Moloko Plus #40, Dezember 2009

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Ein Cowboy in der DDR - oder die ungewöhnliche Geschichte des

Dean Reed

Am 17. Juni 1986 finden Volkspolizisten im Zeuthener See bei Berlin die Leiche eines Mannes. Der aufgedunsene Körper, der an der Wasseroberfläche treibt, gehört Dean Reed - Schauspieler, Musiker, Regisseur und Amerikaner in der DDR. Als "Johnny Cash des Kommunismus" und als der "Rote Elvis" wird Reed in die Geschichte der Popkultur jenseits der Mauer eingehen.

von Marc

Der mysteriöse Tod des bekannten Künstlers bietet schnell die Grundlage für wilde Spekulationen und Vermutungen. Es dauert nicht lange, bis Journalisten - und später auch erste Autoren - den Fall für sich entdecken. In einer Zeit, in der viele DDR-Bürger dem "Arbeiter- und Bauernstaat" den Rücken kehrten, war Dean Reed eine schillernde Ausnahme. Als amerikanischer Staatsbürger war er 1972 über zahlreiche Umwege in die DDR gekommen und dort nicht nur sesshaft, sondern auch berühmt geworden. Unzählige Schallplatten auf dem Staatslabel "Amiga" zierte sein Konterfei. Die eigensinnige musikalische Palette reichte dabei von Rock'n'Roll über Country bis hin zu schmalzigem Schlager und sozialistischen Kampfliedern.

1949 [sic!] in einem Nest in Colorado geboren, führte der Junge mit dem großen Kopf und den Segelohren zwischen Kuhställen und Pferdekoppeln ein Leben wie viele andere. Bald kaufte er sich die erste Gitarre und begann Idolen wie Elvis Presley oder Chuck Berry nachzueifern, in der Theatergruppe der Schule und in verschiedenen örtlichen Bars sammelte er - die Gitarre geschultert - erste Bühnenerfahrungen.

Seine Eltern hingegen sahen für den singenden Cowboy ein Studium der Geografie und Meteorologie vor, das ihm zum Wetterfrosch im Fernsehen verhelfen sollte. Reeds Uhren tickten aber anders. Nach vier Semestern und ohne vorzeigbaren Abschluss wechselte er auf eine Schauspielschule. Gerade hatte er einen Vertrag bei "Capitol Records" bekommen und der Plattenfirma hatte er es auch zu verdanken, dass er an der "Warner School Of Arts" angenommen wurde.

In der Talentschmiede des Filmriesen Warner kam die scheinbar uramerikanische Biografie des Dean Reed dann erstmals ins Schlingern. Hier lernte er den Schauspieler und überzeugten Pazifisten Paton Price kennen, der nicht nur als radikaler Kriegsdienstverweigerer galt, der für seine Überzeugung bereits im Gefängnis gesessen hatte - er hinterließ auch seine Spuren beim jungen Dean. Wie groß der Einfluss des Lehrers, der mit Reed bals sogar in einer Wohngemeinschaft lebte, tatsächlich war, lässt sich an der Ausschlagung eines lukrativen Fernseh-Engagements erkennen: In der TV-Serie "Wanted Dead Or Alive" sollte Reed als wortkarger Kopfgeldjäger firmieren, der seine Beute zwar meist lebendig übermittelte, jedoch immer mit gelandener Winchester auf der Leinwand zu sehen war. Diese Forderung schien seiner Überzeugung zu widersprechen. Die ausgeschlagene Rolle übernahm schließlich Steve McQueen, der als der Kopfgeldjäger "Josh Randall" ganze 94 Episoden der Serie abdrehte und zu einem der bekanntesten Westernhelden der Vereinigten Staaten avancierte.

