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Eine Deutschstunde

Über die unentwickelte Kunst, ungeteilt zu erben

Eine Deutschstunde

Kerstin und Gunnar Decker

Dietz Berlin 2009. ISBN: 978-3-320-02194-8, 314 Seiten, Preis 19,90 €

Immer wieder, immer wieder neu, machen die Autoren Kerstin und Gunnar Decker dieselbe Erfahrung: ohne dass dieses Land auch die DDR-Geschichte als ihre eigene annimmt, wird die Einheitsnarbe nicht heilen, bleiben wir dümmer, als wir eigentlich sind.
Doch gerade im 20. Jahr des Mauerfalls, im 60. Jahr der Bundesrepublik scheint nichts unpopulärer zu sein als die Kunst, ungeteilt zu erben. Besitzt Deutschland nur eine westliche Vergangenheit? Neueste Bilder- und Geschichtsausstellungen zum Thema "60 Jahre Bundesrepublik" legten es nahe.
Wann wird die innere Einheit des Landes vollendet sein? Vielleicht erst, wenn wir nicht nur eine gemeinsame Gegenwart und eine gemeinsame Zukunft, sondern auch eine gemeinsame Vergangenheit haben.
Zeit für eine neue Deutschstunde.

Ein deutsch-deutsches Geschichtenbuch.
Ein deutsch-deutsches Geschichtsbuch.
Ein Gegenwartsbuch. Ein Vergangenheitsbuch.
Ein Die-Gegenwart-in-der-Vergangenheit-Buch.

Dietz Berlin

Das Buch enthält ein Kapitel "Cowboy vom Dienst: Dean Reed", etwas ausführlicher als der Tagesspiegel-Artikel von Kerstin Decker vom 1. August 2007.

Von Friedrich Schorlemmer

Wie ungeteilt zu erben ist

Kerstin und Gunnar Decker: Deutschstunde

Wer verstehen will, was in deutscher Kultur (und Politik mit der Kultur) – in Zeiten der Teilung, im Prozess demokratischen Aufbruchs mit nachfolgendem Eilanschluss der DDR und in all den Jahren seither – an gegenseitigem Verstehen möglich und was an Missverstehen und nachholendem Kulturkampf angehäuft wurde, der lese diese so dichten wie sorgsam recherchierten Essays des Ostberliner Publizistenehepaars Kerstin und Gunnar Decker.

Ostberliner? Ja, sie wohnten und sie wohnen im Osten Berlins. Sie kennen sich noch gut aus in "Berlin. Hauptstadt der DDR" – samt allem gegenseitigen Frontstadtdenken bei gleichzeitigem kulturellen Charme. Und sie sind selbst mitten in den Konflikten und Aufbrüchen: von Egon Günther bis Andreas Dresen, von Ulrich Plenzdorf bis Monika Maron, von Volker Braun bis Wolfgang Hilbig, von Dean Reed bis Tamara Danz. So viel Kenntnis und so viel neue Einsicht schenkend, jedes überflüssige Wort gleich selber streichend, so mutig gegen den Mainstream auch, so vielfältig in der Themensetzung, dass man nur staunen mag.

Ein ost-deutsch vorgebildetes Bildungsbürgertum? Mag sein. Kerstin und Gunnar Decker fügen sich nicht ein in geläufige Denkschemata. Sie sind nicht im politischen Spektrum zu verorten. Und doch – oder gerade deshalb – lassen sie durchgängig Position erkennen: als "freie Demokraten"! Zudem auch sprachlich ein Lesegenuss jeder Text, zumal sie es vermögen, nüchterne Distanz mit menschlicher Einfühlung zu verbinden. Eben, weil sie den jeweiligen Orts- und Zeitbezug nicht aus den Augen verlieren. Deshalb sind ihre Urteile so abgewogen, fern aller Hechelei. Ob über Angelica Domröse, die für immer Paula ist und doch viel mehr, ob rückblickend auf Wolf Biermanns Ausbürgerung 1976 und dessen Häutungen, ob über Heiner Müllers Wendewinter mit seiner neunstündigen "Hamletmaschine" oder über Werner Tübkes "Turbulenzen auf der Zeitachse".

Da wird Erwin Geschonnecks Geschick ebenso wichtig wie seine Verdienste als großer Volksschauspieler aus der DDR deutlich werden mit seinen Rollen in "Nackt unter Wölfen" oder in "Jakob der Lügner". Kurt Maetzigs Lebensweg von "Ehe im Schatten" über den "Augenzeugen", den mythenbildenden Thälmannepos bis zum 1965 verbotenen "Kaninchen"-Film macht die Verwerfungen einer Biografie in zwei so grundverschiedenen sich gleichenden Diktaturen deutlich. Die Deckers sparen kaum ein Streitthema aus und reichern es durch tiefgehende Erkenntnisse an. Da findet sich die fällige Entgegnung auf Volker Schlöndorffs freche Arroganz, mit der er alle DEFA-Filme als Schrott abtat. Oder die bewegende Nachbetrachtung zu Jenny Gröllmann (im belastenden Streit um ihre angeblichen Spitzeldienste selbst gegen ihren Mann Ulrich Mühe) und deren eindrückliche Rolle im fast vergessenen Gestapo-Verratsfilm "Dein unbekannter Bruder" von 1981. Ein Nazi-"IM" unter Kommunisten und die Folgen...

Die unsägliche Debatte um Christoph Heins geplatzte Berufung zum Intendanten des Deutschen Theaters wird aufgegriffen ebenso die "Unrechtsstaats"-Querelen um eine generelle Delegitimation alles dessen, was DDR geheißen hatte. Nichts davon ist "Schnee von gestern" und alles ist so frei von Larmoyanz, gar von Ostalgie – wie es sich andererseits neuen Deutungsdiktaten widersetzt.

Dieses essayistische Gemeinschaftswerk holt Zeitungsartikel von Format aus dem Papierkorb des Vergessens und macht dem Leser erkennbar, "wie man wird, was man ist". Und es zeigt, wie schön es ist, wenn man Schwierigkeiten löst (ganz nach Brechts Schönheitsdefinition) und lernt, ungeteilt zu erben.

Mitten in allem unerquicklichen deutsch-deutschen Knatsch vermitteln die hier versammelten Texte, diese Prologe und Epiloge, Nachrufe und Vorreden, verpassten Aufbrüche und nachgeholten Erfüllungen (so lauten einige Kapitelüberschriften) etwas von der Kunst, nach 20 Jahren endlich "ungeteilt zu erben."

Wahrlich eine Deutschstunde, eine unentbehrliche für das Einheitsgedenkjahr 2010.

Kerstin und Gunnar Decker: Über die unentwickelte Kunst, ungeteilt zu erben. Eine Deutschstunde. Dietz Berlin. 314 S., br., 19,90 €.

Neues Deutschland, 19.01.2010

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Letzte Änderung: 2010-01-31