F.-B. Habel

Nekrologe

2017
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F.-B. Habel

Unsere Mediennutzung wird angesichts der weiter zunehmenden Vielzahl zugänglicher Quellen immer partieller. Und, so mein Eindruck, viele Redakteure verfügen über immer weniger Kenntnisse, wer oder was in der Vergangenheit wichtig war. So entgehen dem Leser im Laufe des Jahres oft Todesfälle auch einst Prominenter, an die man sich gern erinnern würde. Im Folgenden seien einige, derer nur in wenigen Medien gedacht wurde, ins Gedächtnis gerufen.
Meist nur mit Kurzmeldungen wurde des letzten Schauspielers gedacht, der 1932 in Berlin noch unter Max Reinhardt seine Laufbahn begann. Der aus Basel stammende Lukas Ammann hatte eine jüdische Mutter und verließ Deutschland schleunigst, als die Nazis an die Macht kamen. Er wurde in der Schweiz ein hervorragender Charakterdarsteller bei Bühne und Film und errang Popularität, als er zwischen 1967 und 1976 zweiundsechzigmal der „Graf Yoster“ in einer parodistischen Krimi-Serie war. Mit 101 Jahr spielte er seine letzte Filmrolle und starb nun im 105. Lebensjahr.
Auch die letzten Filmlieblinge der Ufa-Zeit haben uns 2017 verlassen.
Margot Hielscher aus „Frauen sind keine Engel“ (1943), die im 98. Lebensjahr starb, wurde in einigen Radiosendungen gewürdigt, weil sie auch Sängerin war.

Anneliese Uhlig 1918-2017. Bild: YouTube

Anneliese Uhlig („Manege“, 1937), die ihre Karriere noch vor der Hielscher begann und im 99. Lebensjahr von uns ging, wurde weit weniger beachtet. Bis vor 20 Jahren spielte sie noch in Rosamunde-Pilcher-Filmen mit. Seit den Fünfzigern in den USA ansässig, hatte sie ihre Karriere lange unterbrochen und als Korrespondentin aus vielen Ländern der Welt wie auch aus dem Weißen Haus berichtet.

Ebenfalls zur Ufa, wo er als Kind und Halbwüchsiger gespielt hatte, gehörte Gunnar Möller („Ich denke oft an Piroschka“, 1955), der fast 89 Jahre alt wurde und im vergangenen Jahr noch in einem Film von Margarethe von Trotta auftrat. Bei der DEFA war er 1950 bereits ein junger Lehrer in „Die Jungen vom Kranichsee“.
Auch Hans Neie spielte bis 1954 DEFA-Rollen („Das geheimnisvolle Wrack“, 1954), nachdem er 1945 in dem letzten, nie fertiggestellten Ufa-Großfilm „Das Leben geht weiter“ dabei gewesen war. Als junger Radrennfahrer in der DDR ging er in den Westen und hatte nur noch als Zuschauer mit dem Film zu tun. Unmittelbar vor seinem 85. Geburtstag starb er im November in Mönchengladbach.
Kurz nach seinem 85. starb im Januar Wolfgang Hübner, der seine Laufbahn etwa um die Zeit begann, als Neie seine beendete. Hübner war zunächst Schauspieler und im DDR-Kinderfernsehen beliebt als der Rolf von „Rolf und Reni“, in einer Spielreihe, in der der große Bruder eine von einer Puppe dargestellte kleine Schwester hatte. Dem sehr jungen Publikum blieb er auch danach noch verbunden, drehte er für den Deutschen Fernsehfunk doch zahlreiche Kinderfilme – darunter „Geschwister“ (1975), „Trampen nach Norden“ (1977) und sein unbestrittenes Meisterwerk „Gevatter Tod“ (1980) –, die einen so hohen Anspruch erfüllten, dass der DFF sie auch im Abendprogramm zeigte. Hübner schuf später in erster Linie Literaturadaptionen, und es gereicht ihm und seinem Bruder und Ko-Regisseur Achim Hübner zur Ehre, dass die 1984 fertiggestellte mehrteiligen Hans-Weber-Verfilmung „Einzug ins Paradies“ wegen kritischer Tönen gegenüber Neubauvierteln drei Jahre „auf Eis“ lag, ehe sie doch noch gesendet wurde.
Dokumentarfilmregisseur war Peter Ulbrich, der unter anderem während des Krieges in Vietnam drehte, wo er unwiederbringliche Erfahrungen machte und sich vom „eurozentrischen Denken“ verabschiedete, wie er sagte. Das half ihm in seinen vielen Funktionen, die er in den siebziger Jahren im DDR-Filmwesen übernahm, sowohl als Rektor der Babelsberger Filmhochschule wie auch als vielfacher Jury-Präsident beim Leipziger Dokumentarfilmfestival. Er lehrte Studenten nicht nur hier, sondern auch in Nord- und Latein-Amerika. An seinem Alterssitz in Südfrankreich starb er mit 84 Jahren.

