Volkskorrespondenz
Susanne Fiebig
Mir ist kalt
Der Wind durchdringt alle Schutzschichten die ich um mir aufgebaut habe
.
Mir ist kalt… 5 Grad plus, aber der Regen prasselt unaufhörlich. Meine Jacke und meine Hose, meine Schuhe, ja sogar meine Mütze sind durchtränkt vom Regen. Feuchte Luft in jeder Minute in der ich atme. Der Wind, nicht sichtbar und doch so gnadenlos, dringt durch jede Schutzschicht, die ich versucht habe um mich herum aufzubauen.
Gerade wollte ich nach ein wenig Kleingeld fragen, … ein heißer Tee wäre so gut… aber der Blick der Menschen, die eilig an mir vorbei laufen, hält mich davon ab zu fragen… ich hab hunger…
Mein Wohnzimmer ist der kalte Asphalt, mein Bett eine Isomatte und ein Schlafsack. Mein Bad, die dunkle Ecke 100 Meter entfernt. Meine Küche? Ein Gaskocher, der leider kein Gas mehr hat.
Ein heißer Tee wäre immer noch toll….
Die letzten Kippen, der vorbei ziehenden Menschen, hab ich mit meinen Fingern weggeräumt und rolle ich meine dünne Isomatte aus… der Wind ist immer noch nicht gebändigt, …und dieser verdammte Regen…
Ich ziehe meine Schuhe aus, sie müssen unter mein provisorisches Kopfkissen… das nicht aus Daunenfedern besteht, sondern mein Rucksack ist, versteckt werden… lege ich mich in meinen Schlafsack. Aber den Reißverschluss lasse ich offen um schnell flüchten zu können, falls mich jemand… schlägt, anzündet oder …
Welcher Tag ist heute? Wie spät ist es?
Noch ein Schluck… gegen die Angst, gegen die Verzweiflung, gegen die Hoffnungslosigkeit, die Einsamkeit, gegen das mich vergessen, gegen die Kälte, …dieser blöde, kalte Wind. Und dieser Regen…
Ich bin müde… mein Körper kapituliert… schlafen… ich bin müde. Jetzt einfach nur schlafen…
Ich habe 30 Jahre gearbeitet, meine Frau hat sich einen anderen Mann gesucht, während ich für uns gearbeitet habe. Nach der Trennung hab ich ihr und meinen Kindern die Wohnung überlassen. Bin beim Kumpel untergekommen… aber auf Dauer??? Mein Chef hat mir gekündigt, weil ich Fehler machte… nicht mit Absicht, aber alles was ich tat, war nicht genug… wie soll ich auch volle Leistung erbringen, während mein Privatleben total aus der Fugen gerät? Ich bin verzweifelt!
Ich hab 20 Jahre in einer großen Firma gearbeitet. Auf einmal sanken deren Umsatzzahlen… betriebsbedingte Kündigungen… aber da ist doch der Kredit für das Haus! Die Rate fürs Auto! Die Küchenmöbelrate? Wie erkläre ich das nur meiner Frau? Ach, ich finde schon was neues… wenn nicht diesen Monat dann nächsten Monat…. oder übernächsten Monat… Mahnungen, ich bezahle sie, ganz bald…wirklich. Zwangsvollstreckung…
Meine Eltern trinken beide, jeden Tag… es kotzt mich an. Es ist peinlich und Essen ist auch nie da … und wenn sie besoffen sind schlagen sie mich. Ich war beim Jugendamt. Eine Freundin sagte, die helfen mir… Aber ich will nicht mit 10 anderen in eine Unterkunft. Lieber bleib ich alleine. Ich bin alt genug mit 14 Jahren. Ich schaffe das schon! Niemand sperrt mich mehr ein! Niemand tut mir mehr weh! Ich bin frei….
Aber der Wind durchdringt immer noch alle Schutzschichten die ich um mir aufgebaut habe… und dieser Regen… ich habe Hunger..und husten… mir ist so kalt…
.
Es gibt eine viel dickere Schutzschicht: Für diejenigen, die das Ganze am Laufen halten müssen: Das ist die Schuldzuweisung an die Abgehängten. Die Verdummungsmaschinerie macht´s möglich. Vorschlag: Vielleicht gibt es sogar bald Platzkarten für den Unterschlupf unter Brücken. Seid getröstet, das reiche Deutschland rüstet militärisch aber wieder auf, die Armen müssen warten…