Rui Filipe Gutschmidt

Erdogan und Netanjahu beschimpfen sich gegenseitig – zwei uneinsichtige Machtmenschen

Rui Filipe Gutschmidt

Es ist der Gipfel der Heuchelei! Ausgerechnet Erdogan kritisiert das Massaker im Gazastreifen? Natürlich ist es ein Verbrechen gegen die Menschheit wenn Israels Armee 17 Palästinenser tötet und mehr als 1.400 verletzt, doch ist die türkische Armee in Nordsyriens Kurdengebiet derzeit mindestens genauso brutal. Wer hat also Recht im Streit der Heuchler?

Nachdem bei einer von der radikalislamischen Hamas organisierten, jedoch friedlichen, Protestaktion im Gazastreifen 17 Menschen ums Leben kamen und mindestens 1.400 verletzt wurden, hagelte es nur so Kritik an Israels Vorgehensweise. Zurecht wie ich meine, da es keinen Grund für dieses Massaker an Zivilisten zu geben scheint. Selbst wenn wir mal davon ausgehen, wie es Israels Armeeführung wohl getan hat, dass der Massenaufmarsch dem Einschleusen von Terroristen auf israelisches Territorium dienen sollte, so ist dieser hemmungslose Beschuss von Zivilisten mit dem bekannten Blutzoll niemals zu rechtfertigen.

Beginn der türkischen Offensive in Syrien – Bild von Karl-Ludwig Poggemann Flickr.com CC BY 2.0

Doch jetzt nutzte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Gunst der Stunde um sich mal wieder zu Profilieren und um von seinen eigenen Kriegsverbrechen abzulenken. So nannte Erdogan den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu einen Terroristen. Schon im Vorfeld bezeichnete er die Schüsse israelischer Soldaten auf palästinensische Zivilisten als Massaker, was Netanjahu natürlich gar nicht gefiel.

Israels Ministerpräsident Antwortete aber auf gleicher Höhe (Tiefe): „Die moralischste Armee der Welt wird sich keine Moralpredigten anhören von jemandem, der selbst seit Jahren eine Zivilbevölkerung ohne Unterscheidung bombardiert.“ So wären Erdogahns Äußerungen wohl das Equivalent zum einem Aprilscherz, wie Netanjahu auf Twitter schrieb.

Der Schlagabtausch ging aber noch weiter. Laut Erdogan seien die Türken keine Besatzer und der Ton wurde aggressiver. „Netanyahu, du bist ein Besatzer. Und gerade befindest du dich als Besatzer auf diesem Land. Gleichzeitig bist du ein Terrorist.“

Nun, so sehr sich die beiden Staatschefs auch gegenseitig beschimpfen mögen, so fehlt es beiden auch an Einsicht. Denn die Türkei und Israel nennen sich beide „demokratische Rechtsstaaten“ und beide reklamieren für sich das Recht „Terroristen“ bekämpfen zu müssen. Seit einiger Zeit ist die Bezeichnung „Terrorist“ aber inflationiert. So wird jeder bezeichnet, der einem im Weg steht und den man militärisch bekämpfen will. So nimmt sich Israel das Recht heraus auf Zivilisten zu schießen, weil diese die Fahnen der Hamas schwingen und die Türkei bombardiert munter kurdische Bergdörfer diesseits und jenseits der Grenze, wenn sie dort PKK-Terroristen vermutet.

Beide wissen genau, dass sie dabei mit großer Wahrscheinlichkeit Zivilisten töten und verletzen, relativ selten aber tatsächliche Kämpfer erwischen. Auch klar ist, dass der Mord an unschuldigen Frauen und Kindern nur noch mehr Hass und Fanatismus zur Folge hat. Aber auch das ist ihnen Bewusst. Was Erdogahn und Netanjahu gemeinsam haben, ist der unbedingte Wille an der Macht zu bleiben. Man picke sich einen Feind heraus und fanatisiere seine Anhängerschaft, um gegen die vermeindlichen Terroristen Krieg zu führen. Eine uralte Methode, die leider immer noch funktioniert.

Allerdings ist es nicht das Vorgehen eines „demokratischen Rechtsstaats“, sondern normalerweise die Methode mit der sich Diktatoren an der Macht halten. Unter dem Kriegsrecht und im Terrorkampf kann man ja so schön Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf Eis legen und Gesetz und Verfassung beugen. Die Opfer dieser Politik – von unseren Politikern in Europa geduldeten Politik – sind die einfachen Menschen, die nie eine Waffe in der Hand hielten und doch unter den Kämpfen zwischen den Kriegsparteien leiden. Die Rohstofflobby und Rüstungsindustrie aber machen Milliardengewinne und so gehen die Kriege glatt so weiter. Alle Beschimpfungen, die Netanjahu und Erdogan so ablassen, könnten sie auch direkt in einen Spiegel brüllen. Es würde genauso viel Sinn machen.

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Dieser Artikel erschien auch vor ein paar Tagen auf unserer Partnerseite  INFO-WELT

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