Károly Makk 1925-2017

In diesen Tagen wäre Károly Makk 92 geworden, im August ist der international gefeierte Spielfilmregisseur in seiner ungarischen Heimat gestorben. Seine Filme „Liebe“ (1971), „Katzenspiel“ (1974) und „Der andere Blick“ (1982) wurden international gefeiert. In dem von Makk geschriebenen Film „Circus Maximus“ spielte Erwin Geschonneck eine seiner wenigen Rollen im Ausland.
Ein Liebling des Budapester Musiktheaters der fünfziger Jahre bezauberte seit 1960 auch das Publikum in der DDR. Der Friedrichstadtpalast holte Márta Rafael 1960 für die Revue „Budapester Melodie“ als Moderatorin und Sängerin nach Berlin. Mit ihr stand Lutz Jahoda auf der Bühne, der ebenso wie das Publikum ihren Akzent mochte. „Ich liebte ihr langgezogenes ‚u‘, wenn sie meinen Vornamen aussprach“, erinnert er sich noch heute. Dass Márta Rafael in Berlin blieb, hatte auch mit Karl-Eduard von Schnitzler zu tun, der bei schönen Frauen großen Charme entfalten konnte. Sie schloss mit ihm ihre zweite Ehe und wurde seine vierte Frau. Bis zu seinem Tod 2001 lagen beide „auf gleicher Wellenlänge“. Sie präsentierte in den sechziger Jahren die eigene Fernsehreihe „Zu Gast bei Márta Rafael“ und zeichnete später hinter den Kulissen für manche musikalische Fernsehsendung verantwortlich. Im September ist sie mit 91 Jahren gestorben.
Einige auch in der DDR bekannte ausländische Filmlieblinge sind ebenfalls fast unbemerkt verstorben.
Alexei Batalow wurde 88 Jahre alt und war seit seiner Rolle in „Die Kraniche ziehen“ (1957) ein international gefeierter Schauspieler. Sowjetische Filme wie „Neun Tage eines Jahres“ (1962) und „Moskau glaubt den Tränen nicht“ (1979) festigten seinen Ruhm.

Oleg Wido 1943-2017

Zum Frauenschwarm wurde Oleg Widow in internationalen Produktionen wie „Die Schlacht an der Neretva“ (1969) und „Waterloo“ (1970). Bei der DEFA spielte er 1972 in dem Historienschinken „Lützower“. Später übersiedelte er in die USA, wo er noch bis vor wenigen Jahren vor der Kamera stand, und ist im Mai in Kalifornien mit 73 Jahren an Krebs gestorben.
Eine ausgiebige Phase im Hollywood-Film hatte auch der Prager Schauspieler Jan Tríska, der in den sechziger Jahren in Filmen wie „Komödiantenwagen“ und „Das Haus in der Karpfengasse“ auf sich aufmerksam machte. In der DDR spielte er 1973 eine kleine Rolle an der Seite seiner Frau Karla Chadimová in dem Road-Movie „Wie füttert man einen Esel“ und – ebenfalls bei Regisseur Roland Oehme – als Monsignore Aventuro in der Komödie „Ein irrer Duft von frischem Heu“ (1976). Er starb im September nach einem Sturz von der Prager Karlsbrücke im 81. Lebensjahr.
Trískas Landsmann Vládimir Brabec wurde 83 Jahre alt. Der Prager war legendär als Hauptdarsteller der Serie „Die Kriminalfälle des Majors Zeman“, die von 1976 bis 1980 in 30 Folgen produziert wurde. 1963 hatte Brabec neben Jutta Hoffmann in dem antifaschistischen Reißer „Koffer mit Dynamit“ mitgewirkt.
Keine Serie, aber eine Reihe machte Werner Toelcke berühmt, und die hatte keinen Titel sondern hieß beim Publikum einfach nur „Die Toelcke-Krimis“. Der gebürtige Hamburger, der in Sachsen sein Abitur ablegte, spielte unter anderem an Dresdner und Berliner Bühnen, ehe er 1962 für mehr als zwei Jahrzehnte zum DDR-Fernsehen ging. Hier entwickelte er als Autor die Figur des Kriminalisten Weber (dem er nie einen Vornamen gab) und spielte ihn in mehreren Krimis zwischen 1962 und 1972 selbst (zum Beispiel in „Tote reden nicht“ und „Doppelt oder nichts“), die überwiegend in seiner Heimatstadt Hamburg angesiedelt waren. „Ganz entzückend“, war oftmals Webers trockener Kommentar in keineswegs entzückenden Situationen. Obwohl Toelcke auch in Literaturadaptionen Erfolg hatte, spielte er immer seltener und hatte dafür Zeit, einige der besten Krimis zu schreiben, die in der DIE-Reihe erschienen. 1984 verließ er die DDR und lebte fortan in Schleswig-Holstein als Autor – später auch als Blogger. Seine letzte Wortmeldung erfolgte kurz vor seinem Tod im Herbst. Er wurde 87 Jahre alt.

