Videotake/Filmspiegel 7/2007

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Der einsame Cowboy (Ost)

von Georg Seeßlen

Dean Reed oder Die seltsamen Abenteuer eines Yankee in den Ländern der Bolschewiki

Am 17. Juni 1986 wurde im Zeuthener See am Rand von Berlin die Leiche des Sängers, Schauspielers und politischen Kämpfers Dean Reed gefunden. Das Fernsehen der DDR sprach von einem tragischen Unfall, Freunde des Stars wussten von seinen zunehmenden Depressionen, von seinen Eheproblemen und seiner beruflichen Krise. Sie hielten einen Selbstmord für wahrscheinlich. Aber dieser Tod in flachem Gewässer, das weder einem Unfall noch einem Selbstmord angemessene Kulisse zu bieten schien, schon gar nicht für einen, der Zeit seines Lebens die große Bühne so liebte, beflügelte auch die Verschwörungstheorien in Ost und West. Hatte sich die Stasi des amerikanischen Vorzeige-Stars entledigt, der an den Beschränkungen und Widersprüchen seines kleinen sozialistischen Gastlandes verzweifelte und in seine Heimat zurückkehren wollte? Oder hatte der CIA den unermüdlichen Kritiker und Freund der Feinde der US-Präsidenten liquidiert? Und war Dean Reed vielleicht gar nicht der offene, naive und gutmeinende Sonny Boy, der sich sein Gewissen nie verbiegen ließ, sondern ein Agent im Spiel der Geheimdienste, instrumentalisiert von der einen wie von der anderen Seite?

Das Leben des Dean Cyril Reed, geboren am 22. September 1938 auf einer Hühnerfarm in Colorado, lässt für Spekulationen und Phantasien weiten Raum. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten gewesen, auch persönlich voller Widersprüche, einer, der herausging aus Amerika, dessen politisches System, die soziale Ungerechtigkeit im Inneren und die militärische Aggression nach außen er nicht mittragen wollte, und einer, der das Amerikanische nie aus sich selber herausbrachte, ein Kämpfer, der sich nie scheute, auch persönliche Gefahr auf sich zu nehmen, und zugleich ein Mensch voll Sehnsucht nach Harmonie und Geborgenheit, ein "Taugenichts", wie alle anständigen jungen Menschen, aber einer, der aus dieser Rolle nicht mehr herausfand.

Dean Reed erfüllte sich den zweitgrößten amerikanischen Traum: Er wurde ein Cowboy. Nach der High School arbeitete er auf einer Touristenranch in der Nähe von Denver. Er zeigte seine Reit-Kunststücke und Lasso-Tricks und unterhielt am Abend die Gäste mit Westernballaden zur Gitarre. Da war er in seinem Element, so liebte ihn jeder und vor allem jede. Daneben trat er als "Denver Kid" in Clubs und bei lokalen Radiostationen auf. Da war die Konkurrenz schon härter. 1958 führte ihn der Weg nach Hollywood; kleine Rollen beim Film und einige Singles bei Capitol Records entpuppten sich nicht gerade als Karriere-Sprünge. Aber dann wurde, ziemlich überraschend, Reeds eigene Komposition "Our Summer Romance" 1960 ein großer Hit in Südamerika. Dean Reed folgte gewissermaßen seinem Publikum, und tatsächlich wurde er in Chile von begeisterten Fans empfangen, seine Tournee durch den ganzen Kontinent wurde ein phänomenaler Erfolg. Zusammen mit seiner ersten Frau lebte er in Argentinien, Chile und Mexiko, trat in seichten Musikkomödien auf, hatte eine eigene Fernsehshow und spielte in meist ausverkauften Konzerthallen. Das war gängig damals, dass die US-Traumfabrik ihren Überschuss exportierte. In Europa, in Mexico und sogar in Hongkong arbeiteten damals die Stars aus der zweiten Reihe, deren Talent für die ganz große Karriere in der Heimat nicht reichte.

