlich erschien. Als sich das Blatt wendete, ließen sie ihn rasch fallen.

Über die näheren Umstände und über den anscheinlichen Widerspruch, dass ein Mensch mit so hohen sozialistischen Idealen wie Dean gleichzeitig öffentlich auf den Unrechtsstaat DDR nichts kommen ließ, werden wir uns sicherlich noch viele Gedanken machen müssen und Nachforschungen anstellen.

Zunächst aber möchte ich zur Beruhigung aller Leser und Leserinnen einen Satz von Dean zitieren, den er im engen Freundeskreis oft aussprach: "DIE BERLINER MAUER IST EINE SCHANDE FÜR GANZ EUROPA!"

Norbert Diener

Zur Berichterstattung der DDR-Medien

Ich habe festgestellt, dass die Zeitungsartikel zu den Vorfällen in Buffalo oft oberflächlich und überwiegend geprägt vom Schaffen des "Heldenmythos Dean Reed" sind. Daran kann man sehen, dass die DDR kein sozialistischer Staat, wie ihn Marx und Engels wollten, war. Statt sich mit den kämpfenden amerikanischen Farmern zu solidarisieren und die Hintergründe ihres Kampfes und die einzelnen Stationen aufzuzeigen, heben sie Dean bis auf wenige Ausnahmen hoch bis zum "Gehtnichtmehr" und verdrängen damit die Ursachen für die Proteste. Ungerechtigkeiten und Korruption in den USA werden nur oberflächlich, aber medienwirksam erwähnt, um den Lesern die Gräuel des Kapitalismus vor Augen zu führen und - wahrscheinlich - vom eigenen Unrechtsstaat abzulenken.

Gleichzeitig stilisiert die DDR-Presse Dean zum Helden und Idol hoch. Das Ergebnis davon ist, dass die DDR-Bevölkerung die sofortige Freilassung von Dean will, sich aber um die Lage der kleinen Farmer und ihren Kampf wenig oder gar keine Gedanken macht. Das ist "Revisionismus hoch drei" und kann nie dazu führen, dass die Werktätigen der Welt erkennen, wer "Freund und Feind" ist. "Neues Deutschland" schreibt am 3.11.: "(...) 18 weitere Demonstranten sind festgenommen worden. Sein 'Verbrechen': Dean hatte vor mehreren tausend Farmern seine Lieder gesungen, (...)." Wieso sein "Verbrechen"? Verhaftet wurden 20 Protestler, 19 davon hatten keine Gitarre mit, und verhaftet wurden sie, weil sie es sich gewagt haben aufzubegehren und wahrscheinlich zur Abschreckung und Einschüchterung anderer. Aber niemals, weil Dean gesungen hat. Und weiter: "(...) Dean sang, was sich in seiner selbstgewählten Heimat - der sozialistischen DDR - erfüllt. In unserer Republik, das hat Dean Reed wiederholt erklärt, findet er jene Ideale der Menschlichkeit verwirklicht, für die er sich als aktives Mitglied der Weltfriedensbewegung engagiert (...)". Da wird in gewohnter Weise die Erwähnung der Widrigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft genutzt, um dem Volk weiszumachen, dass sie nichts zu meckern haben und die praktizierte Staatsform wirklich sozialistisch und gerecht sei. Und für den, der's jetzt immer noch nicht glaubt: "Volksheld Dean" sagt es auch!!! Dümmlicher geht's wirklich nicht.

Dass die Deutschen in der DDR mit solchen Sprüchen nicht langfristig "bei der Stange" gehalten werden können, haben sie 11 Jahre später gezeigt. Auch da hätte Dean gesungen und alle Deutschen hätten ihn dann bei der großen Kundgebung auf dem Alex im Fernsehen singen und reden sehen und hören können.

Die Schüler und Schülerinnen in der DDR haben in ihren Klassen keine Unterschriften zur Unterstützung des Kampfes der Farmer in Minnesota gesammelt, sondern "nur" für Deans Freilassung. Kein Bauer oder Landarbeiter der DDR hat sich mit den kämpfenden Farmern solidarisiert oder ist für die Freilassung der politischen Gefangenen eingetreten. Mit dieser revisionistischen Handlungsweise ist die DDR-Presse Dean in den Rücken gefallen. Mit dieser Oberflächlichkeit haben sie alles lächerlich gemacht. Dean und seine Genossen im und vorm Gefängnis haben eine klare Strategie gehabt. Es ging nicht um den Ruhm einzelner, sondern darum, einer breiten Öffentlichkeit aufzuzeigen, dass der Kampf der Farmer berechtigt ist und dass es alle Menschen angeht. Das kann man in Deans Biografie zwischen den Zeilen gut lesen.

Der Entschluss, in den Hungerstreik zu treten, wenn dadurch nicht der Arbeitsplatz gefährdet ist, wurde bewusst und verantwortungsvoll gefasst, um den Kampf der Farmer voranzutreiben und dabei keinen Einzelnen zu gefährden. Es wäre ein Leichtes für die Genossen "vor dem Gefängnis" gewesen, die 30.000 Dollar für die Kautionen zu sammeln.

Norbert Diener

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Letzte Änderung: 2012-12-12