Christoph Trilse 1932-2017

Ob Christoph Trilse, wie er damals hieß, schon in der gemeinsamen Erfurter Zeit über den Schauspieler Toelcke geschrieben hat, ist nicht mehr feststellbar. Der Kritiker und Autor (manchmal auch Schauspieler) entwickelte sich zu einem erstklassigen Theater- und Literaturwissenschaftler wobei Heine, Tucholsky und Hacks Schwerpunkte bildeten. Trilse war notgedrungen ein Weltbürger und hat in mehreren Ländern gelebt, weil er ein verfolgter Jude war. Österreich, die Tschechoslowakei, China, Jugoslawien gehörten zu seinen Lebensstationen. In der DDR musste er erleben, dass er und seine Mutter auch hier wegen der jüdischen Abstammung angegriffen wurden, so dass er sich 1978 entschloss, den jüdischen Namen der Großeltern anzunehmen. Er nannte sich fortan Jochanan Trilse-Finkelstein, und als der erhielt er 2015 den Kurt Tucholsky-Preis für sein Schaffen. Im März starb er im 85. Lebensjahr.
Wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag segnete im Februar der Literaturwissenschaftler Werner Hecht das Zeitliche, liebevoll-spöttisch der „Brecht-Hecht“ genannt. Die Erforschung des Lebenswerks von Bertolt Brecht und seinem Umfeld wurde auch zum Lebenswerk Hechts, der in Leipzig bei Hans Mayer studiert hatte und 1959 am Berliner Ensemble seine Laufbahn begann. Bis zu seinem Tod arbeitete er an neuen Publikationen, die das Phänomen Brecht detailliert erklärten. Daneben schrieb Hecht auch Fernsehstücke und -filme, die zum Teil von seiner Frau, der Fernsehregisseurin Christa Mühl umgesetzt wurden (so „Die Rache des Kapitäns Mitchell“, 1979).
Film- und Fernsehkritikerin – besonders für die Berliner Zeitung und den Filmspiegel – war Ehrentraud Novotný, die im Sommer mit 91 Jahren starb. Noch bis vor etwa zehn Jahren schrieb sie für Neues Deutschland kompetent vor allem über Kinderfilme, hatte sie doch lange Jahre beim Festival „Goldener Spatz“ in Gera und Erfurt mitgearbeitet. Manch Filmfreund hat auch ein Plätzchen im Bücherregal für Frau Novotný, denn mit ihrem 1976 erschienenen ersten Buch über Gojko Mitić begann sein Weg zur DEFA-Legende.
Sie schaffte es, dass der Name Schulze neuen Klang bekam. Katharina Schulze, die mit 79 Jahren starb, war schreibende Redakteurin im Eulenspiegel und griff voll Witz und Ironie manche Misere auf, die den Lesern auf der Seele brannte. Auch in gesellschaftlicher Hinsicht war sie aktiv, besonders in der Gewerkschaft ver.di, war Betriebsrätin im Berliner Verlag, setzte sich für den Erhalt der Berliner Symphoniker und des Pankower Kinos Tivoli ein, dem Geburtsort des Films in Berlin. Im Eulenspiegel hatte sie enge Verbindungen zu den Karikaturisten, half Heinz Jankofsky auf die Sprünge, besuchte den öffentlichkeitsscheuen Henry Büttner in Wittgensdorf.
Zweifellos hatte sie auch mit dem Grafiker Horst Hussel zu tun. Der 1934 in Greifswald geborene Künstler, der im November 83-jährig starb, hatte schon im Studium wegen „formalistischer und dekadenter Tendenzen“ Probleme und erlangte sein Diplom erst 1990. Er arbeitete als Buchillustrator, aber auch als Karikaturist, doch sein Kritzelstil (Kritikaster nannten es „hingehusselt“) gefiel nicht jedem im Eulenspiegel, und er wurde hier in 30 Jahren nur 60 Mal gedruckt. Dazu zeichnete er in der Berliner Zeitung, in Deine Gesundheit und konnte sich damit über Wasser halten. Typisch für ihn war, dass er 1987 ausgerechnet Präsident der Kurt-Schwitters-Gesellschaft der DDR wurde, und so seinem Geistesverwandten in Sachen Absurdität und Skurrilität huldigte. Unter seinen vielen Buchillustrationen sind die für Stefan Heyms Werke hervorzuheben, die er kongenial gestaltete.
Noch viele andere sollten hier gewürdigt werden, darunter (im Januar beginnend) der Kulturfunktionär Eberhard Fensch (87), an den Dean Reed 1986 seinen Abschiedsbrief richtete, der Journalist Klaus Huhn (fast 89), der ein ganzes Buch über all seine Pseudonyme (das bekannteste Klaus Ullrich) geschrieben hat, die Moderatorin Erika Krause (92), die immerhin von 1968-2003 durch die Reihe „Du und dein Garten“ im DFF und ORB führte, die

