Berliner Zeitung 23.01.2008

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Kintopp oder Wahrheit?

Über das "DDR-Bild als historische Fiktion" wurde im Harvard Center diskutiert

Ralf Schenk

Der Ort war symbolisch: Zur Diskussion über "Die DDR als historische Fiktion in Literatur und Film" hatte das Harvard Center Berlin am Dienstag ins ehemalige Staatsratsgebäude eingeladen. Thomas Brussig, Autor etwa von "Sonnenallee", fand es auch passend, dass es draußen seit Stunden regnete und er seinen grauesten Pullover trug. Überhaupt prägte Brussig mit seiner erfrischend lakonischen Art den Abend. Streitlustig plädierte er dafür, die DDR im Kino nicht abzubilden, wie sie war, sondern für pralle Genrefilme zu nutzen. Kino, so Brussig, sei weniger für eine differenzierte, historisch gerechte Sicht zuständig als für Tränen des Lachens und Weinens. Das filmische Erzählen werde schön durch Zuspitzungen, Verkürzungen und Verfälschungen. "Die DDR ist ein Geschenk, das uns die Geschichte gemacht hat und das die Filmemacher mit Stil annehmen sollten."

Seine Thesen belegte Brussig mit drei "Meilensteinen der Fiktionalisierung": "Sonnenallee" (1999) war von Anfang an als Pubertätsmärchen aus dem Streichelzoo der DDR-Sozialisation angelegt - ein Film, "bei dem Westler neidisch werden, dass sie nicht in der DDR leben durften". Die Rechnung ging auf, weil Brussig, der selbst das Drehbuch verfasste, und Regisseur Leander Haußmann ein gutes Händchen für den leichten Umgang mit dem Thema bewiesen. "Good bye, Lenin!" (2003) erwies sich als ein Film nicht nur über die DDR, sondern über das Abschiednehmen. An "Das Leben der Anderen" (2006) überzeugte Brussig die Sicherheit im Umgang mit überlieferten Mitteln des Kinos: "Das war Kintopp im besten Sinne."

Dieses Lob wollte der Historiker Jens Gieseke, Mitarbeiter der Birthler-Behörde, so nicht stehen lassen. Er verwies auf die Vermarktungsstrategie des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck, der immer wieder betont hatte, "Das Leben der Anderen" sei historisch authentisch. Tatsächlich sei der Film gerade das nicht: Der DDR-Alltag sei ungenau zitiert, die Denkweisen von DDR-Bürgern nicht getroffen. Auch "einem so empfindsamen, halb depressiven, grüblerischen Charakter wie dem dargestellten Stasi-Mann" sei er, Gieseke, nie begegnet. Das Bild der DDR, das sich durch "Das Leben der Anderen" bei einem jungen Publikum festsetze, sei problematisch. Brussig hielt Gieseke entgegen, wozu solche Filme gut seien, und gab auch gleich die Antwort: "Dass sie eine allgemeine Aufmerksamkeit auf ein Thema richten und dann gefragt wird: Wie war es denn nun wirklich?" Und überhaupt: "Die DDR im Genrekino stattfinden zu lassen, ist nicht das Schlechteste. Denn entweder findet sie im Genrekino statt oder gar nicht mehr."

Schade, dass sich die Veranstaltung so zum Donnersmarck-Abend verengte. Als ob es in anderen, weniger spektakulären Filmen nicht auch spannende Ansätze zur Fiktionalisierung der DDR-Geschichte gegeben hätte. Das begann mit Jörg Foths Clownsspiel "Letztes aus der DaDaeR" (1990) und Herwig Kippings Farce "Das Land hinter dem Regenbogen" (1991), und es war mit Wolfgang Kohlhaases und Volker Schlöndorffs "Die Stille nach dem Schuss" (2000) längst nicht zu Ende. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls 2009 sind neue Projekte im Gespräch, in Hollywood geistern die Storys von Dean Reed und Vera Wollenberger herum. Inzwischen dürfte Meryl Streep, die sich für die Rolle der DDR-Bürgerrechtlerin interessierte, dafür zu alt sein. Den Stoff um eine Frau, die von ihrem Mann bespitzelt wird, könnte sich Brussig aber immer noch auf der Leinwand vorstellen: "Es geht um Ängste, die jeder kennt. Die Angst vor Verrat, die Angst, sich an einen falschen Menschen zu verlieren." Das gibt dem Kino, was das Kino braucht.

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Letzte Änderung: 2008-07-17