Aber nun, zu Beginn der sechziger Jahre, begann auch die politische Wandlung des Dean Reed. Er sah, was die Mischung aus Arroganz und Profitgier der USA mit den Menschen im Süden des Kontinents anstellte, er sah Gewalt und Korruption und den Hunger nach Freiheit. Dem naiven, aufrechten Sänger konnte gelingen, was seinen politischen Freunden nicht gelingen konnte, er protestierte vor US-Botschaften, nutzte seine Konzerte um die Botschaften der Friedensbewegung zu verbreiten, und schließlich kam sein großer Auftritt bei der Weltfriedenskonferenz in Helsinki des Jahres 1965. Als es ihm gelang, allen Streit und alles Misstrauen unter den Teilnehmern zu überwinden und sie dazu brachte, sich an den Händen zu fassen und mit ihm "We Shall Overcome" zu singen, da war zugleich eine Bewegung und eine ihrer "Ikonen" geboren.

Genau das war die Mischung, die Dean Reeds Aura bestimmte: das aufrichtige Engagement, die jugendliche Naivität, die instinktive Showmanship, die Freude an der Gemeinschaft – und ein bisschen auch narzisstischer Rausch in der Begeisterung, die ihm entgegenschlug. Begeisterung war es, die Dean Reed bei seinen Tourneen durch die UdSSR und die sozialistischen Staaten begleitete. Pop aus dem Westen, Rock'n'Roll und Western, Glamour und dieser unschuldige Sex Appeal, der den Schauspielern im sozialistischen Realismus nicht zugestanden wurde, und zugleich die richtige politische Botschaft, so einfach, so sinnlich formuliert, dass kein Mensch an Ideologie oder gar Propaganda dachte. Nur an einen aufrechten Kerl mit einer kräftigen Stimme, die vielleicht ein bisschen zu sehr nach Elvis Presley klang, als dass Dean Reed eine nachhaltige Position im westlichen Pop-Himmel erobern hätte können.

Während die Situation in Südamerika für ihn zunehmend prekär wurde, Verhaftungen, Einreiseverbote, Ausweisungen und Verfolgung durch Polizei und Geheimdienste eingesetzt wurden, um den Sänger der Freiheit zum Verstummen zu bringen, orientierte sich Reed nach den Ländern Osteuropas. 1971 präsentierte er seinen Dokumentarfilm über die Unidad Popular auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche. Dort lernte er seine spätere zweite Frau kennen und beschloss, in der DDR zu bleiben. Ach, Dean Reed und die Frauen. Da brach wohl der innere Widerspruch am deutlichsten auf. Einerseits sehnte er sich nach Geborgenheit und Familie, andrerseits aber hatte er stets noch Schwierigkeiten mit Bindungen und Verantwortung, der Taugenichts, der immer zugleich verliebt und auf der Flucht vor der Liebe war. Vor allem Kinder scheinen Dean Reed zu schaffen gemacht haben, vielleicht weil er selber so etwas wie ein ewiges Kind sein wollte. Ein Cowboy hat keine Kinder, auch ein sozialistischer Cowboy nicht. Man kann Dean Reeds letzten großen Erfolgsfilm, "Sing, Cowboy, sing" als eine bizarre Mischung aus musikalischer Komödie und Western genießen, tiefer drinnen ist es freilich auch eine magische Biografie, die Geschichte vom Cowboy und dem Kind. Im Kino geht sie gut aus. In Dean Reeds Leben tat sie's nicht.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Dean Reeds erste Rolle in einem DEFA-Film die des Eichendorffschen "Taugenichts" war. Der romantische Junge, der sich der Engstirnigkeit seiner Umwelt entzieht, der davon singt, "in die weite Welt geschickt" zu werden und davon, dass die Gedanken frei sind, der in der freien und weiten Welt seine Liebste sucht und gar nicht merkt, dass er sie immer schon hat. Eine ziemlich ambivalente Angelegenheit zu Beginn der siebziger Jahre, in der DDR.