Schon kurz nach dem Verlassen der Schauspielschule machte Dean Reed auf andere Weise Schlagzeilen. In der Presse tauchte er als der erste amerikanische Popstar auf, der sein Wort gegen die offizielle politische Linie der US-Regierung erhob. Auf Geheiß seiner Plattenfirma hatte Reed 1961 begonnen in Südamerika zu touren. Der musikalische Erfolg, der sich in den USA trotz einiger Achtungszeichen in den regionalen Charts nicht recht einstellen wollte, flog ihm in Lateinamerika offenbar nur so zu.

Der "rote Elvis"

In Chile lernte er nach eigenen Aussagen aber nicht nur Konzerthallen und willige Groupies kennen. Die besuchten Slums, die antiamerikanische Grundstimmung und der wieder aufgenommene Briefkontakt zu Paton Price haben ihn wohl letztendlich dazu bewegt, die Regierung der Vereinigten Staaten öffnetlich anzuprangern: In einem offiziellen Protestschreiben, das sein Echo bis in die USA fand, protestierte er angeblich gegen die zu dieser Zeit stattfindenden Atomtests der Kennedy-Regierung. Der in seiner Biografie von 1976 übersetzte Artikel stützt sich allerdings lediglich auf die Aussagen Reeds, die der "Los Angeles Times" zugespielt wurden. Weitere Berichte - etwa die veröffentlichten Protestnoten aus Südamerika oder lokale Meldungen über den Vorfall - gibt es nicht. Der Aufruf, die Tests zu stoppen, endete für Dean Reed nach der von der "L.A. Times" verbreiteten Version in einer Absage der bevorstehenden Tour durch Peru und mit der zeitweiligen Rückkehr in die USA.

Angeblich hatten auch schon ein Saufgelage mit dem russischen Fußballteam, das zur Weltmeisterschaft 1962 in Chile zu Gast war und erste politische Äußerungen vor einigen Zeitungsreportern in Washington die Alarmglocken läuten lassen. Tatsächlich umschiffte Dean Reed politische Fragen nach Kennedy, Castro und Guantanamo bei seiner Ankunft in Chile aber noch konsequent und ärgerte sich stattdessen über korrupte Discjockeys in seiner Heimat, die offenbar seine Platten nicht mehr spielen wollten.

Nur kurze Zeit später zog es ihn aber wieder nach Lateinamerika. Über Mexiko landete er 1965 in Argentinien. Dort spielte Dean Reed in einigen Filmen mit und erhielt sogar ein eigenes Fernsehformat, das ihn letztendlich vom Doppelkontinent nach Europa katapultieren sollte.

An einem Samstagabend ließ er in seiner Show ein Interview mit Walentina Tereschkowa ausstrahlen. Die Russin war als erste Frau im Weltall eine interessante Gesprächspartnerin, die außerdem auch politisch auf einer Wellenlänge mit dem Moderator zu schwimmen schien, der sich nach eigenen Aussagen mittlerweile mehr als je zuvor politisch engagierte. Für die demokratische Regierung brachte der Talk mit der überzeugten Kommunistin im landesweiten Abendprogramm das Fass zum Überlaufen. Reed, der mittlerweile offen in linken Kreisen verkehrte, sich aber paradoxerweise - möglicherweise um seine unpolitischen Fans nicht zu verprellen vehement gegen die Stigmata "Kommunist" und "Marxist" wehrte, wurde verhört und wenig später, mit dem Verdacht ein Agent des Kreml zu sein, des Landes verwiesen.

Tatsächlich hatten die Sowjets bereits ihre Arme nach Dean Reed ausgestreckt. Der erste Sekretär der sowjetischen Jugendorganisation Komsomol, Boris Pastuchow, hatte ihn 1965 auf dem prosowjetischen Weltfriedenskongress, auf dem der Amerikaner mit seiner Wandergitarre aufgetreten war, nach Russland eingeladen. Offenbar dachte Pastuchow in ihm einen geeigneten Deckel für das Verlangen russischer Jugendlicher nach westlicher Rock- und Popmusik gefunden zu haben. Die Liebeslieder und der amerikanische Charme, gepaart mit der "richtigen" politischen Einstellung, schienen Grund genug für dieses Engegement.

