Dunja Hayali

Die Türkei: Ein Freiluft-Gefängnis

Vor zwei Jahren war die Türkei noch ein anderes Land
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Dunja Hayali

Wenn heute Abend der türkische Staatspräsident Erdogan vor die Nationalversammlung tritt und an die Opfer des Putsches von vor genau einem Jahr erinnert, dann ist es zementiert: güle güle, Demokrasi. Die Opposition darf nicht teilnehmen. Die Vertreter der Parteien CHP und HDP sind ausgeschlossen. In nur einem Jahr hat Präsident Erdogan aus der Türkei ein „Freiluft-Gefängnis“ gemacht, wie Sirin Manolya Sak in meiner Sendung am Mittwoch sagte. Das ist kein „Türkei-Bashing“, wie einige von bei Facebook geschrieben haben, nein, es ist Fakt und kein Fake: Präsident Erdogan wahrt nicht mal mehr den Anschein und behauptet doch immer noch, in der Türkei herrsche Demokratie.

Man kann sicher prima leben in der Türkei, wenn man mit der Politik nichts am Hut hat. Ich war gerade da. Die Sonne scheint, die Leute sind freundlich wie immer, das Essen ist fantastisch. Es gibt Touristen (zwar nur noch wenige deutsche, dafür mehr russische und arabische), aber sobald man versucht, mit Einheimischen über Politik ins Gespräch zu kommen, rasselt der Rolladen runter. Die Leute haben Angst, offen zu reden. So stelle ich mir die DDR vor. Aber immerhin kommt man noch raus aus dem „Freiluft-Gefängnis“ Türkei.

In den ersten sechs Monaten des Jahres haben mehr als 3000 Türken in Deutschland Asyl beantragt. Das berichtet die Funke Mediengruppe unter Berufung auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Darunter sollen auch 209 Diplomaten und 205 Staatsbedienstete sein.

Es entwickelt sich hierzulande eine spannende Literatur- und Kunstszene, gespeist aus türkischen Intellektuellen und Freiheitsliebenden, die in Deutschland eine Zuflucht sehen. Je mehr kommen, desto mehr verhärten sich jedoch die Fronten zwischen Deutschland und der Türkei. Es gibt leider nicht viel Gutes an dieser Situation außer vielleicht die Tatsache, dass Deutsche, Türken, Deutschtürken und Türkendeutsche endlich mal gezwungen sind, über ihr Miteinander zu diskutieren. Das wurde jahrzehntelang nicht gemacht und hilft, einander besser zu verstehen. Vor zwei Jahren war die Türkei noch ein anderes Land. Da musste kein Oppositionsführer zu Fuß von Ankara nach Istanbul laufen, um überhaupt öffentlich wahrgenommen zu werden. Zehntausende liefen beim „Marsch für Gerechtigkeit“ mit. In der Folge kamen Hunderttausende vergangenen Sonntag zur Großkundgebung. Wenn man seine Fesseln spürt, dann läuft man los. Merhaba, Demokrasi!

Schönes Wochenende
dh

Meine Gesprächspartnerin am Mittwoch in „dunja hayali
Sirin Manolya Sak. Moderatorin / Journalistin / Autorin.
Sie ist nach zwei Jahren in der Türkei zurück nach Deutschland gezogen.

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