Dorothea Holloway 1929-2017
Foto: Michael Fritze

Filmjournalistin Dorothea Holloway (84), die zusammen mit ihrem Mann Ron als Westjournalistin jahrzehntelang über Filme im Osten objektiv schrieb und als Schauspielerin Dorothea Moritz beispielsweise 1985 in dem berühmten Schweizer Film „Höhenfeuer“ eine Hauptrolle spielte, Kabarettist Klaus Peter Schreiner (86), ein Mitbegründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, und Kurt Radeke (92), der jahrzehntelang eine Stütze im Berliner Maxim Gorki Theater war und aus seinem letzten Film „Sommer vorm Balkon“ von 2005 gut in Erinnerung ist.
Es starben im Sommer die Schauspielerinnen Sonja Sutter (86), die 1957 Konrad Wolfs „Lissy“ war und oft bei „Derrick“ mitspielte, und Ilse Pagé (78), die den Weg von der Angela in „Berlin Ecke Schönhauser“ (1957) zur Miss Mabel nahm, die Sir John und Sir Arthur in den Edgar-Wallace-Filmen assistierte. An Filmliebling Micaëla Kreißler (76), die bereits in den 1940er Jahren bei der DEFA filmte ( „Die Buntkarierten“, 1949) und später in „Der Mann mit dem Objektiv“ ein Duett sang, das auch Heinz Quermanns „Schlagerrevue“ eroberte, schien sich offiziell niemand zu erinnern, ebenso wenig wie an Waldefried Vorkefeld (82), dessen Sportreportagen auf Radio DDR einst Zehntausende verfolgten. Der Holocaust-Überlebende und Filmproduzent Artur Brauner verlor mit 99 Jahren seine Frau Maria Brauner (90), die in den fünfziger Jahren bei der CCC-Film hauptsächlich Musikfilme als Kostümbildnerin ausstattete und später in der jüdischen Gemeinde Berlins engagiert war. Jonny“ Markschieß van Trix (fast 97) war ein leidenschaftlicher Sammler von Memorabilien aus der Zirkus- und Varietégeschichte und machte seine Sammlung als „documenta artistica“ der Öffentlichkeit zugänglich.
Abschließend noch mal zum Film. Herbert Ehler (86) verantwortete als DEFA-Produktionsleiter maßgeblich das Entstehen großer Filme – was er für Konrad Wolf möglich machte, ist legendär! Er folgte seiner Lebensgefährtin, der Assistenz-Regisseurin Doris Borkmann (82), deren Leistungen 2014 mit dem Preis der DEFA-Stiftung für das künstlerische Lebenswerk geehrt wurden. Und mit Lissy Tempelhof (88) starb im Herbst eine der großen Schauspielerinnen von Bühne und Film in der DDR („Die besten Jahre“, 1965), an die man sich auch gern als Chansonsängerin erinnert …
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Erstveröffentlichung: Das Blättchen Nr. 26 vom 18. Dezember 2017, 21.12.2017, mit freundlicher Genehmigung des Autors. Die Fotos und die Links wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt!
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