Etwa zeitgleich mit seiner ersten Tour durch die UdSSR veröffentlichte er 1966 auf dem russischen Lable "Melodija" eine Single, die den Fans jenseits des Eisernen Vorhangs ein erstes politisches Statement aus eigener Feder präsentierte. Der Text der B-Seite "Ustedes" deckt sich durchaus mit sozialistischen Klassenkampfideen.

In Italien, wo er nach dem Rausschmiss aus Argentinien schließlich sesshaft wurde, spielte er hingegen seine amerikanische Trumpfkarte weiter aus. In den Westernfilmen "Buckaroo" und "Bleigericht" mimte er den reitenden Cowboy, den er bereits seit Kindertagen verkörperte. Wie schon in Argentinien und Mexiko personifizierte er auf der Leinwand den weißen, amerikanischen Schönling. Und in der Masse hatten diese Produktionen vor allem eines gemeinsam: Dean Reed spielte den Saubermann, der den Armen half, Lieder sang und die Bösen zum Teufel jagte. Ein Persönlichkeitsbild, das hervorragend in sein politisches Selbstverständnis dieser Zeit passte.

Nur wenig später wurde er angeblich im März 1969 auf den Stufen der amerikanischen Botschaft in Rom verhaftet, weil er an einer Demonstration teilgenommen und sich bis zum Eingangsportal durchgeschlagen hatte, um dort nach eigenen Aussagen "Hoch Ho Chi Minh" und "Stopp dem Bombenterror! Aggressoren raus aus Vietnam" zu rufen. Vor dem US-Konsulat in Chile nahmen ihn am 1. September 1970 Polizisten fest, nachdem er eine Flagge der Vereinigten Staaten symbolisch reingewaschen und damit gegen den Vietnamkrieg demonstriert hatte. Und im Juni 1971 soll Dean Reed nach einer Pressekonferenz in Buenos Aires verhaftet worden sein. Er war illegal ins Land eingereist und von Polizisten erkannt worden. In Folge all dieser Ereignisse landete er jedesmal als politischer Gefangener im Knast.

Nur ein Jahr später rauschte er scheinbar wie ein Komet vom Himmel in die DDR. Bis kurz vor seinem Umzug hatte ein Großteil der Bevölkerung zwischen Oder und Elbe sicherlich noch nie etwas von Dean Reed gehört. Erst ab Dezember 1971, in Folge seines Besuches auf dem Leipziger Dokumentarfilmfestival, auf dem er auch seine spätere Frau Wiebke kennen lernte, kam die Presse langsam in Fahrt. Bis Ende des darauffolgenden Jahres hatte eine wahre Berichterstattungslawine von Mecklenburg-Vorpommern bis hinunter nach Thühringen das Land überrollt: Die "Ostseezeitung" berichtete ebenso über den neuen Amerikaner wie die "Junge Welt" oder die "Magdeburger Volksstimme". Und meist kreisten die Artikel um die Frage, wie aus dem Rock'n'Rollsänger aus Colorado ein bekennender Sozialist und Friedenssänger im Ostblock werden konnte. Binnen kürzester Zeit hatte die ostdeutsche Presse Dean Reed der Bevölkerung im "Arbeiter- und Bauernstaat" als waschechten und erfolgreichen Star in Jeans und Cowboyhut verkauft, der sich mit politischen Bekenntnissen zum Sozialismus auch nicht zurückhielt. Dass Reed vor allem in Nordamerika gar nicht so erfolgreich war, wie es die Zeitungen behaupteten, war dabei völlig nebensächlich.

Schon nach etwa einem Jahr der fortwährenden Reedhysterie stellte das Jugendmagazin "Neues Leben" fest: "Alle Welt kennt Dean Reed." Die Pressekampagne hatte also Früchte getragen und auch die Korrespondenz zwischen Sänger und Politbüro hatte längst begonnen: Von 1971 bis 1975 hatte der "Johnny Cash des Kommunismus", wie er später genannt wurde, östlich der Elbe bereits drei volle Spielfilme gedreht, war ein gutes Dutzend Mal in den verschiedensten Fernsehshows zu Gast und hatte es auf fast zehn Veröffentlichungen auf dem DDR-Hauslabel "Amiga" gebracht.

