Nationalzeitung 16.05.1973

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Filmische Reise in die Beschaulichkeit

"Aus dem Leben eines Taugenichts" - frei nach Eichendorff

Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1957) ist als bedeutendster Lyriker der deutschen Romantik durch stimmungsvolle Naturgedichte, die zu wahrhaft populären Volksliedern wurden, für viele Generationen ein unentbehrlicher "Gebrauchsdichter" geworden.

Gefühlstiefe, poetische und melodische Lieder wie "In einem kühlen Grunde", "O Täler weit, o Höhen" oder "Das Wandern ist des Müllers Lust" lebten im Alltagsgebrauch unserer Väter und Vorväter, und sie erklingen auch heute durchaus nicht nur auf Sängerfesten der älteren Generation. Der Lyriker Eichendorff erweist sich aber auch in der sprachlichen Schönheit seiner meisterhaften Novelle "Aus dem Leben eines Taugenichts" (1826), die zugleich seiner kritischen Haltung gegen die mit der Entwicklung des Kapitalismus verbundenen Tendenzen von Inhumanisierung Ausdruck gibt. Dieser Dichter ist in seiner tief menschlichen Gesinnung, in der innigen Schlichtheit seines Naturgemüts immer wieder neu zu entdecken, und Wera Küchenmeister, die gemeinsam mit ihrem Mann Claus Küchenmeister das Drehbuch "frei nach der gleichnamigen Novelle" schrieb, berührte eine durchaus aktuelle Problematik, als sie im Gespräch nach der Pressevorführung sagte: "Wie müssen es wieder lernen, beschauliche Literatur zu lesen."

Traum und Wirklichkeit

Der feinfühlige junge Regisseur Celino Bleiweiß, bisher vorwiegend durch Dokumentarfilme oder dramatische Fernsehproduktionen bekannt geworden, hat diese Überlegung in der filmischen Konzeption weitgehend verwirklicht. Er hat alle sich aus dem Buch ergebenden Möglichkeiten der Naturschilderung, der beschaulichen Daseinsbetrachtung und Weltsicht genutzt, um die durch Eichendorff vorgegebene abenteuerlich-romantische, zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelte Idylle optisch zu konkretisieren und das Interesse auf den reich begabten, einfachen Menschen aus dem Volke zu lenken, der ein Taugenichts genannt wird, weil er ein Habenichts ist und somit in der ihn umgebenden Gesellschaft nichts gilt.

Kopf voller Lieder

Der im aktiven Friedenskampf bekannt gewordene amerikanische Sänger Dean Reed gibt diesem "Taugenichts" eine poetisch-reale Gestalt, die insbesondere den jüngeren Zuschauergenerationen einen eigenen Zugang zur Novelle und zu einigen Liedern Eichendorffs eröffnen dürfte. Dieser unbeschwert erscheinende, hübsche und gescheite Bursche ist kein "Tausendsassa", dem alles gelingt, was er nur anfasst, sondern er hat fast immer leere Taschen, weil sein Kopf zwar voller Lieder, aber sein Herkunft allzu "unbedeutend" ist.

Seine Liebe zu allem Schönen kann natürlich auch von  d e n  Schönen nicht übersehen werden. So erringt er gar die Sympathie einer Schlossherrin, die in ihm zunächst den Gärtner, dann ihren völlig überflüssigen Zolleinnehmer sieht. Doch dieser Stumpfsinn eines "Amtes", das niemandem nützt und das niemand braucht, ist nichts für einen lebendigen Menschen, der das Land der Schönheit nicht nur mit der Seele sucht. So treibt ihn seine Sehnsucht weiter. Er genießt die kurzen Freuden eines Volksfestes, eine lange Fahrt nach Italien, spielt eine ihm unbekannte Rolle in einer Verwechslungskomödie, wird zum Gesprächspartner und "Liedermacher" des großen Räubers Rinaldo Rinaldini und kann nach abermaliger Enttäuschung schließlich seine wirklich traumhaft schöne Blondine in ein Land führen das ihm und seinen Liedern günstig ist...

