F.-B. Habel

Einmal Karthago und zurück

Mit dem Autor und Regisseur Egon Günther starb einer der kreativsten Köpfe der DEFA

F.-B. Habel

»Wer dem Publikum hinterherläuft, sieht doch nur dessen Hinterteil«, soll Goethe einmal gesagt haben. Wäre der Dichterfürst Filmregisseur geworden, wenn es zu seiner Zeit die technischen Voraussetzungen dafür gegeben hätte? Schriftsteller Egon Günther hat als Regisseur nicht weniger als sechs Spiel- und Dokumentarfilme nach und über Goethe gedreht. Eine Geistesverwandtschaft darf also vorausgesetzt werden (übrigens auch, was das Verhältnis zum schönen Geschlecht betrifft). Die bekannteste dieser Arbeiten ist zweifellos »Lotte in Weimar« von 1975. Die schwere Besetzung der Titelrolle erleichterte ihm Lilli Palmer, die sich anbot und internationalen Glanz in die Weimarer Gesellschaft brachte. Günther flocht in den Film kleine Verweise auf die Gegenwart, wodurch er auch eine verkappte Satire auf die damaligen »DDR-Fürsten« wurde. Die Einladung in den Wettbewerb von Cannes war eine große Ehre, die damals allerdings nicht zum ersten Mal einer DEFA-Produktion zuteil wurde, wie vielfach behauptet wird. Schon 1959 lief bei den Festspielen Konrad Wolfs »Sterne« und gewann (im Gegensatz zur »Lotte«) einen Preis.

Hassliebe zur DEFA: Regisseur und Schriftsteller
Egon Günther (1927–2017)
Foto: Hubert Link/dpa-Zentralbild/dpa

Egon Günther, 1927 im erzgebirgischen Schneeberg in einfachen Verhältnissen geboren, erlernte den Beruf eines Schlossers. Nach dem Krieg erlangte er in der DDR die Hochschulreife und studierte in Leipzig, u. a. bei Ernst Bloch und Hans Mayer. Er arbeitete zunächst als Lehrer, dann als Lektor, bevor er 1958 als Dramaturg und Autor zur DEFA ging. Zu dieser entwickelte er über die Jahre eine Hassliebe: Liebe, weil sie ihm die Möglichkeit bot, seine künstlerischen Ideen mit exzellenten Mitarbeitern umzusetzen. Hass, weil er, der Genosse, immer wieder ideologisch kritisiert und seine Filme zeitweilig verboten wurden. Der erste, den er 1961 zusammen mit Konrad Petzold drehte, war das Märchen »Das Kleid«, in dem zwei Schneider in eine eingemauerte Stadt eindringen. Bei der Abnahme im Monat des Mauerbaus wiesen die Daumen nach unten. In seiner ersten eigenständigen Regiearbeit »Lots Weib« (1965) erwies sich ein von Günther Simon gespielter Offizier der Volksmarine als schlechter Ehemann. So etwas sah man auch nicht gerne. Der nächste Film, der in der Gegenwart angesiedelte märchenhafte Stoff »Wenn du groß bist, lieber Adam« entlarvte Funktionsträger als Lügner. Das Verbot von 1966 blieb bis 1990 bestehen.

1970 begann mit den Fernseh­arbeiten »Junge Frau von 1914« und »Anlauf« die fruchtbare Zusammenarbeit mit Jutta Hoffmann. Die Schauspielerin wurde für »Der Dritte« 1972 in Venedig ausgezeichnet. Aber schon mit dem Anschlussfilm »Die Schlüssel« über die Selbstverständigung eines jungen Paares auf einer Polen-Reise gab es wieder politische Schwierigkeiten – er wurde erst nach zwei Jahren mit geringer Kopienzahl gezeigt. Vielleicht auch zum Ausgleich schrieb Günther zugleich noch anregende Stücke und Romane (etwa »Einmal Karthago und zurück«, 1974).

Nachdem er auch mit seiner Gottfried-Keller-Verfilmung »Ursula« (1978) bei den Funktionären Anstoß erregt hatte, ließ man ihn ein Angebot aus dem Westen annehmen. Dort adaptierte Günther 1981 Lion Feuchtwangers »Exil« als Fernsehmehrteiler. In der BRD folgten zahlreiche Fernseh- und einige Kinoarbeiten, die er nicht immer nach seinen Vorstellungen drehen konnte. Das betraf auch seinen letzten Spielfilm »Die Braut« (1999) mit Veronica Ferres als Goethes Frau Christiane Vulpius. »Ich war gezwungen, auf große, bereits abgedrehte Komplexe zu verzichten, damit der Film eine gefällige Kinolänge bekam«, erzählte er, »jetzt ist seine Struktur zerstört, viele Motive sind nicht wiederzuerkennen.« Man sah des Publikums Hinterteil.

Trotzdem plante Günther noch einen weiteren Kinofilm über einen in Weimar verstorbenen Großen: »Friedrich« sollte er heißen, Christoph Waltz (der auch in der »Braut« dabei war) den Nietzsche spielen. Mittlerweile hat Waltz das Renommee, zu drehen, was er will. Vielleicht nimmt er sich des fertigen Szenariums noch einmal an und setzt es bei einem Produzenten durch. Dann gibt es noch einen letzten Film des einzigartigen Egon Günther. Am 31. August ist er im Alter von 90 Jahren in Potsdam verstorben.
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Erstveröffentlichung Junge Welt vom 4. September 2017, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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