Auch auf den Weltfestspielen 1973 in Berlin durfte der neue Vorzeigestar nicht fehlen. Offenbar hatte das Zentralkomitee (ZK), in dem er mit Eberhard Fensch, dem langjährigen Stellvertretenden Leiter der Abteilung Agitation, zuständig für Rundfunk und Fernsehen, schnell einen guten Freund fand, ein gesondertes Interesse daran, den politisch aktiven Musiker im Lande zu halten.

Zur Freude der SED-Bonzen veröffentlichte er wie schon in der UdSSR als erstes eine Single mit einer politischen Message. Neben Pete Seegers "We shall overcome" presste "Amiga" pünktlich zu den Weltfestspielen 1973 die Kampfansage "Wir sagen ja" auf die B-Seite. Begleitet von Akustikgitarre, Chor und rhythmischen Klatschern singt Dean Reed in gebrochenem Deutsch gegen Unterdrücker und für eine bessere Welt.

In seiner alten Heimat Chile verfolgte man diese Entwicklung mit einigen Bedenken. Bis zu seinem Tod sollte sich der politische Faden aber durch beinahe alle seine bisher dokumentierten musikalischen Veröffentlichungen ziehen. Finanziell federte sich der Künstler vor allem durch Tourneen in der sozialistischen Welt, Kino- und Fernsehproduktionen, aber auch mehrfach durch die Rücklagen des ZKs ab.

An der Seite von Gojko Mitic drehte er mit "Blutsbrüder" den DDR-Kassenschlager überhaupt. Als sein Erfolg nachließ, halfen die Genossen weiter aus und Reed bedankte sich auf seine Weise: Immer wieder gab er in privaten Runden politische Statements zum Besten oder versuchte Schauspielkollegen für die sozialistische Sache zu gewinnen.

Die Reden, die er bei Tisch, auf Konzerten oder bei Dreharbeiten schwang, irritierten sein künstlerisches Umfeld aber offenbar zunehmend, sodass ihn bis Anfang der 80er Jahre viele Kulturschaffende in der DDR für einen salonfähigen, agitatorischen Mustersänger hielten. Hinzu kamen private Differenzen wie etwa seine Weigerung, die Stimme gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann zu erheben, die ihn aus der Film- und Musikszene etwas isolierten.

Selbstmord - oder Mord?

Trotzdem dachte aber auch er im Zuge der Biermann-Affäre - die zeigte, dass offene Kritik schnell zum Ausschluss aus dem "real existierenden Sozialismus" führen konnte - über den Alltag in seiner Wahlheimat nach. Der "Rote Elvis" konnte nämlich auch anders: 1982 rauschte er in eine Verkehrskontrolle der Volkspolizei und verunglimpfte die DDR laut Stasiunterlagen als einen "faschistischen Staat". Später schrieb er: "Der Sozialismus ist noch nicht erwachsen." Und kurz vor seinem Tod soll er sogar darüber nachgedacht haben, in die USA zurückzukehren. Gerade dieser Punkt und die ominösen Umstände, die zu seinem Tod führten - er ertrank als guter Schwimmer mitten im Sommer mit zwei Jacken in einem See nahe seinem Grundstück - boten und bieten bis heute den Nährboden für die wildesten Verschwörungstheorien. Mal war es der KGB, mal die Stasi.

An einen Selbstmord glauben die wenigsten. Auch wenn Reed sich im Vorfeld des 17. Juni 1986 bereits die Pulsadern aufgeschnitten und einen Abschiedsbrief an seinen Freund Eberhard Fensch verfasst haben soll.

Moloko

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Letzte Änderung: 2010-05-26