Leichter war es für Dean Reed, das zu spielen, was er immer war: ein Cowboy. "Blutsbrüder" aus dem Jahr 1975 war einer der populärsten DEFA-Indianerfilme: Reed spielte den Offizier, der in den Indianerkriegen die Seiten wechselt, um für die geknechtete rote Nation einzutreten, und Gojko Mitic war der edle Krieger. Reed und Mitic, das waren die bewusstseinsmäßig schwer verbesserten Ost-Ausgaben von Winnetou und Old Shatterhand im BRD-Kino. Und ein zweites "Traumpaar" entstand, als Reed die Schauspielerin Renate Blume heiratete. Soviel Glamour war nie – und überdeckte doch nicht das Grau. Das Grau einer Bilderkultur mit Grenzen, und das Grau von Beziehungsproblemen darin. Mit "Kit und Co" (1974), "El Cantor" (1977) und schließlich "Sing, Cowboy, sing" (1981) kreierte Dean Reed beinahe so etwas wie ein eigenes Genre im DDR-Kino. Es sind seltsame Filme geworden, Filme, die beides verfehlen müssen, die Leichtigkeit von Genrefilmen und die Klarheit politischer Botschaften. Es sind Filme, die sich selber nicht recht verstehen, Filme, deren Geschichten und Bilder sich abhanden kommen, es sind "Taugenichts"-Filme. Man kann sie mögen, gerade in ihrer Unreinheit und Unfertigkeit.

1983 kehrte Dean Reed noch einmal nach Südamerika zurück, engagierte sich im Kampf gegen die Pinochet-Diktatur und wurde schließlich 1984 in Uruguay verhaftet. Aber zur gleichen Zeit befand sich sein Stern daheim (wenn denn die DDR für Dean Reed zum Daheim geworden war) im Sinken. Die Zeit war nicht mehr gemacht für aufrechte Cowboys der internationalen Solidarität, und insbesondere die Jugendlichen suchten längst andere Idole. Mehr und mehr schien Reeds öffentlichen politischen Bekenntnissen auch ein Hauch von Verblendung beigemischt. Reed, immer noch amerikanischer Staatsbürger, konnte Reisefreiheit und Privilegien genießen, von denen die Bürger der DDR nicht einmal träumen konnten, und dennoch pries er in Interviews den "antifaschistischen Schutzwall", auch "Mauer" genannt. Genau das, was der sozialistische Cowboy bislang mit seinem Lächeln übersprungen hatte, den Graben zwischen den jungen Helden und den alten grauen Herren des Sozialismus, wurde nun in seiner Person sichtbar. Reed verlor den Boden unter den Füßen. Aber auch die Rückkehr in die USA schien wenig aussichtsreich: Hier empfand man ihn als "Verräter" und von hier, aus dem Herzland seiner Kindheit, bekam er Morddrohungen und Schmähbriefe. Reed hatte vielleicht mit der Ablehnung durch das Establishment gerechnet, aber nicht damit, dass ihm der Hass aus dem großen Traum-Adressaten seines Lebens entgegenschlug, aus dem Volk. Im Jahr 1985 muss Dean Reed so ziemlich der einsamste Cowboy der Welt gewesen sein.

Was hätte helfen können? Eine politisch-moralische Selbstbesinnung. Die Geborgenheit einer Beziehung, eine Familie. Eine neue künstlerische Aufgabe. Dean Reed begann mit den Vorbereitungen zu einem großen Film über das Massaker am Wounded Knee, der unter dem Titel "Blutiges Herz" in Koproduktion zwischen der DDR und der Sowjetunion entstehen sollte. Nicht bloß zunehmende organisatorische Schwierigkeiten machten ihm zu schaffen. Sondern auch die wachsende Erkenntnis, gerade seine allerletzte Chance zu haben. Keine gute Voraussetzung.

Dean Reed starb, weil er nicht mehr leben konnte. Er starb am Beziehungsschmerz, der in einem Künstler-Schmerz steckte, und dieser Künstler-Schmerz steckte in einem Schmerz der politisch-moralischen Identität. Vielleicht war es auch umgekehrt. Cowboys sind einsam, weil ihnen die Welt nicht gehört, für die sie reiten. In keinem Land der Welt.

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Letzte Änderung: 2010-02-25