Freude beim Beobachten

Die Drehbuchautoren haben also den allzu märchenhaften Schluss der Novelle der Natur des Titelhelden angepasst, sich aber in den wesentlichen Handlungsverläufen ziemlich eng an den von Eichendorff gegebenen Rahmen gehalten. Das erwies sichin der offenen Handlung der ersten Filmhälfte als großer Vorzug im Sinne einer wirklich anrührenden Beschaulichkeit, die zum Verweilen, zum genauen Hinsehen, zum Genießen der schönen Natur anregt. Celino Bleiweiß und sein Kameramann Günther Jaeuthe hatten offensichtlich Freude an der Beobachtung einer "Pusteblume", an Rosenbeeten und Blumenfeldern, an Wiesen und stillen Wäldern, am Genießen eines Sonnenaufganges, am flirrenden Licht in den Zweigen eines Baumes, am durchschimmernden Gold der Sonne im Schilf, am Reichtum der Farben des Barockschlosses Rammenau, das neben den Schauspielern eine der Hauptrollen dieses Films spielt...

In den Begegnungen, die der "Taugenichts" während dieser ersten Entdeckungen seiner gesellschaftlichen Umwelt hat, verschmilzt also das Filmische mit dem Literarischen und Natürlichen, ergeben sich in dichter Anlehnung an Eichendorff witzige und spritzige Dialoge, die auch ihre soziale Funktion haben. Besonders die Gespräche zwischen dem jungen Helden und dem Portier des Schlosses, der "wirklich weiß, wie klein er ist", haben ein philosophisch-ironisierende, gesellschaftskritische Grundhaltung und bereiten Vergnügen. Hannes Fischer gibt diesem klitzekleinen "Amtsphilosophen" nicht nur Aufgeblasenheit, sondern auch einen Anflug von Würde und Selbstachtung, und bereitet dem Zuschauer zugleich Spaß an schauspielerischer Feinarbeit.

Mit Sinn für kritische Distanz und satirische Detailbehandlung ist das "Schlossfest", sind die fragwürdigen Vergnügungen der "Herrschaften" gestaltet. Einem alten Gemälde gleicht das behäbige Volksfest, auf dem der junge Held mit seinem Geigenspiel und seinem Lied besser verstanden wird. Undurchsichtig wird für den Zuschauer dann aber die Fahrt nach Italien. Die Freude an der wechselnden Landschaft, an attraktiven jungen Schauspielerinnen und reizvollen Bauwerken erschöpft sich bald, weil man nicht mehr weiß, was eigentlich gespielt wird - wenn man die Novelle nicht gelesen hat.

Verwechslung

Was es mit Guido-Flora und Leonhard (Christel Bodenstein und Peter Biele) wirklich auf sich hat, erfährt weder der "Taugenichts" noch der Zuschauer. Der Film gibt keinen Hinweis auf die Pseude-Entführung Floras, die zu Guido wurde, damit ihre Heirat ungestört vorbereitet werden kann. Plötzlich wird der sehr männliche Dean Reed für die sehr zierliche Christel Bodenstein gehalten, ohne dass auch nur aus einer Andeutung ersichtlich würde, was mit dem dunklen Schloss und dem ganzen Drum und Dran eigentlich bezweckt werden soll.

Nichts gegen das Italienisch der dort angesiedelten Schauspieler - aber wenn der Zuschauer nicht mehr im Bilde ist, weiß er eben auch nicht mehr, was gespielt wird.

Dadurch verliert die folgende Szene mit dem Räuber Rinaldo, dem Gerry Wolff wirksame Züge eines melancholischen "Intellektuellen" gibt, ihren Bezug zum Vorhergegangenen, und der durchaus ansehenswerte "Räuberkomplex" verselbständigt sich.

Filmische Überraschungen

Hier hätte die freie Bearbeitung also durchaus eine dichte und durchschaubare Fabelführung ermöglicht, ohne auf "Überraschungen" zu verzichten. Wenn filmische Überraschungen für den Akteur und für den Zuschauer ein Rätsel bleiben, büßen sie ihre Wirkung ein. Dean Reed hat in diesen Komplexen auch nichts mehr "zuzusetzen".

Es gehört zu den Schönheiten des Films, wie er seine Lieder "aufbaut", ohne sie in exaktes Deutsch zu übersetzen. Dean Reeds Partnerinnen - besonders "die Schöne" (Anna Dziadyk) und die Gräfin (Hannelore Elsner) werden neben Monika Woytowicz (Kammerjungfer) auch die Zuschauerherzen erwärmen. Was es sonst zu schauen gibt, das wird jeder gern für sich allein entdecken...

Heinz Hofmann

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Letzte Änderung: 2012-07-17